Kontrakturen, die aus einer neurologischen Erkrankung resultieren, werden in der heutigen Zeit überwiegend mit dynamischen Korrekturgelenken nach dem Prinzip des „low-load prolonged stretch“ (LLPS-Prinzip) behandelt. Im Vergleich zur statischen Kontrakturbehandlung nach dem Prinzip des „high-load brief stretch“ (HLBS-Prinzip) – dem klassischen Quengeln – wird die dynamische Kontrakturbehandlung mit einem Orthesen-Federgelenksystem durchgeführt, bei dem die wirkende Kraft über eine justierbare Federeinheit definiert wird. Erst die Haltung unter einer konstanten Spannung bewirkt die notwendige Dehnung, die letztlich zur Verlängerung des Gewebes führt. Der Patient hat zudem die Möglichkeit, das Gelenk in die pathologische Richtung zu bewegen oder beispielsweise einen hypertonen Reiz auszuleben, um danach wieder durch die Orthese in Therapierichtung bewegt zu werden.
Der folgende Bericht stellt die Behandlung mit dynamischen Korrekturorthesen zur Wiederherstellung des normalen Bewegungsumfangs dar und fasst einschlägige Studien zu diesem Thema zusammen, die seit dem Jahr 1984 veröffentlicht wurden.
Einleitung
Als Kontraktur (von lat. „contrahere“ = „zusammenziehen“) bezeichnet man eine dauerhafte Gewebsverkürzung, die zu einer bleibenden Einschränkung der Beweglichkeit oder zur kompletten Steife eines Gelenkes führt. Die betroffenen Gelenke lassen sich passiv nicht oder nur äußerst schwer über den noch bestehenden Bewegungsumfang hinaus bewegen. Das Bindegewebe zeigt bei vorliegender Immobilität bereits innerhalb eines Zeitraumes von wenigen Tagen die Tendenz einer zunehmenden Verkürzung bzw. Kontraktion. Dafür werden plastische Veränderungen des Kollagen-Netzwerkes verantwortlich gemacht, wobei aufgrund fehlender Dehnung eine Neuvernetzung der Kollagenfasern (ein sogenannter „cross-link“) in höherer Dichte eintritt 1.
Kontrakturen werden in dynamische und statische Kontrakturen unterteilt:
- Unter dynamischen Kontrakturen versteht man Gewebeverkürzungen der Muskeln, Sehnen, Bänder oder Faszien. Diese sind mit statischen oder dynamischen Korrektur-Gelenksystemen behandelbar.
- Statische Kontrakturen hingegen entstehen durch Ossifikationen von Muskeln oder durch Arthrodesen und lassen sich nicht durch Orthesen aufdehnen.
Gefährdet bezüglich der Entwicklung von Kontrakturen sind alle Personengruppen, bei denen aufgrund der Pathologie der Bewegungsumfang eines Gelenks dauerhaft nicht vollständig genutzt wird. Als Beispiele sind zu nennen:
- Patienten mit Spastiken
- Patienten nach Unfällen mit gelenknaher Beteiligung
- Patienten mit Verletzungen und Verbrennungen in Gelenknähe
- Patienten nach Lagerungsfehlern
- Patienten mit Nerven-Querschnittlähmung
- langzeitig bewusstlose Patienten (Wachkoma)
- Patienten mit entzündlichen oder degenerativen Gelenkprozessen (Gelenkrheumatismus, Arthrose)
- fixierte Patienten in Gips‑, Schienen- und Streckverbänden
Behandlungsmöglichkeiten
Historisch gesehen ist das Quengeln zur Aufarbeitung von Gelenkkontrakturen eine seit Jahrhunderten bekannte Behandlungsform. Bereits um das Jahr 1540 wurde ein „Apparat zur Schenkelstreckung“ von Hans von Gersdorff beschrieben 2 (Abb. 1). Dieses Prinzip wird in der aktuellen Medizin als „high-load brief stretch“– also statische Anwendung einer hohen Kraft über einen kurzen Zeitraum – bezeichnet. Dazu werden Orthesen mit Exzenter- oder Schneckentriebgelenken eingesetzt. Der Nachteil dieser Methode besteht jedoch darin, dass es bei der Anwendung statischer Orthesen zu einer massiven Erhöhung der Druckbelastung der Haut sowie zu intraartikulärer Knorpelschädigung aufgrund der Hebelwirkung der Orthese kommen kann 3.
