Wie die Tech­nik uns ®evo­lu­tio­niert

Die Veränderungen, die sich mit der Digitalisierung in Bezug auf unsere Vorstellungen von Technik, Kommunikation, Bewusstsein und auch Körperlichkeit ergeben, treffen unser Gewerk bis ins Mark. Ich bin heute 47 Jahre alt, und die Welt hat sich seit meiner Schul- und Studienzeit komplett gewandelt. Seit 2011 beobachte ich für den Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik (BIV-OT) die Entwicklungen des Faches, darf an unserer Sprache und am Auftreten als Verband mitwirken und sehe eine gewaltige Veränderung in der Wahrnehmung der Schnittstelle von Mensch und Technik. Einige Schlaglichter habe ich in diesem Text zusammengetragen.

Wer kann sich nicht noch an die Zei­ten erin­nern, in denen man mit fül­ler­ver­schmier­ten Fin­gern Tex­te hand­schrift­lich ver­fass­te? Alle Schul­ar­bei­ten, Post­kar­ten, Refe­ra­te, Klau­su­ren und Brie­fe schrieb ich mit mit mei­nem heiß­ge­lieb­ten Peli­kan-Fül­ler. Als ich spä­ter im Berg­manns­heil Bochum in der Abrech­nung arbei­te­te und in der Abtei­lung die Kos­ten der Gesund­heits­re­form von der Bet­ten- bis zur Fall­pau­scha­le doku­men­tie­ren durf­te, hass­te ich die Schreib­ma­schi­ne: immer schön mit Zei­len­um­bruch und neben der Maschi­ne Fäs­ser von Tipp-Ex. Heu­te schrei­be ich mit der Hand nur noch Post­kar­ten und Brie­fe – weil ich sie so schön „retro“ fin­de und die Nost­al­gie mich befällt. Heu­te geht nichts mehr ohne mei­nen Com­pu­ter, mein Tablet oder mein Smart­phone; das meis­te über E‑Mail. Die Kom­mu­ni­ka­ti­on hat sich so sehr auf E‑Mail umge­stellt, dass ich in mei­ner heu­ti­gen Funk­ti­on als Lei­te­rin der Ver­bands­kom­mu­ni­ka­ti­on des Bun­des­in­nungs­ver­ban­des für Ortho­pä­die-Tech­nik nun Kon­zep­te ent­wick­le, die Vor­stand und Geschäfts­füh­rung vor der „E‑Mail-Flut“ schüt­zen sol­len und dem Ver­band zukünf­tig wie­der eine eine „kanal­ge­rech­te“ Kom­mu­ni­ka­ti­on ermöglichen.

Nicht nur die Kom­mu­ni­ka­ti­on tickt heu­te kom­plett anders – auch das Wis­sen, das man sich frü­her müh­sam ange­eig­net hat, zer­rinnt zwi­schen den Fin­gern. Ich habe Öko­no­mie an der Fern­uni­ver­si­tät Hagen stu­diert, BWL und VWL, und das, was damals als „in Stein gemei­ßelt“ galt und daher aus­wen­dig abruf­bar sein soll­te, ist heu­te nicht mehr rich­tig. Bei­spiel: „Der Gab­ler“, der mich als das Stan­dard­werk wäh­rend mei­nes Stu­di­ums in den Neun­zi­gern beglei­te­te, defi­nier­te den Begriff Schlüs­sel­in­dus­trien ganz ein­deu­tig: „Zwei­ge des Grund­stoff- und Pro­duk­ti­ons­gü­ter­ge­wer­bes, deren Auf­trä­ge und Lie­fe­run­gen für einen wei­ten Kreis ande­rer Indus­trie­un­ter­neh­men oder Gewer­be die Exis­tenz­grund­la­ge dar­stel­len, z. B. Auto­mo­bil­in­dus­trie, Bau­ge­wer­be.“ Schlüs­sel­in­dus­trien in Deutsch­land waren VW, Mer­ce­des und Thys­sen-Krupp, die auch die Bör­sen­wer­te bestimm­ten. Schon im Jah­re 2000 fand sich kein ein­zi­ges Unter­neh­men die­ser „Schlüs­sel­in­dus­trien“ mehr unter den welt­weit bör­sen­no­tier­ten Top 10.

