Zeit für Reformen

Wie kann die Hilfsmittelversorgung der Zukunft aussehen? Alf Reuter, Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT) und Mitglied im Vorstand des Bündnisses „Wir versorgen Deutschland“ (WvD) beschäftigt diese Frage seit einiger Zeit.

Durch den Son­der­be­richt des Bun­des­am­tes für Sozia­le Siche­rung (BAS) im ver­gan­ge­nen Jahr wur­de das The­ma nun wie­der ganz aktu­ell und führ­te dazu, dass es von Sei­ten der im WvD orga­ni­sier­ten Hilfs­mit­tel­ver­bän­de und Leis­tungs­er­brin­ger­ge­mein­schaf­ten nun Reform­vor­schlä­ge gab.  Alf Reu­ter gewährt im Gespräch mit der OT-Redak­ti­on einen Ein­blick in die aktu­el­le Situa­ti­on und geht näher auf die For­de­run­gen aus dem Fach ein.

 OT: Das Bun­des­amt für Sozia­le Siche­rung  hat in sei­nem Bericht 2022 auf Miss­stän­de in der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung hin­ge­wie­sen und Refor­men ins Spiel gebracht. Dar­auf­hin hat das Bünd­nis „Wir ver­sor­gen Deutsch­land“ sei­ne Vor­schlä­ge für eine Hilfs­mit­tel­re­form im März 2023 ver­öf­fent­licht. Kön­nen Sie die Kern­punk­te der Vor­schlä­ge kurz skizzieren? 

Alf Reu­ter: Die Auf­sichts­be­hör­de der Kos­ten­trä­ger hat Defi­zi­te in der Ver­sor­gung aus­ge­macht, die auch wir seit Jah­ren mit gro­ßer Sor­ge sehen. Wie das BAS haben wir uns daher auch ein­mal die Mühe gemacht, Bilanz zu zie­hen: Vor wel­chen Her­aus­for­de­run­gen steht unser Gesund­heits­we­sen und wel­che Rele­vanz hat da die Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung? Und wir sind zu dem Ergeb­nis gekom­men, dass nahe­zu alle Pro­ble­me, mit denen wir der­zeit in der Gesund­heits­ver­sor­gung zu tun haben, auch die Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung betref­fen. Sie wird zwar immer als „Kos­ten­stel­le“ der GKV geführt, tat­säch­lich steckt in die­sem rela­tiv klei­nen Bereich der Hebel, um eine altern­de Gesell­schaft län­ger mobil und arbeits­fä­hig zu hal­ten, eine ambu­lan­te Ver­sor­gung zu stär­ken und das gesell­schafts-poli­ti­sche Vor­ha­ben einer gleich­be­rech­tig­ten Teil­ha­be wirk­lich umzu­set­zen. Wir müs­sen wie­der die Ver­sor­gung ins Zen­trum stel­len – und uns davon ver­ab­schie­den, dass die Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung dar­in erschöpft sei, rund 40.000 Medi­zin­pro­duk­te des Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis­ses zu ver­wal­ten, zu aktua­li­sie­ren und an den Pati­en­ten zu brin­gen. Im Kern sind wir lang­jäh­rig aus­ge­bil­de­te Fach­kräf­te im Gesund­heits­we­sen – wie Ärz­te, The­ra­peu­ten und Pfle­ge­per­so­nal. Mit dem Nach­weis soll­ten wir also auch wie alle ande­ren Leis­tungs­er­brin­ger zu Las­ten der GKV ver­sor­gen dür­fen und es müss­te klar gere­gelt sein, wel­che Leis­tung mit wel­chen Kos­ten von der Soli­dar­ge­mein­schaft über­nom­men wer­den! Durch Aus­schrei­bun­gen, Open-House und Ein­zel-Ver­trags­ver­hand­lun­gen ist ein Wild­wuchs ent­stan­den.  Kein Pati­ent, kei­ne Kran­ken­kas­se und auch kein Leis­tungs­er­brin­ger kann ein­fach die Fra­ge beant­wor­ten, wel­che Leis­tung eigent­lich was kos­tet. Für die Ant­wort muss der Leis­tungs­er­brin­ger auf ein Ver­trag­spor­tal gehen und sich durch sei­ne Hun­der­te Ver­trä­ge wüh­len. Dann erst sieht er, ob ein Pati­ent über­haupt ver­sorgt wer­den kann, wie es mit den Doku­men­ta­ti­ons­pflich­ten steht und was dann wie dafür abge­rech­net wer­den müss­te. Unser Gesund­heits­sys­tem leis­tet sich exzel­lent aus­ge­bil­de­te medi­zi­ni­sche Fach­kräf­te und erstickt sie in Ver­wal­tung und Büro­kra­tie. Das muss aufhören!

