Zuver­läs­sig­keits­ana­ly­se intui­ti­ver Pro­the­sen­steue­run­gen der obe­ren Extre­mi­tät – Berück­sich­ti­gung essen­zi­el­ler Ein­fluss­fak­to­ren für erfolg­rei­che pro­the­ti­sche Anwendung

G. Brandmayr, H.-W. van Vliet
Ein Versorgungsprozess, der das Training des Anwenders mit dem Training der Mustererkennung (ME) vereint, maximiert die Performance einer Prothese, aufgebaut aus 2 Handgelenkachsen und einer Hand mit 2 Griffarten. Zu deren Steuerung wurde 8-Kanal-EMG vom Unterarmstumpf zu je 4 Merkmalen verarbeitet und mit linearer Diskriminanzanalyse klassifiziert. Sowohl die Beschränkung auf intuitive Steuerbewegungen trotz physiologischer Einschränkungen als auch ME-Training unter eingeschränkten Bedingungen im Labor verursachen Fehlfunktionen unter Anwendungsbedingungen. Zur Abhilfe wird die ME stets für die gerade aktuellen Bedingungen neu trainiert. Anhand einer Fallstudie wurde untersucht, ob durch Optimierung der Steuerbewegungen und Einbindung der Anwendungsbedingungen in das ME-Training die Fehlerrate so weit reduziert werden kann, dass die ME trotz EMG-Änderungen zuverlässig über Monate funktioniert. Über einen Zeitraum von 6 Monaten wurden 7 Sitzungen mit variierender Kontraktionsstärke und Armstellung aufgenommen. Bewegungsfehler wurden per Active Error Ratio (AER) und Total Error Ratio (TER) gemessen. Ersetzen der intuitiven Handgelenksflexion mit Ulnarabduktion sowie Ersetzen des Schlüsselgriffes mit dem Werkzeuggriff verringerte die AER von 7,4 auf 2,9 %. Laborbedingungen ergeben eine AER von 1,4 %, die jedoch unter Anwendungsbedingungen auf 12,4 % steigt. Umfassendes ME-Training konnte die AER wieder auf 5,1 % reduzieren. Der Ausschluss niedriger Kontraktionsstärken reduzierte die AER weiter auf 2,8 %. Diese Fallstudie zeigt, dass sich die Steuerung unter Anwendungsbedingungen maßgeblich (9-fach) verschlechtert. ME-Training und das Optimieren der Steuerbewegungen können diese Einflüsse, inklusive Neuanlegen der Prothese, weitgehend kompensieren.

Ein­lei­tung

Her­kömm­li­che Prothesensteuerung

Pro­the­sen für die obe­ren Extre­mi­tä­ten müs­sen nicht nur vie­le Bewe­gungs­mög­lich­kei­ten bereit­stel­len, son­dern auch exzel­len­te Steu­er­bar­keit, Zuver­läs­sig­keit und Anwen­der­freund­lich­keit bie­ten, um akzep­tiert zu wer­den 1. Ein gro­ßer Teil die­ser Pro­the­sen sind Fremd­kraft­pro­the­sen mit elek­tro­m­yo­gra­phi­scher (EMG) Mensch-Tech­nik-Anbin­dung. Die Steu­er­si­gna­le wer­den durch ein­fa­che Ermitt­lung der Leis­tung des EMG gebil­det 2. In einer typi­schen Pro­the­se für Unter­arm­am­pu­tier­te wer­den 2 EMG-Sen­so­ren ver­wen­det, je einer auf den Flex­o­ren und Exten­so­ren des Unter­arms. Mit die­sem Paar von unab­hän­gi­gen, ant­ago­nis­ti­schen Signa­len kann ein Pro­the­sen­ge­lenk gesteu­ert wer­den, z. B. eine Hand mit den Bewe­gun­gen „Öff­nen” und „Schlie­ßen”. Die­se Plat­zie­rung erfüllt fol­gen­de Anforderungen:

  • Unab­hän­gig­keit: Das gemes­se­ne EMG soll unab­hän­gig von­ein­an­der pro­por­tio­nal steu­er­bar sein, um eine unge­woll­te (Ko-)Aktivierung von Pro­the­sen­funk­tio­nen zu verhindern.
  • Signal­stär­ke: Die Leis­tung des ver­stärk­ten EMG muss für den (pro­por­tio­na­len) Aus­steu­er­be­reich der Pro­the­se genügen.
  • Stör­si­cher­heit: Late­ra­le Sen­sor­plat­zie­rung im Pro­the­sen­schaft senkt Stö­run­gen durch Gleich­takt­si­gna­le und Abhe­ben bei Belas­tung der Pro­the­se im All­tag im Ver­gleich zur Plat­zie­rung im Ellen­beu­gen- oder Ulnabereich.

