Der Grundgedanke besteht darin, die Passgenauigkeit des 3D-Drucks mit der Stabilität von Kohlefasern zu verbinden, um Orthesen zu fertigen, die leicht, stabil und komfortabel zu tragen sind. Die wesentlichen Prinzipien dieser Methode werden anhand der Erstellung einer 3D-gedruckten maßgefertigten Unterschenkelorthese (AFO) aufgezeigt, die durch ein Handablagegerät nachträglich mit Kohlefasern verstärkt wird.
Einleitung
Die Orthopädie-Technik digitalisiert sich immer stärker – nicht zuletzt deshalb, weil die individuelle Versorgung durch die Möglichkeiten der digitalen Technik in Verbindung mit additiven Fertigungsmethoden bei sinkenden Produktionszeiten in der Werkstatt deutlich verbessert werden kann. Das kommt auch den Nutzern zugute: Der Orthopädie-Techniker kann mehr Zeit in seine Kunden und die individuelle Anpassung der Hilfsmittel investieren, statt diese Zeit in der Werkstatt mit der Fertigung zu verbringen. 3D-Scanmethoden, computerunterstützte Designmethoden (CAD) und Verfahren aus dem Rapid Prototyping (CAM) nehmen daher immer stärkeren Einfluss auf die Arbeit etablierter Orthopädie-Techniker, aber auch auf die Ausbildung des Nachwuchses. Immer mehr Firmen und Institute forschen über die Herstellung 3D-gedruckter Orthesen, denn diese können individuell für jeden Nutzer „maßgeschneidert“ werden. Auch die Haltbarkeit verbessert sich: Dauerlasttests in der Prothetik konnten zeigen, dass gedrucktes Polyamid 12 (PA12) Lastwechsel von bis zu zwei Millionen Zyklen standhalten kann, was einer Dauerlast von zwei Jahren entspricht 1.
Das Selektive Lasersinterverfahren (SLS) hat sich in der Herstellung von Orthesenschalen zumindest in Teilbereichen bereits durchgesetzt. Beim SLS findet ein schichtweiser Materialauftrag in einem abgeschlossenen, vorgewärmten Bauraum statt. Jede einzelne hauchdünne Schicht wird nach dem Auftragen per Laser mit der darunterliegenden Schicht verschmolzen. Die Vorteile dieses Verfahrens bestehen darin, dass die Bauteile eine hohe mechanische Belastbarkeit aufweisen und zudem bis 120° Celsius temperaturbeständig sind 2.
Dem entgegen steht die bisherige Entwicklung in der Orthetik, die sich immer stärker auf die Verarbeitung von Kohlefaser-Verbundwerkstoffen spezialisiert hat. Dieses Material ermöglicht es, hochsteife Orthesen mit sehr geringen Wandstärken zu fertigen. Zur Herstellung solcher kohlefaserbasierten Orthesen werden zwei unterschiedliche Verfahren angewendet: zum einen das sogenannte Gießverfahren, bei dem die Kohlefaser um eine Form gelegt und dann in einem Vakuumsystem mit flüssigem Zwei-Komponenten-Harz getränkt wird. Dieses Harz härtet durch eine chemische Reaktion zu einem Duroplast aus und führt so zur Versteifung des Materials. Bei der zweiten Methode werden sogenannte Prepreg-Materialien – vorgetränkte Fasermatten – über eine Form gelegt und härten sodann unter Hitzeeinwirkung aus.
Im hier vorgestellten Projekt „3Dprint2Fiber“ wird gleichsam das Beste aus beiden Welten vereint: Zielsetzung des Projektes ist es demnach, die beiden Methoden in einem Hybridverfahren zu kombinieren, um eine leichte, stabile Orthese bei deutlich gesenkten Herstellungszeiten zu fertigen. Der innerhalb des Projekts verwendete Kohlefaserverbund unterscheidet sich von den oben genannten Methoden dadurch, dass er zum einen in eine thermoplastische Matrix eingebunden ist und zum anderen nicht als Platte vorliegt, sondern als Band auf einer Spule aufgewickelt ist („CFK-Tape“). Die Verarbeitung dieses Werkstoffs erfolgt durch ein leicht zu handhabendes Gerät, das den Kunststoff, der die Kohlefaser umgibt, erhitzt und sie auf diese Weise mit der 3D-gedruckten Orthese verbindet.