OT: Ein zen­tra­ler Punkt ist das Schieds­ver­fah­ren. Sie wün­schen sich, dass eine pari­tä­tisch von Kos­ten­trä­gern und Leis­tungs­er­brin­gern besetz­te, stän­di­ge Schieds­stel­le, bei sto­cken­den Ver­trags­ver­hand­lun­gen ein­greift. Was erhof­fen Sie sich davon? 

Reu­ter: Das insti­tu­tio­nel­le Schieds­ver­fah­ren ist die Kon­se­quenz aus der Zulas­sung und den Leit­ver­trä­gen. Wir wol­len ja, dass die ver­trag­li­che Aus­ge­stal­tung einer „aus­rei­chen­den und not­wen­di­gen Ver­sor­gung“ zwi­schen den Spit­zen­or­ga­ni­sa­tio­nen der Leis­tungs­er­brin­ger und Kos­ten­trä­ger aus­ge­han­delt wird. Wenn sich Orga­ni­sa­tio­nen nicht eini­gen – was dann? Ver­si­cher­te müs­sen dar­auf ver­trau­en kön­nen, dass sie jeder­zeit eine gere­gel­te Ver­sor­gung erhal­ten. Des­halb soll im Kon­flikt­fall künf­tig eine insti­tu­tio­nel­le Schieds­stel­le über die strit­ti­gen Fra­gen schnell ent­schei­den können.

OT: Eine wei­te­re Neue­rung, die im Zuge von Leit­ver­trä­gen ein­ge­führt wer­den könn­te, ist die Pflicht zur Ver­sor­gung bei Erwerb der Prä­qua­li­fi­zie­rung. War­um die­ser Schritt?

Reu­ter: Die Pflicht ist nur die ande­re Sei­te des Rechts zur qua­li­täts­ge­si­cher­ten und wirt­schaft­li­chen Ver­sor­gung. Mit der Zulas­sung darf ein Ortho­pä­die­tech­ni­ker zu Las­ten der GKV und nach Maß­ga­be der Leit­ver­trä­ge abrech­nen. Schon heu­te steht er im Grun­de vor der­sel­ben Fra­ge: Wenn der BIV-OT bspw. einen Ver­trag mit der TK/Barmer in der PG 24 schließt, so muss sich der Tech­ni­ker fra­gen, ob er die­se Ver­si­cher­ten zu den aus­ge­han­del­ten Kon­di­tio­nen ver­sor­gen will oder nicht. Wenn er dem Ver­trag nicht bei­tre­ten will, hat er heu­te das theo­re­ti­sche Recht selbst mit den Kran­ken­kas­sen nach­zu­ver­han­deln. Wer sich die­se Nach­ver­hand­lun­gen von ein­zel­nen Häu­sern mit Kos­ten­trä­ger über die ver­gan­ge­nen sechs­zehn Jah­re ansieht, wird fest­stel­len, dass die­se Ver­trä­ge in der Kon­se­quenz aus­schließ­lich im Dik­tat der Kas­se und im Dum­ping lan­de­ten. Die Ver­sor­gungs­qua­li­tät hat eben­so wenig eine Rol­le gespielt wie die Wirt­schaft­lich­keit. Die Bil­der von Men­schen mit Behin­de­rung, die ihre Roll­stuhl-Ver­sor­gung aus dem LKW erhiel­ten sind uns allen noch vor Augen. Wenn Inno­va­tio­nen kom­men, dann wird es mit Leit­ver­trä­gen sehr viel ein­fa­cher, die­se auch schnel­ler in den Ver­sor­gungs­all­tag zu bekom­men. Denn wir müs­sen in dem Fall sehr viel weni­ger ver­han­deln. Im Moment wer­den die­se Inno­va­tio­nen blo­ckiert. Kei­ne der 96 Kas­sen, möch­te die ers­te sein, die hier beim The­ma Inno­va­tio­nen in Vor­leis­tung geht.

