Ziel­set­zung und Auf­bau des „Qua­li­täts­stan­dards im Bereich Pro­the­tik der obe­ren Extremität”

T. Mitzenheim
Moderne Schafttechnologien und -materialien sowie weiterentwickelte und neue Prothesenkomponenten mit erweiterten Steuerungsmöglichkeiten und ‐funktionen bieten hervorragende Versorgungsmöglichkeiten nach Amputationen der oberen Extremitäten. Dabei unterscheiden sich die Anforderungen der Patienten nach Finger- oder Handamputation deutlich von jenen nach transradialer oder transhumeraler Amputation oder gar nach Amputation im Schulterbereich. Relativ geringe Fallzahlen führen dazu, dass bestehende Versorgungsstandards nicht durchgehend eingehalten werden und dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Therapeuten und Technikern – mit Ausnahme weniger Zentren – Verbesserungspotenzial aufweist. Der „Qualitätsstandard im Bereich Prothetik der oberen Extremität" definiert für jedes Versorgungsniveau die Qualität, die aus heutiger Sicht eine Versorgung auf dem Stand der Technik ausmacht, und ist somit als Leitfaden für alle am Versorgungsprozess Beteiligten geeignet. Er bietet darüber hinaus relevante Möglichkeiten der Qualitätskontrolle und unterstützt das Versorgungsteam bei der gemeinsamen Erarbeitung und Erreichung eines individuellen Versorgungsziels. Die Mitglieder des Vereins zur Qualitätssicherung in der Armprothetik e. V. sind wesentlich für die Erarbeitung des Qualitätsstandards verantwortlich und werden mit Unterstützung von Experten und unter Einbeziehung von Interessenvertretungen Amputierter notwendige Aktualisierungen erarbeiten.

Ein­füh­rung

Die best­mög­li­che Reha­bi­li­ta­ti­on von an der obe­ren Extre­mi­tät Ampu­tier­ten ist nur durch die indi­vi­du­el­le Anpas­sung der Pro­the­sen mit einer ent­spre­chen­den Ver­sor­gungs­pla­nung an die spe­zi­fi­schen Bedürf­nis­se mög­lich. Dabei müs­sen die jewei­li­ge Stumpf­si­tua­ti­on, die sub­jek­ti­ven Ansprü­che sowie das per­sön­li­che Umfeld berück­sich­tigt werden.

Anzei­ge

Ein per­fek­ter Schaft bil­det die Basis für die pro­the­ti­sche Ver­sor­gung. Neben der opti­ma­len Pass­form des Schaf­tes ist der Ein­satz adäqua­ter Mate­ria­li­en (z. B. HTV-Sili­kon­schäf­te, ggf. mit par­ti­ell inte­grier­ten Sili­kon­gel-Ele­men­ten, oder indi­vi­du­el­le Sili­kon­li­ner) von ent­schei­den­der Bedeu­tung. Der Zuschnitt des Schaf­tes ent­schei­det über die Adap­ti­on der Pro­the­se am Stumpf, aber auch über die Frei­heits­gra­de der Bewe­gung benach­bar­ter Gelen­ke. Bei myo­elek­tri­schen Pro­the­sen ist die Posi­tio­nie­rung der Elek­tro­den im Schaft von exis­ten­zi­el­ler Bedeu­tung. Alle Pro­the­sen­kom­po­nen­ten und ‑funk­tio­nen müs­sen sicher unter All­tags­be­din­gun­gen ange­steu­ert wer­den kön­nen. Selbst­ver­ständ­lich müs­sen die ein­ge­setz­ten Kom­po­nen­ten wie­der­um auf die spe­zi­fi­schen Bedürf­nis­se des Pati­en­ten abge­stimmt werden.

Bei die­ser Kli­en­tel ist die inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit zwi­schen Ärz­ten, The­ra­peu­ten und Tech­ni­kern unab­ding­bar. Nur im Team ent­ste­hen zeit­ge­mä­ße Ver­sor­gun­gen, mit denen die Nut­zer ihr Poten­zi­al aus­schöp­fen kön­nen. Dies erfor­dert von allen Betei­lig­ten einen hohen Schu­lungs- und Fort­bil­dungs­auf­wand. Ortho­pä­die­tech­ni­sche Betrie­be müs­sen regel­mä­ßig in tech­ni­sches Know-how inves­tie­ren, um die wei­ter­ent­wi­ckel­ten Ver­sor­gungs­kon­zep­te umset­zen zu können.