Im August ver­mel­de­te die Süd­deut­sche Zei­tung: „Apple ist als ers­tes ame­ri­ka­ni­sches Unter­neh­men an der Bör­se mehr als eine Bil­li­on Dol­lar wert. Das ist eine Zahl mit zwölf Nul­len und deut­lich mehr, als die zehn größ­ten deut­schen Dax-Unter­neh­men zusam­men wert sind. […] Die fünf wert­volls­ten Kon­zer­ne der USA sind alle­samt Digi­tal-Unter­neh­men: Apple, Ama­zon, Goog­le, Micro­soft und Face­book.“ Die Wert­vor­stel­lun­gen von „Made in Ger­ma­ny“, der guten alten Wert­ar­beit, gera­ten nicht mehr nur ins Wan­ken, sie sind „Schnee von gestern“.

Für das Hand­werk der Ortho­pä­die-Tech­nik gilt dies genau­so wie für VW, Mer­ce­des und Co. Die Welt um uns her­um hat sich bereits ver­än­dert. Märk­te, Kun­den und Poli­ti­ker ticken heu­te kom­plett anders als noch im „ana­lo­gen“ Zeit­al­ter. Es heißt umden­ken, sich neu erfin­den. Und das nicht nur schnell, son­dern immer schneller.

Homo digi­ta­lis – Tech­nik und Mensch verschmelzen

Der BIV-OT unter­stütz­te von 2015 bis 2018 eine Son­der­aus­stel­lung im Rah­men der Deut­schen Arbeits­schutz­aus­stel­lung (DASA) in Dort­mund: „Die Robo­ter“. Die Aus­stel­lung zeig­te die Aus­ein­an­der­set­zung von Mensch und Tech­nik in fünf ver­schie­de­nen Aus­stel­lungs­räu­men. Der Besu­cher wur­de durch die Geschich­te die­ser nicht immer ein­fa­chen Ver­bin­dung geführt. Am Anfang steht der Mensch, der sich Maschi­nen bau­te, um sich ihrer Kraft und Ener­gie zu bedie­nen. Die Pro­duk­ti­vi­tät der Indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on brach­te das Ide­al des maschi­nier­ten Men­schen, des­sen Kör­per so effek­tiv wie eine Maschi­ne funk­tio­nie­ren soll­te wie in dem Film „Moder­ne Zei­ten“, in dem Char­lie Chap­lin ein Schre­ckens­bild der Über­macht von Maschi­nen über den Men­schen skiz­zier­te. Mit ihr ändert sich der gesam­te Lebens­ryth­mus der Gesell­schaft: Nicht mehr Natur und Land­wirt­schaft bestim­men, wann gear­bei­tet wird. Den Takt geben jetzt Maschi­nen an. Der Besu­cher wan­delt durch die Zeit und wei­te­re Mei­len­stei­ne der Robo­tik. Wenn der Besu­cher den letz­ten Raum erreicht hat, spricht er mit einer schö­nen Ava­tarin – Mensch und Tech­nik sind ver­schmol­zen. Wie weit die Ortho­pä­die-Tech­nik die­sem Ide­al in der öffent­li­chen Vor­stel­lung schon nahe­kommt, habe ich erst­mals in die­ser Aus­stel­lung begrif­fen: Der Inten­dant und Kura­tor der Aus­stel­lung ver­or­te­te die Leis­tun­gen der Ortho­pä­die-Tech­nik schlicht in den vor­letz­ten Raum, kurz bevor die end­gül­ti­ge Ver­schmel­zung zwi­schen Mensch und Maschi­ne real wird – also kurz vor dem Ava­tar. War­um? Wir erset­zen schon heu­te Kör­per­tei­le, und grei­fen damit in die Selbst­wahr­neh­mung und das Selbst­ver­ständ­nis des Men­schen ele­men­tar ein. Die Aus­stel­lung konn­te übri­gens das bes­te Ergeb­nis aller Aus­stel­lun­gen der DASA erzie­len: Mehr als 150.000 Besu­cher kamen und staun­ten über die Fas­zi­na­ti­on der Tech­nik. Die Aus­stel­lung wur­de mehr­fach verlängert.