Da schon Pro­ble­me bei nur einer die­ser Anfor­de­run­gen die Steu­er­bar­keit stark erschwe­ren kön­nen, ist es im All­ge­mei­nen schwie­rig, eine den Anwen­der zufrie­den­stel­len­de Pro­the­sen­ver­sor­gung zu erstel­len. Zur Erzeu­gung der Steu­er­si­gna­le ver­sucht der Anwen­der sei­ne nicht (mehr) vor­han­de­ne Glied­ma­ße zu bewe­gen, wodurch ein oder meh­re­re Mus­keln syn­er­gis­tisch vom zen­tra­len Ner­ven­sys­tem ange­steu­ert wer­den. Die von den akti­vier­ten Motor­ein­hei­ten die­ser Mus­keln erzeug­ten Akti­ons­po­ten­zia­le sind durch Volu­men­lei­tung als Sum­men-EMG an der Haut­ober­flä­che mess­bar (Abb. 1). Die dar­in ent­hal­te­nen neu­r­a­len Steu­er­si­gna­le kön­nen auch wie­der sehr genau ermit­telt wer­den 3. Im Stan­dard­sche­ma wer­den typi­scher­wei­se Fle­xi­on und Exten­si­on des Hand­ge­lenks (HG) gewählt, da deren Syn­er­gis­men die gefor­der­te Unab­hän­gig­keit gewähr­leis­ten. Somit wird eine bestimm­te Pro­the­sen­be­we­gung wie „Hand-Öff­nen” zumeist durch eine ande­re Steu­er­be­we­gung wie z. B. HG-Exten­si­on gesteu­ert. Sol­len zusätz­li­che Pro­the­sen­ge­len­ke ange­steu­ert wer­den, ergibt sich ein Pro­blem: Es gibt mit den zwei Sen­so­ren zu weni­ge Steu­er­si­gna­le. Die gän­gi­ge Lösung ist, dass die Pro­the­sen­ge­len­ke sequen­zi­ell gesteu­ert wer­den. Hier­bei ist immer nur ein Gelenk aktiv. Das nächs­te Gelenk wird akti­viert, indem Flex­o­ren und Exten­so­ren gleich­zei­tig kon­tra­hiert wer­den. Es ent­ste­hen meh­re­re zusätz­li­che Bür­den für den Anwender:

  1. Eine Bewe­gung meh­re­rer Gelenk
    a. ist nicht simul­tan mög­lich und daher unna­tür­lich; damit wird das Han­di­cap expli­zit sicht­bar gemacht
    b. muss vor­her gut in Form sequen­zi­el­ler Tei­le geplant werden
    c. dau­ert unnö­tig lange.
  2. Die zusätz­li­che Mus­kel­kon­trak­ti­on für das Schalt­si­gnal ergibt eine wei­te­re Verzögerung.
  3. Direk­te, reak­ti­ve Bewe­gun­gen wie schnel­les Los­las­sen in Gefahr sind nicht mehr mög­lich, da ggf. zuvor umge­schal­tet wer­den muss.

Pro­the­sen­steue­rung mit Mustererkennung

Unter der Annah­me, dass die Rest­mus­ku­la­tur im Stumpf genü­gend Infor­ma­tio­nen über wei­te­re Steu­er­be­we­gun­gen lie­fert, kann eine intui­ti­ve Pro­the­sen­steue­rung mit Mus­ter­er­ken­nung (ME) durch­ge­führt wer­den 4. Dabei wird aus mehr­ka­na­li­gem EMG ein Satz von Merk­ma­len im Zeit- und Fre­quenz­be­reich extra­hiert, der indi­rekt die Steu­er­si­gna­le der Motor­ein­hei­ten cha­rak­te­ri­siert. Mathe­ma­tisch bil­det der Satz ein Mus­ter in einem hoch­di­men­sio­na­len Raum, das mit ME in eine der vor­ge­se­he­nen Bewe­gun­gen klas­si­fi­ziert wird. Somit kann schließ­lich das gewünsch­te Gelenk der Pro­the­se bewegt wer­den. Das Anpas­sen der ME an die indi­vi­du­el­len Mus­ter von Steu­er­be­we­gun­gen wird als „ME-Trai­ning” bezeich­net. Es ist für die­ses Ver­fah­ren nicht not­wen­dig, unab­hän­gi­ge star­ke Signa­le zu haben. Die­se müs­sen aber unter­schied­lich und repro­du­zier­bar sein. Der ME-Ansatz über­win­det die oben ange­ge­be­nen Nach­tei­le der direk­ten Leis­tungs­steue­rung, ent­spricht dem aka­de­mi­schen Stand der Tech­nik 2 und wur­de seit 1960 in einer Viel­zahl von algo­rith­mi­schen Vari­an­ten unter­sucht 5. Meist wer­den unter Labor­be­din­gun­gen erfolg­ver­spre­chen­de Erken­nungs­ra­ten > 95 % für vie­le Bewe­gun­gen ange­ge­ben 4. Pra­xis­taug­lich­keit ist aller­dings bis jetzt kaum gege­ben, da die Robust­heit unter vari­ie­ren­den Anwen­dungs­be­din­gun­gen stark abnimmt:

  • Kon­trak­ti­ons­stär­ke: pro­por­tio­na­le Steuerung;
  • Elek­tro­den­po­si­ti­on: Anle­gen der Prothese;
  • Arm­stel­lung: All­tags­ak­ti­vi­tä­ten (Acti­vi­ties of Dai­ly Living, ADL).

Sche­me gibt eine gute Über­sicht zu die­sen durch die Anwen­dung der Pro­the­se gege­be­nen Ein­fluss­fak­to­ren auf das EMG und deren Kom­pen­sa­ti­on durch ME 6.