Ein wei­te­rer Punkt: Trans­pa­renz für die Ver­si­cher­ten. Heu­te kann kein Ver­si­cher­ter dar­auf ver­trau­en, dass er in sei­nem Sani­täts­haus (gleich)behandelt wird. Je nach Kas­se wird er an der Tür abge­wie­sen oder sei­ne Kas­se meint es gut mit ihm und hat beson­de­re Leis­tun­gen ver­ein­bart. Das ver­steht weder der Pati­ent, noch die Auf­sichts­be­hör­de der Kran­ken­kas­sen noch der Gesetz­ge­ber – und um ehr­lich zu sein, ich auch nicht. War­um kann ich einen fai­ren Ver­trag mit der Mehr­zahl der Kos­ten­trä­ger ver­han­deln und es kom­men immer wie­der die­sel­ben Kas­sen mit Extra-Wün­schen, Dum­ping-Prei­sen und Vor­ga­ben, die kein Leis­tungs­er­brin­ger sinn­voll erfül­len kann. Wir müs­sen hier ein­fach mal die Kir­che im Dorf las­sen und uns der Auf­ga­be stel­len, für alle Leis­tungs­er­brin­ger und alle Ver­si­cher­ten eine gute Lösung zu fin­den, sodass die Kos­ten dann auch wirt­schaft­lich geprüft und sinn­voll zu Las­ten der Soli­dar­ge­mein­schaft abge­rech­net wer­den können.

Ver­sor­gung muss in den Mittelpunkt

OT: Sie for­dern auch einen Weg­gang von der Fokus­sie­rung vom Hilfs­mit­tel hin zum Ver­sor­gungs­pro­zess. Erklä­ren Sie bit­te die Grün­de dafür?

Reu­ter: Der­zeit basiert die Kos­ten­er­stat­tung der Kran­ken­kas­sen auf dem Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis, das – wie der Name schon sagt –  ein­zel­ne Hilfs­mit­tel in den Mit­tel­punkt stellt. Das reicht aber nicht. Ent­schei­dend für den Erfolg sind klar defi­nier­te Ver­sor­gung­stan­dards und ‑pro­zes­se. Die­se soll­ten und auf der Grund­la­ge von ver­bind­li­chen Leit­li­ni­en, Ver­sor­gungs­pfa­den und Emp­feh­lun­gen der zustän­di­gen medi­zi­ni­schen Fach­ge­sell­schaf­ten und unter Ein­be­zie­hung unse­rer Betrie­be in die Gre­mi­en der Gemein­sa­men Selbst­ver­wal­tung wie den Gemein­sa­men Bun­desau­schuss (G‑BA) basie­ren. Ein Pro­dukt wird ja erst durch die Ver­sor­gung zu einem Hilfsmittel.

OT: Muss dann nicht auch über die Begriff­lich­keit des „Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis“ gestrit­ten werden?

Reu­ter: Sicher kann man dar­über strei­ten. Wich­ti­ger ist mir, dass der Inhalt stimmt.

OT: Was bedeu­tet die­ser Wech­sel sowohl für die Betrie­be als auch die Patient:innen?

