Dr. Ulrich Haf­ke­mey­er: Ver­sor­gungs­qua­li­tät ist eine Teamarbeit

Als Orthopäde, Kinderorthopäde sowie ausgebildeter Physio- und Bobath-Therapeut verfügt Dr. med. Ulrich Hafkemeyer als Chefarzt am Sozialpädiatrischen Zentrum Westmünsterland der Christophorus Kliniken Coesfeld über ein interprofessionelles Know-how, das jungen Patientinnen und Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet und mittlerweile auch aus Österreich, der Schweiz und den Benelux-Ländern zugutekommt. Im Interview gibt er eine Übersicht über das Versorgungsteam am SPZ, hebt die Zusammenarbeit mit der Orthopädie-Technik und Orthopädie-Schuhtechnik hervor und erklärt ausführlich die Versorgung von Schlaganfallpatienten mit einer dynamischen Unterschenkelorthese in Prepreg-Technik nach Hafkemeyer.

OT: Was zeich­net das Ver­sor­gungs­an­ge­bot des SPZ West­müns­ter­land im beson­de­ren Maße aus?

Dr. Ulrich Haf­ke­mey­er: Beim SPZ West­müns­ter­land han­delt es sich um ein sozi­al­päd­ia­tri­sches Zen­trum, das in der Flä­che agiert und nicht an einem Ort. Die­ses allein ist schon eine Beson­der­heit, wie sie nur an weni­gen Orten in der Bun­des­re­pu­blik zur Ver­fü­gung steht. Des Wei­te­ren sind die Schwer­punk­te im SPZ eben­falls beson­de­re, da neben der klas­si­schen Sozi­al­päd­ia­trie auch neu­ro­or­tho­pä­di­sche Pati­en­ten gese­hen wer­den, die spe­zi­ell unter kin­der­or­tho­pä­di­schen Gesichts­punk­ten hin­sicht­lich ihrer reha­tech­ni­schen Ver­sor­gung unter­sucht und behan­delt wer­den. Die reha­tech­ni­schen Ver­sor­gun­gen umfas­sen Aspek­te der Lage­rung, der Ver­ti­ka­li­sie­rung und der Mobi­li­sa­ti­on, sowie des Wei­te­ren ortho­pä­die­tech­ni­sche Ver­sor­gun­gen wie Orthe­sen für die obe­re und unte­re Extre­mi­tät, für den Rumpf, sowie ortho­pä­die­schuh­tech­ni­sche Ver­sor­gun­gen von der plantaren Fuß­or­the­se über die Ein­la­ge, bis hin zum Maßschuh.

Bei Pati­en­ten mit ange­bo­re­nen Fehl­bil­dun­gen oder feh­len­den Glied­ma­ßen müs­sen orthop­ro­the­ti­sche und pro­the­ti­sche Hilfs­mit­tel ver­ord­net wer­den. Alle Hilfs­mit­tel wer­den nach Geneh­mi­gung und Fer­ti­gung, sowie einer Erpro­bungs­pha­se im All­tags­ge­brauch erneut vor­ge­stellt, um eine medi­zi­ni­sche Hilfs­mit­tel­ab­nah­me am Pati­en­ten durch­zu­füh­ren, um auch die Wir­kung der Hilfs­mit­tel objek­ti­vie­ren zu können.

OT: Geben Sie uns bit­te einen Über­blick über Ihr inter­dis­zi­pli­nä­res Versorgungsteam!

Haf­ke­mey­er: Das inter­dis­zi­pli­nä­re Ver­sor­gungs­team der neu­ro­or­tho­pä­di­schen Sprech­stun­de im SPZ West­müns­ter­land umfasst eine Kin­der­or­tho­pä­din, einen Kin­der­arzt mit zehn­jäh­ri­ger Exper­ti­se für Tech­ni­sche Ortho­pä­die, einen Kinderorthopäden/Neuroorthopäden mit dem Schwer­punkt Tech­ni­sche Ortho­pä­die, einem Team im Gang­la­bor bestehend aus einer Phy­si­ke­rin, einer Medi­zin­in­ge­nieu­rin und einer Sport­wis­sen­schaft­le­rin, einem reha­tech­ni­schen Bera­tungs­team bestehend aus einer Phy­sio­the­ra­peu­tin mit Bobath-Aus­bil­dung, einem Ergo­the­ra­peu­ten, einer Phy­sio­the­ra­peu­tin mit der spe­zi­el­len Exper­ti­se zur Behand­lung mehr­fach­be­hin­der­ter Kin­der mit zusätz­li­cher Bobath-Aus­bil­dung, sowie zwei medi­zi­ni­schen Fach­an­ge­stell­ten, die die Sprech­stun­de beglei­ten und orga­ni­sa­to­risch tätig sind.