Im Gegen­satz zu den Anwen­dungs­be­din­gun­gen sind die Steu­er­be­we­gun­gen vom Anwen­der bestimmt. Sie defi­nie­ren, wel­che Motor­ein­hei­ten neu­ral ange­steu­ert wer­den, und folg­lich, wel­che Mus­keln im Stumpf kon­tra­hie­ren. Dies bestimmt das räum­li­che inne­re EMG und damit auch das Ober­flä­chen-EMG (Abb. 1). Die Steu­er­be­we­gung hat den poten­zi­ell größ­ten Ein­fluss auf die erziel­ba­re Erken­nungs­ra­te und Robust­heit. Ent­schei­dend ist, dass sich die (Mus­ter der) Steu­er­be­we­gun­gen aus­rei­chend unter­schei­den und mit gerin­ger syn­er­gis­ti­scher Vari­anz repro­du­zier­bar sind. Neben der mus­ku­lä­ren Ana­to­mie hängt dies vor allem von der neu­r­a­len Ansteue­rung durch den Anwen­der ab. Wird dies nicht berück­sich­tigt und davon aus­ge­gan­gen, dass die Kon­trak­tio­nen von Beginn an dif­fe­ren­ziert und exakt repro­du­zier­bar sind, wären Feh­ler aus­schließ­lich auf unzu­rei­chen­de ME zurück­zu­füh­ren und folg­lich durch deren Ver­bes­se­rung beheb­bar („ein­fa­cher Ansatz”). Da einem Ampu­tier­ten sei­ne Glied­ma­ße fehlt, kann er deren Bewe­gung ledig­lich ver­su­chen. Wenn die zustän­di­ge Mus­ku­la­tur noch vor­han­den und inner­viert ist, wird die­se kon­tra­hie­ren und dabei ein EMG ent­ste­hen. Einem Ampu­tier­ten fehlt jedoch im Ver­gleich zum Unver­sehr­ten visu­el­les Feed­back durch die Bewe­gung der Glied­ma­ße. Dar­über hin­aus fehlt die affe­ren­te Kopp­lung teil­wei­se. Des­halb ist ana­log zum offe­nen Regel­kreis davon aus­zu­ge­hen, dass die neu­r­a­le Ansteue­rung und damit das EMG undif­fe­ren­zier­ter als bei einer intak­ten Glied­ma­ße sind. In einem Ver­gleich wur­de eine fast dop­pelt so hohe Feh­ler­ra­te von Ampu­tier­ten gegen­über Unver­sehr­ten ermit­telt 7.

Idea­ler­wei­se kann eine Pro­the­se nach dem Anle­gen sofort benutzt wer­den, ohne sie davor mit den gera­de aktu­el­len Signa­len zu kali­brie­ren. Die Pro­the­se soll zuver­läs­sig und vor­her­sag­bar auf Steu­er­be­we­gun­gen reagie­ren, auch wenn ADL das EMG beein­flus­sen. Die ME könn­te ent­we­der durch neu­es Trai­ning für eine Situa­ti­on spe­zia­li­siert wer­den oder dem­ge­gen­über inva­ri­ant sein. Im Feh­ler­fall auf­grund tem­po­rä­rer Signal­stö­run­gen wür­de die spe­zia­li­sier­te ME den Feh­ler gelernt haben und mög­li­cher­wei­se nicht mehr ohne die Stö­run­gen funk­tio­nie­ren. Die inva­ri­an­te ME hin­ge­gen zeigt immer die­sel­be Reak­ti­on auf EMG, aller­dings auf Kos­ten eines höhe­ren anfäng­li­chen Trainingsaufwandes.

In einer Lang­zeit­fall­stu­die wur­de unter­sucht, ob ME trotz EMG-Vari­anz durch die oben genann­ten Anwen­dungs­be­din­gun­gen robust über meh­re­re Mona­te funk­tio­niert. Dazu wur­den die Steu­er­be­we­gun­gen opti­miert und die Anwen­dungs­be­din­gun­gen im ME-Trai­ning berücksichtigt.

Metho­den und Ergebnisse

Der Pro­band (Tab. 1) hat­te eine elek­ti­ve Ampu­ta­ti­on der obe­ren Extre­mi­tät nach einer erfolg­lo­sen plas­ti­schen Rekon­struk­ti­on auf­grund eines Stark­strom­un­falls 8. Durch den Unfall muss­te ein Groß­teil der Flex­o­ren im Unter­arm ent­fernt wer­den. Der Stumpf weist kei­ne sicht­ba­ren Atro­phien in der erhal­te­nen Mus­ku­la­tur auf. Im Elek­tro­den­be­reich ist teil­wei­se ein­zugs­frei­es Nar­ben­ge­we­be auf der Haut vor­han­den, das aber auch bei Kon­trak­ti­on kei­nen Elek­tro­den­kon­takt­ver­lust verursacht.

Pro­the­se

Obwohl für ME 4 opti­mal plat­zier­te EMG-Sen­so­ren aus­rei­chend sind 4, wer­den 8 Stück ver­wen­det, gleich­mä­ßig als Ring ver­teilt. Abbil­dung 2a–c zeigt das in der Bewe­gungs­ana­ly­se­pha­se ver­wen­de­te, sich auto­ma­tisch an den Stumpf anpas­sen­de Array und die Innen­an­sicht der Pro­the­se. Das Array wur­de ca. 10 cm distal vom Ole­cra­non plat­ziert, um mög­lichst vie­le Mus­keln abzu­de­cken und um star­ke Signa­le zu bekom­men. Die ver­wen­de­ten EMG-Sen­so­ren sind akti­ve Tro­cken­elek­tro­den mit dif­fe­ren­ti­el­ler Ablei­tung und eige­nem Refe­renz­kon­takt (3 Pole, sie­he Abb. 2c).

Die Pro­the­se (Abb. 2d) ist mit Rota­ti­ons­ein­heit, Fle­xi­ons­ein­heit und einer Michel­an­ge­lo-Hand von Otto Bock auf­ge­baut. Inte­griert sind 8 EMG-Sen­so­ren, die Ein­heit für die Aus­füh­rung der ME sowie der Akku­mu­la­tor. Der kom­plet­te Auf­bau ent­spricht gewichts­mä­ßig einer Alltagsprothese.