Aus diesem Grund hat sich später das Konzept des „low-load prolonged stretch“ (LLPS) entwickelt. Darunter versteht man die Behandlung von Gelenkkontrakturen über einen langen Zeitraum mit geringem Krafteinsatz mit dynamischen Korrekturgelenken (Abb. 2). Das LLPS-Prinzip führt im Laufe der Anwendungszeit zur Remodellierung des Weichgewebes, was schlussendlich eine größere bzw. normale Bewegungsfreiheit („range of motion“, ROM) ermöglicht. Dabei muss zwischen dem aktiv nutzbaren Bewegungsumfang (aROM) und dem passiv möglichen Bewegungsumfang (pROM) unterschieden werden. Wichtiger Faktor für die erfolgreiche Therapie nach dem LLPS-Konzept ist die „total end range time“ (TERT ).
Darunter versteht man das Produkt aus Intensität × Dauer × Frequenz, wobei gilt:
- Intensität = maximal vom Patienten geduldete Tragezeit im Endbereich des pROM
- Dauer = Gesamtdauer der Einzelanwendungen
- Frequenz = Häufigkeit der Durchführung
Einschlägige Studien belegen, dass der Bewegungsumfang zunimmt, wenn das Gewebe im Sinne der TERT in einem andauernden Zustand der leichten Dehnung im Endbereich der möglichen Bewegung gehalten wird4 5. Ziel der dynamischen Orthesenversorgung ist die dauerhafte Rekonstruktion von verkürztem oder vernarbtem Bindegewebe. Das verlängerte, rekonstruierte Gewebe führt zur Verbesserung des ROM und damit zur Wiederherstellung der Funktion und der Alltagstauglichkeit des betroffenen Gelenks.
Orthesenversorgung
Dynamische Orthesenversorgungen können bei Patienten mit eingeschränkter Beweglichkeit eingesetzt werden, die sich als sekundäre Erkrankung aus orthopädischen oder neurologischen Veränderungen des Bindegewebes einstellt, beispielsweise bei Trauma, Schlaganfall, postchirurgischer Gelenksteife, Verletzungen des Rückenmarks, Bänder- oder Sehnenreparaturen, infantiler Zerebralparese, Gelenkersatz, geschlossenen Kopfverletzungen, Post-Frakturen, langfristiger Ruhigstellung, Verbrennungen oder Kontrakturen nach Amputationen. Nicht indiziert ist die Orthesenversorgung dagegen bei statischen Kontrakturen. Dynamische Orthesen können zu einer Verringerung der Rehabilitationszeit und zur Kostensenkung beitragen, da es sich bei deren Einsatz um eine „At-Home“-Therapie handelt, die andere konservative Therapieformen (Physiotherapie, manuelle Therapie etc.) unterstützt und dadurch die Therapiezeit verkürzt. Der Patient trägt die Orthese in der Regel im Ruhezustand.
Die Funktion dynamischer Korrekturkomponenten wird über eine stufenlos einstellbare Feder gesteuert, die in einem mechanischen Gelenk integriert ist. Die Feder bietet leichten Druck bzw. Zug unterhalb des Dehnungsreflexes bei zeitlich längerer Anwendungsdauer auf das Gelenk, was die Geweberekonstruktion gewährleistet (Abb. 3). Bei einer adäquaten Anwendung dynamischer Kontrakturgelenke nach der LLPS-Methode kommt es zu keiner Dekubitusbildung, da die auf das Gewebe einwirkenden Kräfte sehr gering eingestellt werden. In einer tierexperimentellen Studie 6 wurde die Entstehung von Dekubitalgeschwüren an Ohrläppchen von weißen Kaninchen untersucht, wobei Höhe und Dauer der Druckbelastung variiert wurden. Dabei wurde nachwiesen, dass das Auftreten verschiedener Dekubitusgrade von der Druckhöhe und der Druckverweilzeit abhängig ist. So führte eine hohe Druckbelastung (300 mmHg) bei kurzen Druckverweilzeiten in 9 von 10 Fällen zu einem Dekubitusgrad 3, bei längeren Druckverweilzeiten zu einem Dekubitusgrad 4. Ein Druck von 100 mmHg hatte bei kurzen Druckverweilzeiten einen Dekubitusgrad 1 und bei längeren Druckverweilzeiten einen Dekubitusgrad 2 zur Folge. Bei einem Druck von 50 mmHg fand unabhängig von der Dauer der Belastung keine Dekubitusbildung statt. Dieser geringe Druck muss in einer Orthesenversorgung angestrebt werden.
