The­ra­pie­an­satz der visu­el­len Analgesie

L. Cordier, M. Bordewieck, M. Diers
Viele Millionen Menschen in Deutschland leiden an chronischen Schmerzen. Besonders verbreitet sind chronische Rückenschmerzen. Erst in den letzten Jahren ist zunehmend bekannt geworden, wie bedeutsam die Wahrnehmung des eigenen Körpers für die Schmerzverarbeitung ist. Es konnte gezeigt werden, dass schon das bloße Betrachten eines von Schmerz betroffenen Körperteils positiven Einfluss auf das Schmerzerleben haben kann. In diesem Artikel stellen die Verfasser anhand zentraler Studien diesen als „visuelle Analgesie“ bezeichneten Effekt vor und vermitteln dabei einen Überblick über die Bedingungen, unter denen er auftritt und Einzug in den Bereich klinischer Anwendung erhalten könnte.

Ein­lei­tung

Schmerz ist ein lebens­wich­ti­ges Signal, das Gefahr für den Kör­per signa­li­siert und pro­tek­ti­ve Reak­tio­nen aus­löst. Dabei wird zwi­schen aku­tem und chro­ni­schem Schmerz unter­schie­den: Wäh­rend aku­ter Schmerz in aller Regel die Reak­ti­on auf eine Sti­mu­la­ti­on, also eine direk­te Ursa­che dar­stellt und damit eine adap­ti­ve Signal­funk­ti­on erfüllt, liegt bei chro­ni­schen Schmerz­zu­stän­den (Dau­er min­des­tens 3 bis 6 Mona­te und/oder Über­schrei­tung der übli­chen Hei­lungs­dau­er bei aku­ten Ver­let­zun­gen) oft kei­ne direk­te Schmerz­ur­sa­che mehr vor. Der Schmerz hat dann sei­ne im Grun­de posi­ti­ve Funk­ti­on ver­lo­ren und wird zu einem eigen­stän­di­gen Krank­heits­bild, das mit erheb­li­chen Ein­schrän­kun­gen ein­her­geht und beson­de­rer Behand­lung bedarf.

Anzei­ge

Um chro­ni­schen Schmerz ziel­ge­rich­tet behan­deln zu kön­nen, ist es wich­tig, den Mecha­nis­mus der Chro­ni­fi­zie­rung zu ver­ste­hen und Behand­lungs­me­tho­den zu ent­wi­ckeln, die die­sen gezielt berück­sich­ti­gen 1. Einen guten Anhalts­punkt dafür bie­ten die Leit­li­ni­en für den „nicht­spe­zi­fi­schen Kreuz­schmerz“ 2. In die­sen Leit­li­ni­en wer­den Mög­lich­kei­ten erläu­tert, die Schmer­zen zu ver­rin­gern. Eine The­ra­pie­mög­lich­keit ist die Gabe von Medi­ka­men­ten, die den Rücken­schmerz auf sym­pto­ma­ti­scher Ebe­ne lin­dern. Dadurch wird den Betrof­fe­nen ermög­licht, wie­der ihre schmerz­be­dingt gemie­de­nen All­tags­ak­ti­vi­tä­ten auf­zu­neh­men und zudem durch den Schmerz ver­ur­sach­te Fehl­hal­tun­gen abzu­bau­en, die sonst eine wei­te­re Schmerz­quel­le bil­den kön­nen. Eine ande­re Mög­lich­keit der The­ra­pie ist die ope­ra­ti­ve Metho­de, bei der chir­ur­gisch die Sym­pto­ma­tik des Rücken­schmer­zes ver­bes­sert wird. Die drit­te Grup­pe von The­ra­pie­mög­lich­kei­ten umfasst nicht­me­di­ka­men­tö­se und nicht­ein­grei­fen­de Metho­den. Sie beinhal­tet Bewe­gungs- oder Sport­the­ra­pie, Ent­span­nungs­ver­fah­ren, Ergo­the­ra­pie, Manu­el­le The­ra­pie, Mas­sa­ge, Rücken­schu­le, Wär­me­the­ra­pie oder Kogni­ti­ve Ver­hal­tens­the­ra­pie 3.