Projektbeteiligte
Das Projekt „3Dprint2Fiber“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Involviert sind fünf Partner:
- die Firma A+ composites in Weselsberg für die Entwicklung des Fasertapes,
- das Institut für Verbundwerkstoffe in Kaiserslautern (IVW) für Simulation und Testverfahren,
- die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) zur Recherche und Patientenevaluation,
- die Firma M & A Dieterle in Ottenbach für die Entwicklung des Ablegegerätes,
- die Firma Mecuris GmbH in München für die Entwicklung der Orthese.
Vorüberlegungen
Im ersten Schritt des Projektes wurden anhand von Expertenbefragungen die Zielgruppe und der Orthesentyp spezifiziert, der sich für eine solche Art der Herstellung am besten eignet. Befragt wurden dabei neben Orthesenträgern auch Orthopädie-Techniker und Ärzte. Die Wahl fiel auf eine Unterschenkelorthese (AFO; „ankle-foot orthosis“) für Patienten mit Fußheberschwäche (Peroneuslähmung) (Abb. 1). Ausgelöst werden diese Lähmungen zum Beispiel durch Druckschäden beim Tragen eines Gipses oder sind Folge von Schlaganfällen oder Bandscheibenvorfällen 3. Die Gefahr, die von einer Fußheberschwäche ausgeht, besteht insbesondere darin, dass der Patient durch das Herunterhängen der Fußspitze in der Schwungphase stolpert, was zu schweren Stürzen führen kann.
Aus den Resultaten der Interviews ergaben sich zwei Hauptanforderungen an das Produkt: Es muss zum einen das Halten des Fußes in einem neutralen Winkel ermöglichen, um die Plantarflexion in der Schwungphase zu vermeiden; andererseits soll die Orthese bei Lastübernahme einen dosierten Widerstand gegen die Plantarflexion bieten, um ein physiologisches Absenken der Fußspitze zu ermöglichen. Die lange Feder der AFO muss außerdem den Träger in der Stand- und der Abrollphase bestmöglich stabilisieren, ohne ihn zu behindern 4. Um eine dosierte Plantarflexion zuzulassen, muss die Orthese in der Lage sein, das plantarflektierende Moment bei der Lastübernahme zu kompensieren.
Materialerprobung
Um zu simulieren, ob das Design der AFO den genannten Anforderungen standhält, benötigt man den Elastizitätsmodul (E‑Modul) des Materials. Zu diesem Zweck hat das Institut für Verbundwerkstoffe (IVW) eine Reihe von Zugversuchen durchgeführt, wobei im Falle des 3D-gedruckten PA12 darauf zu achten ist, dass sich das Material in unterschiedlichen Druckrichtungen verschieden verhält: Vertikal gedruckte Proben versagten in der kompletten Versuchsreihe früher; horizontal gedruckte Proben wiesen stets eine höhere Bruchdehnung auf. Daraus lässt sich schließen, dass die Verbindung innerhalb einer Schicht stärker ist als die Verbindung zwischen den einzelnen Schichten. Getestet wurden acht vertikal und acht horizontal gedruckte Proben (Abb. 2)
Konzeption der AFO
Um einschätzen zu können, inwiefern das Material den Anforderungen standhält, wurde unter Auswertung der Experteninterviews eine Anforderungsliste an die AFO erstellt. Die AFO sollte demnach so gestaltet werden, dass sie eine Anbindung an der Wade und über dem Fußrücken hat. Die Rotationsachse, die sich beim Abknicken ergibt, sollte sich möglichst nah am Knöchelzentrum befinden. Das verhindert ein Auf- und Abrutschen der Anbindung an Wade und Schienbein und beugt Wundscheuern vor. Die Orthese benötigt des Weiteren eine Sohlenfläche, die bis über den großen Zeh hinausragt, um das Fußbett im Schuh zu positionieren. Sie muss so konstruiert werden, dass sie Torsionsbewegungen der unteren Extremität einschränkt und damit dem Träger ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Zudem gibt es Stellen, die beim Design besonders berücksichtigt werden müssen, da das Tragen der Orthese sonst zu Reibung und Schmerzen führen kann. Diese Bereiche sind in Abbildung 3 rot markiert und betreffen besonders die Stellen am Bein, an denen Knochen dicht unter der Haut liegen, da das Weichgewebe dort Bewegungen nicht ausgleichen kann, vornehmlich die Tibia (Schienbein) sowie die Knöchel medial und lateral. Ferner galt es zu beachten, dass die Achillessehne durch ihre hohe Beweglichkeit nicht direkt an der Orthese anliegen darf.
