Während Prof. Dr. Reinhard Hildebrand von der Prosektur Akademie mit der funktionellen Anatomie des Fuß-/Sprunggelenkskomplexes dem Orthopädietechniker im Anatomiekurs noch halbwegs vertrautes Terrain vorstellte, ging es bei den weiteren Vorträgen seiner Akademie-Kollegen im wahrsten Sinne ans Eingemachte. Der Fokus bei Prof. Dr. Wolfgang Knabe lag dabei im Wesentlichen auf der Reizweiterleitung, also der Kommunikation zwischen zentralem Nervensystem und der Peripherie, während Dr. Stefan Washausen die Reizverarbeitung im Gehirn mit den potenziellen Störungen thematisierte.
Anatomie, Pathologie und Diagnostik
Im ersten Themenblock des Symposiums „Anatomie, Pathologie und Diagnostik“ stellten Prof. Hildebrand, Dr. Thomas Böni, Leiter Technische Orthopädie an der Universitätsklinik Balgrist in Zürich, PD Dr. Dariusch Arbab und Prof. Dr. Christian Lüring – beide vom Klinikum Dortmund – den medizinischen Kontext her, ohne dessen Kenntnis jede orthopädietechnische Versorgung zum Scheitern verurteilt wäre. Nur wenn die physiologische Funktion des komplexen Systems Fuß verstanden werde und die funktionellen Auswirkungen von Fußdeformitäten analysiert werden können, ließen sich auch adäquate Hilfsmittelkonzepte verwirklichen, so die Fachärzte.
Biomechanik und Sensomotorik
Im zweiten Themenblock „Biomechanik und Sensomotorik“ wurde der Fokus enger. Dr. Sebastian Senst von der Hamburger Schön Klinik sprach über Funktion und Dysfunktion des Fußes. Die nachfolgenden Redner Matthias Schmitt (Optimus, Egelsbach) und Gerhard Biber (AdViva, Heidelberg) gingen auf das Konzept sensomotorischer Einlagen ein und darauf, welche Auswirkungen Fuß- und Unterschenkelorthesen auf den Gang von ICP-Patienten:innen haben. Sebastian Wendel (Mediclin Fachklinik Rhein/Ruhr, Essen) stellte die therapeutischen Grundlagen der Spiraldynamik vor. In der anschließenden Diskussion wurde unter anderem erörtert, wie sich technische und therapeutische Konzepte ergänzen können.
Therapie und Rehabilitation
Dr. Matthias Manig vom Klinikum Dortmund und Dr. Böni spannten den Bogen von den Fußdeformitäten des Kindesalters zu denen der Erwachsenen. So wie Kinder keine kleinen Erwachsenen sind, so seien die Fußdeformitäten des Erwachsenenalters keine groß gewordenen Kinderfüße. Probleme sowie Lösungsansätze seien spezifisch zu sehen. Die Person, die Pathologie und die aktuellen Lebensumstände bestimmten das Geschehen, wie Böni deutlich machen konnte anhand eines einarmigen Geigenspielers, der dank intensiven Trainings sein Instrument mit den Füßen beherrschte. Merkur Alimusaj vom Universitätsklinikum Heidelberg thematisierte in seinem Vortrag den Schmerz, der vielfach mit Pathologien des Fußes einhergehe und konnte darstellen, dass Einlagen- und Orthesenversorgungen an dieser Stelle einen wichtigen Beitrag zur Linderung von Beschwerden liefern können.