Studienübersicht
In einer vergleichenden Studie wurde bereits 1984 das LLPS-Prinzip im Vergleich zu HLBS bei der Behandlung von Kniekontrakturen bewertet 7. Diese Studie wurde erstellt, um die Resultate einer traditionellen Methode der Behandlung von Kontrakturen durch Dehnung von Kniekontrakturen durch Hochlast in kurzer Zeit (HLBS) mit den Resultaten einer experimentellen Methode der zeitlich verlängerten Behandlung mit Niedriglast (LLPS) zu vergleichen. Der Umfang der passiven Kniebewegung (pROM) wurde durch Standardgoniometrie (Winkelmessung) gemessen. Die Stichprobe umfasste 11 Probanden, die progressive bilaterale Kniekontraktionen aufwiesen. Jeder Proband wurde auf einer Seite mit dem herkömmlichen HLBS-Verfahren und auf der anderen Seite mit dem LLPS-Verfahren behandelt. Die Wahl der Behandlung für die jeweilige Seite war zufällig. Die Resultate zeigten eine deutliche Präferenz für LLPS in der Behandlung der Kniekontraktur. Die Behandlungen wurden zweimal täglich an fünf Tagen in der Woche über vier Wochen durchgeführt. In 10 von 11 Fällen wurde durch die Anwendung des LLPS-Prinzips ein deutlich besseres Ergebnis erzielt als bei der kontralateralen Seite, die im HLBS-Verfahren behandelt wurde (Tab. 1).
In einer retrospektiven Studie von Nuismer et al. aus dem Jahre 1997 8 wurde die Wirksamkeit gering belastender, dauerdehnender LLPS-Orthesen zur Behandlung von Kontrakturen untersucht. Dazu wurden Aufzeichnungen über 17 Patienten aus qualifizierten Pflegeeinrichtungen, Handkliniken und Krankenhäusern überprüft. Dabei gab es insgesamt 18 Kontrakturen (2 × Handgelenk, 12 × Ellenbogengelenk, 4 × Kniegelenk), die sich als Sekundärerscheinungen bei neurologischen und orthopädischen Erkrankungen darstellten. Die Aufzeichnungen umfassten Informationen über den Bewegungsumfang (ROM), funktionelle Ergebnisse und Zeitpläne. Die Studienteilnehmer wurden in zwei Gruppen eingeteilt: einerseits geriatrische Patienten mit neurologischen Erkrankungen, andererseits eine etwas jüngere Patientengruppe mit pathologischem Muskel-Skelett-Hintergrund. Bei beiden Gruppen zeigte sich eine deutliche Zunahme des Bewegungsumfangs (ROM) nach der Nutzung der LLPS-Orthesen. Bei allen Probanden wurde ein deutlich verbesserter Bewegungsumfang (ROM) ermittelt, was wiederum eine Verbesserung der Funktion nach sich zieht.
In einer Studie von Ramirez et al. 9 wurde 1999 aufgezeigt, dass neuromuskuläre elektrische Stimulation (NMES), kombiniert mit einer dynamischen Kontrakturbehandlung, eine sichere und wirksame Behandlung einer Spastizität der oberen Extremitäten bei Kindern mit Zerebralparese darstellt. Es wurde untersucht, ob die kombinierte Therapie aus NMES und einer dynamischen Orthesenbehandlung wirksamer als NMES oder eine dynamische Kontrakturbehandlung allein ist. Die randomisierte Doppelblindstudie wurde mit 21 Patienten zwischen 3 und 18 Jahren mit spastischer Hemiplegie durchgeführt. Die Patienten wurden einer der folgenden drei Gruppen zugeordnet:
- Gruppe 1 (n = 7) erhielt nur NMES.