Obwohl eine Viel­zahl von auf­wen­di­gen EMG-Merk­ma­len und ME-Ver­fah­ren unter­sucht wur­de, bil­den Hud­gins-Merk­ma­le und Linea­re Dis­kri­mi­nanz­ana­ly­se (LDA) nach wie vor einen robus­ten und leis­tungs­fä­hi­gen Ansatz für die Bewe­gungs­er­ken­nung 4. Die Hud­gins-Merk­ma­le beinhal­ten neben der Signal­leis­tung noch die Anzahl der Null­durch­gän­ge, die Signal­kur­ven­län­ge und die Anzahl der Extre­ma. Das Roh-EMG wur­de mit 1,8 kHz, 10 Bit Auf­lö­sung und 500 Hz Band­be­gren­zung digi­ta­li­siert. Die Merk­ma­le wur­den aus EMG-Fens­tern von 150 ms Län­ge alle 100 ms berech­net, wodurch sich eine Über­lap­pung von 50 ms ergibt. Die­se Wahl ist ein Kom­pro­miss aus Erken­nungs­ra­te und Echt­zeit­fä­hig­keit. Bei 8 Signa­len ergibt sich ein 32-dimen­sio­na­ler Merk­mals­vek­tor, der mit LDA in eine Bewe­gungs­vor­her­sa­ge klas­si­fi­ziert wird. Dem Pro­the­sen­auf­bau ent­spre­chend ist die­se eine von 8 Klas­sen: 7 Bewe­gun­gen und kei­ne Bewegung.

Zwi­schen dem Anle­gen des Arrays bzw. der Pro­the­se zu Beginn einer Sit­zung und dem Start der EMG-Auf­zeich­nung wur­de ein Zeit­raum von 10 Minu­ten ein­ge­hal­ten. Dadurch sind die Haut­über­gangs­wi­der­stän­de nied­rig gegen­über der Ver­stär­ker­ein­gangs­im­pe­danz. Nach Her­stel­lung der gal­va­nisch getrenn­ten Ver­bin­dung zum PC mit der Auf­zeich­nungs­soft­ware wur­de die Signal­qua­li­tät auf Stö­run­gen durch Bewe­gungs­ar­te­fak­te und Netz­brum­men geprüft.

Opti­mie­rung der Steuerbewegungen

Im Gegen­satz zu Unver­sehr­ten sind bei Ampu­tier­ten zusätz­lich zur abwei­chen­den Ana­to­mie oft Defi­zi­te in der neu­r­a­len Ansteue­rung von Steu­er­be­we­gun­gen vor­han­den. Der Pro­band und wei­te­re Ampu­tier­te berich­te­ten, sie könn­ten „nicht sehen, was sie tun”. Initia­le Tests ent­spre­chend dem erwähn­ten „ein­fa­chen Ansatz” erga­ben hohe Per­for­mance, die aber nicht in Live-Tests umge­setzt wer­den konn­te. Ursa­chen waren pri­mär in gerin­ger Unter­schied­lich­keit und sekun­där in gerin­ger Repro­du­zier­bar­keit der neu­r­a­len Ansteue­rung zu fin­den. Zur Dif­fe­ren­zie­rung und Fes­ti­gung der Motor­pro­gram­me wur­de das feh­len­de intrin­si­sche Feed­back durch ein visu­el­les ersetzt. Eine Mög­lich­keit, dies umzu­set­zen, sind Kon­trak­ti­ons­pro­fi­le mit Feed­back der Kon­trak­ti­ons­stär­ke und dimen­si­ons­re­du­zier­te Punkt­wol­ken­dar­stel­lun­gen 9. Die aus­schließ­li­che Dar­stel­lung der Kon­trak­ti­ons­stär­ke als Signal­leis­tungs­sum­me lässt jedoch kaum eine Aus­sa­ge dar­über zu, wel­che Mus­keln aktiv sind. Das Feed­back soll­te für glei­che Steu­er­be­we­gun­gen gleich aus­se­hen, auch wenn eine ande­re Bewe­gung geän­dert oder die ME neu trai­niert wird. Die­se schein­bar tri­via­le Anfor­de­rung kann mit Punkt­wol­ken­dar­stel­lun­gen durch Dimen­si­ons­re­duk­ti­on mit Prin­ci­pal Com­pon­ents Ana­ly­sis (PCA) oder LDA nicht ein­ge­hal­ten wer­den, da die Pro­jek­ti­ons­rich­tung daten­ab­hän­gig ist. Die gewähl­te Lösung bestand dar­in, die Mus­ter der Steu­er­be­we­gun­gen ohne Pro­jek­ti­on als Stern­dia­gramm aller 8 Signal­leis­tun­gen dar­zu­stel­len (Abbil­dung 4 zeigt nor­mier­te Mus­ter). Dar­in erhält jede Steu­er­be­we­gung eine Zuord­nung zu einer bestimm­ten, cha­rak­te­ris­ti­schen Form (Poly­gon), die durch vari­ie­ren­de Kon­trak­ti­ons­stär­ke zwar ska­liert, aber kaum ver­än­dert wird. Neben dem Pro­ban­den kann auch der Expe­ri­men­ta­tor bzw. The­ra­peut vom Stern­dia­gramm pro­fi­tie­ren: Durch Zuord­nung des Sen­sor­rin­ges zum Stern­dia­gramm und wie­der­um des­sen Zuord­nung zum mus­ku­lä­ren Unter­arm­quer­schnitt (Abb. 1) ist eine Inter­pre­ta­ti­on der akti­ven Mus­keln mög­lich. Dadurch kann ein­fach erkannt wer­den, ob der Pro­band die phy­sio­lo­gisch rich­ti­gen Mus­keln nutzt, wie stark die Kon­trak­ti­on ist und ob uner­wünsch­te Ko-Kon­trak­tio­nen vorliegen.