Da die pro­the­ti­sche Ver­sor­gung der obe­ren Extre­mi­tät in der Regel nur in gerin­gen Stück­zah­len anfällt, ist es umso wich­ti­ger, dass der aktu­el­le Stand der Tech­nik für alle Betei­lig­ten doku­men­tiert ist. Der „Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der obe­ren Extre­mi­tät” (im Fol­gen­den nur „Qua­li­täts­stan­dard” genannt) leis­tet somit einen wesent­li­chen Bei­trag zur Opti­mie­rung des Ver­sor­gungs­pro­zes­ses und zur Ver­bes­se­rung der pro­the­ti­schen Ver­sor­gung. Durch den sys­te­ma­ti­schen Auf­bau ent­steht ein über­sicht­li­ches Nach­schla­ge­werk, das für die jewei­li­ge Ampu­ta­ti­ons­hö­he einen voll­stän­di­gen Über­blick über den aktu­el­len Stand der Tech­nik und die not­wen­di­gen Qua­li­täts­si­che­rungs­sys­te­me ver­mit­telt, d. h. einen kom­plet­ten Ver­sor­gungs­pfad beschreibt.

Im Fol­gen­den wird aus dem Buch „Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der obe­ren Extre­mi­tät” (nicht­ver­öf­fent­lich­ter Vora­bdruck, Stand Juli 2014) aus­zugs­wei­se zitiert.

Dif­fe­ren­zie­rungs­merk­ma­le in der Armprothetik

Ampu­ta­tio­nen der obe­ren Extre­mi­tät las­sen sich wie folgt differenzieren:

Dif­fe­ren­zie­rung nach Diagnose

  • Pro­the­sen­ver­sor­gung nach Trauma
  • Pro­the­sen­ver­sor­gung nach tumor­be­ding­ter Amputation
  • Pro­the­sen­ver­sor­gung nach stoff­wech­sel­be­ding­ter Ampu­ta­ti­on (AVK, Dia­be­tes etc.)
  • Pro­the­sen­ver­sor­gung nach ange­bo­re­nen Fehlbildungen

Dif­fe­ren­zie­rung nach Extremitätenabschnitt/Versorgungsebene

  • Fin­ger-/Dau­men­am­pu­ta­ti­on
  • par­ti­el­le Handamputation
  • Transcarpale/carpale Ampu­ta­ti­on
  • Hand­ex­ar­ti­ku­la­ti­on
  • Unter­arm
  • Ell­bo­gen­ex­ar­ti­ku­la­ti­on
  • Ober­arm
  • Schul­ter­ex­ar­ti­ku­la­ti­on und intertho­ra­k­os­ca­pu­lä­re Amputation

Der Ver­sor­gungs­ver­lauf und damit der Auf­wand der Ver­sor­gung nach Unter­arm- und Ober­arm­am­pu­ta­ti­on unter­schei­det sich wesent­lich bei den ver­schie­de­nen Stumpf­län­gen. Aus die­sem Grund wer­den im „Qua­li­täts­stan­dard” die­se Ampu­ta­tio­nen in zusätz­li­che Kapi­tel unterteilt.

Dif­fe­ren­zie­rung nach Stumpflänge

  • Lang
  • Mit­tel­lang
  • Kurz
  • Ultra­kurz

Ver­sor­gungs­pfad – Gliederung

Die Ver­sor­gungs­pfa­de für alle Ampu­ta­ti­ons­hö­hen sind stets nach dem glei­chen Sche­ma in Kapi­tel geglie­dert. Nicht benö­tig­te Kapi­tel (z. B. „Pro­the­ti­sche Ellen­bo­gen­funk­ti­on” bei Unter­arm­am­pu­ta­tio­nen) sind, um eine ein­heit­li­che Glie­de­rung bei allen Ampu­ta­ti­ons­hö­hen zu gewähr­leis­ten, trotz­dem auf­ge­führt. Die Ver­sor­gungs­pfa­de glie­dern sich in fol­gen­de Kapitel:

  1. Reha­bi­li­ta­ti­ons­zie­le
  2. Ver­sor­gungs­emp­feh­lung
  3. Schaft­tech­nik
  4. Steue­rungs­mög­lich­kei­ten
  5. Pro­the­ti­sche Handfunktion
  6. Pro­the­ti­sche Handgelenkfunktion
  7. Pro­the­ti­sche Ellenbogenfunktion
  8. Pro­the­ti­sche Schultergelenkfunktion
  9. Ein­wei­sung in Gebrauch des Hilfsmittels
  10. Abnah­me­kri­te­ri­en
  11. Ser­vice und Wartung
  12. Ergotherapie/Prothesengebrauchsschulung
  13. Rah­men­be­din­gun­gen
  14. Test­ver­sor­gung
  15. Qua­li­täts­si­che­rung
  16. Spe­zi­el­le Anforderungen

Ver­sor­gungs­pfad Unter­arm­am­pu­ta­ti­on – mit­tel­lan­ger Stumpf

Im fol­gen­den Abschnitt wird aus­zugs­wei­se der Ver­sor­gungs­pfad für eine Pro­the­sen­ver­sor­gung nach Unter­arm­am­pu­ta­ti­on bei mit­tel­lan­gem Stumpf vor­ge­stellt. Die ein­zel­nen Kapi­tel wer­den über­sicht­lich geglie­dert, in der Regel in die Absät­ze „Anfor­de­rung”, „Begrün­dung” und „Bemer­kung”. Die­se Absät­ze wer­den auch nur aus­zugs­wei­se wiedergegeben.