OT: Wie sieht die Zusam­men­ar­beit mit der Ortho­pä­die-Tech­nik im Kon­kre­ten aus?

Haf­ke­mey­er: Bei jedem Pati­en­ten, der in der neu­ro­or­tho­pä­di­schen Sprech­stun­de im SPZ West­müns­ter­land vor­ge­stellt wird, wird zunächst eine umfang­rei­che Ana­mne­se erho­ben, bei der auch die sta­to­mo­to­ri­schen und kogni­ti­ven Fähig­kei­ten ein­ge­schätzt wer­den. Kon­kret wer­den vie­le Pati­en­ten in Beglei­tung ihrer Eltern, häu­fig auch in Beglei­tung ihrer behan­deln­den Phy­sio­the­ra­peu­ten vor­ge­stellt. Oft wird auch bei spe­zi­el­len Fra­ge­stel­lun­gen der Reha­tech­ni­ker oder Ortho­pä­die­tech­ni­ker oder Ortho­pä­die­schuh­tech­ni­ker hin­zu­ge­zo­gen, wenn er nicht ohne­hin schon ande­re Pati­en­ten im SPZ beglei­tet. Gele­gent­lich wer­den auch Sprech­stun­den­ter­mi­ne abge­hal­ten, in denen Pati­en­ten ver­schie­de­ner Sani­täts­häu­ser vor­ge­stellt, unter­sucht und behan­delt wer­den. Es besteht häu­fig ein unmit­tel­ba­rer Kon­takt zur Ortho­pä­die-Tech­nik, da bei den Unter­su­chun­gen und Befund­er­he­bun­gen der ver­sor­gen­de Ortho­pä­die­tech­ni­ker-Meis­ter die­sen Pati­en­ten ver­sor­gen möch­te. Dabei sind die erlang­ten Infor­ma­tio­nen für die Qua­li­tät der Arbeit im SPZ von ent­schei­den­der Bedeu­tung. Mehr­fach im Jahr kommt es vor, dass für einen bestimm­ten Leis­tungs­er­brin­ger ein gan­zer Tag geblockt wird, an dem er sei­ne Pati­en­ten hier zur Kon­trol­le vor­stellt und even­tu­ell auch befund­be­ding­te Neu­ver­sor­gun­gen kon­zep­tio­nell bespro­chen werden.

OT: Wie vie­le Ver­sor­gun­gen leis­ten Sie und Ihr Team jährlich?

Haf­ke­mey­er: Das SPZ West­müns­ter­land gehört bun­des­weit zu den größ­ten Sozi­al­päd­ia­tri­schen Zen­tren, in dem mehr als 10.000 Behand­lun­gen im Jahr durch­ge­führt wer­den. Die neu­ro­or­tho­pä­di­schen Unter­su­chun­gen umfas­sen im Jahr ca. 3.200 bis 3.400 Behand­lun­gen, wobei etwa 2000 Pati­en­ten pro Jahr vor­ge­stellt wer­den. Hin­zu kom­men noch etwa 500 wei­te­re Pati­en­ten, die im sozi­al­päd­ia­tri­schen Ambu­lanz- und The­ra­pie­zen­trum (SPATZ) am Lud­mil­len-Stift in Meppen vor­ge­stellt, unter­sucht und behan­delt wer­den. Die­ses geschieht in einem wöchent­li­chen Rhyth­mus wäh­rend des gesam­ten Jah­res. Auch dort gibt es eine inten­si­ve Zusam­men­ar­beit zwi­schen Ortho­pä­die­schuh­ma­chern, Ortho­pä­die­tech­ni­kern und Rehatechnikern.

OT: In wel­chem Maße war und ist die inter­pro­fes­sio­nel­le Zusam­men­ar­beit durch die coro­nabe­ding­ten Begeg­nungs- und Hygie­ne­vor­schrif­ten eingeschränkt?

