Trans­ku­ta­ne osseo­in­te­grier­te Pro­the­sen­sys­te­me (TOPS)

P. Schröter, Ch. Müller, B. Oelßner
Majoramputationen stellen für Betroffene einen erheblichen Einschnitt in ihre Lebensführung dar. Seit es Amputationen gibt, versucht der Mensch, den Funktionsverlust mit prothetischen Hilfsmitteln auszugleichen. Dabei stellen schaftgeführte Prothesensysteme den “Goldstandard" der Versorgung dar. Aber jeder Anwender kennt die möglichen Weichteilprobleme. Diese führen unter Umständen nicht nur zur eingeschränkten, sondern manchmal sogar zur unmöglichen Nutzung der Prothese. Seit den 90er Jahren des 20. Jahrhundert wird mittlerweile weltweit an der Möglichkeit knochengeführter Prothesensysteme geforscht und damit auch bereits sicher versorgt. Die knochengeführte Exoprothese stellt mittlerweile eine fest etablierte Versorgungsalternative für Anwender mit nicht ausreichendem Rehabilitationserfolg einer schaftgeführten Prothese dar. Der folgende Artikel vermittelt einen orientierenden Überblick über die Geschichte, verschiedene Implantatdesigns und die Grundprinzipien transkutan osseointegrierter Prothesensysteme (TOPS). Zudem wird das Vorgehen in der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des berufsgenossenschaftlichen Klinikums Bergmannstrost dargestellt.

Ein­lei­tung: Geschich­te der Osseointegration

Bis in die Anti­ke rei­chen­de Beschrei­bun­gen zei­gen Ver­su­che, die ver­lo­re­ne Funk­ti­on nach einer Ampu­ta­ti­on durch tech­ni­sche Hilfs­mit­tel zu erset­zen. Zur Siche­rung der pri­va­ten und beruf­li­chen Selbst­stän­dig­keit sind pro­the­ti­sche Ver­sor­gun­gen aus der heu­ti­gen Zeit nicht mehr weg­zu­den­ken. Geht es beim Ver­lust des Armes um die best­mög­li­che Wie­der­her­stel­lung der Greif- und Hal­te­funk­ti­on, hat die Bein­pro­the­se die Auf­ga­be, den Anwen­der zu tra­gen und zu bewe­gen. Dabei sei aber bedacht, dass ein Ampu­ta­ti­ons­stumpf aus bio­lo­gi­scher Sicht kein opti­ma­ler Last­trä­ger ist und es immer zu unphy­sio­lo­gi­schen Belas­tun­gen der Weich­tei­le, der Kno­chen und der angren­zen­den Gelen­ke kommt. Eine Bein­pro­the­se muss dabei die kon­trä­ren und schwie­ri­gen Auf­ga­ben, in der Stand­pha­se best­mög­li­che Stand­si­cher­heit und in der Schwung­pha­se eine opti­ma­le Bewe­gung zu ermög­li­chen, sicher meis­tern. Zudem darf es auch nicht zum Pro­the­sen­ver­lust mit dar­aus resul­tie­ren­der Sturz­nei­gung kommen.

Anzei­ge

Durch die mecha­ni­schen Belas­tun­gen kommt es immer wie­der zu Beein­träch­ti­gun­gen des Ampu­ta­ti­ons­stump­fes mit der Fol­ge einer ein­ge­schränk­ten Pro­the­sen­nutz­bar­keit. Dies führt nicht sel­ten dazu, dass Pro­the­sen­an­wen­der nicht immer wunsch­ge­mäß ihren täg­li­chen Akti­vi­tä­ten nach­ge­hen kön­nen und den Tages­ab­lauf immer “um die Pro­the­sen­nut­zung her­um” pla­nen. Der Traum, die Pro­the­se direkt mit dem Kno­chen zu ver­bin­den, besteht daher schon seit Lan­gem. Die unmit­tel­ba­re Kon­trol­le der Pro­the­se ver­spricht eine wesent­li­che Ver­bes­se­rung der Pro­the­sen­nut­zung sowie gerin­ge­re Ein­schrän­kun­gen der angren­zen­den Gelen­ke und somit der Lebensqualität.

Bereits 1843 sam­mel­te der fran­zö­si­sche Chir­urg Joseph-Fran­çois Mal­gai­gne Erfah­run­gen mit Metall­stif­ten, die durch die Haut und unmit­tel­bar in den Kno­chen geführt wur­den. Damals war noch das Ziel – ähn­lich dem Fix­a­teur exter­ne heut­zu­ta­ge, kom­pli­zier­te Brü­che über Wochen zu sta­bi­li­sie­ren. Unab­hän­gi­ge Ver­su­che, Pro­the­sen am Kno­chen zu befes­ti­gen, unter­nah­men in den 1940er Jah­ren der deut­sche Arzt Düm­mer bei vier Pati­en­ten sowie die Chir­ur­gen Elliott, Cut­ler und Blodgett in den USA bei Hun­den. Die dama­li­gen Implan­ta­te konn­ten jedoch auf­grund des Implan­tat­ma­te­ri­als noch nicht osseo­in­te­griert wer­den. Ein Bio­film zwi­schen Implan­tat und Kno­chen führ­te lang­fris­tig zum infek­ti­ons­be­ding­ten Implan­tat­ver­lust. So beschrieb Düm­mer, dass er alle vier Implan­ta­te wie­der ent­fer­nen muss­te 1.

In den 40er Jah­ren des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­dert wur­den etli­che Unter­su­chun­gen, unter ande­rem mit Vital­li­um (Legie­rung aus Kobalt, Chrom und Molyb­dän) unter­nom­men, um die Bio­kom­pa­ti­bi­li­tät von Legie­run­gen bei Implan­ta­ten zu unter­su­chen 2. Der schwe­di­sche Ortho­pä­de Per-Ing­var Brå­ne­mark unter­nahm in den 1960er Jah­ren Expe­ri­men­te an Kanin­chen, um Mes­sun­gen der Kno­chen­durch­blu­tung vor­zu­neh­men. Zufäl­lig ent­deck­te er damals eine sich ent­wi­ckeln­de Kno­chen-Implan­tat-Ver­bin­dung, die nur durch mecha­ni­sche Gewalt wie­der getrennt wer­den konn­te. Er benutz­te Titan­im­plan­ta­te und bezeich­ne­te die­ses Phä­no­men als “Osseo­in­te­gra­ti­on”. Brå­ne­mark ent­wi­ckel­te aus die­ser Erkennt­nis her­aus ers­te auf Dau­er in den Kie­fer ein­ge­brach­te Titan­im­plan­ta­te, wel­che die Schleim­haut durch­drin­gen und eine Zahn­pro­the­tik mecha­nisch fest am Kie­fer ver­an­kern 3. Die wei­te­re chir­ur­gi­sche und mate­ri­al­tech­ni­sche Ent­wick­lung mün­de­te in den fol­gen­den Jahr­zehn­ten in die heu­ti­ge Stan­dard­ver­sor­gung: die Osseo­in­te­gra­ti­on von Den­tal­im­plan­ta­ten zum Tra­gen von Zahnprothesen.