Die Vor­stel­lung, der mensch­li­che Kör­per sei voll­kom­men, tech­ni­sche Hilfs­mit­tel sei­en ein Zei­chen der Unvoll­kom­men­heit, gilt heu­te längst nicht mehr als Com­mon Sen­se. Wir gehen heu­te davon aus, dass die Tech­nik uns in vie­len Din­gen über­le­gen ist. Ein Mei­len­stein im „Kampf zwi­schen Tech­nik und Mensch“ war der 10. Febru­ar 1996, als der Com­pu­ter Deep Blue den Schach­welt­meis­ter Gar­ri Kas­pa­row schlug.

Skep­ti­ker sahen damals die Mensch­heit in Gefahr und fürch­te­ten, Mensch­lich­keit wür­de bald auch in ande­ren Berei­chen durch kal­te Berech­nun­gen von Maschi­nen ersetzt wer­den. Schach­spie­ler glaub­ten, der Com­pu­ter wer­de „das Spiel der Köni­ge“ über­neh­men. Denn wel­chen Sinn soll­te es noch haben, sich mit Stra­te­gien zu beschäf­ti­gen, die eine Maschi­ne bes­ser beherrscht als jeder Mensch? Der Glau­be an die Über­le­gen­heit der Tech­nik spielt auch bei den Para­lym­pi­schen Spie­len heu­te eine Rol­le: Das bri­ti­sche para­lym­pi­sche Team läuft seit 2012 als „Super­hu­mans“ in die Are­na ein. Auch in einer ande­ren Hin­sicht waren die Spie­le 2012 ein Mei­len­stein: Erst­ma­lig trat ein Läu­fer sowohl bei den Para­lym­pics als auch bei den Olym­pi­schen Spie­len an –
Oscar Pis­to­ri­us lief als ers­ter ampu­tier­ter Sport­ler bei den Leicht­ath­le­ten. Die Para­lym­pics Lon­don erreich­ten dar­auf die größ­te Auf­merk­sam­keit und gel­ten heu­te bei vie­len als die „bes­se­ren Olym­pi­schen Spie­le“. Im dar­auf­fol­gen­den Jahr gewann Mar­kus Rehm als Unter­schen­kel­am­pu­tier­ter auch noch die „nor­ma­len“ Deut­schen Meis­ter­schaf­ten mit einer Wei­te von 8,24 m und der bezwun­ge­ne Ex-Euro­pa­meis­ter Chris­ti­an Reif mit zwei gesun­den Bei­nen bedank­te sich bei ihm für den fai­ren Wett­kampf. Nach Rehms Sieg hielt beim Deut­schen Olym­pi­schen Sport­bund aller­dings die gro­ße Tech­nik-Skep­sis Ein­zug, und Rehm durf­te an wei­te­ren Wett­kämp­fen nur noch außer Kon­kur­renz teil­neh­men. Die nächs­ten Spie­le wer­den 2020 in Japan statt­fin­den – im Land der Man­gas und Ava­tare. Elek­tro­ni­sche Haus­tie­re zäh­len als voll­wer­ti­ge Fami­li­en­mit­glie­der und wer­den fei­er­lich auf Robo­ter­fried­hö­fen beer­digt. Wäh­rend in west­li­chen Block­bus­tern die Robo­ter mehr­heit­lich noch ­„die Bösen“ dar­stel­len, ster­ben sie in japa­ni­schen Fil­men als „die Guten“, die die Welt ret­ten. Die Fas­zi­na­ti­on für Mensch und Tech­nik wird die Sta­di­en fül­len, und das Zusam­men­spiel von Mensch und Tech­nik wird neue Bil­der um die Welt sen­den und in unse­re Köp­fe bringen.