Haf­ke­mey­er: Seit Mit­te März 2020 konn­te durch die bun­des­weit grei­fen­den Schutz­maß­nah­men der gewohn­te Ver­sor­gungs­rah­men nicht mehr auf­ge­hal­ten wer­den. Es war zunächst eine voll­stän­di­ge Kon­takt­sper­re für ca. drei Wochen fest­ge­legt wor­den. Mit redu­zier­ten Infek­ti­ons­zah­len ein­her­ge­hend, konn­te die Anzahl der Ver­sor­gun­gen wie­der gestei­gert wer­den konn­te. Jetzt, also rund 5 Mona­te nach Beginn der umgrei­fen­den Coro­na-Pan­de­mie in Deutsch­land ist der Betrieb immer noch nicht zu 100% wie­der akti­viert, wobei auch im Beson­de­ren die schwerst­mehr­fach behin­der­ten Men­schen als Hoch­ri­si­ko­pa­ti­en­ten gel­ten, die nicht unbe­dingt in die Nähe von Kran­ken­häu­sern gebracht wer­den möch­ten. Hier wur­de wäh­rend der aku­ten Pan­de­mie-Peri­ode sehr häu­fig tele­fo­nisch Kon­takt mit den Pati­en­ten auf­ge­nom­men und eine tele­fo­ni­sche Bera­tung ange­bo­ten, wenn die­ses der Sach­ver­halt mög­lich mach­te. Auch jetzt bestehen noch umfang­rei­che Begeg­nungs- und Hygie­ne­vor­schrif­ten, die einen Nor­mal­be­trieb im SPZ und spe­zi­ell in der neu­ro­or­tho­pä­di­schen Sprech­stun­de noch nicht mög­lich machen.

OT: Ihr Arbeit­ge­ber, die Chris­to­pho­rus-Kli­ni­ken mit Stand­or­ten, Coes­feld, Dül­men und Not­tuln, konn­te im Juli 2019 in Not­tuln die Eröff­nung des Medi­zi­ni­schen Zen­trums für Men­schen mit Behin­de­rung (MZEB) fei­ern. Kurz dar­auf folg­te ein Ein­spruch der Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung West­fa­len-Lip­pe (KVWL). Wel­che Kon­se­quen­zen brach­te die­se Ent­schei­dung für den Trä­ger und die poten­zi­el­len Pati­en­ten mit sich?

Haf­ke­mey­er: Die­ses The­ma berührt mich bereits seit vie­len Jah­ren. Im SPZ West­müns­ter­land kön­nen nach den Vor­ga­ben der Kos­ten­trä­ger nur Pati­en­ten bis zur Voll­endung des 18. Lebens­jah­res behan­delt wer­den. Dar­über hin­aus müs­sen die­se Pati­en­ten streng genom­men wie­der in den nie­der­ge­las­se­nen Bereich, wo oft­mals die Zeit fehlt, eine umfang­rei­che ganz­heit­li­che Unter­su­chung und Beur­tei­lung des Pati­en­ten vor­zu­neh­men. Auch die detail­lier­ten Bespre­chun­gen und Indi­ka­tio­nen für Hilfs­mit­tel kön­nen hier oft­mals nicht geleis­tet wer­den, da auch das Know-how bei den nie­der­ge­las­se­nen Kol­le­gen hin­sicht­lich spe­zi­el­ler ortho­pä­die­tech­ni­scher Ver­sor­gun­gen fehlt. Des Wei­te­ren sind alle mei­ne Pati­en­ten mit neu­ro­or­tho­pä­di­schen Erkran­kungs­bil­dern mit 18 Jah­ren nicht gesund, so dass in Deutsch­land noch immer eine Ver­sor­gungs­lü­cke für Pati­en­ten besteht, die mehr­fach behin­dert sind und wei­te­re Behand­lun­gen benö­ti­gen, jedoch das 18. Lebens­jahr über­schrit­ten haben. Oft­mals wird die­sen Pati­en­ten gera­ten, in die Uni­ver­si­täts­kli­ni­ken zu gehen, was grund­sätz­lich kor­rekt ist. Jedoch ist es in den gro­ßen Kli­ni­ken nicht mög­lich, eine Kon­ti­nui­tät in der ärzt­li­chen Beur­tei­lung und Ver­sor­gung sowie Betreu­ung der Pati­en­ten sicherzustellen.