Rickard Brå­ne­mark, der Sohn von Per-Ing­var Brå­ne­mark, ent­wi­ckel­te ein Implan­tat zur Ver­an­ke­rung von Exo­pro­the­sen bei Men­schen mit trans­fe­mo­ra­ler Ampu­ta­ti­on. 1990 wur­de bei einer Pati­en­tin mit dop­pel­ter Ampu­ta­ti­on die ers­te bestän­di­ge Osseo­in­te­gra­ti­on bei Pro­the­sen der unte­ren Extre­mi­tät durch­ge­führt. Mitt­ler­wei­le wer­den in Schwe­den Pati­en­ten nach dem OPRA-3-Pro­to­koll (OPRA = Osseo­in­te­gra­ted Pro­s­the­ses for the Reha­bi­li­ta­ti­on of Ampu­tees) betreut. Das Vor­ge­hen ist von der prä­ope­ra­ti­ven Pla­nung bis zum Abschluss der Reha­bi­li­ta­ti­on standardisiert.

Über die Jah­re ent­wi­ckel­te sich die Tech­nik der Osseo­in­te­gra­ti­on wei­ter. In den 90er Jah­ren ent­wi­ckel­te eine Arbeits­grup­pe aus Lübeck um Horst-Hein­rich Asch­off und Hans Grund­ei ein völ­lig neu­es Implan­tat­de­sign: Im Gegen­satz zum aus der Den­tal­chir­ur­gie über­nom­me­nen Prin­zip des ein­ge­schraub­ten schwe­di­schen Implan­ta­tes wur­de dabei ein Implan­tat ana­log zur Vor­ge­hens­wei­se bei Endo­pro­the­sen­stie­len ent­wi­ckelt. Sowohl die Zen­tren in Schwe­den als auch in Lübeck wur­den von zahl­rei­chen wei­te­ren Arbeits­grup­pen besucht. Mitt­ler­wei­le exis­tie­ren etwa zehn Zen­tren welt­weit, die trans­ku­tan osseo­in­te­grier­te Pro­the­sen­sys­te­me (TOPS) anbie­ten. Es besteht kein welt­wei­tes Regis­ter, aber anläss­lich der OT-World 2018 schätz­ten ver­schie­de­ne Refe­ren­ten etwa ins­ge­samt 800 bis 1000 durch­ge­führ­te Ver­sor­gun­gen mit­tels TOPS.

Wich­ti­ge welt­wei­te Zen­tren und deren Implantatdesigns

Es exis­tie­ren aktu­ell ver­schie­dens­te TOPS; allen Sys­te­men gemein­sam ist aber der grund­sätz­li­che Auf­bau: In einem chir­ur­gi­schen Ein­griff wird ein enosta­les Implan­tat. Es wird dem­nach osseo­in­te­griert. Das Implan­tat wird über Ver­bin­dungs­mo­du­le mit einem spe­zi­el­len Adap­ter und anschlie­ßend einer Exo­pro­the­se ver­bun­den. Die meis­ten Sys­te­me ver­fol­gen das Ziel mög­li­cher Stan­dard­kon­nek­tio­nen, bei­spiels­wei­se mit­tels Pyra­mi­de­n­ad­ap­ter. Im Fol­gen­den wer­den ver­schie­de­ne, käuf­li­che Implan­tat­va­ri­an­ten angeführt:

Göte­borg (Schwe­den): OPRA-Implan­tat (Osseo­in­te­gra­ted Pro­s­the­ses for the Reha­bi­li­ta­ti­on of Amputees)

Im Depart­ment of Ortho­pae­dics der Uni­ver­si­tät Gothen­burg nutzt Rickard Brå­ne­mark das OPRA-Implan­tat der Fir­ma Inte­grum. Mit die­sem TOPS bestehen die längs­ten Erfah­rungs­wer­te. Die enosta­le Kom­po­nen­te wird ana­log zu Den­tal­im­plan­ta­ten in den Mark­raum des Kno­chens geschraubt. Am dista­len Ende ist das Implan­tat mit einem Innen­ge­win­de ver­se­hen, um das kuta­ne Ver­bin­dungs­stück (Abut­ment) auf­zu­neh­men. Dabei besteht aller­dings aus Sicht der Autoren auf­grund des aus die­ser Kon­struk­ti­on resul­tie­ren­den maxi­ma­len mög­li­chen Durch­mes­sers des Abut­ments eine mög­li­che mecha­ni­sche Schwach­stel­le (Abb. 1).

Han­no­ver: Endo-Exo-Pro­the­se nach Grundei

Im Fach­be­reich Endo-/Exo­pro­the­tik der Kli­nik für Unfall­chir­ur­gie der Medi­zi­ni­schen Hoch­schu­le Han­no­ver setzt Horst-Hein­rich Asch­off sei­ne in Lübeck begon­ne­ne Arbeit fort. Mitt­ler­wei­le hat er in fast 20 Jah­ren über 150 Ver­sor­gun­gen durch­ge­führt. Im Rah­men des TOPS-Kon­zep­tes wer­den sowohl Stan­dard­im­plan­ta­te als auch Cus­tom-made-Implan­ta­te der Fir­ma ESKA Ortho­pae­dic GmbH ver­wen­det. Die enos­ta­len Implan­ta­te zeich­nen sich durch eine beson­de­re Ober­flä­chen­struk­tur aus, wel­che die Osseo­in­te­gra­ti­on begüns­ti­gen. Eine Beschrei­bung erfolgt wei­ter unten. Die Arbeits­grup­pe um Asch­off wur­de von Teams aus den USA, den Nie­der­lan­den und Aus­tra­li­en besucht. Hier­aus ent­stan­den wei­te­re Zen­tren mit eige­nen Implan­ta­ten, die das Grund­prin­zip der Endo-Exo-Pro­the­se nach Aschoff/ Grund­ei übernahmen.