Bedeu­tung der Körperwahrnehmung

Rund 14 Mil­lio­nen Men­schen in Deutsch­land sind von chro­ni­schen Schmer­zen betrof­fen. Fast 20 Pro­zent von ihnen lei­den mehr als 20 Jah­re an lang­an­hal­ten­den Schmer­zen 4. Ent­spre­chend besteht eine gro­ße Nach­fra­ge nach effek­ti­ven The­ra­pien für Schmerz­pa­ti­en­ten. Wel­che Rol­le das Bewusst­sein für den eige­nen Kör­per im Zusam­men­hang mit Schmer­zen spielt, wird in eta­blier­ten The­ra­pie­ver­fah­ren bis­lang jedoch nur wenig berück­sich­tigt. Dabei scheint die Wahr­neh­mung des vom Schmerz betrof­fe­nen Bereichs von zen­tra­ler Bedeu­tung für die Modu­la­ti­on der Schmerz­emp­fin­dung zu sein [3, 4, 5].

Als Kör­per­wahr­neh­mung wer­den alle Sin­nes­wahr­neh­mun­gen (z. B. die pro­prio­zep­ti­ve Wahr­neh­mung eines Kör­per­teils im Raum oder visu­el­le Infor­ma­tio­nen über die äuße­ren Merk­ma­le) bezeich­net, die eine sen­so­ri­sche Reprä­sen­ta­ti­on des Kör­pers im Bewusst­sein eines Men­schen ver­mit­teln 5. Sie ist plas­tisch, d. h. lern­ab­hän­gig ver­än­der­bar, und lässt sich mit Hil­fe ver­schie­de­ner Metho­den modu­lie­ren. Bei­spie­le hier­für im Bereich der Schmerz­wahr­neh­mung sind Kogni­tio­nen wie Bewer­tungs­pro­zes­se und Erle­ben von Kon­trol­le, die die Schmerz-wahr­neh­mung hem­men bzw. ver­stär­ken kön­nen, oder die Ver­ab­rei­chung von Pla­ce­bo-Medi­ka­men­ten, die eine Erwar­tungs­hal­tung bei Pati­en­ten oder Pro­ban­den indu­zie­ren und somit wie­der­um die Wahr­neh­mung des eige­nen Kör­pers beein­flus­sen kön­nen 6.

Sehr wahr­schein­lich ist die Wahr­neh­mung des eige­nen Kör­pers ein über­aus wich­ti­ger Aspekt bei der The­ra­pie nicht­spe­zi­fi­scher Rücken­schmer­zen. Tat­säch­lich kann die­se wesent­lich zur Ver­bes­se­rung der Sym­pto­ma­tik bei­tra­gen. Im Jahr 2005 konn­te Mose­ley 7 zei­gen, dass das Kör­per­bild von Men­schen mit Kom­ple­xem Regio­na­lem Schmerz­syn­drom („com­plex regio­nal pain syn­dro­me“, CRPS) ver­än­dert war: Die Betrof­fe­nen nah­men den Kör­per­teil, der chro­nisch schmerz­te, deut­lich grö­ßer wahr, als er objek­tiv war. Wei­ter­hin ließ sich ein Zusam­men­hang zwi­schen dem Aus­maß die­ser ver­än­der­ten Wahr­neh­mung und der Dau­er der chro­ni­schen Schmer­zen ermitteln.

Eine Stö­rung des Kör­per­bil­des zeig­te sich auch in einer Stu­die mit von chro­ni­schen Rücken­schmer­zen Betrof­fe­nen 8. Die­se soll­ten eine Rücken­zeich­nung ver­voll­stän­di­gen und zusätz­lich die Schmerz­or­te ein­zeich­nen. Vor­ga­be dabei war, den eige­nen Rücken so zu ver­voll­stän­di­gen, wie man ihn (wirk­lich) spür­te. Die Zeich­nun­gen der Schmerz­pa­ti­en­ten wur­den sodann mit denen schmerz­frei­er Kon­troll­pro­ban­den ver­gli­chen. Die Ergeb­nis­se zeig­ten, dass die Rücken­zeich­nun­gen der Expe­ri­men­tal­grup­pe mit Schmer­zen signi­fi­kant stär­ke­re Ver­zer­run­gen auf­wie­sen als jene der Kon­troll­grup­pe ohne Schmer­zen. Laut dem Fazit die­ser Stu­die kön­nen Rücken­schmerz­pa­ti­en­ten vom Trai­nie­ren ihres Kör­per­bil­des also pro­fi­tie­ren, indem dadurch ihre Schmer­zen abnehmen.