OT: Für 2021 ist nun die end­gül­ti­ge Eröff­nung am Stand­ort Coes­feld geplant. Wie lie­gen Sie hier im Fahrplan?

Haf­ke­mey­er: Nach dem aktu­el­len Stand der Ver­hand­lun­gen wur­de nicht zuletzt auch durch den öffent­li­chen Druck durch Pres­se­mit­tei­lun­gen klar, dass eine wei­te­re Ableh­nung nicht akzep­tiert wird. Die Not­wen­dig­keit für die Wei­ter­be­hand­lung von Men­schen mit Behin­de­rung über das 18. Lebens­jahr hin­aus wird inzwi­schen über­all als not­wen­dig ange­se­hen, so dass auch von der Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung jetzt im Geneh­mi­gungs­pro­zess signa­li­siert wur­de, dass man sich auf einen Kom­pro­miss eini­gen möch­te, der eine zwei­jäh­ri­ge, zeit­lich begrenz­te Fort­füh­rung eines MZEB in Not­tuln erlaubt, wobei nach Ablauf die­ser zwei Jah­re dann ein MZEB an den Chris­to­pho­rus-Kli­ni­ken in Coes­feld ein­ge­rich­tet wor­den sein muss. Die­ses wür­de den Druck jetzt etwas ent­las­ten und uns die Mög­lich­keit geben, auch die­sen Pati­en­ten über das 18. Lebens­jahr hin­aus eine spe­zi­el­le Behand­lung und Wei­ter­be­glei­tung zu ermöglichen.

OT: Sie haben in den ver­gan­ge­nen Jah­ren die Ver­sor­gung von Schlag­an­fall-Pati­en­ten mit einer dyna­mi­schen Unter­schen­kel­or­the­se in Pre­preg-Tech­nik kon­ti­nu­ier­lich wei­ter­ent­wi­ckelt. Was zeich­net Ihr Kon­zept im Spe­zi­el­len aus?