Nij­me­gen (Nie­der­lan­de): Cus­tom-made-Implan­ta­te/3D-Titan­druck­ver­fah­ren

Im Rad­boud Uni­ver­si­ta­ir Medisch Cen­trum im nie­der­län­di­schen Nij­me­gen wur­de zunächst mit dem OPRA-Implan­tat und einem Endo-Exo-Pro­the­sen­sys­tem gear­bei­tet. Seit 2015 wird das in Aus­tra­li­en ver­wen­de­te Implan­tat (OPL) ver­wen­det. Für kur­ze knö­cher­ne Stumpf­ver­hält­nis­se wer­den Cus­tom-made-Implan­ta­te mit einem Titan-3D-Dru­cker pro­du­ziert (Rad­boud Uni­ver­si­ty Medi­cal Cent­re 3D Labo­ra­to­ry Nij­me­gen, Nie­der­lan­de) (Abb. 2).

Salt Lake City (Utah, USA): DLPOPS (Distal­ly Loa­ding Per­cu­ta­neous Osseo­in­te­gra­ted Pro­sthe­tic System)

Die­ses Implan­tat wur­de vom Ortho­pae­dic Rese­arch Labo­ra­to­ry Uni­ver­si­ty Ortho­pae­dic Cen­ter Salt Lake City in den USA ent­wi­ckelt. Das Endo­mo­dul die­ses Sys­te­mes inte­griert knö­chern im Gegen­satz zur Endo-Exo-Pro­the­se auf einer deut­lich kür­ze­ren Stre­cke. Zudem ist die Inte­gra­ti­on unmit­tel­bar am knö­cher­nen Stump­fen­de, in der last­tra­gen­den Ebe­ne, vor­ge­se­hen. Der Direk­ter des Ortho­pe­dic Rese­arch Labo­ra­to­ry der Uni­ver­si­tät Utah, Kent Bachus, war maß­geb­lich an der Ent­wick­lung die­ses Implan­ta­tes betei­ligt. 2016 wur­de eine Zulas­sungs­stu­die unter Auf­sicht­der FDA an 10 Sol­da­ten gestar­tet. End­gül­ti­ge Lang­zeit­er­geb­nis­se für die­ses Implan­tat ste­hen noch aus (Abb. 3).

Syd­ney (Australien):OGAP-OPL (Osseo­in­te­gra­ti­on Group of Aus­tra­lia Osseo­in­te­gra­ti­on Pro­sthe­tic Limb)

Die Osseo­in­te­gra­ti­on Group of Aus­tra­lia (OGA) unter der Lei­tung von Mun­jed Al Mude­ris mit Sitz in Syd­ney hat ein Implan­tat ent­wi­ckelt, das dem Endo-Exo-Pro­the­sen­sys­tem ähn­lich ist. Das Grund­prin­zip der rau­en Ober­flä­che wur­de über­nom­men, die grund­sätz­li­che Stiel­form des Endo­mo­du­les eben­so. Die OGA hat sowohl lan­des­wei­te als auch inter­na­tio­na­le Koope­ra­ti­ons­part­ner; Al Mude­ris berich­te­te in einem Vor­trag von über 260 Ver­sor­gun­gen allein in Syd­ney. Im Gegen­satz zu den ande­ren Zen­tren führt die OGA auch ein Behand­lungs­pro­to­koll mit einem ein­zei­ti­gen ope­ra­ti­ven Vor­ge­hen durch (OGAAP‑2) (Abb. 4) 4.

Pitts­burgh (Penn­syl­va­nia, USA): Bio­med Com­pres­si­on System

An der Uni­ver­si­tät Pitts­burgh führt Rickard McGough ein völ­lig ande­res Kon­zept durch. Die­ses Sys­tem geht aus einer Zulas­sung für Endo­pro­the­sen der Fir­ma Bio­med her­vor. Das enosta­le Modul besteht aus einer pro­xi­ma­len Kom­po­nen­te, die ana­log zu osteo­syn­the­ti­schen Ver­sor­gun­gen mit Ver­rie­ge­lungs­stif­ten fixiert wird. Distal wird das Implan­tat von einer tel­ler­ar­ti­gen Kom­po­nen­te begrenzt, die durch eine Schraub­ver­bin­dung gegen den Kno­chen gepresst wird und den per­ku­ta­nen Ver­bin­dungs­ad­ap­ter auf­nimmt. Nach Auf­fas­sung der Autoren ist die Osseo­in­te­gra­ti­on bei die­sem Implan­tat ver­mut­lich nicht ver­gleich­bar mit den ande­ren Sys­te­men: Es fehlt an der last­auf­neh­men­den rau­en Ober­flä­chen­struk­tur. Soll­te es zu kei­ner Osseo­in­te­gra­ti­on des Implan­ta­tes kom­men, ist die Sta­bi­li­sie­rung mit­tels pro­xi­ma­ler Ver­rie­ge­lung bruch­ge­fähr­det. Es muss unwei­ger­lich nach vie­len Last­zy­klen zur Mate­ri­al­er­mü­dung kom­men, wenn kei­ne hin­rei­chen­de zusätz­li­che Sta­bi­li­tät durch Osseo­in­te­gra­ti­on besteht. Nach den bekann­ten Publi­ka­tio­nen wur­den bis­her 13 Ver­sor­gun­gen mit die­sem TOPS vor­ge­nom­men. Die Lang­zeit­er­geb­nis­se blei­ben abzu­war­ten 5 (Abb. 5).

Grund­zü­ge der Osseointegration

Die direk­te ein­ge­heil­te Ver­bin­dung zwi­schen Implan­tat und Kno­chen wird als “Osseo­in­te­gra­ti­on” bezeich­net. Die Abläu­fe der Osseo­in­te­gra­ti­on ähneln denen nach Kno­chen­brü­chen und auch denen wäh­rend des Kno­chen­wachs­tums. Da es sich bei den Implan­ta­ten nicht um bio­lo­gi­sches Mate­ri­al han­delt, kann das Immun­sys­tem jedoch einen ent­schei­den­den Stör­fak­tor dar­stel­len. Und nur ein unge­stör­tes Ein­hei­len kann den lang­fris­ti­gen Erfolg des Implan­ta­tes sichern. Bei vie­len Mate­ria­li­en fin­det daher eine soge­nann­te Fremd­kör­per­re­ak­ti­on statt: Es kommt zur Ent­zün­dungs­re­ak­ti­on um das Implan­tat mit einer sich bil­den­den Bin­de­ge­webs­schicht, wel­che die Osseo­in­te­gra­ti­on ver­hin­dert. Titan dage­gen ruft kei­ne nach­weis­ba­re Immun­re­ak­ti­on her­vor und ist somit ide­al für die Osseo­in­te­gra­ti­on. Auch Chrom-Kobalt-Molyb­dän-Legie­run­gen lösen kaum eine Reak­ti­on des Immun­sys­tems aus. Die Osseo­in­te­gra­ti­on fin­det in drei Schrit­ten statt:

  • Im ers­ten Schritt, der Osteo­kon­duk­ti­on, migrie­ren Oste­oblas­ten (kno­chen­bil­den­de Zel­len) durch das Gewe­be sowie das peri­im­plan­tä­re Häma­tom und suchen Kon­takt zur Implan­tat­ober­flä­che, um dort orts­stän­dig zu wer­den. Dabei stel­len bereits grö­ße­re Blut­koagel oder immu­no­lo­gi­sche Reak­tio­nen (Fremdkörperreaktion/Infektion) ein Hin­der­nis dar. Eine kom­ple­xe Mikro­struk­tur, die eine güns­ti­ge Poren­grö­ße auf­weist, begüns­tigt die­sen Vor­gang durch opti­ma­le Ober­flä­chen­ver­grö­ße­rung. (Abb. 6a u. b).
  • In der zwei­ten Pha­se (De-Novo-Kno­chen­bil­dung) bil­det sich zunächst eine spe­zi­el­le Bin­de­ge­webs­ma­trix, die letzt­end­lich im Rah­men der Cal­ci­um­phos­phat­ein­la­ge­run­gen ver­knö­chert. Dabei wird die Grenz­schicht zwi­schen Implan­tat und kol­la­ge­ner Cal­ci­um­phos­phat-Matrix als “kon­takt­os­teo­ge­ne­ti­scher Bereich” bezeichnet.
  • Im drit­ten Schritt bil­det sich zwi­schen die­ser Schicht und dem ori­gi­nä­ren Kno­chen wei­te­rer fes­ter Kno­chen, und das Implan­tat ist osseo­in­te­griert (Distan­zos­teo­ge­ne­se) 6.

Die­ser Vor­gang darf nicht durch Mikro­be­we­gun­gen (im Mikro­me­ter­be­reich) gestört wer­den, da es sonst zu einer feh­ler­haf­ten Anhef­tung der neu­en Kno­chen­ma­trix am Implan­tat kommt und eine unge­woll­te Bin­de­ge­webs­schicht ent­steht 7. Die Pri­mär­sta­bi­li­tät des Implan­ta­tes ist daher ein ent­schei­den­der Fak­tor für das Gelin­gen der Osseo­in­te­gra­ti­on. Aus die­sem Grund füh­ren die Ver­fas­ser wei­ter­hin ein zwei­zei­ti­ges Vor­ge­hen durch, um Mikro­be­we­gun­gen zwi­schen Implan­tat und Kno­chen in den ers­ten Wochen zu vermeiden.

Der Sto­ma­ka­nal

Als eigent­li­cher Kri­tik­punkt der Ver­sor­gungs­tech­nik mit­tels TOPS wird von vie­len Fach­kol­le­gen das Vor­han­den­sein des Sto­ma­ka­nals ange­se­hen. In der klas­si­schen ope­ra­ti­ven Ortho­pä­die und Unfall­chir­ur­gie ist es undenk­bar, dass Implan­ta­te, die per­ma­nent im Kör­per ver­blei­ben, nicht durch Weich­tei­le gedeckt sind. Es wird in die­sem Zusam­men­hang grund­sätz­lich von einer Infek­ti­on des Implan­tat­la­gers ausgegangen.

Die Arbei­ten von Asch­off und Brå­ne­mark in den ver­gan­ge­nen fast 30 Jah­ren haben gezeigt, dass eine obli­ga­te Besied­lung des Sto­ma­ka­nals mit Bak­te­ri­en natur­ge­mäß vor­han­den ist, dass aber tie­fer­ge­hen­de Infek­tio­nen mit einer resul­tie­ren­den Ost­ei­tis oder Implan­tat­in­fek­ti­on zwar auf­tre­ten, aber im nied­ri­gen Pro­zent­be­reich ein ver­tret­ba­res Risi­ko dar­stel­len 8 9. In den Anfän­gen der Lübe­cker Zeit bestan­den in der Tat rele­van­te Pro­ble­me mit Sto­ma­ka­nal­in­fek­tio­nen. Die Ver­än­de­rung des Implan­tat­de­signs durch Ent­fer­nung des bucket attachments(zusätzliche, ven­tral dem Femur anlie­gen­de Inplan­tat­stütz­struk­tur), Ände­rung der dista­len Implan­tat­ober­flä­che auf eine Tita­ni­um-Oxy­ni­tridbe­schich­tung und eine ver­än­der­te Ope­ra­ti­ons­tech­nik bei der Sto­ma­ka­nal­an­la­ge senk­ten die Rate der tie­fen Infek­tio­nen auf ein Niveau ver­gleich­bar mit unfall­chir­ur­gisch-ortho­pä­di­schen Ein­grif­fen. Im Gegen­satz zur ursprüng­li­chen Idee eines lan­gen Weich­teil­man­tels mit guter Mus­kel­de­ckung des End­mo­duls wird aktu­ell ein Sto­ma­ka­nal mit einer maxi­ma­len Län­ge von 20 mm favo­ri­siert. Dies gewähr­leis­tet nach Abschluss der zir­ku­lä­ren Nar­ben­bil­dung eine gute Pfle­ge des Sto­ma­ka­nals bis zur Kno­chen­gren­ze und ver­hin­dert die Bil­dung von Flüs­sig­keits­ver­hal­ten im Sto­ma­ka­nal­be­reich. Die­ses Kon­zept des Unter­schie­des des feuch­ten und tro­cke­nen Sto­ma­ka­nals wird auch von ande­ren Arbeits­grup­pen ver­tre­ten 10.