Wie das funk­tio­nie­ren kann, zeig­ten Lon­go und Kol­le­gen in einem Ver­such 9, bei dem sie gesun­den Pro­ban­den Schmerz­rei­ze ver­ab­reich­ten, wäh­rend die­se dabei Fol­gen­des betrachteten:

  • ent­we­der ihre sti­mu­lier­te Hand
  • oder ein Spie­gel­bild ihrer nicht schmer­zen­den Hand an der Posi­ti­on der sti­mu­lier­ten Hand (sodass der Ein­druck ent­stand, die sti­mu­lier­te Hand selbst zu sehen)
  • oder die Hand eines ande­ren Menschen
  • oder ein gespie­gel­tes Objekt.

Dabei wur­de die Sti­mu­la­ti­on als weni­ger schmerz­haft ein­ge­stuft, wenn die eige­ne Hand oder die eige­ne gespie­gel­te Hand wäh­rend der schmerz­haf­ten Sti­mu­la­ti­on gese­hen wur­de. Die­ser schmerz­re­du­zie­ren­de, also anal­ge­ti­sche Effekt wird als „visu­el­le Anal­ge­sie“ bezeich­net: Blo­ßes Betrach­ten des eige­nen schmer­zen­den Kör­per­teils ver­rin­gert den dort emp­fun­de­nen Schmerz.

Funk­ti­on und Wir­kung der visu­el­len Analgesie

Der Effekt der visu­el­len Anal­ge­sie wur­de bereits in einer Rei­he von Stu­di­en erfolg­reich ange­wen­det und dar­auf­hin unter­sucht, unter wel­chen Bedin­gun­gen er zuver­läs­sig auf­tritt und wie er lang­fris­tig the­ra­peu­tisch genutzt wer­den kann. Fol­gen­de Fra­gen wur­den dabei in der For­schung immer wie­der aufgegriffen:

  • Auf wel­che Wei­se muss der Kör­per­teil visu­ell prä­sen­tiert wer­den, damit der Effekt maxi­mal oder über­haupt erst auftritt?
  • Wel­che Rol­le spielt es für die Stär­ke des Effekts, ob der betrof­fe­ne Kör­per­teil grund­sätz­lich zu jeder Zeit visu­ell wahr­nehm­bar ist, wie es für die Hand der Fall ist, oder sich unter All­tags­be­din­gun­gen der Wahr­neh­mung ent­zieht, wie es für den Rücken zutrifft?
  • Zeigt sich der Effekt bei chro­ni­schem, habi­tu­el­lem Schmerz genau­so wie bei aku­ten Schmerzen?
  • Schließ­lich stellt sich ver­mehrt die Fra­ge nach den Mecha­nis­men, die der visu­el­len Anal­ge­sie funk­tio­nell zugrun­de liegen.

Stu­die an Gesunden

Bei einer Unter­su­chung an gesun­den Pro­ban­den wur­den expe­ri­men­tel­le, aku­te Schmerz­rei­ze ver­wen­det 10. Gleich­zei­tig betrach­te­ten die Ver­suchs­per­so­nen wie­der­um ent­we­der ihre schmer­zen­de Hand, das Spie­gel­bild ihrer nicht schmer­zen­den Hand an der Posi­ti­on der sti­mu­lier­ten Hand oder ein Objekt. Sowohl das Sehen der eige­nen Hand wäh­rend der Schmerz­sti­mu­la­ti­on als auch das Sehen der gespie­gel­ten Hand führ­ten zu einer merk­li­chen Schmerz­re­duk­ti­on. Bei die­ser Unter­su­chung konn­ten zudem mit­tels funk­tio­nel­ler Magnet­re­so­nanz­to­mo­gra­phie (fMRT) Hirn­struk­tu­ren iden­ti­fi­ziert wer­den, die an der Ver­mitt­lung der visu­el­len Anal­ge­sie betei­ligt sind. Die Ergeb­nis­se der fMRT-Mes­sung zeig­ten, dass für die visu­el­le Anal­ge­sie ein Zusam­men­spiel der neu­ro­na­len Kor­re­la­te von Schmerz­wahr­neh­mung einer­seits und von Kör­per­wahr­neh­mung ande­rer­seits von Bedeu­tung ist. Dies deu­tet dar­auf hin, dass Kör­per­wahr­neh­mungs­pro­zes­se eine wesent­li­che Rol­le bei der Schmerz­ver­ar­bei­tung spielen.