1. Reha­bi­li­ta­ti­ons­zie­le

Anfor­de­rung

Gleich­zie­hen mit einem Nicht-Ampu­tier­ten, Wie­der­her­stel­lung des äuße­ren Erschei­nungs­bil­des und der Funk­ti­on, Inklu­si­on und Reinte­gra­ti­on in das sozia­le Umfeld durch:

  • Anglei­chung an das phy­sio­lo­gi­sche Erschei­nungs­bild (Kör­per­sym­me­trie) und die natür­li­che Greiffunktion
  • siche­re Umset­zung der Greifbewegung
  • Ver­mei­dung von Haltungsschäden
  • die freie Bewe­gung des Unter­arms im Ellenbogengelenk
  • Ermög­li­chung des bima­nu­el­len Greifens

Begrün­dung

  • Errei­chen der Teil­ha­be und Unab­hän­gig­keit im Alltag
  • Vermeiden/Reduzieren von psy­chi­scher Belas­tung und Stigmatisierung
  • mehr Mög­lich­kei­ten und/oder Wie­der­ein­glie­de­rung in den Leis­tungs- und Arbeitsprozess

Bemer­kung

Nur wenn der Pati­ent kei­ne funk­tio­nel­le Ver­sor­gung benö­tigt oder die­se ablehnt oder/und das ganz­kör­per­li­che Erschei­nungs­bild mit ein­ge­schränk­ter Funk­ti­on im Vor­der­grund steht, ist eine indi­vi­du­ell her­ge­stell­te Habi­tus­pro­the­se zu erwä­gen. Wenn der Pati­ent auf­grund sei­ner Gesamt­be­hin­de­rung die funk­tio­nel­le Pro­the­se nicht ganz­tä­gig oder nicht jeden Tag tra­gen kann, ist optio­nal eine zusätz­li­che, indi­vi­du­ell her­ge­stell­te Habi­tus­pro­the­se indiziert.

2. Ver­sor­gungs­emp­feh­lung

Anfor­de­rung

  • myo­elek­trisch gesteu­er­te Arm­pro­the­se mit Greif­funk­ti­on der Hand
  • elek­tri­sche Pro- und Supination

Begrün­dung

Funk­tio­nel­le pro­the­ti­sche Ver­sor­gung auf dem Stand der Tech­nik ist nur mit einer myo­elek­tri­schen Pro­the­se möglich.

3. Schaft­tech­nik

Anfor­de­rung

  • indi­vi­du­el­ler Sili­kon­li­ner, favo­ri­siert HTV-Silikon
  • HTV-Sili­kon­schaft, ggf. mit par­ti­ell inte­grier­ten Silikongel-Elementen
  • Schaft mit par­ti­el­len HTV- und/oder RTV-Silikon-Elementen

Begrün­dung

Nur ein dau­er­haft form- und volu­men­kon­gru­en­tes Schaft­sys­tem mit semi­fle­xi­blem Adap­ti­ons­ver­hal­ten, här­te­va­ria­blen Bet­tungs­mög­lich­kei­ten, hoher Adhä­si­on und Haut­ver­träg­lich­keit sowie guten hygie­ni­schen Eigen­schaf­ten kann den Ver­sor­gungs­er­folg sicherstellen.

Bemer­kung

Ver­sor­gung mit kon­fek­tio­nier­tem Liner wegen star­ker Kon­tu­rie­run­gen (Umfang­dif­fe­ren­zen) am Stumpf und nicht run­der Form des Stump­fen­des kon­tra­in­di­ziert. Grund­sätz­lich ist die Ver­wen­dung von HTV-Sili­ko­nen, fle­xi­blen und adhä­si­ven Ther­mo­plas­ten und dau­er­haf­ten FVK-Werk­stof­fen erforderlich.