Der ope­ra­tiv frisch ange­leg­te Sto­ma­ka­nal wird zunächst unter ste­ri­len Kautelen ver­bun­den. Täg­lich wird eine anti­sep­ti­sche Wund­be­hand­lung durch­ge­führt. Im Lau­fe der fol­gen­den Wochen kommt es zur deut­li­chen Abnah­me des Wund­se­krets und einer zir­ku­lä­ren Nar­ben­bil­dung um das ein­lie­gen­de Implan­tat. Der Pro­the­sen­an­wen­der soll den Kanal min­des­tens ein­mal täg­lich mit her­kömm­li­chen hygie­ni­schen Mit­teln rei­ni­gen. Der Kanal darf aus­ge­duscht wer­den. Zudem soll er manu­ell mobi­li­siert wer­den, um ein Ver­kle­ben des Unter­hautund Haut­ge­we­bes mit dem Implan­tat zu ver­hin­dern. Nach meh­re­ren Mona­ten bil­det sich aus einem groß­vo­lu­mi­gen Sto­ma­ka­nal ein gut mobi­li­sier­bar nar­bi­ger Ring. Je gerin­ger die Weich­teil­be­de­ckung bis zur Kno­chen­gren­ze ist, des­to weni­ger Wund­se­kret wird über den Kanal abge­son­dert. Eini­ge Anwen­der berich­ten auch von tro­cke­nen Sto­ma­ka­nä­len (Abb. 7a u. b).

Trans­ku­ta­ne osseo­in­te­grier­te Pro­the­sen­sys­te­me am Kli­ni­kum Bergmannstrost

Aus den vor­han­de­nen TOPS wur­de am Kli­ni­kum Berg­manns­trost Hal­le das Endo-Exo-Pro­the­sen­sys­tem der Fir­ma ESKA Ortho­pae­dic GmbH (Abb. 8) aus­ge­wählt. Der End­o­stiel von ESKA zeich­net sich durch eine beson­de­re Ober­flä­chen­struk­tur aus. In den 90er Jah­ren ent­wi­ckelt Hans Grund­ei eine offen­po­ri­ge metal­le­ne Ober­flä­chen­struk­tur, um einen spon­giö­sen Kno­chen nach­zu­emp­fin­den. Als “Metall­spon­gio­sa II” wur­de die­se Tech­no­lo­gie sehr erfolg­reich bei Endo­pro­the­sen benutzt. Die opti­ma­le Poren­grö­ße, ent­spre­chend den bio­lo­gi­schen Anfor­de­run­gen ent­wi­ckelt, ermög­licht ein sehr gutes Ein­wach­sen des Kno­chens ins Implan­tat. Zudem rei­chen die Erfah­run­gen mit die­sem Implan­tat­sys­tem bereits 20 Jah­re zurück. Für die ers­te Ver­sor­gung am Kli­ni­kum Berg­manns­trost konn­te Dr. Asch­off als Co-Ope­ra­teur gewon­nen wer­den. Somit konn­te das Team direkt von sei­nen Erfah­run­gen pro­fi­tie­ren. Die Kli­nik für Unfal­lund Wie­der­her­stel­lungs­chir­ur­gie am BG Kli­ni­kum Berg­manns­trost hat im Jahr 2017 in Anleh­nung an das Vor­ge­hen von Dr. Asch­off ein eige­nes Pro­to­koll für das TOPS eta­bliert und führt die­ses seit Anfang 2018 durch (Tab. 1).

Anwen­der, die sich für das TOPS inter­es­sie­ren, stel­len sich in der inter­dis­zi­pli­nä­ren Sprech­stun­de für Ampu­ta­ti­ons­me­di­zin vor. Bei einem ers­ten Tref­fen wird in einem Gespräch die Erwar­tungs­hal­tung des Anwen­ders ermit­telt, das Ver­fah­ren der TOPS erläu­tert und geprüft, ob eine Ver­sor­gung über­haupt in Fra­ge kommt. An einem zwei­ten Ter­min wird zusam­men mit dem spä­ter ver­sor­gen­den Ortho­pä­die­tech­ni­ker der geplan­te Ver­sor­gungs­ab­lauf und die zwin­gend nöti­ge Reha­bi­li­ta­ti­on bespro­chen. Mit­tels einer ambu­lan­ten oder sta­tio­nä­ren Dia­gnos­tik der Neben­er­kran­kun­gen wird das Risi­ko eines Ver­sa­gens der Osseo­in­te­gra­ti­on bewer­tet. Dabei wird beson­ders die Durch­blu­tung der Extre­mi­tät, das Vor­han­den­sein eines Dia­be­tes und die knö­cher­ne Qua­li­tät beur­teilt. Höher­gra­di­ge Durch­blu­tungs­stö­run­gen (ab AVK IIb nach Fon­taine) oder ein Dia­be­tes mel­li­tus gestat­ten auf­grund des Infek­ti­ons­ri­si­kos kei­ne Ver­sor­gung mit­tels TOPS (Tab. 2).

Um Funk­ti­ons­ver­glei­che und Pro­the­sen­nut­zung vor und nach der Ver­sor­gung zu ermög­li­chen, wer­den zudem Daten per Fra­ge­bö­gen erho­ben und kli­ni­sche Test­ver­fah­ren durch­ge­führt. Vor der ers­ten Ope­ra­ti­on wird zusam­men mit dem Ortho­pä­die­tech­ni­ker, dem Ope­ra­teur und der ESKA Ortho­pae­dic GmbH die Pla­nung für die TOPS an refe­ren­zier­ten Rönt­gen­auf­nah­men vor­ge­nom­men (Abb. 9). Dabei flie­ßen die Auf­bau­hö­he der geplan­ten Pass­tei­le, die Implan­tat­grö­ße und die ossä­re Struk­tur des Implan­tat­la­gers in die Pla­nung ein. Anschlie­ßend wird bereits Kon­takt zum Kos­ten­trä­ger gesucht, um das Vor­ge­hen zu erläu­tern und Pro­ble­me im Ver­sor­gungs­ab­lauf zu ver­mei­den. Der wei­te­re Verlauf:

  • Im ers­ten Schritt (“Step 1″) erfolgt die Implan­ta­ti­on des Endo­mo­duls. Wich­tig dabei ist, dass die Weich­tei­le hin­rei­chend gekürzt wer­den, um die spä­te­re Sto­ma­ka­nal­bil­dung mit einer Gesamt­län­ge von max. 20 mm zu errei­chen. Daher unter­schei­det sich das Vor­ge­hen erheb­lich von klas­si­schen stumpf­kor­ri­gie­ren­den­den Ope­ra­tio­nen. Denn die sonst ange­streb­te Mus­kel­de­ckung des knö­cher­nen Stump­fen­des muss zuguns­ten eines kur­zen Sto­ma­ka­nals ver­mie­den wer­den. Trotz­dem muss auf eine balan­cier­te Mus­kelan­hef­tung am Kno­chen geach­tet wer­den, um eine adäqua­te Pro­the­sen­füh­rung zu gewähr­leis­ten. Der Haut­ver­schluss berück­sich­tigt bereits die spä­te­re Sto­ma­ka­nal­po­si­ti­on (Abb. 10 a–c). Der Pati­ent wird etwa 7 Tage nach der Ope­ra­ti­on ent­las­sen. Es schließt sich eine ambu­lan­te Phy­sio­the­ra­pie zur all­ge­mei­nen Kon­sti­tu­ti­ons­ver­bes­se­rung und Kon­trak­tur­be­hand­lung der pro­xi­ma­len Gelen­ke an. Wei­te­re klas­si­sche phy­sio­the­ra­peu­ti­sche Nach­be­hand­lun­gen ana­log zu einem Ampu­ta­ti­ons­stumpf wer­den auf­grund der Metho­dik der TOPS nicht durchgeführt.
  • 6 Wochen nach dem ers­ten Ope­ra­ti­ons­schritt erfolgt im zwei­ten Schritt (“Step 2″) die Anla­ge des Sto­ma­ka­nals und die Implan­ta­ti­on des Dop­pel­konus­ad­ap­ters. Die­ser wird mit einem tem­po­rä­ren Ver­schluss­stück gesichert.
  • Bei unauf­fäl­li­gem Ver­lauf erfolgt durch den Ortho­pä­die­tech­ni­ker in “Step 3″ eine Woche nach Ope­ra­ti­on der Aus­tausch des tem­po­rä­ren Ver­schluss­stü­ckes gegen den Brü­cken­zy­lin­der. Der sta­ti­sche Auf­bau der Exo­pro­the­se wird nach Auf­bau­emp­feh­lung der Fir­ma ESKA durchgeführt.

Über einen Zeit­raum von 6 bis 12 Wochen wird suk­zes­si­ve die Teil­be­las­tung der TOPS bis zur Voll­be­las­tung gestei­gert. Trotz theo­re­ti­scher axia­ler Voll­be­last­bar­keit des Endo­mo­du­les bestehen anfäng­lich indi­vi­du­el­le Unter­schie­de bezüg­lich der Tole­ranz der Last­auf­nah­me: Der ers­te Kon­takt zum Boden über die Pro­the­se wird meist als kurz­zei­tig schmerz­haft emp­fun­den. Sobald der Pati­ent mit Unter­arm­geh­stüt­zen voll mobi­li­siert ist, schließt sich eine sta­tio­nä­re Reha­bi­li­ta­ti­on an. Die­se ist zwin­gend nötig, da sich das Lauf­ver­hal­ten grund­sätz­lich von einer schaft­ge­führ­ten Pro­the­se unter­schei­det. Ins­be­son­de­re die Osse­oper­zep­ti­on (der unmit­tel­bar ver­mit­tel­te Boden­kon­takt durch das TOPS) beein­flusst den Bewe­gungs­ab­lauf erheb­lich. Zudem muss der Anwen­der geschult wer­den, über­mä­ßi­ge Tor­si­on über die Pro­the­se zu vermeiden.

Mit­tel­fris­ti­ge Ver­laufs­kon­trol­len rich­ten sich nach den Bedürf­nis­sen des Anwen­ders. Obli­ga­te Vor­stel­lun­gen fin­den 6 und 12 Mona­te nach “Step 3″ und anschlie­ßend jähr­lich statt. Dabei wer­den erneut die kli­ni­schen Test­ver­fah­ren und Fra­ge­bö­gen erhoben.

Sta­ti­scher Pro­the­sen­auf­bau und Beson­der­heit des Brückenzylinders

Die Grund­prin­zi­pi­en des Pro­the­sen­auf­baus unter­schei­den sich beim TOPS nicht von schaft­ge­führ­ten Pro­the­sen; die Pass­tei­le wer­den ent­spre­chend den Her­stel­ler­infor­ma­tio­nen auf­ge­baut. Die Beson­der­heit stellt die unmit­tel­ba­re knö­cher­ne Ver­bin­dung der Pro­the­se dar. Aus die­sem Grund soll­ten dem Ortho­pä­die­tech­ni­ker beid­sei­ti­ge Ganz­bein­auf­nah­men zur Ver­fü­gung ste­hen. Hier­durch kann eine exak­te Posi­ti­on der Längs- und Dreh­ach­sen der Knie- und Fuß­pass­tei­le erreicht wer­den. Für die unmit­tel­ba­re Ver­bin­dung der Exo­pro­the­se mit dem Brü­cken­zy­lin­der ist aus sta­ti­schen Grün­den ein Rück­ver­la­ge­rungs­ad­ap­ter not­wen­dig. Die Grö­ße des Modu­les ergibt sich aus den Anfor­de­run­gen der Pass­tei­le sowie einer ggf. bestehen­den Hüft­beu­ge­kon­trak­tur. Ins­be­son­de­re Letz­te­re ändert sich inner­halb der ers­ten Wochen aber deut­lich, sodass Anpas­sun­gen der Rück­ver­la­ge­rungs­ad­ap­ter not­wen­dig sein kön­nen. Für den Fall unge­woll­ter sehr hohe

Tor­si­ons­mo­men­te von der Pro­the­se auf den Kno­chen, wel­che zur Peri­im­plan­tie­ren­brü­chen füh­ren wür­den, befin­det sich inner­halb des Brü­cken­zy­lin­der eine Soll­bruch­stel­le (Abb. 11). Die­se wird durch Tor­si­ons­sperr­kör­per­ele­men­te (50–130 Nm) ein­ge­stellt und muss an die aktu­el­le Belas­tung und Gewichts­si­tua­ti­on ange­passt sein. Somit kommt es zur gewoll­ten Auf­nah­me der Tor­si­ons­span­nung in den Brü­cken­zy­lin­der mit kon­trol­lier­tem Bre­chen der Sperr­stif­te und ein Kno­chen­bruch kann ver­mie­den werden.

Da ein Brü­cken­zy­lin­der und ein Rück­ver­la­ge­rungs­ad­ap­ter bei die­sem Endo-Exo-Pro­the­sen­sys­tem vor­kom­men, ist im Rah­men der ers­ten Ver­sor­gung, die ein Ortho­pä­die­tech­ni­ker durch­führt, eine Schu­lung durch die Anwe­sen­heit eines Mit­ar­bei­ters von ESKA vor­ge­se­hen. Zudem soll ein spe­zi­el­ler Ser­vice­kof­fer mit Werk­zeu­gen und Test­ad­ap­tern ver­wen­det werden.