- Gruppe 2 (n = 7) erhielt nur eine dynamische Orthesenversorgung.
- Gruppe 3 (n = 7) erhielt eine Kombinationstherapie aus NMES und dynamischer Orthesenversorgung.
Patienten mit unkontrollierten Anfällen und/oder früheren Operationen an den oberen Extremitäten wurden aus der Studie ausgeschlossen. Die Parameter „Geschicklichkeit“, „Griff“ und „Kraft“, die Zancolli-Klassifizierung (gute Willkürfunktion, eingeschränkte Willkürfunktion, Einsatz als Hilfshand, Funktionslosigkeit) und ein Fragebogen über die Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) dienten als Bewertungsgrundlage. Die Patienten wurden einen Monat vor der Therapie, zu Beginn der Therapie sowie dreimal während der Therapie begutachtet. Ergebnis: Es gab eine 95-prozentige Verbesserung in Gruppe 3 (kombinierte Therapie), eine 67-prozentige Verbesserung in Gruppe 2 (Orthesen) und eine 30-prozentige Verbesserung in Gruppe 1 (Elektrostimulation). Patienten, die mit der kombinierten Therapie behandelt wurden, zeigten verbesserte Werte in der Funktion der oberen Gliedmaßen sowie weitere Fortschritte in ihrer Fähigkeit, Aktivitäten des täglichen Lebens durchzuführen. Diese nichtinvasive Therapie könnte die Notwendigkeit pharmakologischer Injektionen und chirurgischer Eingriffe ersetzen.
In einer im Jahre 2006 von Phil Stevens und Tom DiBello erstellten Fallstudie 10 über die Verwendung dynamischer Orthesen zur Reduzierung von Knieflexionskontrakturen bei einem 8‑jährigen männlichen Patienten mit tiefer thorakaler Spina bifida (Myelomeningozele) wurde ebenfalls die Wirksamkeit maßangefertigter Nachtorthesen mit dynamischen Extensionselementen des Kniegelenks nachgewiesen. Im Vorlauf der Studie waren diverse Orthesen ausprobiert worden, die im Wesentlichen aus festen AFOs bestanden und – in Verbindung mit einem Parapodiums-Swivel-Walker – begrenzte Aktivität zuließen. Die erste Feststellung von Knieflexionskontrakturen trat beim Patienten im Alter von sechs Jahren auf, die sich wahrscheinlich aufgrund des angeborenen angehefteten Rückenmarks („tethered spinal cord“) und der daraus resultierenden Spastik entwickelte.
Erste Bewertungen der Kontrakturen ergaben einen Bewegungsumfang der Knieflexion von etwa ‑40 Grad. Der Patient wurde mit bilateralen maßgefertigten PP-KAFOs mit festem Knöchelteil versorgt. Als Kniegelenke wurden beidseits dynamische Korrekturkomponenten mit einstellbarem Flexionsstopp eingesetzt. Bei den folgenden Kontrollterminen wurden die Werte der Einstellungen und Bewegungsumfänge – wie in Tabelle 2 wiedergegeben – gemessen und dokumentiert. In der Folge wurden weitere Verbesserungen der Kniekontrakturen erwartet. Stevens und DiBello stellten fest, dass neben der Orthesenkonstruktion und den Behandlungsmethoden die Auswahl der Patienten und deren Unterstützung in der Familie eine große Rolle spielt. Nach der Erfahrung von Stevens und DiBello sind dynamische Orthesengelenke – in Verbindung mit maßgefertigten Orthesen, bei geeigneten Patienten und mit einem geeigneten Therapiekonzept (beispielhaft in Abb. 4* wiedergegeben) – zur erkennbaren Reduzierung von Kontrakturen sehr gut geeignet.