Reu­ter: Mit der Umset­zung der Reform­ideen wür­den auf einen Schlag Büro­kra­tie­kos­ten für die Betrie­be gesenkt und die Ver­sor­gungs­leis­tun­gen für die Ver­si­cher­ten trans­pa­ren­ter dar­ge­stellt wer­den. Frei­wer­den­de Res­sour­cen kön­nen dann in die Ver­sor­gung der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten fließen.

OT: Leit­ver­trä­ge statt Ein­zel­ver­trä­ge klingt im ers­ten Schritt natür­lich nach einem gro­ßem Berg Papier, den die Betrie­be dann nicht mehr jeden Monat in Rich­tung Kos­ten­trä­ger ver­schie­ben müs­sen. Aber ganz kon­kret gefragt: Was sind die Vor­tei­le für den ein­zel­nen Betrieb?

Reu­ter: Wie gesagt. Schon sol­che Papier­ber­ge abzu­bau­en, schafft jedem ein­zel­nen Betrieb mehr Luft für die Ver­sor­gung der Pati­en­ten. Hin­zu kommt, dass die Mit­ar­bei­ter mehr Trans­pa­renz und damit Sicher­heit bei der Ver­sor­gung erhal­ten. Inha­ber ver­lie­ren die Angst davor, dass ihre Mit­be­wer­ber aus Not oder Unwis­sen­heit Dum­ping­prei­se mit Kos­ten­trä­gern ver­ein­ba­ren. Zudem kön­nen sie durch ver­läss­lich geprüf­te Rah­men­ver­trä­ge auch sicher sein, dass kei­ne unkal­ku­lier­ten Haf­tungs­ri­si­ken in Ver­trä­gen schlum­mern. Im Moment müs­sen sie ja stän­dig im Kopf haben, dass bei Ver­trag A ande­re Ver­sor­gungs­stan­dards zu erfül­len sind als bei Ver­trag B oder C, wohl gemerkt zur glei­chen PG. Im Moment kann sich kaum ein Betrieb es leis­ten, die Bei­tritts­ver­trä­ge auf Haf­tungs­ri­si­ken ein­zeln zu prü­fen, geschwei­ge denn die­se selbst zu ver­han­deln. Die Ver­si­cher­ten, wis­sen zukünf­tig eben­falls genau, wel­che Leis­tun­gen sie vom Sani­täts­haus ihrer Wahl erwar­ten kön­nen. Das spart unse­ren Mit­ar­bei­tern so man­che Dis­kus­si­on. Nach vor­ne gedacht: Ab dem 1. Janu­ar 2026 sind wir ver­pflich­tet, die eVer­ord­nung für Hilfs­mit­tel zu nut­zen. Es ist schier unmög­lich, die der­zei­ti­ge Viel­falt der Ver­trä­ge mit dem vie­lem Klein­ge­druck­ten in der eVer­ord­nung abzu­bil­den. Wir müs­sen zwin­gend schlan­ker wer­den, um die Umstel­lung auf die eVer­ord­nung für Hilfs­mit­tel gestal­ten zu können.

OT: Leit­ver­trä­ge sol­len Rah­men­ver­ein­ba­run­gen sein, heißt es in der WvD-Pres­se­mel­dung. Bedeu­tet das für den Betrieb, dass die­ser die Details der Ver­ein­ba­rung im Aus­tausch mit den Kran­ken­kas­sen selbst fest­le­gen kann bzw. sogar muss?

Reu­ter: Nein. Man kann Leit­ver­trä­ge im Grun­de mit den Man­tel­ta­rif­ver­trä­gen der KBV oder den Rah­men­ver­trä­gen bei den Heil­mit­teln ver­glei­chen. Auch hier eini­gen sich die Spit­zen­or­ga­ni­sa­tio­nen auf die Leis­tun­gen und ent­spre­chen­de Ver­gü­tung. Neben den Para­me­tern, die bun­des­ein­heit­lich gel­ten, kön­nen die Spit­zen­or­ga­ni­sa­tio­nen auch Beson­der­hei­ten regeln. So könn­ten regio­na­le Pilot­pro­jek­te ein­fa­cher ver­han­delt wer­den, wie es sie bspw. der­zeit für bestimm­te Gesund­heits­re­gio­nen gibt. Ich den­ke da an Pro­jek­te wie die Gesund­heits­ki­os­ke oder die Pilo­ten für die Ein­füh­rung des eRezeptes.