Simulation des Orthesendesigns
Das aus diesen Anforderungen abgeleitete Design wurde mittels Finite-Elemente-Methode simuliert. Dabei wird das Bauteil in eine endliche Anzahl an Elementen unterteilt, worauf auch die Bezeichnung der Methode („finit“ = bestimmt) beruht. Die Berechnung erfolgt, indem ein Element physikalische Größen wie Verschiebung oder Temperatur an benachbarte Elemente weitergibt 5. Verwendet wurde ein lineares Materialmodell unter Berücksichtigung des ermittelten E‑Moduls. Zu erkennen ist, dass PA12 ohne Faserverstärkung in den gewählten Wandstärken zu flexibel ist, um den Fuß ausreichend zu unterstützen (Abb. 4). Simuliert wurden alle Orthesendesigns mit einem vor der Versuchsreihe bestimmten Standardfuß, an den sie angepasst wurden.
Testreihe mit CFK-Verstärkung
Um der beobachteten Flexibilität entgegenzuwirken, wurde nunmehr das Kohlefasertape in die Entwicklung mit einbezogen, mit dem sich das vorgestellte Projekt befasst. Es wird nach dem 3D-Druck auf die Orthese aufgebracht und sorgt damit für die notwendige Steifheit bei geringer Materialstärke. Bei der Entwicklung des Tapes wurde vor allem auf eine bestmögliche Verschmelzung mit der Form aus dem 3D-Druck geachtet. Daher wurden die einzelnen Kohlefasern mit einer PA12-Matrix umgeben, die beim Aufbringen perfekt mit der Orthese verschmelzen soll. Um diese These zu überprüfen, wurde eine „getapte“ Probe im Elektronenmikroskop vergrößert (Abb. 5). Zu erkennen ist in der oberen Hälfte des Fotos – in Hellgrau – der Probekörper aus PA12; die weißen Punkte sind die durchgeschnittenen Kohlefasern in der Draufsicht. Man erkennt, dass sich einzelne Fasern aus dem Verbund gelöst haben und in die Probe eindringen. Das spricht für eine gute Verbindung zwischen Probe und Tape. Auch sind keine Lufteinschlüsse zwischen den beiden Materialien zu erkennen. Die Probe wurde in diesem Testfall von einem Roboter unter Laborbedingungen mit einem Druck von 20 kg abgelegt.
Zur Überprüfung, ob sich das Material durch die Aufbringung des Tapes versteift, wurde eine zweite Versuchsreihe gestartet: Sechs Proben wurden dabei in eine 4‑Punkt-Biegeprüfmaschine (Abb. 6) eingespannt und abermals der E‑Modul des faserverstärkten PA12 ermittelt. Sowohl die vertikal als auch die horizontal gedruckten Proben wurden in zwei verschiedenen Varianten getestet: zum einen mit verstärkter Zugseite, zum anderen mit verstärkter Druckseite des Probekörpers. Auf diese Weise konnte die optimale Seite der Tape-Aufbringung ermittelt werden. Als Referenz wurden im selben Test auch Probekörper getestet, die keine Faserverstärkung aufwiesen. Die beiden dicht überlagerten grünen Kurven in Abbildung 7 zeigen die in V- und H‑Richtung (vertikal und horizontal) gedruckten Probekörper, die auf der Zugseite mit Kohlefasern verstärkt wurden. Der E‑Modul liegt in H‑Richtung bei 4128,95 MPa und in V‑Richtung bei 4479,60 MPa – im Schnitt 2,5‑mal höher als bei den nicht verstärkten Platten. Ebenso zu erkennen ist, dass die Faser auf die Zugseite der Probe – bzw. später der Orthese – gelegt werden muss, um den größtmöglichen Effekt zu erzielen. Um die Ungenauigkeit einer von Menschenhand aufgelegten Probe zu eliminieren, wurden in diesem Test alle Proben mit einem Roboter abgelegt.