Haf­ke­mey­er: Die dyna­mi­sche Unter­schen­kel­or­the­se in Pre­preg-Tech­nik nach Haf­ke­mey­er hat sich seit 2005 kon­ti­nu­ier­lich wei­ter­ent­wi­ckelt, so dass die anfäng­li­chen Mate­ri­al­schwie­rig­kei­ten inzwi­schen voll­stän­dig auf­ge­ho­ben sind. Häu­fi­ge Brü­che, die zum Anfang noch etwa mehr als 10 Pro­zent betru­gen, konn­ten inzwi­schen auf 1 Pro­zent redu­ziert wer­den. Auch die Kon­zep­ti­on der Orthe­sen­ver­sor­gung hat sich ver­än­dert. Wir sind heu­te in der Lage, hoch­va­ria­bel für den ein­zel­nen Pati­en­ten befund­ent­spre­chend und ent­spre­chend sei­ner Bedürf­nis­se die Kar­bon­fe­dern indi­vi­du­ell zu gestal­ten, so dass ein größt­mög­li­cher Aus­gleich der Behin­de­rung mit die­sem Hilfs­mit­tel erzielt wer­den kann. Nicht nur Schlag­an­fall-Pati­en­ten, son­dern auch Pati­en­ten mit einer bila­te­ra­len Cere­bral­pa­re­se sind inzwi­schen in einer gro­ßen Zahl erfolg­reich mit die­sen dyna­mi­schen Unter­schen­kel­or­the­sen in Pre­preg-Tech­nik ver­sorgt wor­den und erfreu­en sich einer gro­ßen Mobi­li­tät, da hoch­in­di­vi­du­ell an den Befund und die Funk­ti­on des Pati­en­ten die­se Ver­sor­gung ange­passt wer­den kann. Stan­da­ri­sier­te Ver­fah­ren exis­tie­ren hier nicht, es gibt jedoch ein grund­sätz­li­ches Kon­zept, das jeweils an die Befund­si­tua­ti­on ange­passt wer­den muss. Die Stär­ke der Kar­bon­fe­der, die Art der Fuß­fas­sung, die medi­al oder late­ral ver­stärk­te Unter­stüt­zung, die Kon­dylen­fas­sung, die Kon­zep­ti­on der Kar­bon­fe­der in ihrem Ver­lauf sind ein­zel­ne „Bau­stei­ne“, die indi­vi­du­ell auf den Pati­en­ten abge­stellt wer­den kön­nen. Das ultra­leich­te Gewicht, die rasche und pro­blem­lo­se Hand­ha­bung und die Nut­zung von Kon­fek­ti­ons­schu­hen wird von den Pati­en­ten hoch­ge­schätzt. Für Kin­der- und Jugend­li­che liegt das Gewicht einer sol­chen Orthe­se oft­mals zwi­schen 150 und 250 Gramm. Bei Erwach­se­nen kön­nen auch schon mal Gewich­te von etwa 350 Gramm erreicht wer­den. Gemes­sen an den ursprüng­li­chen Ver­sor­gun­gen frü­he­rer Jah­re in Stahl- und Leder­tech­nik konn­ten die Gewich­te inzwi­schen deut­lich redu­ziert wer­den und betra­gen oft­mals nur noch einen Bruch­teil der ursprüng­li­chen Ver­sor­gun­gen. Die­ses gerin­ge Gewicht führt zu einer hohen Akzep­tanz, die­se zu einer lan­gen Tra­ge­zeit und die­se zu einem deut­lich posi­ti­ven Wir­kungs­er­geb­nis. Bun­des­weit wird inzwi­schen die Qua­li­tät die­ser Orthe­sen­ver­sor­gung erkannt und in vie­len Reha­kli­ni­ken und zahl­rei­chen ande­ren Ein­rich­tun­gen wird auf die dyna­mi­sche Unter­schen­kel­or­the­se in Pre­preg-Tech­nik immer wie­der hin­ge­wie­sen. Der Pro­zess der Wei­ter­ent­wick­lung ist noch nicht abge­schlos­sen. Die voll­kon­tak­ti­ge Fuß­fas­sung in wei­test­ge­hend ana­to­mi­scher Kor­rek­tur und der lan­ge Kor­rek­tur­he­bel über die Kar­bon­fe­der sind in der Lage, die Spas­tik in der Peri­phe­rie zu „bän­di­gen“, so dass es zu einer „Beru­hi­gung“ der Tonus­ver­hält­nis­se kommt, was wie­der­um für die Funk­ti­on von ent­schei­den­der Bedeu­tung ist. Die tibia­le Kon­dylen­um­grei­fung führt zu einer siche­ren Fix­a­ti­on der Orthe­se am Unter­schen­kel und zu einer deut­lich ener­gie­rück­ge­ben­den Wir­kung über den lan­gen Kar­bon­he­bel. Wir haben inzwi­schen halb­sei­tig gelähm­te Pati­en­ten ver­sorgt, die mit die­sen Orthe­sen Sport betrei­ben. Unter unse­ren Pati­en­ten ist bereits eine Pati­en­tin mit uni­la­te­ra­ler Cere­bral­pa­re­se, die sich jetzt Welt­meis­te­rin in ihrer Alters­klas­se im Kugel­sto­ßen nen­nen darf. Bei ihr hat­ten wir die Orthe­se so kon­zi­piert, dass eine spe­zi­el­le Kon­fi­gu­ra­ti­on der Kar­bon­fe­der eine noch grö­ße­re rück­he­beln­de und Ener­gie rück­ge­win­nen­de Funk­ti­on generiert.

Die hohe indi­vi­du­el­le Kon­zep­ti­on die­ser Orthe­se, die im Wesent­li­chen aus drei Antei­len besteht, erfreut sich einer immer grö­ße­ren Beliebt­heit und einer immer grö­ße­ren Akzep­tanz bei den Pati­en­ten. Die Fuß­fas­sung, der lan­ge Unter­schen­kel-Kar­bon­he­bel und die tibia­le Kon­dylen­um­grei­fung sind hier so varia­bel anzu­fer­ti­gen, dass sie auf das jewei­li­ge Gang­bild des Pati­en­ten abge­stellt wer­den kann.

OT: Wel­che Rol­le spielt die Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik bei der geschil­der­ten Versorgung?