Vor Durch­füh­rung der Lang­zeit­un­ter­su­chung wur­de mit Blick auf die bereits erwähn­ten feh­ler­ver­stär­ken­den Anwen­dungs­be­din­gun­gen ver­sucht, eine robus­te Basis von sicher trenn­ba­ren Bewe­gun­gen für die Steue­rung der Pro­the­se zu fin­den. Durch Feed­back-Trai­ning wur­den die Motor­pro­gram­me der Bewe­gun­gen dif­fe­ren­ziert und gefes­tigt. Somit konn­te eine zuver­läs­si­ge Off­line-Ana­ly­se durch­ge­führt wer­den. Wie in Abbil­dung 4 dar­ge­stellt wur­den 7 intui­ti­ve, d. h. den Bewe­gun­gen der Pro­the­se ent­spre­chen­de Bewe­gun­gen untersucht:

  1. Hand-Supi­na­ti­on (HS)
  2. Hand-Pro­na­ti­on (HP)
  3. HG-Fle­xi­on (HF)
  4. HG-Exten­si­on (HE)
  5. Hand-Öff­nen (HO)
  6. Schlüs­sel­griff (SG)
  7. Fein­griff (FG)

Zudem wur­den 5 alter­na­ti­ve Bewe­gun­gen untersucht:

  1. Hand-Uln­ar­ab­duk­ti­on (HU)
  2. Hand-Radi­al­ab­duk­ti­on (HR)
  3. Klein­fin­ger-Exten­si­on (KE)
  4. Fle­xi­on der Fin­ger II bis V im Meta­car­po­phal­an­ge­al­ge­lenk (FF)
  5. Ring- und Klein­fin­ger­fle­xi­on (Werk­zeug­griff, WG)

Mit den alter­na­ti­ven Bewe­gun­gen konn­ten bei Bedarf pro­ble­ma­ti­sche intui­ti­ve ersetzt wer­den. Es wur­de nur mit Varia­ti­on der Kon­trak­ti­ons­stär­ke auf­ge­zeich­net, um Feh­ler mög­lichst ein­deu­tig auf die Trenn­bar­keit der Bewe­gun­gen zurück­füh­ren zu können.

Der Pro­band berich­te­te von einem unan­ge­neh­men Gefühl, einem Krib­beln, bei der Fle­xi­on. Die­se wies auch eine nied­ri­ge EMG-Ampli­tu­de (Abb. 2) sowie gerin­ge Repro­du­zier­bar­keit auf. Bei Betrach­tung der erläu­ter­ten Ampu­ta­ti­ons­da­ten erscheint dies plau­si­bel. Ähn­lich dazu vari­ier­te der Schlüs­sel­griff stark und wur­de mit dem Fein­griff ver­wech­selt, obwohl der Pro­band hier kein unan­ge­neh­mes Gefühl anführ­te. Tabel­le 2 zeigt alle Bewe­gun­gen aus Abbil­dung 4 und die dar­aus gebil­de­ten Bewe­gungs­sät­ze. Der intui­ti­ve Bewe­gungs­satz hat eine rela­tiv hohe AER von 7,4 % (TER 7,9 %). Die alter­na­ti­ven Bewe­gungs­sät­ze 1 bis 3 wei­sen AER von 2,9 bis 7,8 % auf. „Alter­na­tiv 1″ ersetzt die pro­ble­ma­ti­sche Fle­xi­on mit Uln­ar­ab­duk­ti­on, eine phy­sio­lo­gisch nahe­lie­gen­de und vom Pro­ban­den als ange­nehm beschrie­be­ne Lösung. Der Schlüs­sel­griff wur­de mit dem Werk­zeug­griff ersetzt, da die­ses Griff­mus­ter den größ­ten Unter­schied zum Fein­griff auf­weist. Aus Sicht der gerin­gen AER von 2,9 % ist die­ser Ansatz sinn­voll. Hin­ter „Alter­na­tiv 2″ steht die Absicht, den Feh­ler durch alter­na­ti­ve Griff­mus­ter mit Fin­ger-Fle­xi­on und Fin­ger-Exten­si­on zu redu­zie­ren. Lei­der ist die AER mit 7,8 % hoch. Auch „Alter­na­tiv 3″ (wie „Alter­na­tiv 1″, nur mit Radi­al- statt Uln­ar­ab­duk­ti­on) bringt mit 6,8 % AER kei­ne nen­nens­wer­te Ver­bes­se­rung. Die TER ist nur wenig höher als die AER (ähn­lich 7). Um eine Pro­the­se auch unter dem Ein­fluss von Anwen­dungs­be­din­gun­gen zuver­läs­sig zu steu­ern, ist es ent­schei­dend, gut trenn­ba­re Mus­ter zu ver­wen­den. Es wur­de der Bewe­gungs­satz „Alter­na­tiv 1″ gewählt, da die­ser weni­ger als 50 % der Feh­ler­ra­ten aller ande­ren aufwies.

Kom­pen­sa­ti­on peri­phe­rer Ein­flüs­se mit Mustererkennung

Ein Haupt­ziel die­ser Arbeit war die Unter­su­chung, wie stark die Feh­ler unter Ein­fluss von Anwen­dungs­be­din­gun­gen zuneh­men und wie weit sich die­se durch Berück­sich­ti­gung im ME-Trai­ning redu­zie­ren lassen.

Als Feh­ler­me­trik wur­de die Rate der fal­schen Bewe­gun­gen („Acti­ve Error Ratio”, AER) ver­wen­det 6. Da die AER nur unge­woll­te Bewe­gun­gen der Pro­the­se erfasst, muss für den Fall, dass sich die Pro­the­se gar nicht bewegt, noch die Gesamt­feh­ler­ra­te („Total Error Ratio”, TER) ange­ge­ben wer­den, die in die­sem Fall 100 % betra­gen wür­de. Die AER wird hier als pri­mä­rer Indi­ka­tor für die Brauch­bar­keit der Pro­the­se verwendet.