Bei der Verwendung dynamischer Orthesen zur Behandlung von Gelenkkontrakturen ergibt sich eine erfolgreiche Behandlung aus der Verwendung geeigneter Bauteile im Zusammenhang mit der geeigneten Einstellung (Justierung). Der Erfolg der Versorgung bezieht sich sowohl auf die Art der dynamischen Gelenke als auch auf die gesamte Konstruktion der Orthese. Die Orthese sollte zudem eine effiziente Übertragung der dynamischen Dehnungskomponente in der gewünschten Ebene gewährleisten. Die Erleichterung der Bewegung in anderen Ebenen oder auf benachbarte Gelenke kann dazu dienen, die Patienten-Compliance zu steigern. Farmer [11]11 beschreibt in seiner Studie aus dem Jahr 2005 beispielsweise, dass bei Dehnung des Musculus gastrocnemius das Knie und die Knöchelposition zu kontrollieren sind. Dazu können Knie-Knöchel-Fußorthesen eingesetzt werden.
Eine Fallstudie von Yasukawa et al. (2003) untersuchte die Wirksamkeit zweier unterschiedlicher Behandlungssysteme im Hinblick auf die Wiedererreichung des Bewegungsumfanges des Ellenbogen-ROMs 12:
- 1. dynamische Korrekturkomponenten
- 2. statischer Fiberglas-Cast
Probanden waren drei Kinder, jeweils 7 Jahre alt, mit primärer Zerebralparese und mäßigen bis schweren Spastiken, woraus eine passive bzw. aktive Bewegungseinschränkung an beiden Ellenbogen resultierte. Es wurde eine Grundbeurteilung erstellt, die eine modifizierte Ashworth-Skala, passive Bewegungen und Angaben zur Bezugsperson beinhaltete. Die Beurteilung wurde vor einer BTX-Behandlung und jeweils 2, 6 und 8 Monate nach der BTX-Behandlung durchgeführt. Es wurde jeweils eine Seite mit statischem Fiberglas-Cast (HLBS) und die andere Seite mit dynamischen Korrekturkomponenten (LLPS) versorgt. Die Testpersonen im Einzelnen:
- Testperson 1 war ein 7‑jähriges Mädchen mit der Diagnose „Zerebralparese und spastische Tetraplegie“. Derzeitige Medikamente waren Baclofen und Phenobarbital.
- Testperson 2 war ein 7‑jähriges Mädchen mit Zerebralparese und spastischer Tetraplegie. Derzeitige Medikamente waren Depakote zur Anfallsveringerung und Baclofen zur Kontrolle ihrer Muskelspastik.
- Testperson 3 war ein 7‑jähriger Junge mit der Diagnose „Zerebralparese und spastische Tetraplegie“. Zur Verringerung der Muskelspastik erhielt er Baclofen.
Der Test erfasste den geschwindigkeitsabhängigen Widerstand gegen passive Bewegung, eines von vielen Merkmalen bei Patienten mit einer Läsion des Zentralnervensystems. Weitere Merkmale einer Läsion des Zentralnervensystems wurden nicht erfasst. Acht Monate nach der Behandlung (BTX, serielle Gipsverbände, zweischalige Cast-Versorgung, dynamisches Gelenksystem) wurden die Eltern gebeten, einen Fragebogen auszufüllen, der die Vorteile für die Pflegeperson und die Zufriedenheit mit dem Mittel der Wahl hinsichtlich Passform und Bewegungsumfang beurteilte. Die Castversorgung und die dynamische Korrekturorthese wurden gleichzeitig täglich 4 Stunden lang getragen. Die passive Beweglichkeit verbesserte sich durch die Behandlung mit seriellen Gipsverbänden nur vorübergehend.