Haf­ke­mey­er: Der Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik kommt hier eine wesent­li­che Rol­le zu, da ohne den geeig­ne­ten Schuh und der mit­un­ter häu­fig not­wen­di­gen Schuh­zu­rich­tung die Wir­kung die­ser Orthe­se limi­tiert ist. Ein pass­ge­rech­ter Schuh in Län­ge, Wei­te und Volu­men ist die Grund­vor­aus­set­zung für die Nut­zung die­ser Orthe­se. Häu­fig sind Stel­lungs­kor­rek­tu­ren wie late­ra­ler oder media­ler Schuh­bo­den­aus­bau eine vor­fuß­pro­nie­ren­de Unter­stüt­zung. Sie oder eine vor- bzw. rück­la­ger­te Abroll­soh­le sind not­wen­dig, um die Wir­kungs­wei­se der dyna­mi­schen Unter­schen­kel­or­the­se in Pre­preg-Tech­nik nach Haf­ke­mey­er zu opti­mie­ren bzw. zu unter­stüt­zen. Unter dem Begriff „Fein­tu­ning“ wer­den die Pati­en­ten nach Fer­tig­stel­lung der Orthe­sen­ver­sor­gung wie­der vor­stel­lig, um eine ortho­pä­die­tech­ni­sche Hilfs­mit­tel­ab­nah­me durch­zu­füh­ren, zu der selbst­ver­ständ­lich auch der Schuh gehört, der für das Tra­gen der Orthe­se ver­wen­det wird. Hier sind oft­mals fili­gra­ne Ver­än­de­run­gen not­wen­dig, um die Opti­mie­rung der Fuß­ab­wick­lung zu erreichen.

OT: In wel­chem Maße kann das Gang­bild des Pati­en­ten maß­geb­lich und nach­hal­tig durch die Orthe­sen­ver­sor­gung ver­bes­sert werden?

Haf­ke­mey­er: Wie ich bereits erwähnt habe, ist die Orthe­se in der Lage, durch ihre indi­vi­du­el­le voll­kon­tak­ti­ge Fuß­fas­sung in ana­to­mi­scher Kor­rek­tur von OSG, USG, Längs­wöl­bung und Rück­fuß die feh­ler­haf­te spas­ti­sche Inner­va­ti­on des Fußes zu unter­bin­den und eine kor­rek­te sta­ti­sche Kor­rek­tur des Fußes zu errei­chen. Durch die Kar­bon­fe­der ist das obe­re Sprung­ge­lenk nicht arre­tiert, son­dern beweg­lich, wobei je nach Kon­zep­ti­on und Här­te­grad der Kar­bon­fe­der hier die Bewe­gungs­um­fän­ge limi­tiert wer­den. Durch die orthe­ti­sche Ver­sor­gung kommt es zu einer ver­bes­ser­ten Bewe­gung und Hal­tungs- und Bewe­gungs­kon­trol­le, zu einem pri­mä­ren Fer­sen­kon­takt und zu einer phy­sio­lo­gi­schen Fuß­ab­lö­sung durch die Ener­gie­rück­ge­win­nung am Ende der Belas­tungs­pha­se. Ohne die Orthe­sen­ver­sor­gung zei­gen die­se Pati­en­ten in der Regel ein retro­gra­des Gang­bild mit pri­mä­rem Vor­fuß­kon­takt und sekun­dä­rer Fer­sen­be­las­tung, was durch die Orthe­sen­ver­sor­gung nor­ma­li­siert wird. Durch die Deh­nung der ver­kürz­ten Waden­mus­ku­la­tur über die Kar­bon­fe­der kommt es zu einer dyna­mi­schen Kon­trak­tur­pro­phy­la­xe, so dass die ver­kürz­te Mus­ku­la­tur des Mus­ku­lus tri­ceps surae häu­fig durch die Dyna­mi­sie­rung der Orthe­se pro­fi­tiert und suk­zes­siv an Län­ge gewinnt, so dass die spas­ti­sche Bewe­gungs­ein­schrän­kung hier­durch redu­ziert wird. Die Stand- und Gang­si­cher­heit sind wei­te­re Aspek­te, die mit der Orthe­se erreicht wer­den. Auch die Leis­tungs­fä­hig­keit des Pati­en­ten, der Akti­ons­ra­di­us und die Mobi­li­tät pro­fi­tie­ren ganz häu­fig, ins­be­son­de­re auch bei jün­ge­ren Pati­en­ten, bei denen die Spas­tik eine deut­li­che Limi­tie­rung in ihrem Bewe­gungs­ra­di­us darstellt.

Die Fra­gen stell­te Micha­el Blatt.

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