Für die Lang­zeit­un­ter­su­chung wur­de, wie in Abbil­dung 3 dar­ge­stellt, eine 8×3×2×2×7‑Matrix mit in Sum­me 672 Kon­trak­tio­nen zu je 3 s Dau­er in 6 Mona­ten auf­ge­nom­men. Zu Beginn jeder der 7 Sit­zun­gen wur­de die Pro­the­se ange­legt und erst nach Auf­nah­me aller 8 Bewe­gun­gen, 3 Kon­trak­ti­ons­ty­pen, 2 Wie­der­ho­lun­gen und 2 Arm­stel­lun­gen wie­der abge­legt. Dazu wur­de dem Pro­ban­den von der Auf­zeich­nungs­soft­ware ein Bild einer unver­sehr­ten Glied­ma­ße mit der durch­zu­füh­ren­den Bewe­gung gezeigt. Die Kon­trak­ti­ons­stär­ke wur­de vom Pro­ban­den sub­jek­tiv ein­ge­hal­ten und durch den Expe­ri­men­ta­tor anhand des rohen EMG auf Plau­si­bi­li­tät geprüft. Nach jeder Kon­trak­ti­on wur­de eine kur­ze Pau­se zur Ver­mei­dung über­mä­ßi­ger mus­ku­lä­rer Ermü­dung und zur Vor­be­rei­tung auf die nächs­te Kon­trak­ti­on eingehalten.

Zur Ermitt­lung der Feh­ler­ra­ten wur­den die zu ana­ly­sie­ren­den Kon­trak­tio­nen in Test- und Trai­nings­da­ten auf­ge­teilt. Mit Letz­te­ren wird die ME trai­niert und gegen Ers­te­re getes­tet. Für jene Unter­su­chun­gen, in denen Test- und Trai­nings­da­ten gleich waren, z. B. die Feh­ler­ra­te in einer Sit­zung, wur­de Kreuz­va­li­die­rung ange­wen­det. Dabei wird jede Kon­trak­ti­on ein­zeln gegen alle rest­li­chen getes­tet und anschlie­ßend gemit­telt. Kon­trak­tio­nen wur­den nicht zer­teilt, um Ergeb­nis­ver­fäl­schung durch ähn­li­che Test- und Trai­nings­da­ten aus­zu­schlie­ßen. Das ME-Trai­ning unter Labor­be­din­gun­gen wur­de mit sta­ti­scher Kon­trak­ti­on, hän­gen­dem Arm, allen Wie­der­ho­lun­gen und einer Sit­zung durch­ge­führt. Die AER unter Labor­be­din­gun­gen ist die Refe­renz für die fol­gen­den Mes­sun­gen und wur­de mit dem glei­chen EMG wie beim Trai­ning mit Kreuz­va­li­die­rung ermit­telt. Dies wur­de für alle Sit­zun­gen wie­der­holt, um die fina­len Feh­ler­ra­ten als Sit­zungs­mit­tel­wert zu erhal­ten. Um den Ein­fluss der Anwen­dungs­be­din­gun­gen zu ermit­teln, wur­den bei unver­än­der­ter ME (gleich­be­deu­tend mit Labor­be­din­gun­gen) suk­zes­si­ve mehr Anwen­dungs­be­din­gun­gen getes­tet. Für den Ein­fluss der Kon­trak­ti­ons­stär­ke wur­den zum Test alle Kon­trak­tio­nen ver­wen­det. Für den Ein­fluss der Arm­stel­lung wur­den zusätz­lich alle Arm­stel­lun­gen ver­wen­det, womit alle vor­han­de­nen Kon­trak­tio­nen pro Sit­zung getes­tet wur­den. Für den Ein­fluss des Anle­gens der Pro­the­se wur­den schließ­lich alle Sit­zun­gen außer der trai­nier­ten getes­tet („trai­nie­re 1″). Dies ent­spricht dem Pra­xis­fall, dass eine Pro­the­se ange­legt wird, ohne dass die ME neu trai­niert wird. Daher kön­nen kei­ne Kon­trak­tio­nen aus einer Test­sit­zung in der Trai­nings­sit­zung vor­han­den sein.

Die sich dar­aus erge­ben­de Fra­ge ist, ob die ver­gli­chen mit Labor­be­din­gun­gen erhöh­te Vari­anz im EMG kom­pen­siert wer­den kann. Für die­se Ana­ly­se wur­den alle Kon­trak­tio­nen vom jewei­li­gen Test auch in das ME-Trai­ning inte­griert. Nur für die Kom­pen­sa­ti­on des Anle­gens gilt – in umge­kehr­ter Ana­lo­gie zur erwähn­ten Kon­ven­ti­on beim Trai­ning unter Labor­be­din­gun­gen –, dass alle Sit­zun­gen außer der getes­te­ten trai­niert („trai­nie­re 6 rest­li­che”) werden.

Das Anstei­gen der AER bei zuneh­men­dem Ein­fluss von Anwen­dungs­be­din­gun­gen wird in Abbil­dung 5 gezeigt. Der Aus­gangs­wert ergibt für ME-Trai­ning unter Labor­be­din­gun­gen 1,4 % AER. Ledig­lich durch Hin­zu­nah­me der dyna­mi­schen Kon­trak­ti­on erhöht sich die AER auf mitt­le­re 3,4 % mit nied­ri­ger Vari­anz. Der hohe TER-Zuwachs lässt sich durch die schwa­chen Antei­le bei Beginn und am Ende erklä­ren, die über­wie­gend als kei­ne Bewe­gung klas­si­fi­ziert wer­den. Kommt zusätz­lich der abge­win­kel­te Arm dazu, ver­dop­pelt sich die AER auf 7,2 % mit viel höhe­rer Vari­anz. Wird dann noch die Pro­the­se neu ange­legt, ergibt sich noch­mals eine AER-Ver­dopp­lung auf 12,2 %. Wer­den hin­ge­gen Anwen­dungs­be­din­gun­gen mit ME trai­niert (Abb. 5 gel­be Bal­ken), kann der Ein­fluss durch Kon­trak­ti­ons­typ und Arm­stel­lung auf 3,2 % bei nied­ri­ger Vari­anz begrenzt wer­den, wenn jedes Anle­gen der Pro­the­se trai­niert wird. Wird die Pro­the­se hin­ge­gen vor dem Anle­gen mit den rest­li­chen 6 Sit­zun­gen trai­niert, kann mit 5,1 % ein immer noch nied­ri­ger Wert erreicht wer­den, obwohl die getes­te­ten Sit­zun­gen zur Gän­ze unbe­kannt sind.