Stu­di­en mit chro­ni­schen Schmerzpatienten

Lässt sich der Effekt der visu­el­len Anal­ge­sie bei Pati­en­ten mit chronisch­en­­ Schmer­zen eben­so wie bei Gesun­den zei­gen? Um die­ser Fra­ge nach­zu­ge­hen, unter­such­ten Diers et al. 2013 11 18 Rücken­schmerz­pa­ti­en­ten und 18 gesun­de Kon­troll­pro­ban­den, denen sie Schmerz­rei­ze am obe­ren Rücken dar­bo­ten und zeit­gleich ein Echt­zeit-Video-Bild ihres Rückens oder ihrer Hand prä­sen­tier­ten (Abb. 1). Auf die­se Wei­se konn­te die visu­el­le Anal­ge­sie an einem nor­ma­ler­wei­se unbe­kann­ten Kör­per­teil wie dem Rücken unter­sucht wer­den. Ein Kör­per­teil kann als unbe­kannt erach­tet wer­den, wenn er sich der direk­ten Betrach­tung ohne Hilfs­mit­tel (z. B. Spie­gel) ent­zieht. In bei­den Grup­pen ließ sich der anal­ge­ti­sche Effekt beob­ach­ten: Sowohl die gesun­den Pro­ban­den als auch die chro­ni­schen Schmerz­pa­ti­en­ten erleb­ten den Schmerz als weni­ger schmerz­haft, wenn sie den betrof­fe­nen Kör­per­teil wäh­rend der Sti­mu­la­ti­on sahen.

Auch bei Wand et al. 2012 12 wur­de die Wir­kung visu­el­len Feed­backs auf die Schmerz­wahr­neh­mung chro­ni­scher Rücken­schmerz­pa­ti­en­ten unter­sucht. In einem der bei­den Durch­gän­ge betrach­te­ten die Teil­neh­mer der Stu­die ihren eige­nen Rücken mit Hil­fe von Spie­geln, wäh­rend sie Bewe­gun­gen mit dem Rücken aus­üb­ten, wohin­ge­gen sie im ande­ren Durch­gang die Bewe­gun­gen aus­führ­ten, ohne dabei den eige­nen Rücken zu sehen. Der Unter­schied zwi­schen der Bedin­gung „mit Betrach­tung im Spie­gel“ und der Bedin­gung „ohne Betrach­tung im Spie­gel“ war signi­fi­kant: Die bewe­gungs­in­du­zier­ten Schmer­zen konn­ten durch die Betrach­tung des eige­nen Rückens im Spie­gel gemin­dert wer­den. Das visu­el­le Feed­back kann also ver­mut­lich hel­fen, den eige­nen Kör­per und im Spe­zi­el­len den Rücken wahr­zu­neh­men und infol­ge­des­sen Schmer­zen zu verringern.

Visu­el­les Feed­back kann also expe­ri­men­tel­len Schmerz redu­zie­ren und eben­so den bewe­gungs­in­du­zier­ten Schmerz chro­ni­scher Rücken­schmerz­pa­ti­en­ten sen­ken. Wie ver­hält es sich aber mit habi­tu­el­lem Schmerz allein, wenn kei­ne zusätz­li­che Sti­mu­la­ti­on oder Mani­pu­la­ti­on vor­ge­nom­men wird? Die­ser Fra­ge nah­men sich wie­der­um Diers et al. 13 an und lie­ßen in einer wei­te­ren Stu­die chro­ni­sche Rücken­schmerz­pa­ti­en­ten ledig­lich ihren Rücken per Video-Feed­back für eini­ge Minu­ten betrach­ten. Vor­her und nach­her gaben die Pati­en­ten das Aus­maß ihrer habi­tu­el­len Schmer­zen an. Die Ergeb­nis­se lie­fer­ten Evi­denz dafür, dass visu­el­les Feed­back allein aus­rei­chen kann, um habi­tu­el­len Schmerz zu redu­zie­ren. Ins­ge­samt ist somit offen­bar allei­ni­ges Betrach­ten des sti­mu­lier­ten oder schmerz­haf­ten Bereichs mit­tels eines Echt­zeit-Vide­os oder eines Spie­gels aus­rei­chend nicht nur expe­ri­men­tel­len, son­dern auch bewe­gungs­in­du­zier­ten und habi­tu­el­len Schmerz zu vermindern.