Auch die größ­te Ver­an­stal­tung für zukünf­ti­ge Trends SXSW (South by Sou­thwest) im texa­ni­schen Aus­tin zeigt jedes Jahr, wie sehr wir uns längst als digi­ta­le Wesen ver­ste­hen. Die SXSW ist eigent­lich eine rie­si­ge Cas­ting­show für die Block­bus­ter und Strea­ming-Sie­ger der nächs­ten Sai­son. Im März ver­wan­delt sich Aus­tin in eine rie­si­ge Büh­ne. Seit eini­gen Jah­ren ist die soge­nann­te SXSW Inter­ac­ti­ve Con­fe­rence ange­schlos­sen: Dort dis­ku­tie­ren soge­nann­te Influen­cer, wel­che Trends uns bewe­gen. Dabei geht es um unser Zusam­men­le­ben als Gesell­schaft: Wie gehen wir mit dem Kli­ma­wan­del um (eine inter­es­san­te Fra­ge in Texas), wel­che Erwar­tun­gen haben wir an unse­re Gesund­heit, wohin ent­wi­ckeln sich unse­re Groß­städ­te, was erwar­ten wir von unse­rer Poli­tik? Dort trifft man Ber­nie San­ders, Elon Musk und Melin­da Gates– sie tei­len ihre Visio­nen und Mis­sio­nen mit, skiz­zie­ren Her­aus­for­de­run­gen und Lösun­gen. Die Ses­si­ons hier­zu wer­den vor­ab von den Teil­neh­mern online bewer­tet: Wer gro­ßes Inter­es­se auf sich zieht, darf kommen.

Bereits zum zwei­ten Mal stimm­ten die Men­schen in die­sem Jahr für eine Ses­si­on zum The­ma „Extre­me Bio­nics“ – und sie woll­ten die Ses­si­on im größ­ten Raum. In einem mit mehr als tau­send Men­schen gefüll­ten Saal sprach Hans Georg Näder, Chef von Otto­bock, gemein­sam mit Hugh Herr vom Cen­ter for Extre­me Bionics/MIT Media Lab des Mas­sa­chu­setts Insti­tu­te of Tech­no­lo­gy (MIT) und mit Aimee Mul­lins, Para­lym­pics-Ath­le­tin, Schau­spie­le­rin und Super­mo­del für die Design-Tech-Bran­che, über For­schung, Trends und Visio­nen. Der Begriff der „Behin­de­rung“ – da sind und waren sich in Texas alle einig – sei in die­sem Zusam­men­hang nicht hilf­reich, denn den vor­geb­lich „nor­ma­len“ Men­schen wie einen Ide­al­ty­pus zu ver­wen­den sei in zwei­fa­cher Hin­sicht Unsinn: Ers­tens sei der „nor­ma­le“ Mensch heu­te kör­per­lich mit der Bewäl­ti­gung von Zivi­li­sa­ti­ons­krank­hei­ten beschäf­tigt, die ihn mit­un­ter genau­so oder mehr als jeden „behin­der­ten“ Men­schen ein­schrän­ken, zudem sei jeder Mensch grund­sätz­lich ein Indi­vi­du­um. Kein Mensch las­se sich von sei­nem Kör­per beschrän­ken – weder der „nor­ma­le“ noch der „behin­der­te“. Zwei­tens nut­zen wir schon heu­te die Tech­nik zur Erwei­te­rung unse­rer Fähig­kei­ten – das Smart­phone ist längst ein Teil von uns, das unse­re Kom­mu­ni­ka­ti­on und unse­re sozia­le Ver­net­zung prägt und sogar unse­re Gedächt­nis­leis­tung stei­gert. Die nahe Zukunft ver­spre­che hier ganz neue Ent­wick­lun­gen – die For­schung gehe dahin, Mensch und Tech­nik immer mehr zu ver­schmel­zen: eine künst­li­che Netz­haut, künst­li­che Ner­ven­fa­sern, künst­li­che Schnitt­stel­len zum Bewusst­sein. In einer Zeit, die das Publi­kum sicher noch erle­ben wer­de, wür­den dem Men­schen durch die Tech­nik ganz neue Wahr­neh­mungs­wel­ten eröffnet.