Ziel

  • Ver­sor­gung ohne Haltebandage
  • kei­ne Funk­ti­ons­ein­schrän­kung des Ellenbogengelenkes
  • Ein­hal­tung der natür­li­chen radioulna­ren Umwend­be­we­gung im Sin­ne von Pro- und Supi­na­ti­ons­be­we­gung (soweit möglich)

Bei AVK

  • unbe­ding­te Ver­mei­dung zu star­ker Kom­pres­si­on oder punk­tu­ell zu star­ken Drucks

4. Steue­rungs­mög­lich­kei­ten

Anfor­de­rung

Pro­por­tio­nal gesteu­er­tes Pro­the­sen­sys­tem mit Steue­rungs­op­tio­nen und Funk­ti­ons­wech­sel­op­tio­nen zur Rea­li­sie­rung aller ver­füg­ba­ren Prothesenfunktionen.

Begrün­dung

Funk­tio­nel­le Ver­sor­gung auf dem Stand der Tech­nik mit vom Pati­en­ten dosier­ba­rer Ansteue­rung aller Prothesenfunktionen.

Bemer­kung

Digi­ta­le Steue­rung, wenn die EMG-Signa­le des Pati­en­ten kei­ne pro­por­tio­na­le Steue­rung zulassen.

5. Pro­the­ti­sche Handfunktion

Anfor­de­rung

Pro­por­tio­nal gesteu­er­te Elek­tro­hand, gege­be­nen­falls mul­ti­ar­ti­ku­lie­ren­des Handsystem.

Begrün­dung

Annä­hernd phy­sio­lo­gi­sche Griff­ki­ne­ma­tik, gute Ein­satz­mög­lich­kei­ten der Hand bei Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens (z. B. siche­res Grei­fen von Gegen­stän­den mit unter­schied­li­cher Festigkeit).

Bemer­kung

Bei ein­ge­schränk­ter Kon­trol­le über die EMG-Signa­le kann eine spe­zi­el­le Sen­so­rik indi­ziert sein.

6. Pro­the­ti­sche Handgelenksfunktion

Anfor­de­rung

  • pas­si­ves Rotationshandgelenk
  • ggf. Mul­ti­ar­ti­ku­lie­ren
  • myo­elek­tri­sche pro­por­tio­na­le Pro- und Supi­na­ti­on (Rota­ti­ons­hand­ge­lenk)

Begrün­dung

Annä­hernd phy­sio­lo­gi­sche Vor­po­si­tio­nie­rung der Hand bei Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens (z. B. siche­res Grei­fen von Gegen­stän­den unter­schied­li­cher Form in ver­schie­de­nen Höhen, Dre­hen von gegrif­fe­nen Gegen­stän­den), um unphy­sio­lo­gi­sche Aus­gleichs­be­we­gun­gen in Schul­ter­gür­tel und Ober­kör­per zu ver­rin­gern bzw. zu vermeiden.

Bemer­kung

Digi­ta­le Steue­rung, wenn die EMG-Signa­le des Pati­en­ten kei­ne pro­por­tio­na­le Steue­rung zulas­sen. Bei ein­ge­schränk­ter Kon­trol­le über die EMG-Signa­le kann ggf. die Steue­rung der Rota­ti­on über ande­re Sen­so­rik indi­ziert sein.

7. Pro­the­ti­sche Ellenbogenfunktion

Für die­ses Ampu­ta­ti­ons­ni­veau nicht relevant.

8. Pro­the­ti­sche Schulterfunktion

Für die­ses Ampu­ta­ti­ons­ni­veau nicht relevant.

9. Ein­wei­sung in den Gebrauch des Hilfsmittels

Anfor­de­run­gen

Bedien­funk­ti­on

  • nach erfolg­ter Ein­wei­sung alle Tätig­kei­ten mehr­mals vom Pati­en­ten aus­füh­ren lassen!
  • indi­vi­du­el­le Jus­tie­rung aller Kom­po­nen­ten überprüfen

All­ge­mei­nes

  • Ein- und Aus­schal­ten der Pro­the­sen­kom­po­nen­ten (z. B. Hand, Steue­rung, Akku­sys­tem usw.) erklären
  • in die Funk­tio­nen der Hebelmechaniken/Gelenksysteme einweisen

Wech­sel­ak­ku­sys­tem

  • Wech­sel­ak­ku mit Kon­takt­flä­chen erklären

Inte­grier­tes Akkusystem

Die Ein­wei­sung in den Gebrauch des Hilfs­mit­tels ist der wesent­li­che Teil der Ver­sor­gung in der Zusam­men­ar­beit mit dem Pati­en­ten. Nur wenn der Pati­ent die Mög­lich­kei­ten sei­ner Ver­sor­gung kennt, ver­steht, sicher beherrscht und regel­mä­ßig anwen­det, wird mit der Ver­sor­gung dau­er­haft Teil­ha­be und Unab­hän­gig­keit im All­tag erreicht. Des­halb ist die­ses Kapi­tel beson­ders umfang­reich und glie­dert sich u. a. neben den bereits genann­ten in fol­gen­de Unterpunkte:

  • Anzieh­tech­nik
  • Haft­schaft­sys­tem
  • Liner­sys­tem

Funk­ti­ons­steue­rung Elektrohand

  • myo­elek­tri­sche Steuerung
  • elek­tro­me­cha­ni­sche Steue­rung über Schal­ter oder Sensoren

Hygie­ne

  • Körperhygiene/Stumpfpflege
  • Rei­ni­gung Komponenten

All­ge­mei­ne Hinweise/Gefahrenhinweise

  • Ein­satz­be­reich und ‑limi­tie­run­gen erklären
  • täg­li­che Sicht­kon­trol­le zur Ver­mei­dung von gra­vie­ren­den Fol­ge­schä­den erklären

Begrün­dung

Der Pati­ent wird in die Lage ver­setzt, die Pro­the­se ent­spre­chend ihrer tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten selbst­stän­dig zu nut­zen und zu pflegen.

Bemer­kung

Ein­wei­sung immer ent­spre­chend der tech­ni­schen Aus­stat­tung abstimmen.

10. Abnah­me­kri­te­ri­en

Auch die­ses Kapi­tel ist beson­ders aus­führ­lich gestal­tet, da nur die kom­pe­ten­te, umfas­sen­de Abnah­me unter Berück­sich­ti­gung aller rele­van­ten Kri­te­ri­en die Qua­li­tät der Ver­sor­gung sicher­stel­len kann.

Anfor­de­run­gen

Hand­ling der Prothese

  • Selbst­stän­di­ges An- und Aus­zie­hen mög­lich? Hin­weis: Bei Kin­der­ver­sor­gun­gen, bila­te­ra­len Ampu­ta­tio­nen oder Funk­ti­ons­ein­schrän­kun­gen der kon­tra­la­te­ra­len Sei­te sind Ein­schrän­kun­gen beim selbst­stän­di­gen An- und Aus­zie­hen möglich.
  • kor­rek­ter Sitz des Schaf­tes (Weich­teilstau­un­gen, Randwülste)?

Pass­form­kon­trol­le

  • Haut­rö­tun­gen an knö­cher­nen Prominenzen
  • Tem­pe­ra­tur der Haut­ober­flä­che im Ver­gleich zur kon­tra­la­te­ra­len Sei­te unter Berück­sich­ti­gung der Durch­blu­tung ohne Prothese

Kon­trol­le auf Fehlsteuerungen

Die Pro­the­se soll nur bei will­kür­li­chen Ansteue­run­gen Aktio­nen aus­füh­ren. […] Dies kon­trol­liert man, indem man:

  • den Pati­en­ten mit der Pro­the­sen­hand eine Dose o. Ä. grei­fen lässt und ihn dann bit­tet, die pro­the­sen­na­hen Gelen­ke zu bewegen […]

Kon­trol­le der Gesamt­erschei­nung, Dimen­si­on, Ver­ar­bei­tung, Kör­per­sym­me­trie, Ästhe­tik und Kolorierung

  • Ent­spricht die Dimen­sio­nie­rung und Pass­teil­an­ord­nung der kon­tra­la­te­ra­len Seite?

Kon­trol­le des Ban­da­gen­sys­tems (wenn vorhanden)

  • Ist die Bewe­gungs­frei­heit in der Ban­da­ge ausreichend?

Steue­rung

  • Wer­den die Funk­tio­nen zuver­läs­sig angesteuert?

Über­prü­fung des bima­nu­el­len Grei­fens und der Umset­zung der mög­li­chen Bewegungen

  • Hat der Pati­ent gelernt, sei­ne Pro­the­se in die ent­spre­chen­de Posi­ti­on zu brin­gen, z. B. zum Hal­ten und Öff­nen einer Flasche?

Tra­ge­zeit

  • Ent­spricht die Tra­ge­zeit den Ansprü­chen des Patienten?

Funk­tio­nel­ler Zuge­winn (Bewegungsausmaß/Funktion) und Fähig­keit zum Aus­üben von Alltagsaktivitäten

  • Wur­de die Pro­the­se im All­tag bereits erprobt?
  • Über­prü­fung (Befra­gung oder Demons­tra­ti­on) der Aus­füh­rung von Akti­vi­tä­ten, die dem Pati­en­ten indi­vi­du­ell eine weit­ge­hend unab­hän­gi­ge Lebens­füh­rung ermöglichen […].

Begrün­dung

Kon­trol­le des indi­ka­ti­ons- und bedarfs­ge­rech­ten Ein­sat­zes der pro­the­ti­schen Versorgung.