Eine Beson­der­heit stel­len Anwen­der mit Unter­schen­kel­am­pu­ta­ti­on dar. Gang­ana­ly­ti­sche Unter­su­chun­gen durch Blu­men­tritt haben belegt, dass es beim her­kömm­li­chen sta­ti­schen Auf­bau der Pro­the­se unter Zuhil­fe­nah­me von Kraft­mess­plat­ten, Kom­pro­miss­dreh­ach­sen und Auf­bau­li­ni­en zu einer über­mä­ßi­gen Bean­spru­chung des Knie­ge­len­kes kommt. Trotz eines kor­rek­ten Auf­baus muss­te die Posi­ti­on des Pro­the­sen­fu­ßes nach late­ral und dor­sal ange­passt wer­den, um einem ungüns­ti­gen Dreh­mo­ment im Knie­ge­lenk ent­ge­gen­zu­wir­ken. Dies wird von den Pati­en­ten anfäng­lich nicht ver­spürt; nach Ein­set­zen von Beschwer­den kann aber mög­li­cher­wei­se eine Arthro­se­ent­wick­lung bereits begüns­tigt wor­den sein. Aus die­sem Grund emp­feh­len die Autoren grund­sätz­lich, bei Pati­en­ten mit Unter­schen­kel­am­pu­ta­ti­on nach erfolg­ter Anpas­sung eine appa­ra­ti­ve Gang­ana­ly­se durch­zu­füh­ren, um die ent­ste­hen­den Dreh­mo­men­te und Belas­tung der Gelen­ke bewer­ten zu können.

Ver­sor­gungs­bei­spie­le trans­fe­mo­ral und transhumeral

Ver­sor­gungs­bei­spiel trans­fe­mo­ral: Pati­ent A, 59 Jahre

Ampu­ta­ti­ons­grund: Gefä­ß­em­bo­lie (2016) ohne beglei­ten­de arte­ri­el­le Verschlusskrankheit

Pass­tei­le: rück­ver­la­gern­der Anschluss­ad­ap­ter, Rheo-3-Knie­ge­lenk, Proflex-Fuß

Die Ver­sor­gung gestal­te­te sich auf­grund einer schwie­ri­gen Weich­teil­si­tua­ti­on am Stump­fen­de, im Becken­be­reich sowie am pro­xi­ma­len media­len Ober­schen­kel kom­pli­ziert. Trotz mehr­fa­cher Anpas­sungs­ver­su­che einer schaft­ge­führ­ten Exo­pro­the­se konn­te für den Pati­en­ten kei­ne zufrie­den­stel­len­de Mobi­li­sa­ti­on erreicht wer­den. Zudem bestan­den Pro­ble­me beim Pro­the­sen­halt mit Sturz­ge­fähr­dung. Nach Durch­füh­rung der Vor­un­ter­su­chun­gen wur­de pro­to­koll­ge­mäß am 5 März 2018 “Step 1″ und am 18. April “Step 2″ durch­ge­führt (Abb. 12a– c).

“Step 3″ besteht nicht nur im Erst­auf­bau der Pro­the­se, son­dern ist ein meh­re­re Wochen umfas­sen­der Ver­sor­gungs­schritt. Der Pati­ent soll­te die ers­ten 4 Wochen zumin­dest ein­mal wöchent­lich durch den Ortho­pä­die­tech­ni­ker begut­ach­tet wer­den. Wich­ti­ge Aspek­te der jewei­li­gen Vorstellung:

  • Anpas­sen des Rück­ver­la­ge­rungs­ad­ap­ters (Ver­mes­sung der Femur­fle­xi­on, Abstands­mes­sung zwi­schen Auf­bau­li­nie und Brü­cken­zy­lin­der, Prü­fung der zen­tra­len Fixierungsschraube)
  • Kon­trol­le mit­tels L.A.S.A.R. Posture
  • Anpas­sung des Brü­cken­zy­lin­ders mit den Tor­si­onsperr­ele­men­ten an das Belastungsniveau
  • Pro­the­sen­ein­wei­sung (Pfle­ge der Modu­le, Funk­ti­ons­prin­zip der Einhandprothesenkonnektion)
  • Wund­kon­trol­len (ggf. Rück­spra­che mit Mediziner)
  • ers­te Geh­ver­su­che mit Aus­lö­sung des Knie­ge­len­kes (mit Gehhilfen)

In den fol­gen­den sechs Wochen stei­ger­te der Pati­ent suk­zes­si­ve die Belas­tung mit der Pro­the­se, sodass sich die sta­tio­nä­re Reha­bi­li­ta­ti­on im Juni und Juli 2018 anschlie­ßen konn­te. Aktu­ell ist der Pati­ent voll­stän­dig mobi­li­siert und trägt die Pro­the­se den gan­zen Tag. Sto­ma­pro­ble­ma­ti­ken sind bis­her nicht auf­ge­tre­ten, und die Rönt­gen­ver­laufs­kon­trol­len wei­sen eine unauf­fäl­li­ge Implan­tat­la­ge auf.

Ver­sor­gungs­bei­spiel trans­hu­me­ral: Pati­ent B, 29 Jahre

Ampu­ta­ti­ons­grund: Poly­trau­ma OAAm­pu­ta­ti­on links, US-Ampu­ta­ti­on rechts

Pass­tei­le: Bebio­nic-Hand, Rota­ti­ons­ein­heit, Erg­o­Arm Hybrid, Zwei­ka­nal­steue­rung mit Myo­Bock-Elek­tro­den, Sili­kon­hal­te­ban­da­ge zur kon­tra­la­te­ra­len Sei­te (nur vor TOPS)

Die Reha­bi­li­ta­ti­on einer trau­ma­ti­schen Ober­arm­am­pu­ta­ti­on mit kon­ven­tio­nel­lem Schaft­sys­tem gestal­tet sich bei kur­zen Stümp­fen oft schwie­rig. Die Pro­ble­me bestehen in einer nicht zufrie­den­stel­len­den Schul­ter­be­we­gung der ampu­tier­ten Sei­te und einer durch die Schul­ter­ban­da­ge ein­ge­schränk­ten kon­tra­la­te­ra­len Seite.