Ablagegerät
Die Firma M & A Dieterle hat im Rahmen des Projekts ein Handablagegerät entwickelt, das es dem Orthopädie-Techniker ermöglicht, die Kohlefasertapes zu applizieren (Abb. 8a u. b). Es besteht im Wesentlichen aus einer Spule, auf der die Fasertapes aufgerollt sind. Die Tapes können dabei in verschiedenen Breiten und Dicken verwendet werden. Auf der Rückseite ist eine Anzeige angebracht, die die Ist- und Solltemperatur des Heizschuhs anzeigt. Der Heizschuh ist in Abbildung 8a auf der linken Seite zu sehen; er schmilzt das PA12 des Tapes auf. Hinter dem Heizschuh befindet sich die Schneideeinheit, mit der das Tape nach Gebrauch abgelängt wird. Der Drehknopf, der sich hinten unter der Spule befindet, ist zur Einstellung der Temperatur vorgesehen.
Diskussion
Das Forschungsprojekt zeigt das Potenzial auf, das in 3D-gedruckten Orthesen liegt. Durch eine geeignete Simulation können Einzelanfertigungen ohne weitere Tests in den Verkauf gehen. Des Weiteren belegen die Ergebnisse, dass PA12, das mit Kohlefasern verstärkt wurde, deutlich höheren Lasten standhalten kann als das Ausgangsmaterial. Eine Kombination der beiden Materialien führt zu Produkten, die leichter sind und eine bessere Funktion aufweisen als jedes Material für sich allein. Durch computergestützte Systeme können demnach Orthesen gefertigt werden, die genau an den einzelnen Anwender angepasst sind. Durch den nachträglichen schichtweisen Auftrag von Kohlefasern kann der Orthopädie-Techniker die Funktionsweise der Orthese sehr genau justieren und auch im weiteren Verlauf der Behandlung – wenn nötig – die Orthese an veränderte Situationen bzw. Anforderungen anpassen.
Für die Autoren:
Clemens Rieth
Product Development Mecuris GmbH
Lindwurmstraße 11
80337 München
clemens.rieth@mecuris.com
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Rieth C., Els B. „3Dprint2Fiber“ – kohlefaserverstärkter 3D-Druck in der Orthopädie-Technik. Orthopädie Technik. 2019; 70 (5): 24–27
- Der Verlag OT wünscht frohe Weihnachten! — 23. Dezember 2024
- Die neue Leitlinie zum Lipödem-Syndrom: mehr Licht als Schatten. Konsequenzen für die Praxis — 5. Dezember 2024
- Orthesenversorgung bei Läsion des Plexus brachialis — 4. Dezember 2024
- Opitz M, Taubmann C, Gundlack F, Breuninger J. Stabilität von additiv gefertigten Prothesen. Wiesbaden: Springer Vieweg, 2017
- EOS GmbH – Electro Optical Systems. PA 2200 Balance 1.0. PA12.
https://www.materialdatacenter.com/mb/material/pdf/374146/374146/PA2200Balance1.0 (Zugriff am 02.04.2019)
- Geßner C. Akuter Fallfuß: wichtige Fragen und Handgriffe. https://www.medical-tribune.ch/allgemeinmedizin/fokus-medizin/artikeldetail/akuter-fallfuss-wichtige-fragen-und-handgriffe.html (Zugriff am 02.04.2019)
- Streifeneder ortho.production GmbH. The eight phases of human gait circle. https://de.scribd.com/document/349639739/400w43-e-poster-gangphasen-druck-pdf (Zugriff am 02.04.2019)
- Müller G. Was ist die Finite-Elemente-Methode? https://www.cadfem.de/cadfem/cadfem/historie/fem.html (Zugriff am 02.04.2019)