Stu­die: klas­si­sche Mas­sa­ge mit visu­el­lem Feedback

Eine jün­ge­re Stu­die 14 ging der Fra­ge nach, ob sich die beschrie­be­nen Erkennt­nis­se der For­schung zur visu­el­len Anal­ge­sie unmit­tel­bar in die Behand­lung chro­ni­scher Rücken­schmer­zen inte­grie­ren las­sen, um die Effek­ti­vi­tät der Behand­lung zu stei­gern. Dazu wur­de klas­si­sche Mas­sa­ge unter visu­el­lem Feed­back durch­ge­führt (Abb. 2). Dabei erhiel­ten Pro­ban­den mit chro­ni­schen Rücken­schmer­zen fünf Behand­lun­gen, bei denen sie jeweils Ver­schie­de­nes über einen Moni­tor zu sehen bekamen:

  1. visu­el­les Feed­back ihres eige­nen Rückens wäh­rend der Massage,
  2. ein Video des mas­sier­ten Rückens einer ande­ren Person,
  3. ein Stand­bild des eige­nen Rückens,
  4. das Bild eines neu­tra­len Gegen­stan­des (z. B. ein Buch) oder
  5. nichts, da sie ihre Augen wäh­rend der Behand­lung geschlos­sen hielten.

Die Rei­hen­fol­ge die­ser fünf Bedin­gun­gen war ran­do­mi­siert. In allen Bedin­gun­gen zeig­te sich eine signi­fi­kan­te und kli­nisch rele­van­te Schmerz­re­duk­ti­on allein durch die Mas­sa­ge. Unter visu­el­lem Feed­back war die Schmerz­re­duk­ti­on am stärks­ten, unter­schied sich jedoch ledig­lich von der Schmerz­re­duk­ti­on in der Bedin­gung mit Blick auf einen neu­tra­len Gegen­stand signi­fi­kant. Über­ra­schend mag wir­ken, dass somit die Mas­sa­gen unter Betrach­tung eines frem­den Rückens, eines Stand­bilds des eige­nen Rückens sowie mit geschlos­se­nen Augen eben­falls zu einer deut­li­chen Schmerz­ver­rin­ge­rung führ­ten. Dies legt den Schluss nahe, dass der Bedin­gung „mit geschlos­se­nen Augen“ ein eige­ner Effekt zugrun­de liegt und dass mög­li­cher­wei­se allein die visu­el­le Dar­bie­tung irgend­ei­nes Rückens schon einen schmerz­lin­dern­den Effekt hat. Dabei könn­te das Gefühl der Zuge­hö­rig­keit des wahr­ge­nom­me­nen frem­den Rückens zum eige­nen Kör­per eine ent­schei­den­de Rol­le spie­len. Sahen die Pro­ban­den näm­lich wäh­rend der Mas­sa­ge auf dem Moni­tor die Auf­nah­me eines frem­den mas­sier­ten Rückens, hing das Aus­maß der Schmerz­re­duk­ti­on davon ab, inwie­weit sie den frem­den Rücken als ihren eige­nen wahr­nah­men. Der gleich­wer­ti­ge anal­ge­ti­sche Effekt durch die Mas­sa­ge mit geschlos­se­nen Augen lässt sich mög­li­cher­wei­se dadurch erklä­ren, dass ein Schlie­ßen der Augen die Mög­lich­keit zur Ent­span­nung erhö­hen und sich dadurch der psy­cho­lo­gi­sche Effekt der Mas­sa­ge ver­stär­ken könnte.