Der ganze Mensch mit seinem Fuß
Die Überschrift des abschließenden Themenblocks des Tages lautete „Der ganze Mensch mit seinem Fuß“. Wichtigste Botschaft der Referent:innen: dass alle Beschäftigung mit dem Fuß des Menschen, mit Pathologien und Versorgungsstrategien den Blick nicht darauf verstellen dürfe, dass im Zentrum des Interesses Patientinnen und Patienten stehen sollten. Aus Betroffenenperspektive berichtete der Duisburger Norbert Kuster. Kuster ist Vorsitzender im NRW-Verband der „Deutschen Diabetes-Hilfe“ und ist selbst vom diabetischen Fußsyndrom betroffen. Er machte deutlich, wie schwierig eine frühzeitige Selbstwahrnehmung von beginnenden Fußproblemen für Betroffene sei und dass deshalb konsequente und strukturierte Kontrollen unerlässlich seien. Die Pflege des Fußes bestimmte auch den Beitrag der Podologin Sindy Burow aus Mühlenbeck. Burow griff die Aussagen von Kuster auf und führte diese fort, wobei in der anschließenden Diskussion auch deutlich wurde, dass die Abgrenzung zwischen den Professionen „Wundmanagement“ und „Podologie“ schwierig ist. Außerdem brach sie eine Lanze dafür, psychologische Aspekte stärker in die Ausbildung medizinischer Hilfsberufe zu integrieren. Klaus Happes (AdViva, Heidelberg) beendete den Symposiumstag mit einem optimistischen Vortrag über Fuß und Sport. Happes betreut Sportler:innen unterschiedlicher Disziplinen von orthopädietechnischer Seite und zeigte an Beispielen, dass Sportler:innen für den Erhalt und die Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit ganz selbstverständlich individualisierte Hilfsmittelversorgung in Anspruch nehmen würden.
Einlagen und Schuhversorgung
Der Samstag stand als abschließender Tag der Veranstaltung im Zeichen fachlichen Austausches über Orthopädie-Technik, Versorgungskonzepte, Fertigung und Ergebnisse. Matthias Krebs (Hamburg) fokussierte sich in seinem Beitrag auf die Biomechanik des Wölbungssystems am Fuß. Er erinnerte die Teilnehmer:innen an die Grundlagen ihres Handelns. Die digitale Prozesskette in der Einlagenversorgung – von der Versorgungsidee bis zum abgabefertigen Produkt – stellte Lennart Göpfert (Klinz, Bernburg) sehr anschaulich dar. Mit der Therapie und Versorgung bei Sichel- beziehungsweise bei Klumpfüßen nahm Dr. Claudia Müller-Gliemann, Fachärztin für Orthopädie aus Solingen, zwei konkrete Indikationen ins Visier und grenzte Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Therapie klar gegeneinander ab. Dass die Versorgung des Fußes immer im Gesamtkontext, also der Wechselwirkung zwischen Fuß, Bettung und Schuh betrachtet werden muss, war die zentrale Aussage von Jochen Schickert vom Markkleeberger Unternehmen Orthovital. Auch wenn Orthopädietechniker:innen und auch Orthopädieschuhmacher:innen am liebsten am und für den Patientenfuß arbeiten, müssten dabei doch umfangreiche rechtliche Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Diese wurden von Michael Möller, Inhaber der Möller Orthopädie-Schuh-Technik in Münster, unter besonderer Berücksichtigung der seit Mai 2021 geltenden Medical Device Regulation (MDR) vorgestellt.
Der Fuß im sensomotorischen System
In dem Themenblock „Der Fuß im sensomotorischen System“ standen konkrete Versorgungsmöglichkeiten am Fuß im Vordergrund. Den Start machte Carsten Kramer von der Technischen Orthopädie & Rehatechnik Kramer GmbH & Co. KG in Papenburg mit den notwendigen Vorüberlegungen für unterschiedliche Fuß-/Unterschenkelversorgungen. Erst eine genaue Analyse der individuellen Patientensituation – am besten im Team – erlaube es, ein adäquates Versorgungskonzept zu erstellen. Lothar Jahrling (Footpower, Gießen) steht seit Langem für das Thema Propriozeption und Sensomotorik in der Einlagenversorgung. Er erläuterte in seinem Beitrag die schwierigen konzeptionellen Zusammenhänge. Die Bewertung sensomotorischer Fußversorgungen stellte Lukas Fischer (Fischer Fussfit, Burglengenfeld) in den Fokus. Er verdeutlichte die Methodik und Ergebnisse seiner Bachelorarbeit zu diesem Thema. Dr. Melanie Horter vom Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) Westmünsterland in Coesfeld berichtete aus ihrem Berufsalltag in der operativen und konservativen Versorgung von Kindern mit Fußdeformitäten und setzte dabei einen Schwerpunkt auf die Klumpfußbehandlung.