Hugh Herr fragt gar: „War­um sol­len wir in Zukunft noch Sport­ar­ten der Olym­pia­de nach­ei­fern – erfin­den wir ein­fach etwas Neu­es mit unse­ren neu­en Kör­pern: War­um tre­ten wir nicht im Flie­gen gegen­ein­an­der an?“ Hans Georg Näder berich­tet von sei­nen Visio­nen, die es allen Men­schen in Zukunft erlau­ben wer­den, mit tech­ni­schen Hilfs­mit­teln ihre Mög­lich­kei­ten unbe­grenzt zu erwei­tern. Er legt dar, war­um er so viel Geld in die For­schung an der Schnitt­stel­le zum Ner­ven­sys­tem inves­tiert und berich­tet in die­sem Zusam­men­hang von den Leis­tun­gen „füh­len­der“ Pro­the­sen und von moder­nen Exo­ske­let­ten, die es Men­schen in Zukunft ermög­li­chen wer­den, auch mit einer Quer­schnitt­läh­mung selbst­stän­dig zu gehen und die künf­tig in der Arbeits­welt hel­fen wer­den, gro­ße Las­ten leicht zu bewegen.

Kaum ist die SXSW 2018 vor­bei, ver­mel­det Näder im Som­mer, dass sein Unter­neh­men ein Pilot­pro­jekt zu Exo­ske­let­ten im Arbeits­all­tag in Zusam­men­ar­beit mit dem Auto­mo­bil­her­stel­ler VW star­tet. Auch das neue C‑Brace, eine com­pu­ter­ge­steu­er­te Bein­or­the­se, ver­steht Näder nicht als „hel­fen­de Orthe­se“, son­dern als Exo­ske­lett. Denn sie stützt nicht nur das Bein – mit ihr kön­nen lah­me Pati­en­ten wie­der gehen. Näder will, wie er bei sei­nem SXSW-Vor­trag aus­führt, dass Tech­nik nicht nur aus­gleicht, son­dern den Men­schen neu befä­higt. Sei­ne Hilfs­mit­tel sol­len dem Men­schen Frei­heit bie­ten: Er soll selbst ent­schei­den kön­nen, was ihn behin­dert und was nicht. Die Teil­neh­mer der Ses­si­on sind begeis­tert. Als ich in die­sem Jahr die SXSW in Aus­tin besuch­te, konn­te ich mir noch ein ganz ande­res Bild von der Digi­ta­li­sie­rung machen: Im Broo­ke Army Medi­cal Cen­ter in San Anto­nio wer­den pro­the­tisch ver­sorg­te Sol­da­ten per vir­tu­el­ler Rea­li­tät („vir­tu­al rea­li­ty“, VR) auf erneu­te Ein­sät­ze vor­be­rei­tet (hier zu sehen). Im soge­nann­ten CAREN kön­nen alle belie­bi­gen Gefechts­si­tua­tio­nen nach­ge­stellt wer­den. Auch das bedeu­tet „Reha­bi­li­ta­ti­on 4.0“.