Bemer­kung

Vor der Bewer­tung der defi­ni­ti­ven pro­the­ti­schen Ver­sor­gung ist eine Nut­zungs­dau­er der Test­pro­the­se von min­des­tens zwei Wochen vorzuschalten.

11. Ser­vice und Wartung

Anfor­de­rung

Die pro­the­ti­sche Ver­sor­gung muss ein­mal im Jahr vom Ortho­pä­die-Tech­ni­ker über­prüft werden.

Erfor­der­li­che Schaftpassformkontrolle

Erstversorgungen/Umstellungsversorgung im ers­ten Jahr: regel­mä­ßi­ge zeit­na­he Passformkontrolle.

Begrün­dung

Erhalt der Funk­ti­ons­fä­hig­keit der Pro­the­se und Sicher­stel­lung der Passform.

Bemer­kung

Ein­hal­tung der MPG-Richt­li­ni­en durch den Leis­tungs­er­brin­ger (haftungs­re­chtliche Ansprüche).

12. Ergotherapie/ Prothesengebrauchsschulung

Anfor­de­run­gen

Hand­ha­bung Prothese/Komponenten

  • selbst­stän­di­ges An- und Aus­zie­hen der Prothese
  • Der Pati­ent wird instru­iert, die akti­ven Funk­tio­nen der Pro­the­se (z. B. Greif­funk­tio­nen der Hand, Dre­hung der Hand mit dem myo­elek­tri­schen Hand­ge­lenk […] und die Umschalt­me­cha­nis­men zwi­schen den ein­zel­nen Funk­tio­nen zu trai­nie­ren, ohne dabei Gegen­stän­de zu manipulieren.

Ziel des Trainings

  • Der Pati­ent soll ler­nen, die ver­schie­de­nen akti­ven Pro­the­sen­funk­tio­nen (z. B. Griff­kraft und ‑geschwin­dig­keit der Hand) sicher zu steu­ern und sicher zwi­schen den ein­zel­nen Pro­the­sen­funk­tio­nen umzuschalten. […]

Bestand­tei­le des Trainings

  • Der Pati­ent übt die Steue­rung der akti­ven Pro­the­sen­funk­tio­nen in ver­schie­de­nen Stel­lun­gen und Bewe­gungs­ebe­nen des Armes/der Prothese.

Ablauf des Trainings

  • Hand mit Maxi­mal­ge­schwin­dig­keit voll­stän­dig öff­nen und schlie­ßen – 10 Wiederholungen
  • Hand mit lang­sa­mer Geschwin­dig­keit bis zur Hälf­te öff­nen – 10 Wiederholungen

Bemer­kun­gen

Jeder Pati­ent ist auf­grund sei­ner per­sön­li­chen Gege­ben­hei­ten wie z. B. Ampu­ta­ti­ons­ni­veau, wei­te­rer Behin­de­run­gen, Auf­fas­sungs­ga­be, Pro­blem­lö­sungs­kom­pe­tenz usw. ein­zig­ar­tig. Daher kann das Trai­ning der Pro­the­sen­steue­rung von weni­gen bis 30 Minu­ten und von einer bis zu meh­re­ren Sit­zun­gen pro Tag erfordern. […]

Gebrauchstraining/Funktionstraining mit der Prothese

  • In die­ser Trai­nings­stu­fe mani­pu­liert der Pati­ent mit sei­ner Pro­the­se ver­schie­de­ne Objek­te bzw. Gegenstände. […]

Ziel des Trainings

  • Üben der kor­rek­ten Vor­po­si­tio­nie­rung der Pro­the­se zum Mani­pu­lie­ren der Objek­te bzw. Gegenstände
  • Trai­ning der kor­rek­ten Dosie­rung der ver­schie­de­nen akti­ven Pro­the­sen­funk­tio­nen […] mit Objekten.

Es folgt wie­der­um (wie bei „Hand­ha­bung Prothese/Komponenten”) die Erläu­te­rung der Bestand­tei­le und des Ablaufs des Trainings.

Bedarfs­ori­en­tier­tes Gebrauchs-/Funk­ti­ons­trai­ning; Zusam­men­spiel Hand/Prothese

ADL-Trai­ning

Aus der nach­ste­hen­den Lis­te von Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens sol­len 3 bis 5 aus­ge­wählt wer­den, die für den All­tag des Pati­en­ten am wich­tigs­ten sind [Anm. d. Red.: Von den 58 im Buch genann­ten Akti­vi­tä­ten wird hier aus Platz­grün­den nur eine Aus­wahl von 8 Akti­vi­tä­ten wiedergegeben]:

  • Hal­ten eines Lineals/Festhalten von Papier auf einer Unterlage/einem Tisch
  • Gemü­se putzen/schneiden
  • eine Unter­tas­se mit Tas­se halten
  • ein Kon­ser­ven­glas öffnen
  • Hosen/Röcke an- und ausziehen
  • einen Kugelschreiber/Stift grei­fen und halten
  • einen Computer/eine Tas­ta­tur benutzen
  • Hygie­ne mit der Pro­the­se: Zäh­ne put­zen, Rasie­ren, Toi­let­ten­gang, Nase put­zen, Haa­re kämmen

Wei­ter­hin wer­den Emp­feh­lun­gen für die zu erwar­ten­de Dau­er des Trai­nings gege­ben und eine Pla­nung für die ers­te Trai­nings­wo­che vorgeschlagen.