Die Cast-Versorgung zeigte keine Verbesserung, sondern nur eine Stagnation des ROM. Eine Testperson zeigte einen Verlust der Beweglichkeit bei der 8‑Monats-Auswertung. Die Nutzung der dynamischen Korrekturkomponenten verbesserte dagegen den Bewegungsumfang. In einem Fragebogen teilten alle Eltern der drei Testpersonen mit, dass sie insgesamt die dynamische Korrekturorthese bevorzugten. Zwei Eltern gaben an, dass ihr Kind in der Lage war, sowohl die Cast-Versorgung als auch die dynamische Korrekturorthese länger als 4 Stunden pro Tag zu tragen, während ein Elternteil berichtete, dass sein Kind die Versorgungen nur 4 Stunden je Tag tolerierte. Im frei formulierbaren Abschnitt des Fragebogens wurde berichtet, dass die Seite mit der dynamischen Korrekturorthese eine bessere Flexibilität des Gelenks aufwies, nachdem die Orthesen abgenommen wurden. Verlängerte Behandlungszeiten in der gewünschten Position durch eine Orthese nach dem LLPS-System könnten noch komfortabler und effektiver die schrittweise Verbesserung der Beweglichkeit erhöhen. Insgesamt bevorzugten die Eltern die dynamische Korrekturorthese, da diese ein positives, langfristiges Ergebnis sicherstellt. Die statische Cast-Versorgung wies dagegen nur eine temporäre Verbesserung auf (Rezidiv).
Aus der Erkenntnis heraus, dass es bei Geburtsschädigungen des Gehirns oder nach traumatischen Verletzungen oft zu Schäden am zentralen Nervensystem (ZNS) kommen kann, die zu Muskelspastik und einer daraus resultierenden abnormalen Haltung der oberen Extremität führen, wurde 2008 ebenfalls von Yasukawa 13ein Test durchgeführt, der belegte, dass die kombinierte Verwendung eines dynamischen (Ellenbogen) und eines statischen Orthesengelenks (Hand) eine Verbesserung des Bewegungsumfanges (ROM) in beiden Gelenken bewirkt. Zum Test erhielten fünf Kinder eine Orthese für einen Arm, ein Kind erhielt eine Orthese für beide Arme. Keines der Kinder zeigte eine funktionale Nutzung der betroffenen Extremität. Die Spastik wirkte sich störend auf die passiven Bewegungen in Ellenbogen und Handgelenk aus.
Alle Teilnehmer wurden mit seriellen Gipsverbänden (statisch) des Handgelenks für 3 bis 4 Wochen versorgt, im Anschluss erhielten die Probanden eine statische bzw. dynamische Korrekturorthese. Nach 10 Monaten wurde bei der Untersuchung der Probanden, die die dynamische Korrekturorthese nach dem beschriebenen Protokoll trugen, in fünf von sieben Fällen eine Verbesserung der passiven Beweglichkeit am Ellenbogen, am Handgelenk oder an beiden Gelenken festgestellt. Die Ergebnisse belegen eine positive Beziehung zwischen dem Tragen der Korrekturorthese und der Beweglichkeit am Ellenbogen und am Handgelenk im Vergleich mit denen, die keine Orthese trugen. Die Krafteinheit des Ellenbogengelenks wurde auf den Skalenwert max. 2 von 7 eingestellt, trotzdem wurde eine Verbesserung des ROM bei vier der sieben Probanden festgestellt. Ein wesentlicher Parameter zur erfolgreichen Behandlung ist die Beachtung und Überwachung eines Therapieplanes (z. B. wie Abb. 4*) durch Eltern und Betreuer.
Eine wichtige Grundlage zur erfolgreichen Behandlung mit dynamischen Korrekturorthesen ist die von Kenneth R. Flowers beschriebene TERT 4. Die TERT-Theorie postuliert, dass der Betrag der Erhöhung der passiven Beweglichkeit (pROM) eines kontrakten Gelenks proportional der Zeit entspricht, in der das Gelenk am Ende des Bewegungsumfangs gehalten wird. In drei Fallstudien wies Kenneth R. Flowers 14 im Jahr 1988 die Wirksamkeit der LLPS-Methode nach:
– Im ersten Fall erlitt eine 22-jährige Patientin im Dezember 1983 eine intraartikuläre Splitterfraktur des distalen Humerus. Die Fraktur wurde mit Kirschner-Drähten operiert und für 7 Wochen im Gips fixiert. Der Ellenbogen-ROM betrug 51°/75° (= 24°). 3 Wochen nach der Gipsentfernung wurden die Kirschner-Drähte entfernt. Nach weiteren 2 Wochen aktiven Übens wurde ein ROM von 45°/85° (= 40°) gemessen. Im Juli 1984 wurde eine chirurgische Entlastung des Ellenbogens mit anschließender Behandlung in einer CPM-Schiene durchgeführt. Der ROM änderte sich auf 50°/90° (= 40°). Im August wurde die Behandlung mit einer dynamischen Orthese begonnen. Diese wurde 23 Stunden am Tag getragen (10 Stunden Flexion, 13 Stunden Extension) und nur zur Hygiene und bei aktiven Übungen abgelegt. Am 20.09.1984 betrug der ROM 23°/107° (= 84°). Bedauerlicherweise musste die Therapie abgebrochen werden, da die Patientin im Oktober 1984 bei einem Autounfall eine Refrakturierung des Armes erlitt.