Fuß- und Unterschenkel-Orthetik
Im Block „Fuß- und Unterschenkel-Orthetik“ wurde der Bogen von der Formerfassung bis zur 3D-Fertigung geschlagen. Den Anfang machte Prof. Dr. Joris Pascal (Fachhochschule Nordwestschweiz, Muttenz) mit der Vorstellung eines neuartigen sensorbestückten Messstrumpfes, mit welchem über Magnetfelder die Erfassung der Kontur des Fuß-Sprunggelenkkomplexes auch in manuell korrigierter Position möglich sei. Im Anschluss griff Carsten Kramer seine Ausführungen zur Konzepterstellung aus dem vorhergehenden Themenblock auf, um nun die Umsetzung in praktischen Versorgungsbeispielen zu konkretisieren. Dieses war auch der Schwerpunkt von Alfons Fuchs (Pohlig, Heidelberg), der sowohl bewährte als auch innovative Versorgungsmöglichkeiten, immer angepasst an die jeweilige Indikation, vorstellte und dabei auch auf das Zusammenspiel mit der Schuhversorgung abhob. Eine konkrete Versorgungsmöglichkeit, nämlich die seit ca. 20 Jahren am Markt etablierte DAFO, wurde von Sebastian Küpper (OT Siebeneck, Münster) intensiver beleuchtet. Abschließend stellte Steffen Matyssek, Leitung Forschung und Entwicklung, Technische Orthopädie in Ulm, die erweiterten Möglichkeiten in der Patientenversorgung durch moderne 3D-Druckverfahren vor. Bei allen Vorteilen dieser Technik wurden aber auch die häufig im Detail lauernden Herausforderungen der genannten Verfahren anschaulich dargestellt.
Prothetik
Den finalen Themenblock des diesjährigen Dortmunder Symposiums eröffnete Prof. Dr. Siegmar Blumentritt, der im Juni nach zehn Jahren an der Privaten Fachhochschule Göttingen (PFH) in den Ruhestand ging. Er gab einen Einblick in die Biomechanik des Fußes nach Beinamputation, indem er die unterschiedlichen Voraussetzungen von erhaltener Seite und amputierter Seite gegenüberstellte. Anschließend verdeutlichte Orthopädietechniker-Meister Martin Brehm vom Sanitätshaus Klein aus Dieburg sehr anschaulich einzelne Konstruktionsmerkmale und deren Funktionalität bei Fußprothesen. Für das biomimetische, hydraulische Knöchelgelenk beschrieb Torben Henneke (Blatchford, Raunheim) den klinischen Anwendernutzen gegenüber konventionellen Carbonfederfüßen ohne Gelenk. Dass die Zeit bei der Weiterentwicklung der Fußpassteile jedoch nicht stehen bleibt, veranschaulichte der Beitrag von Ralf Sommermann (Össur, Frechen) über die aktuelle Entwicklung in der Konstruktion von Fußpassteilen. Den abschließenden Blick in die Zukunft der Prothesenfüße gab Martin Pusch von Ottobock (Duderstadt), indem er konstruktive Ansätze und Gedankengänge aufzeigte, die heute noch nicht in ihrer Gesamtheit umsetzbar seien, aber vielleicht schon in naher Zukunft die Möglichkeiten der Anwender:innen erweitern könnten.
Im abschließenden Resümee blickten die Veranstalter zufrieden auf eine inhaltlich und organisatorisch gelungene Veranstaltung zurück. „An dieser Stelle sei nochmals allen Vortragenden für ihre Unterstützung gedankt“, erklärte Stefan Bieringer im Namen der Veranstalter. „Ein besonderer Dank gilt auch den in der Organisation beteiligten Schüler:innen des aktuellen Meisterlehrgangs, ohne deren tatkräftige Mitwirkung, in der Moderation, der Chatbetreuung und der Technik, die Veranstaltung nicht so reibungslos hätte ablaufen können.“
Das 13. Dortmunder Symposium mit dem Thema „Endo-/Exo-Prothetik – Hilfsmittelversorgung und Rehabilitation“ ist für den 23. bis 25. Juni 2022 geplant.
Norbert Stockmann, Ludger Lastring, Ralph Bethmann
- Die neue Leitlinie zum Lipödem-Syndrom: mehr Licht als Schatten. Konsequenzen für die Praxis — 5. Dezember 2024
- Orthesenversorgung bei Läsion des Plexus brachialis — 4. Dezember 2024
- Anforderungen an additiv gefertigte medizinische Kopfschutzhelme — 4. Dezember 2024