Auch die größ­te Fach­ver­an­stal­tung der Ortho­pä­die-Tech­nik welt­weit, die OTWorld, zeigt, wohin es mit der Digi­ta­li­sie­rung geht oder zumin­dest gehen kann. Natur­ge­mäß über­wiegt auf Fach­ver­an­stal­tun­gen die Skep­sis – auf deut­schen erst recht. Aber auch hier kann man nicht nur anhand der Zwi­schen­tö­ne erle­ben, wie sehr wir uns längst auf den „neu­en“ Men­schen ein­ge­stellt haben. Auf der Eröff­nungs­ver­an­stal­tung der OTWorld wur­de die Fra­ge nach den Gren­zen moder­ner Pro­the­tik gestellt. Die Fach­welt der OT ist sich einig: Das größ­te Pro­blem der Zukunft wird nicht mehr der Umfang der Funk­tio­nen sein, die ein künst­li­ches Kör­per­teil bie­tet. Das Haupt­pro­blem wird die Fra­ge sein: Wel­ches Ver­ständ­nis bringt der Pati­ent bzw. der Anwen­der mit – akzep­tiert er die Tech­nik als Bestand­teil sei­nes Ichs oder lehnt er sie ab? Eine inter­es­san­te Aus­kunft, die bei den Kran­ken­kas­sen und in unse­rem Bil­dungs­sys­tem noch nicht ange­kom­men ist. Auch ande­re müs­sen sich erst an die „neue Welt“ gewöh­nen. Eines der High­light-The­men ist natür­lich die Digi­ta­li­sie­rung – ein so viel­schich­ti­ges Phä­no­men, dass es sich nicht. in ein paar Sät­zen auf den Punkt brin­gen lässt. Einen Aus­schnitt ver­mit­telt der Kas­ten „Digi­ta­li­sie­rung auf der OTWorld“. Schon die Lis­te zeigt, wie sehr wir uns mit die­sem The­ma der­zeit auseinandersetzen.

Wer sich über die Zukunft sei­nes Beru­fes infor­mie­ren will und sich schon heu­te fragt, wie viel davon in Zukunft ein Robo­ter über­neh­men kann, dem stellt das Insti­tut für Arbeits­markt und Berufs­for­schung (IAB), die For­schungs­ein­rich­tung der Bun­des­agen­tur für Arbeit, seit Anfang die­ses Jah­res ein beson­de­res Tool zur Ver­fü­gung: den Job-Futu­ro­ma­ten 2018. Teilt man dem Futu­ro­ma­ten mit, dass man als „Orthopädietechniker/in“ arbei­te, ant­wor­tet die­ser wie folgt: Der Arbeits­all­tag die­ses Berufs besteht im Wesent­li­chen aus 10 ver­schie­de­nen Tätig­kei­ten, 7 davon könn­ten „theo­re­tisch schon heu­te“ Robo­ter über­neh­men. Dazu zäh­len das Model­lie­ren, die Kunst­stoff­ver­ar­bei­tung, die Orthe­sen­fer­ti­gung, Fer­ti­gungs- und Auf­trags­steue­rung, die Qualitätsprüfung/Qualitätssicherung, die Ortho­pä­die- und Reha­tech­nik und die Pro­the­sen­fer­ti­gung. Nur die Pla­nung des Betriebs­mit­tel­ein­sat­zes, die Arbeits­vor­be­rei­tung und die orthopädische
Zurich­tung am Pati­en­ten sei­en uner­setz­bar. Wer es genau­er wis­sen möch­te, der kann auch sei­ne Ein­satz­be­rei­che gewich­ten und damit die „Sub­sti­tu­ier­bar­keit“ sei­nes Beru­fes genauer
ermit­teln. Dabei gilt: Wer viel am Pati­en­ten arbei­tet, kann weni­ger gut durch einen Robo­ter ersetzt werden.