– Der zweite Fall betraf eine 43-jährige Patientin mit inkomplettem Riss der Patellasehne im März 1988 und der Therapie Sehnennaht. Zu Beginn der Physiotherapie betrug der ROM 20°/45°. Nach 3 Wochen betrug die Flexion 90°, die Extension blieb bei 20°. Es wurde eine dynamische Orthese verordnet, die nachts getragen wurde. Nach 3 Wochen wurde ein aROM von 15°/100° und ein pROM von 0°/105°, nach weiteren 5 Wochen ein aROM von 20°/115° und ein pROM von 0°/120° gemessen. Nach 3 Monaten wurde die volle Flexion/Extension festgestellt. Ein geplanter chirurgischer Eingriff konnte verhindert werden.
– Im dritten Fall hatte ein 22-jähriger Student im Februar 1986 eine traumatische Amputation des Zeige‑, Mittel- und Ringfingers erlitten. Der Mittelfinger wurde replantiert und anschließend eine Therapie zur Wiedergewinnung von Aktivität, Bewegung und Funktion durchgeführt. Die Bewegung des PIP konnte weder aktiv noch passiv zurückgewonnen werden. 1988 wurde eine PIP-Arthroplastik durchgeführt. Ab Mai 1988 erfolgten therapeutische Maßnahmen wie CPM, NMES und aROM-Übungen. Im August 1988 wurde eine dynamische Flexionsorthese für das PIP-Gelenk angepasst; der pROM-Flex lag bei 45°. Die tägliche Nutzung betrug 2 bis 3 Stunden; bereits im Oktober 1988 erweiterte sich der pROM-Flex auf 50°.
In einer 2005 erschienenen Studie von Smith 15erfüllte eine dynamische Korrekturkomponente für das Hüftgelenk die gestellte Aufgabe, eine Orthese zu konzipieren, die in Adduktionsposition der Beine vom Patienten, von den Eltern oder von Pflegepersonen leicht anzulegen ist, um dann durch die Entriegelung einer Sperre die Beine in Abduktion zu lagern. Zielsetzung war – aus der Erfahrung mit der bekannten A‑Form –, chirurgische Eingriffe hinauszuzögern, zu verringern oder zu vermeiden, der Verkürzung der Adduktoren und Innenrotatoren durch Dehnung entgegenzuwirken und den Sitz des Femurkopfes im Acetabulum zu sichern. Zwei Probleme bei dieser Patientengruppe sind die Compliance von Eltern und Betreuern aufgrund der Schwierigkeiten beim Anlegen der Orthese bei einem Kind mit Spastik und/oder Kontraktur in abduzierter Position sowie die Innenrotation, die sich aus Zug und Spannung bei Abduktionsstellung der Beine ergibt. Die Orthese wurde in der herkömmlichen A‑Form hergestellt; am Kniegelenk wurden zudem dynamische Korrekturkomponenten eingesetzt, um den ROM der Ischiocruralmuskulatur zu verbessern. Das Szenario ergab die erste dynamische Hüftbeugeschiene zur Hüftabduktion und übertraf die Erwartungen des Behandlungsteams. Die Beine waren weiterhin innenrotiert. Die Orthese wurde um eine Sprunggelenkfassung ergänzt, um die Innenrotation durch die Fußfassung zu korrigieren. Später wurde eine Rotationsjustierung in den distalen Bereich der Schiene integriert.