13. Rah­men­be­din­gun­gen

Anfor­de­rung

  • Prä­qua­li­fi­zie­rung des Orthopädie-Techniker-Meisters
  • pro­dukt­über­grei­fen­de Qua­li­täts­stan­dards an Aus­stat­tung und Ausbildung

Begrün­dung

Sicher­stel­lung der Versorgungsqualität

Bemer­kung

Für kom­ple­xe Ver­sor­gun­gen müs­sen fun­dier­te spe­zi­fi­sche Fach­kennt­nis­se und nach­ge­wie­se­ne Ver­sor­gungs­er­fah­rung vor­han­den sein.

14. Test­ver­sor­gung

Anfor­de­rung

  1. Test­schaf­ter­stel­lung
  2. Test­pro­the­se für die Anwen­dung im Bereich Werk­statt (Anpro­ben, Gebrauchs­schu­lung etc.)

Begrün­dung

Die Test­ver­sor­gung dient der Eva­lu­ie­rung von

  • Erreich­bar­keit des Reha­bi­li­ta­ti­ons­zie­les und des Versorgungskonzeptes
  • Mate­ri­al­ver­träg­lich­kei­ten

Bemer­kung

Kön­nen Bestand­tei­le der zu erpro­ben­den Kon­fi­gu­ra­ti­on aus der bis­he­ri­gen Ver­sor­gung vor­über­ge­hend oder dau­er­haft genutzt wer­den, soll­te dies geschehen.

15. Qua­li­täts­si­che­rung

Die Qua­li­täts­si­che­rung umfasst die fol­gen­den Ele­men­te, deren Durch­füh­rung anhand der in den Anla­gen genann­ten For­mu­la­re doku­men­tiert wird:

  • Zustandserhebung/Anamnese/Fotodokumentation
  • Maß­nah­me: Maß­blatt ent­spre­chend dem Amputationsniveau

Anla­gen

Die For­mu­la­re zur Doku­men­ta­ti­on im Rah­men der Ein­hal­tung der Anfor­de­run­gen des MPG bzw. der EWG-Richt­li­nie 93/42 sind im Anhang des „Qua­li­täts­stan­dards” zusammengefasst.

16. Spe­zi­el­le Anforderungen

In den Anfor­de­run­gen des bis­he­ri­gen Qua­li­täts­stan­dards sind beson­de­re Aspek­te fol­gen­der Gege­ben­hei­ten hin­sicht­lich der Ver­sor­gungs­pla­nung, tech­ni­scher Aus­stat­tung oder des Ver­sor­gungs- und Trai­nings­ab­lau­fes nicht expli­zit beschrieben:

  • Osseo­in­te­gra­ti­on
  • Ver­bren­nun­gen
  • mehr­glied­ri­ge Amputationen

„Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der obe­ren Extremität”

Her­aus­ge­ber

Der „Ver­ein zur Qua­li­täts­si­che­rung in der Arm­pro­the­tik e. V.” ist Her­aus­ge­ber des Wer­kes „Qual­itätsstandard im Bereich Pro­the­tik der obe­ren Extre­mi­tät”. Ver­öf­fent­licht im Ver­lag Orthopädie.Technik. Der Ver­ein wur­de am 16.06.2012 in Frankfurt/Main gegrün­det. Der sat­zungs­ge­mä­ße Zweck des Ver­eins ist:

  1. Auf­klä­rung, Wei­ter­bil­dung und Fort­bil­dung für Ver­eins­mit­glie­der, Pati­en­ten, Ärz­te, Ortho­pä­die-Tech­ni­ker und Therapeuten.
  2. Ver­bes­se­rung der Koope­ra­ti­on zwi­schen allen an der The­ra­pie betei­lig­ten Berufs­grup­pen zur Opti­mie­rung der Behand­lung der Pati­en­ten durch 
    • Ärz­te aller betei­lig­ten Fachbereiche
    • Ortho­pä­die-Tech­ni­ker
    • The­ra­peu­ten
    • Pfle­ge­per­so­nal
    • Kos­ten­trä­ger
  3. Auf­klä­rung der arm­am­pu­tier­ten Pati­en­ten und Ange­hö­ri­gen über Mög­lich­kei­ten zur Opti­mie­rung der pro­the­ti­schen Versorgung.
  4. Defi­ni­ti­on indi­ka­ti­ons­ori­en­tier­ter Qua­li­täts­stan­dards in der Arm­pro­the­tik sowie die Erar­bei­tung und Ver­öf­fent­li­chung des zuge­hö­ri­gen Leit­fa­dens. Die regel­mä­ßi­ge Aktua­li­sie­rung des Leit­fa­dens erfolgt unter Berück­sich­ti­gung aktu­el­ler ope­ra­ti­ver, the­ra­peu­ti­scher und ortho­pä­die­tech­ni­scher Mög­lich­kei­ten nach dem Stand der Tech­nik durch ein im Ver­ein defi­nier­tes Exper­ten­gre­mi­um unter Ein­be­zie­hung von Inter­es­sen­ver­tre­tun­gen Amputierter.

Aktu­ell besteht der Vor­stand des Ver­eins aus fol­gen­den Personen:

Micha­el Schä­fer –Vor­sit­zen­der
Mer­kur Alimusaj
Nor­bert Aumann
Joa­chim Frühauf
Wolf­gang Gröpel
Die­ter Kretz
Tho­mas Mitzenheim

Autoren

Mer­kur Ali­mus­aj (Ortho­pä­di­sche Uni­ver­si­täts­kli­nik Heidelberg)
Erik And­res (Otto Bock Health­Ca­re GmbH Deutschland)
Yvonne Begau (Otto Bock Health­Ca­re GmbH Deutschland)
Joa­chim Früh­auf (Früh­auf Arm­pro­the­tik GmbH, Mauer)
Wolf­gang Grö­pel (Nova­Vis, Waldenbuch)
Chris­ti­an Heub­lein (Lan­gen­ha­gen)
Dr. Andre­as Kan­ne­berg (Otto Bock Health­Ca­re GmbH Deutschland)
Det­lef Koke­gei (Bun­des­fach­schu­le für Ortho­pä­die-Tech­nik, Dortmund)
Die­ter Kretz (Ortho­pä­die-Tech­nik von Bült­zings­lö­wen GmbH, Duisburg)
Tho­mas Mit­zen­heim (Ortho­pä­die- und Reha­tech­nik Dres­den GmbH, Dresden)
Micha­el Schä­fer (Poh­lig GmbH, Traunstein)

Zusam­men­fas­sung

Der „Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der obe­ren Extre­mi­tät” ist das Ergeb­nis inten­si­ver Bera­tun­gen von Exper­ten aus ganz Deutsch­land. Das Werk defi­niert die Qua­li­tät der pro­the­ti­schen Ver­sor­gung für alle Ampu­ta­ti­ons­hö­hen, von der Fin­ger-/Dau­men­am­pu­ta­ti­on bis zur Schulterexartikulation.

Durch sei­nen über­sicht­li­chen, struk­tu­rier­ten Auf­bau bie­tet es allen an der Ver­sor­gung Betei­lig­ten eine her­vor­ra­gen­de gemein­sa­me Grund­la­ge für den fach­li­chen Aus­tausch und för­dert damit die inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit zwi­schen Ärz­ten, The­ra­peu­ten und Tech­ni­kern. Die Autoren haben die Hoff­nung, dass dadurch pro­the­ti­sche Ver­sor­gun­gen im Bereich Pro­the­tik der obe­ren Extre­mi­tät ver­stärkt nach dem aktu­el­len Stand der Tech­nik erfol­gen, sich die Reha­bi­li­ta­ti­on der Ampu­tier­ten ver­bes­sert und letzt­lich unse­re Pati­en­ten im All­tag profitieren.

Lite­ra­tur:

In Aus­zü­gen wur­de zitiert: Ver­ein zur Qua­li­täts­si­che­rung in der Arm­pro­the­tik e. V. (Hg.). Qua­li­täts­stan­dard im Bereich Pro­the­tik der obe­ren Extre­mi­tät. Dort­mund: Ver­lag Ortho­pä­die-Tech­nik, 2014

Der Autor:
Tho­mas Mitzenheim
Ortho­pä­die-Tech­ni­ker-Meis­ter
Ortho­pä­die- und Rehatechnik
Dres­den GmbH
Fet­scher­stra­ße 70
01307 Dres­den
tmitzenheim@ord.de

Zita­ti­on
Mit­zen­heim T. Ziel­set­zung und Auf­bau des „Qua­li­täts­stan­dards im Bereich Pro­the­tik der obe­ren Extre­mi­tät“. Ortho­pä­die Tech­nik, 2014; 65 (8): 16–21
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