Wer den ers­ten Schre­cken ver­daut hat und die FAQ des Futu­ro­ma­ten kon­sul­tiert, wird schon ruhi­ger. Dort heißt es: „Ist eine Tätig­keit im Job-Futu­ro­ma­ten ersetz­bar, bedeu­tet dies aller­dings nicht, dass sie heu­te schon durch Com­pu­ter oder com­pu­ter­ge­steu­er­te Maschi­nen aus­ge­führt wird. Mög­li­cher­wei­se ist die mensch­li­che Arbeit wirt­schaft­li­cher, fle­xi­bler oder von bes­se­rer Qua­li­tät. Das Sub­sti­tu­ier­bar­keits­po­ten­zi­al steht also ledig­lich für das Poten­zi­al, dass Tei­le eines Berufs im Prin­zip durch Com­pu­ter oder com­pu­ter­ge­steu­er­te Maschi­nen ersetzt wer­den könn­ten. Damit sagt der Job-Futu­ro­mat aller­dings durch­aus etwas über die Zukunft der Beru­fe aus. Es ist sehr wahr­schein­lich, dass sich die­se Beru­fe und die in die­sem Beruf zu erle­di­gen­den Tätig­kei­ten ver­än­dern wer­den. Wäh­rend die ersetz­ba­ren Tätig­kei­ten von Com­pu­tern oder com­pu­ter­ge­steu­er­ten Maschi­nen über­nom­men wer­den, müs­sen die nicht ersetz­ba­ren Tätig­kei­ten wei­ter­hin von Men­schen erle­digt wer­den; und es kom­men neu zu erle­di­gen­de Tätig­kei­ten hin­zu: Die neu­en Maschi­nen müs­sen bedient, kon­trol­liert, gewar­tet, gebaut und (weiter-)entwickelt wer­den. Die Ver­än­de­rung der Beru­fe bedeu­tet, dass Wei­ter­bil­dung im Job wich­ti­ger wird.“ Es ist zu hof­fen, dass jeder an unse­rem Fach inter­es­sier­te Mensch die­se wich­ti­gen Infor­ma­tio­nen in der FAQ des Futu­ro­ma­ten auch fin­det. Es ist ärger­lich, dass erst im „Klein­ge­druck­ten“ dar­auf ver­wie­sen wird, wie wich­tig Qua­li­tät, Fle­xi­bi­li­tät und Wirt­schaft­lich­keit in unse­rem Beruf sind, die aber lei­der nicht berück­sich­tigt wer­den. Scha­de auch, dass die Aus­sa­ge, dass Wei­ter­bil­dung immer wich­ti­ger wird, so ver­steckt wird. Den­noch fin­de ich es gut, dass es sol­che Futu­ro­ma­ten gibt, die sen­si­bi­li­sie­ren, auf­rüt­teln und eine Aus­ein­an­der­set­zung anstoßen.

Und irgend­wie beru­higt mich auch die gan­ze Dis­kus­si­on über die Digi­ta­li­sie­rung. Denn eins ist sicher: Die Ortho­pä­die-Tech­nik arbei­tet seit jeher an der Schnitt­stel­le von Mensch und Tech­nik. Wir wis­sen um die Ana­to­mie des Men­schen und wie wir sei­ne Funk­tio­nen tech­nisch nach­bil­den. Wir wis­sen, wel­che Mate­ria­li­en wie aus­ge­wählt, ver­formt, gedruckt, ver­ar­bei­tet und mit­ein­an­der ver­bun­den wer­den müs­sen und wie wir damit bes­te Ergeb­nis­se erzie­len. Wir erwei­tern mit Tech­nik die Fähig­kei­ten des Men­schen – täg­lich. Das haben Ortho­pä­die-Tech­ni­ker gelernt und zu
ihrer Beru­fung gemacht. Wer soll­te daher im digi­ta­len Zeit­al­ter bes­ser ver­ste­hen als wir, mit wel­cher Tech­nik wir uns in der Zukunft bewe­gen werden?

Kirs­ten Abel

Tei­len Sie die­sen Inhalt