Nach Kenntnis des Autors ist dies die erste Komponente, die eine statische Kontrolle der Innenrotation in der transversalen Ebene zulässt. Der Patient wurde angewiesen, die Orthese jede Nacht während des Schlafens und eine Stunde am Tag zu tragen. Außerdem wurde die schnelle Abnehmbarkeit des Gelenks (Schnellkupplung für die Beinfassungen) begrüßt. Der Patient trug die Orthese ca. sechs Monate lang; währenddessen erweiterte sich der Abduktionswinkel von etwa 20 Grad bilateral aus der Mitte der Sagittallinie auf 40 Grad bilateral. Klinisch hatte der Patient zum Zeitpunkt der Abfassung einen verringerten Scherengang; die Kadenz (Gleichschritt) hatte sich erheblich verbessert. Es wurden 12 weitere Patienten mit dem beschriebenen System versorgt, um weitere Erkenntnisse zu erlangen.
Fazit
Wie der Forschungsbericht zeigt, wird mit der Anwendung dynamischer Korrekturkomponenten eine permanente Korrekturkraft in Extensions- oder Flexionsrichtung ermöglicht. Orthesen mit dynamischen Korrekturkomponenten können so konstruiert werden, dass die Gelenke in die jeweils gewünschte Richtung bewegt werden können. Eine spastische Muskulatur wird mit Hilfe dynamischer Korrekturkomponenten isoliert gedehnt und mobilisiert. Die Ruheposition wird verbessert, und die geschwächte Muskulatur wird wieder gestärkt. Ein präzises und konstantes Drehmoment ermöglicht eine submaximale Streckung (unterhalb des Dehnungsreflexes) und erhöht die Entlastung der entgegengesetzten Muskulatur.
Auch nach Verletzungen mit damit einhergehenden Kontrakturen und postoperativ bietet die Anwendung dynamischer Korrekturkomponenten den erforderlichen Schutz und eine sichere und schrittweise Gelenkmobilisation während der Rehabilitationsphase, wie die Auswertung der Studien belegt. Durch den Prozess der sukzessiv, präzise und gleichmäßig ausgeübten Dehnung wird das Wachstum des verkürzten Gewebes gefördert bzw. verändertes Gewebe umgebildet und die Gelenkaktivität erhöht.
Hinweis
Der mit * gekennzeichnete Bezug auf einen beispielhaften Therapieplan (Abb. 4) betrifft ein Dokument, das als Download auf der Seite der Firma Basko Healthcare zur Verfügung steht. Dieser Therapieplan war nicht Teil der genannten Studien.
Der Autor:
Berthold Bolkart, OTM
Basko Orthopädie Handelsgesellschaft mbH
Gasstraße 1622761 Hamburg
b.bolkart@basko.com
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Bolkart B. Wiederherstellung des Bewegungsumfangs bei Gelenkkontrakturen mit dynamischen Korrekturkomponenten. Orthopädie Technik, 2019; 70 (2): 24–30
Patient | Behandlungsprinzip | pROM vor Behandlung | pROM nach Behandlung | Differenz vor und nach der Behandlung | Differenz LLPS/HLBS |
---|---|---|---|---|---|
2 | LLPS | -132° | -102° | 30° | LLPS +16° |
2 | HLBS | -113° | -99° | 14° | LLPS +16° |
Tab. 1 Passive Bewegungsbereichsänderungen am Beispiel Patient 2.
Datum | R1 rechts | R2 rechts | R1 links | R2 links | R f stop | L f stop | R torque | R torque |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
17.05. | -35° | -25° | -45° | -30° | -50° | -65° | 1.5 | 1.5 |
31.05. | -30° | -20° | -40° | -30° | -50° | -65° | 1.5 | 2.0 |
14.06. | -25° | -15° | -35° | -23° | -40° | -50° | 1.5 | 2.0 |
06.07. | -25° | -18° | -30° | -20° | -40° | -45° | 2.5 | 2.5 |
Tab. 2 Knie-ROM-Werte, Bewegungsbegrenzung und Drehmomenteinstellung bei vier aufeinanderfolgenden Nachsorgeterminen; R1 = 1. Messwert Kniegelenkwinkel aktiv, R2 = 2. Messwert Kniegelenkwinkel passiv, f‑stop = Bewegungslimitierung, torque = Krafteinstellung (max = 7).
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