OT: Wie kön­nen Sie die Kos­ten­trä­ger davon über­zeu­gen, dass Leit­ver­trä­ge die bes­te Lösung sind?

Reu­ter: Die Gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen ste­cken doch in genau der glei­chen Büro­kra­tie­fal­le wie wir. Die Ver­hand­lung, Ver­wal­tung und das Con­trol­ling der viel­fäl­ti­gen Ver­trä­ge bün­delt auch bei den Kos­ten­trä­gern viel Per­so­nal. Sie ste­cken im sel­ben Ver­trags-Wirr­warr, sodass sie die Fra­ge ihrer Auf­sicht selbst kaum beant­wor­ten kön­nen, wo sie eigent­lich wel­che Ver­sor­gungs­ver­trä­ge gere­gelt haben. Die Über­sicht über die wesent­li­chen Ver­trags­in­hal­te, und damit nichts Gerin­ge­res als das Wis­sen dar­um, wel­cher Ver­si­cher­te bei ihnen wel­che Rech­te hat, haben sie nach Aus­kunft des BAS-Berich­tes ver­lo­ren. Sie ver­wal­ten eben­so vie­le ver­schie­de­ne For­mu­la­re und müs­sen alle Doku­men­te digi­tal und ana­log able­gen. Sie haben zig Tau­send Daten – und den­noch kön­nen sie ihrer Con­trol­lingauf­ga­be nicht gerecht wer­den, wie das BAS zu Recht in sei­nem Son­der­be­richt betont hat. Es ist im urei­gens­ten Inter­es­se der Kran­ken­kas­sen, die der­zei­ti­ge Situa­ti­on zu ver­än­dern. Sie sind in der Pflicht, die Ver­sor­gung ihrer ver­si­cher­ten mit Hilfs­mit­teln wohn­ort­nah, auf dem Stand der Tech­nik und wirt­schaft­lich zu sichern. Das ist nur über Leit­ver­trä­ge zu errei­chen. Inso­fern haben wir gute Argumente.

OT: Wel­che Argu­men­te aus dem Lager der Kran­ken­kas­sen erwar­ten Sie, die gegen Leit­ver­trä­ge sprechen?

Reu­ter: Wir wis­sen, dass zumin­dest eini­ge gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen zurück zum Aus­schrei­bungs­mo­dell wol­len und wir gehen davon aus, dass sie sich der Auf­ga­be ent­zie­hen wol­len, Trans­pa­renz in das Sys­tem zu brin­gen. Die­se For­de­run­gen fol­gen dem Finanz­druck der Kas­sen und zeu­gen von einer gewis­sen Ohn­macht, sich den Her­aus­for­de­run­gen einer altern­den Gesell­schaft wirk­lich kon­struk­tiv stel­len zu kön­nen. Was Aus­schrei­bun­gen und Open-House-Ver­trä­ge ange­rich­tet haben, haben vie­le Pati­en­ten­ver­bän­de bezeugt. Die Ver­sor­gungs­qua­li­tät spielt bei sol­chen Model­len über­haupt kei­ne Rol­le. Mit die­sem „Augen zu und durch“ wer­den wir weder das Ent­lass­ma­nage­ment, die Ambu­lan­ti­sie­rung noch die Umset­zung der UN-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­ti­on umset­zen. Wir wer­den sehen, wofür sich unse­re Regie­rung ent­schei­det – im Koali­ti­ons­ver­trag wur­de uns Fort­schritt ver­spro­chen. Aus­schrei­bun­gen wären ein radi­ka­ler gesell­schafts­po­li­ti­scher Rückschritt.