Inter- und Intra­sit­zungs­feh­ler wer­den in Abbil­dung 6 abhän­gig vom Trai­nings­auf­wand dar­ge­stellt. Die Haupt­dia­go­na­le in Abbil­dung 6b zeigt die Intra­sit­zungs­feh­ler. Wenn die Pro­the­se also nach jedem Anle­gen mit allen Anwen­dungs­be­din­gun­gen trai­niert wird, ist die AER nie grö­ßer als 4 %. Fel­der abseits der Haupt­dia­go­na­le ent­spre­chen dem Inter­sit­zungs­feh­ler und wer­den in a) bei x = 1 gesam­melt dar­ge­stellt. Bei ME-Trai­ning vor dem Anle­gen rei­chen maxi­ma­le Feh­ler bis 18 %, kön­nen jedoch durch Ver­wen­den grö­ße­rer Trai­nings­sets auf 8 % bei 6 Sit­zun­gen begrenzt wer­den. Der mitt­le­re Feh­ler lässt sich dadurch aber nur von 6,5 auf 5,1 % ver­rin­gern. Wird die aktu­el­le, d. h. die getes­te­te, Sit­zung hin­zu­ge­nom­men („trai­nie­re alle X‑Val.”), sinkt der mitt­le­re Feh­ler auf 4,3 % und kommt damit nicht unter den Intra­sit­zungs­feh­ler (Mit­tel­wert der Haupt­dia­go­na­le) von 3,2 %.

Es ist aus Anwen­der­sicht vor­teil­haft, wenn die Pro­the­se im Zwei­fels­fall statt einer fal­schen Bewe­gung kei­ne macht 6. Da die Feh­ler­ra­te bei schwa­chen Kon­trak­tio­nen ten­den­zi­ell höher als bei kräf­ti­gen ist 10, kann die AER (auf Kos­ten höhe­rer TER) poten­zi­ell gesenkt wer­den, indem die Pro­the­se bei sehr schwa­chen Kon­trak­tio­nen kei­ne Bewe­gung aus­führt. Dies kann im ME-Trai­ning durch Ver­schie­bung von Bewe­gungs­an­tei­len unter­halb eines Leis­tungs­schwell­wer­tes in die „Keine-Bewegung”-Klasse umge­setzt wer­den. Abbil­dung 7 zeigt den Zusam­men­hang aus AER und TER, wenn begin­nend von 0 % EMG immer mehr schwa­ches EMG ver­scho­ben wird. Der ers­te Punkt bei 5,1 % AER und 0 % Ver­schie­bung ent­spricht den „Trainiere-6-restliche”-Fällen aus Abbil­dung 5 und Abbil­dung 6. Die AER fällt steil ab und erreicht bei 16 % TER ihr Mini­mum von 2,6 %. Eine Ver­schie­bung von 17 % redu­ziert die AER auf 2,8 % und wur­de als Kom­pro­miss bei einer ver­dop­pel­ten TER von 12 % gewählt. Dem­zu­fol­ge reagiert die Pro­the­se bei den schwächs­ten 9,4 % der Kon­trak­tio­nen mit kei­ner Bewegung.

Da die Sit­zun­gen im Wesent­li­chen eine Zeit­rei­he sind, stellt sich die Fra­ge der Abhän­gig­keit der Feh­ler­ra­te von zeit­li­chen Aspek­ten. Dafür wur­de der Unter­schied zwi­schen einem ein­mal zum Start der Betrach­tung mit den 3 ältes­ten Sit­zun­gen trai­nier­ten Sys­tem und einem immer mit den letz­ten 3 Sit­zun­gen trai­nier­ten Sys­tem ermit­telt. 3 Trai­nings­sit­zun­gen lie­fern bereits eine nied­ri­ge Feh­ler­ra­te (vgl. Abb. 6a). Bei die­sen „kau­sa­len” Metho­den ist das Trai­ning immer älter als der Test – so wie es real umsetz­bar ist. Zum Test ver­blie­ben nur die letz­ten 4 Sit­zun­gen. Das ein­mal trai­nier­te Sys­tem lie­fert mit 3,6 % AER eine sehr akzep­ta­ble Per­for­mance, ver­gli­chen mit 3,0 % der auf­wen­di­ge­ren Metho­de des vier­mal mit den je 3 letz­ten Sit­zun­gen trai­nier­ten Sys­tems. Bei­de kau­sa­len Metho­den sind nur gering­fü­gig schlech­ter als der nicht­kau­sa­le Ver­gleichs­wert von 2,5 % (Mit­tel der letz­ten 4 Sit­zun­gen der „Trainiere-6-restliche”-Methode mit 17 % Ver­schie­bung aus Abb. 6c).

