„Vermutlich nicht aufholbar sind die Verluste der vergangenen Monate, als Krankenhäuser planbare Operationen zugunsten der Intensivmedizin flächendeckend heruntergefahren haben, Arztpraxen teils geschlossen und etliche Patienten aus Angst vor Infektionen Behandlungen verschoben haben“, so BIV-OT-Präsident Alf Reuter. Die wirtschaftlichen Folgen legte die aktuelle Befragung erneut offen: Zum dritten Mal in Folge gab die Mehrzahl der Befragten an, dass sowohl Umsatz- als auch Auftragslage gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres eingebrochen bzw. stark eingebrochen seien. Bei 83 Prozent habe der Umsatz im Mai 2020 im Vergleich zum Mai 2019 abgenommen bzw. stark abgenommen. Bei der 2. Befragung (Vergleich April) hatten das 92,2 Prozent angegeben, bei der 1. Befragung (Vergleich März) 82 Prozent. Für die Auftragslage sagten dies in der aktuellen Befragung 78,2 Prozent (2. Befragung: 90,3%; 1. Befragung: 88,8%).
Gefahr trotz leichtem Optimismus
Jedoch hellte sich der Blick in die Zukunft – auf den jeweiligen Folgemonat – von Befragung zu Befragung etwas auf: So erwarten 21,9 Prozent der befragten Betriebe im Juli 2020 einen zunehmenden oder stark zunehmenden Umsatz. In der vorhergegangenen Befragung (Bezug Juni) hatten dies 14,6 Prozent angegeben und in der 1. Befragung (Bezug Mai) sogar lediglich 3,4 Prozent. Dennoch sahen in der aktuellen Untersuchung immer noch 46,5 Prozent eine Abnahme oder starke Umsatzabnahme voraus. Bei der Auftragslage rechneten 26,5 Prozent mit einer Zunahme/starken Zunahme (2. Befragung/Bezug Juni: 18,1%; 1. Befragung/Bezug Mai: 4%) und 42,7 Prozent mit einer Abnahme/starken Abnahme (2. Befragung: 64,7%; 1. Befragung: 90,7%). „Es werden also nach wie vor sehr hohe Einbußen erwartet, die letztlich die Existenz von Betrieben und damit die flächendeckende Hilfsmittelversorgung gefährden können“, so Reuter.
Auf 2. Welle vorbereitet sein
Zudem stehe die Gefahr einer erneuten Infektionswelle immer im Raum, konstatiert Reuter. „Darauf müssen wir vorbereitet sein, um die Versorgung der Bevölkerung mit Hilfsmitteln zu sichern.“ Deshalb gelte es, persönliche Schutzausrüstung (PSA) in entsprechender Zahl zu beschaffen und die Lager aufzustocken. Dabei sieht der BIV-OT-Präsident ebenfalls die Bundes- und Landespolitik in der Pflicht: „Die Preise für Produkte wie professionelle FFP2/3‑Schutzmasken sind nach oben geschnellt, teils waren sie auf dem Markt gar nicht zu bekommen. Da bei jeder Versorgung PSA getragen werden muss, belastet dies die Betriebe enorm. Es ist für uns unverständlich, dass nahezu alle anderen Leistungserbringer – wie zum Beispiel Ärzte und Physiotherapeuten und zuletzt sogar die Bauindustrie – hierfür einen Ausgleich erhalten, wir aber nicht.“ Die Krankenkassen seien klar in der Pflicht. PSA gehöre zur Versorgung dazu.
PSA: Lage weitgehend entspannt – Bedarf nicht vollständig gedeckt
Im Großen und Ganzen habe sich die Situation im Hinblick auf PSA aber im Vergleich zum Beginn der Pandemie, als nahezu nichts erhältlich war, entspannt, sagt Reuter. Dazu hätten nicht zuletzt Projekte wie „Wir nähen für Deutschland“ beigetragen, wobei der BIV-OT gemeinsam mit Unternehmen die Herstellung zertifizierter Schutzausrüstung angestoßen habe. Trotzdem wurde beispielsweise ein Mangel an Einweghandschuhen von 34,77 Prozent der teilnehmenden Betriebe als ein Grund benannt, der „aktuell oder innerhalb der nächsten Woche“ zu Einschränkungen ihrer Lieferfähigkeit führt. Damit stand dieses Problem im „Ranking“ fehlender PSA derzeit an erster Stelle – gefolgt von fehlendem Desinfektionsmittel und FFP2/3‑Mundschutz.
Wieder arbeitsfähig
Die Arbeitsfähigkeit in allen Versorgungsbereichen hat sich nach den Ergebnissen der neuesten Betriebsbefragung wesentlich verbessert. „Sie ist demnach zu einem hohen Prozentsatz nahezu wiederhergestellt – auch wenn es überall und speziell im Bereich der Versorgung mit Medizintechnik noch Nachholbedarf gibt“, erklärt Alf Reuter. So lag der Anteil der befragten Unternehmen, die sich als „eher bzw. voll arbeitsfähig“ einschätzten, im Versorgungssegment Sanitätshaus bei 82,6 Prozent (2. Befragung: 63,5%; 1. Befragung: 42,5%), in der Orthopädie-Technik bei 79,6 Prozent (2. Befragung: 62,1%; 1. Befragung: 48,5%), in der Orthopädie-Schuhtechnik bei 70,9 Prozent (2. Befragung: 45,6%; 1. Befragung: 44,2%), im Bereich Reha bei 79 Prozent (2. Befragung: 64,9%; 1. Befragung: 53,1%), in der Home Care bei 80,7 Prozent (2. Befragung: 64,1%; 1. Befragung: 47,6%) und im Bereich Medizintechnik bei 62,2 Prozent (2. Befragung: 54%; 1. Befragung: 42,2%).
Weniger Engpässe
Auch wenn sich die Lieferfähigkeit in etlichen Produktgruppen weiter verbessert hat – „die Engpässe aufgrund fehlender Handelsware oder Materialien zur Produktion sind dennoch vorhanden“, kritisiert Alf Reuter. So ergeben sich Lücken vor allem bei zum Verbrauch bestimmten Pflegehilfsmitteln (PG 54), bei Pflegehilfsmitteln zur Körperpflege/Hygiene und zur Linderung von Beschwerden (PG 51) sowie zur Erleichterung der Pflege (PG 50), bei Inhalations- und Atemtherapiegeräten (PG 14) sowie Krankenpflegeartikeln (PG 19).
„Neue Normalität“ ist nicht die alte
„Selbst wenn wir überall Lockerungen sehen, Krankenhäuser ihre Leistungen wieder hochfahren, Sanitätshäuser und orthopädie-technische Betriebe ihre Arbeitsfähigkeit in weiten Teilen zurückgewonnen haben – es gibt keinen Grund, sich zurückzulehnen“, unterstreicht Reuter. „Die Corona-Krise ist nicht gebannt. Auch wenn die Unternehmen inzwischen etwas optimistischer in die Zukunft blicken – die ‚neue Normalität’ ist nicht die alte. Zudem müssen wir künftig besser gerüstet sein – und da ist die Politik gefragt: Unsere Betriebe müssen endlich deutlich als systemrelevanter Komplex des Gesundheitswesens benannt werden.“
Die vierte Befragung der Mitgliedsbetriebe des BIV-OT findet ab 6. Juli bis einschließlich 16. Juli statt.