OT: Was pas­siert mit Betrie­ben, die nicht einem gro­ßen Ver­band ange­schlos­sen sind?

Reu­ter: Auch heu­te muss man nicht unbe­dingt Mit­glied im BIV-OT bzw. in der Lan­des­in­nung sein, um einem Ver­trag bei­zu­tre­ten. Durch eine Mit­glied­schaft machen wir es den Häu­sern nur bequem, denn mit unse­rem Ver­trag­spor­tal „Mein Sani­täts­haus“ sichern wir, dass die Büro­kra­tie des Bei­tritts mini­miert wird und ein schnel­ler Infor­ma­ti­ons­fluss gesi­chert ist.

OT: Was haben Sie aus der Poli­tik für eine Rück­mel­dung auf ihre Reform­vor­schlä­ge erhalten?

Reu­ter: Wer ein wenig die Gesund­heits­po­li­tik der ver­gan­ge­nen Jah­re ver­folgt hat, konn­te beob­ach­ten, dass es in der letz­ten Regie­rungs­ko­ali­ti­on eine sehr brei­te Mehr­heit für die Ände­run­gen im HHVG gab. Dazu zählt auch das Ver­bot von Aus­schrei­bun­gen. Die poli­ti­schen Ver­tre­ter in der AG Gesund­heit haben die Ver­sor­gungs­qua­li­tät im Blick und der letz­te Koali­ti­ons­ver­trag ent­hält das Vor­ha­ben, die Gesund­heits­be­ru­fe mit ihren Kom­pe­ten­zen zu stär­ken. Das Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um muss sich zudem gera­de mit der Fra­ge aus­ein­an­der­set­zen, wie sehr die Kom­mer­zia­li­sie­rung über Fall­pau­scha­len die Wei­chen für unnö­ti­ge Ope­ra­tio­nen gestellt hat. Es geht also auch dar­um, die kon­ser­va­tiv-tech­ni­sche Ver­sor­gung wie­der zu stär­ken. Das Gan­ze wird von einer Finanz­de­bat­te über­la­gert. Die Kran­ken­kas­sen haben immer mehr leis­tungs­frem­de Auf­ga­ben über­neh­men müs­sen – von der Lohn­fort­zah­lung im Krank­heits­fall bis zur Finan­zie­rung der Unab­hän­gi­gen Pati­en­ten­be­ra­tung Deutsch­land. Hier sind Ent­schei­dun­gen der Regie­rung gefragt, die auch die Auf­ga­be hat, die Soli­dar­ge­mein­schaft nicht für alle all­ge­mei­nen gesell­schaft­li­chen Pro­ble­me zur Kas­se zu bitten.

OT: Wel­ches Feed­back haben Sie aus der Bran­che bis­her auf die Reform­vor­schlä­ge erhalten?

Reu­ter: Ein durch­weg positives.

OT: Wann rech­nen Sie damit, dass das The­ma Refor­men kon­kret ange­fasst wird von der Politik?

Reu­ter: Nach jet­zi­gem Stand und mei­ner Wahr­neh­mung wird sich das Bun­de­mi­nis­te­ri­um für Gesund­heit frü­hes­tens im drit­ten Quar­tal 2023 öffent­lich zu ihren Plä­nen äußern. Ich bin froh, dass hier offen­sicht­lich kei­ne Schnell­schüs­se geplant sind und man sich der Sache mit ent­spre­chen­der Ruhe wid­met. Trotz­dem besteht natür­lich Hand­lungs­druck und wir soll­ten die Zeit nut­zen. Jeder Betrieb hat die Mög­lich­keit, Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te in ihrem Wahl­kreis ein­zu­la­den und über die der­zeit unbe­frie­di­gen­de Situa­ti­on der Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung für Pati­en­ten und Leis­tungs­er­brin­ger zu infor­mie­ren und unse­re Reform­vor­schlä­ge zu erläutern.

Die Fra­gen stell­te Hei­ko Cordes.

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