Schluss­fol­ge­rung

Die Feh­ler­ra­te der Steue­rung ver­schlech­tert sich unter Anwen­dungs­be­din­gun­gen wie unter­schied­li­chen Kon­trak­ti­ons­stär­ken, Arm­stel­lun­gen und Anle­gen der Pro­the­se maß­geb­lich (9‑fach). Durch ME-Trai­ning kön­nen die­se Ein­flüs­se – inklu­si­ve Anle­gen – zwar nicht voll­stän­dig, aber zu mehr als 50 % kom­pen­siert wer­den (sie­he Abb. 5). Der bei opti­ma­ler Kom­pen­sa­ti­on mini­mal erziel­ba­re Feh­ler hängt wesent­lich von den Steu­er­be­we­gun­gen ab (sie­he Tab. 2). Falls die­se nicht gut gewählt wer­den, könn­te die Feh­ler­ra­te zu hoch für ADL-Taug­lich­keit sein. Intui­ti­ves Echt­zeit­feed­back des Bewe­gungs­mus­ters (sie­he Abb. 4) dient als essen­zi­el­les Werk­zeug für die Ent­wick­lung und Ana­ly­se der neu­r­a­len Motor­steue­rung. Durch Erset­zen von 2 Bewe­gun­gen wur­de die Basis für robus­ten Betrieb unter Anwen­dungs­be­din­gun­gen geschaf­fen. Mit KB-Ver­schie­bung konn­te die Rate der fal­schen Bewe­gun­gen (AER) auf Kos­ten der Sen­si­ti­vi­tät für sehr schwa­che Kon­trak­tio­nen annä­hernd hal­biert wer­den. Mit 2,8 % war sie sogar nied­ri­ger als bei voll­stän­di­gem Trai­ning nach jedem Anle­gen (Tab. 3). Wird die ME gar nur ein­mal zu Beginn trai­niert, führt dies zu einer nur mode­ra­ten Feh­ler­zu­nah­me, vor allem in Anbe­tracht des viel gerin­ge­ren Auf­wands. Eine Reduk­ti­on des ME-Trai­nings­auf­wands, d. h. der Anzahl abzu­de­cken­der Kon­trak­ti­ons­ty­pen und Arm­stel­lun­gen, ist wün­schens­wert, jedoch bei täg­li­chem Trai­ning wesent­lich bedeut­sa­mer als bei ein­ma­li­gem. Eine mög­li­che Stra­te­gie für prak­ti­sche Anwen­dung wäre die (ein­ma­li­ge) Erstel­lung einer umfas­sen­den Grund­ein­stel­lung der ME, die vom Anwen­der, falls not­wen­dig, durch kur­ze Kali­bra­ti­on anpass­bar ist.

Nut­zen für den Prothesenträger

Eine qua­li­ta­ti­ve Bewer­tung der Ergeb­nis­se wird hier durch eine Pro­ban­den­aus­sa­ge gege­ben. Bei AER < 3 % wur­den unter­bre­chungs­freie, kon­ti­nu­ier­li­che Bewe­gun­gen beob­ach­tet. Der Pro­band bewer­te­te die Steu­er­bar­keit als brauch­bar. Durch KB-Ver­schie­bung ver­rin­ger­te Sen­si­ti­vi­tät wur­de vom Pro­ban­den wahr­ge­nom­men, aber gegen­über unge­woll­ten Bewe­gun­gen bevor­zugt. Mit klas­si­fi­zie­ren­der ME sind zwar per defi­ni­tio­nem kei­ne simul­ta­nen Bewe­gun­gen meh­re­rer Gelen­ke mög­lich, aber auch unge­woll­te simul­ta­ne Bewe­gun­gen aus­ge­schlos­sen. Die­se sind eine Her­aus­for­de­rung in Regres­si­ons­an­sät­zen und auch in TMR-Ver­sor­gun­gen mit mehr­ka­na­li­ger, direk­ter Leis­tungs­steue­rung. Der All­tags­nut­zen einer Pro­the­se hängt jedoch noch von wei­te­ren Fak­to­ren außer­halb des Bereichs die­ser Unter­su­chung ab. So wünsch­te sich der Pro­band ein mecha­nisch fle­xi­bles Hand­ge­lenk. Für die­se Ergeb­nis­se muss berück­sich­tigt wer­den, dass der Pro­band die Pro­the­se nicht täg­lich genutzt hat. Man kann davon aus­ge­hen, dass durch das Feed­back der täg­li­chen Nut­zung – in Ana­lo­gie zum beschrie­be­nen EMG-Feed­back – eine Fes­ti­gung der Motor­pro­gram­me auf­tritt. Es müss­ten dann nur noch phy­si­ka­li­sche Effek­te, z. B. Elek­tro­den­ver­satz nach dem Anle­gen, durch die ME kom­pen­siert werden.

Obwohl es sich bei die­ser Unter­su­chung um eine Fall­stu­die han­delt, zei­gen die Ergeb­nis­se den­noch, wel­che Ver­bes­se­run­gen bei Pro­the­sen­steue­rung mit ME, unab­hän­gig vom ein­ge­setz­ten ME-Ver­fah­ren, mög­lich sind. Für den vor­lie­gen­den Fall muss das teil­wei­se Feh­len der Flex­o­ren erschwe­rend berück­sich­tigt wer­den. Tests mit Pro­ban­den mit voll­stän­di­ger Unter­arm­mus­ku­la­tur zei­gen, dass robus­te Per­for­mance schnel­ler und ein­fa­cher erreich­bar ist. Im Gegen­satz zu tech­nisch und funk­tio­nal kom­ple­xe­ren Ansät­zen ist die vor­lie­gen­de Mul­ti­ka­nal-EMG-Mensch-Maschi­ne-Schnitt­stel­le gut unter­sucht und mit der heu­ti­gen Mikro­pro­zes­sor­tech­nik platz- und ener­gie­ef­fi­zi­ent rea­li­sier­bar. Die Autoren sind über­zeugt, dass die direk­te, umschalt­freie und intui­ti­ve Steue­rung in all­tags­taug­li­chen Pro­the­sen ein neu­es Kapi­tel der Extre­mi­tä­ten­re­kon­struk­ti­on eröff­nen wird.

Für die Autoren:
Dipl.-Ing. (FH) Georg Brandmayr
Otto Bock Health­ca­re Pro­ducts GmbH
Kai­ser­stra­ße 39
A‑1070 Wien
georg.brandmayr@ottobock.com

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
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