Dis­kus­si­on

Bis­lang bleibt jedoch unge­klärt, wel­che kogni­ti­ven Mecha­nis­men den Effekt der visu­el­len Anal­ge­sie tat­säch­lich ver­mit­teln. Inter­es­sant ist in die­sem Zusam­men­hang z. B. die Fra­ge, inwie­fern es für das Aus­maß der Schmerz­re­duk­ti­on eine Rol­le spielt, ob durch visu­el­les Feed­back ein wohl­be­kann­ter Kör­per­teil wie die Hand oder z. B. der eher wenig ver­trau­te Rücken per Echt­zeit-Video betrach­tet wird. Hier­bei ist zu klä­ren, ob der schmerz­lin­dern­de Effekt sich durch die blo­ße Wahr­neh­mung oder aber die Aus­wir­kun­gen von Auf­merk­sam­keits- oder Ablen­kungs­ef­fek­ten erklä­ren lässt. Bei­spiels­wei­se könn­te bereits die Neu­ar­tig­keit der Erfah­rung, den eige­nen Rücken betrach­ten zu kön­nen, also eine Len­kung der Auf­merk­sam­keit auf das Unbe­kann­te, das Schmerz­er­le­ben posi­tiv beein­flus­sen. Hin­ge­gen könn­te die Auf­merk­sam­keit beim Betrach­ten eines ohne­hin ver­trau­ten Kör­per­teils wie der Hand kei­ne oder nur eine gerin­ge Rol­le spie­len. Noch offe­ne Fra­gen die­ser Art sind aktu­ell Gegen­stand der For­schung zur visu­el­len Analgesie.

Fazit

Chro­ni­sche Schmer­zen sind ein ver­brei­te­tes gesund­heit­li­ches Pro­blem, für das es inno­va­ti­ver The­ra­pie­an­sät­ze bedarf. In etli­chen Stu­di­en konn­te gezeigt wer­den, dass das rei­ne Betrach­ten eines von Schmerz betrof­fe­nen Kör­per­teils die Schmer­zen lin­dern kann. Die­ser Effekt der visu­el­len Anal­ge­sie hilft sowohl bei aku­ten als auch bei chro­ni­schen Schmer­zen. Der Effekt ist ins­ge­samt recht robust gegen­über der Art und Wei­se, in wel­cher der jewei­li­ge Kör­per­teil visu­ell dar­ge­bo­ten wird. Wich­tig ist, dass der vom Pati­en­ten visu­ell wahr­ge­nom­me­ne Kör­per­teil als sei­nem eige­nen Kör­per zuge­hö­rig emp­fun­den und somit ins eige­ne Kör­per­bild inte­griert wer­den kann. Vor allem Pati­en­ten mit chro­ni­schen Rücken­schmer­zen, deren Ort des Schmer­zes sich übli­cher­wei­se der direk­ten Betrach­tung ent­zieht, könn­ten von einer sys­te­ma­ti­schen Inte­gra­ti­on der visu­el­len Anal­ge­sie in her­kömm­li­che Behand­lungs­kon­zep­te pro­fi­tie­ren. Jeden­falls lie­fern jüngs­te Stu­di­en­ergeb­nis­se Hin­wei­se dar­auf, dass eta­blier­te Behand­lungs­me­tho­den bei Rücken­schmer­zen wie die Mas­sa­ge durch visu­el­les Feed­back in ihrer schmerz­min­dern­den Wir­kung noch gestei­gert wer­den können.

Zu beach­ten ist, dass sich vie­le der prä­sen­tier­ten Stu­di­en­ergeb­nis­se mehr im Bereich sta­tis­ti­scher als kli­ni­scher Signi­fi­kanz bewe­gen, sodass es noch eini­ger For­schung bedarf, um den Wert der visu­el­len Anal­ge­sie für die kli­ni­sche Anwen­dung bes­ser ein­schät­zen zu kön­nen. Zudem ist noch sehr wenig dar­über bekannt, wel­che psy­cho­lo­gi­schen Mecha­nis­men den Effekt der visu­el­len Anal­ge­sie ver­mit­teln und wie sich sei­ne schmerz­re­du­zie­ren­de Wir­kung im Gehirn bemerk­bar macht. Hier­zu sind in nächs­ter Zeit wohl noch zahl­rei­che span­nen­de Forschungs­arbeiten zu erwarten.

Für die Autoren:
Mar­tin Diers
LWL-Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Bochum
Kli­ni­sche und Experimentelle
Ver­hal­tens­me­di­zin
Kli­nik für Psychosomatische
Medi­zin und Psychotherapie
Alex­an­dri­nen­str. 1–3
44791 Bochum
martin.diers@ruhr-uni-bochum.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Cor­dier L, Bor­de­wieck M, Diers M. The­ra­pie­an­satz der visu­el­len Anal­ge­sie — Wie Schmer­zen durch blo­ßes Betrach­ten des Schmerz­or­tes gesenkt wer­den kön­nen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2018; 69 (2): 46–49
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