Pati­ent B wur­de im August 2015 mit einem indi­vi­du­el­len HTV-Sili­kon­li­ner mit Vel­cro-Ver­schluss­sys­tem und einer HTV-Sili­kon­hal­te­ban­da­ge zur kon­tra­la­te­ra­len Sei­te ver­sorgt. Die Ver­sor­gung wird myo­elek­trisch betrie­ben; somit war die Posi­ti­ons­si­che­rung der Pro­the­se ent­schei­dend für die Ansteue­rung. Durch die Kür­ze des Stump­fes war das Ergeb­nis aber nur wenig zufrie­den­stel­lend. Die Mon­ta­ge der Pro­the­se wur­de nach den her­kömm­li­chen Auf­bau­richt­li­ni­en und unter Berück­sich­ti­gung des Eigen­ge­wichts der Pass­teil­kom­po­nen­ten vor­ge­nom­men. Das Brü­cken­mo­dul ist distal mit einer Pyra­mi­den­auf­nah­me ver­se­hen, an dem ein Cus­tom­ma­de-Adap­ter befes­tigt wur­de, um die Ver­bin­dung zum Erg­o­Arm Hybrid her­zu­stel­len. Nach vier­wö­chi­gem Tra­gen wur­de fest­ge­stellt, dass sich die mus­ku­lä­re Situa­ti­on im Schul­ter­gür­tel des Pati­en­ten deut­lich ver­än­dert hat: Nach deut­li­cher Atro­phie der ampu­tier­ten Sei­te fin­det sich nun eine ver­bes­ser­te mus­ku­lä­re Situa­ti­on. Dies hat­te Kon­se­quen­zen für den sta­ti­schen Pro­the­sen­auf­bau. Die Ellen­bo­gen­ach­se hat­te sich durch erhöh­te Abduk­ti­on im Schul­ter­be­reich ver­än­dert, wie­der­um mit Ein­fluss auf den Cus­tom-made-Adap­ter und die Pass­tei­le. Somit war es not­wen­dig, den Auf­bau anzupassen.

Auf­bau und Sitz der Pro­the­se wur­den in regel­mä­ßi­gen Abstän­den über­prüft, und nach etwa 3 Mona­ten konn­ten kei­ne signi­fi­kan­ten Ver­än­de­run­gen mehr fest­stellt wer­den. Somit war es mög­lich, die kos­me­ti­sche Ver­klei­dung her­zu­stel­len, die mit­tels Scan und Spie­ge­lung der kon­tra­la­te­ra­len Sei­te per 3D-Druck in Poly­amid gefer­tigt wur­de. Es wur­de jeweils eine Ver­klei­dung für den Unter­arm und für den Ober­arm gedruckt. Die­se sind atmungs­ak­tiv und nach­stell­bar im Sin­ne einer sta­ti­schen Ver­än­de­rung und einer Volu­men­än­de­rung. Die Ver­klei­dung für den Ober­arm ist mit einem Magnet­ver­schluss ver­se­hen und daher zur schnel­len und eigen­stän­di­gen An- und Abnah­me geeig­net. Heu­te ist der Pati­ent voll in sei­nen All­tag inte­griert und beschreibt eine deut­lich bes­se­re Posi­tio­nie­rung der Pro­the­se sowie eine sehr leich­te Hand­ha­bung. Durch die kno­chen­ge­führ­ten Bewe­gun­gen erlang­te er eine bes­se­re Kraft­ein­lei­tung sowie eine oste­oper­zep­ti­ve Fähig­keit. Daher wird eine phy­sio­lo­gi­sche Belas­tungs­fä­hig­keit erreicht (Abb. 13a–c). Die kno­chen­ge­führ­ten Pro­the­sen­sys­te­me sind eine Mög­lich­keit Pati­en­ten, wel­che nicht oder nur unge­nü­gend mit einer schaft­ge­führ­ten Pro­the­se reha­bi­li­tier­bar sind, exo­pro­te­tisch zu ver­sor­gen. Damit ist eine deut­li­che Teil­ha­be­ver­bes­se­rung zu errei­chen. Ins­be­son­de­re für Pati­en­ten mit trans­hu­me­ra­ler Ampu­ta­ti­on ist die kno­chen­ge­führ­te Pro­the­sen­ver­an­ke­rung eine Tech­no­lo­gie, mit wel­cher das Schul­ter­ge­lenk im Bewe­gungs­um­fang nicht beein­träch­tigt wird und eine sicht­ba­re Ver­bes­se­rung der Kör­per­sy­m­e­trie erreich wer­den kann.

Für die Autoren:
Patrick Schrö­ter
Fach­arzt für Allgemeinchirurgie
Zer­ti­fi­kat Tech­ni­sche Orthopädie
Not­fall­me­di­zin
Kli­nik für Unfall- und
Wie­der­her­stel­lungs­chir­ur­gie
BG Kli­ni­kum Berg­manns­trost Halle
Mer­se­bur­ger Stra­ße 165
06112 Hal­le
patrick.schroeter@bergmannstrost.de

Hin­weis:

Eine vor­läu­fi­ge Ver­si­on des Arti­kels wur­de auf der 63. Jah­res­ta­gung der FOT (Fort­bil­dungs­ver­ei­ni­gung für Ortho­pä­die-Tech­nik e. V.) vom 27.09. bis 29.09.2019 in der Hän­del­hal­le, Hal­le a. d. Saa­le vor­ge­stellt und im Pro­gramm­heft auf den Sei­ten 6–21 abgedruckt.

Wid­mung:

Lie­ber Herr PD Dr. Lutz Brückner,
das Team am Berg­manns­trost Hal­le möch­te Ihnen an die­ser Stel­le herz­lichs­te Grü­ße zu Ihrem 75. Geburts­tag aus Hal­le sen­den. Wir dan­ken Ihnen für die vie­len schö­nen und lehr­rei­chen Jah­re der gemein­sa­men Arbeit. Sie haben mit Ihrem uner­schöpf­li­chen Wis­sen auf dem Gebiet der Ampu­ta­ti­ons­me­di­zin und Tech­ni­schen Ortho­pä­die über fast zwei Jahr­zehn­te die Arbeit an unse­rem Haus maß­geb­lich geprägt. Ins­be­son­de­re Ihre Herz­lich­keit und Offen­heit im Umgang mit unse­ren Pati­en­ten haben wir bewun­dert und ver­mis­sen die­se. Trotz Ihres wohl­ver­dien­ten Ruhe­stan­des ste­hen Sie uns wei­ter­hin mit Rat und Tat zur Sei­te. Wir hof­fen wei­ter­hin auf eine Fort­füh­rung der regen Zusam­men­ar­beit über vie­le Jah­re. Im Namen des gesam­ten Teams der Tech­ni­schen Ortho­pä­die des Berg­manns­trost darf ich Ihnen alles erdenk­lich Gute und vor allem viel Gesund­heit wünschen.
Ihr Patrick Schröter

 

Zita­ti­on
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