Unterscheidung funktioneller und struktureller Spitzfuß
Als funktioneller oder flexibler Spitzfuß wird im Allgemeinen ein Fuß bezeichnet, der sich manuell aus einer Spitzfußstellung redressieren, das heißt korrigieren lässt (Abb. 1a–d). Für die Spitzfüßigkeit ist ein muskuläres Übergewicht oder eine muskuläre Überaktivität der Plantarflexoren verantwortlich, wobei hier in erster Linie der M. triceps surae, also der M. gastrocnemius und der M. soleus verantwortlich sind.
Ursache für eine Fehlsteuerung kann zum Beispiel der Ausfall der Antagonisten (der Extensoren) sein oder aber eine neurologische Fehlsteuerung, wie sie zum Beispiel bei einer zerebralen Bewegungsstörung (Spastik) zu beobachten ist. Ein spastisch gelähmtes Kind, das in der Lage ist, selbstständig zu stehen und zu gehen, kann unter Belastung im Stand eine ganzsohlige Belastung einschließlich der Ferse aufweisen, während es beim Schrittzyklus durch die muskuläre Dysbalance und das Übergewicht der Plantarflexoren zu einer Betonung der Vorfußbelastung kommt beziehungsweise zu einem ausschließlichen Vorfußbelastungsgang. Dieser ist jedoch unter Belastung im Stand wieder redressierbar durch das Körpergewicht und durch die nachlassende Aktivität der Plantarflexoren. Ein plantigrader Stand ist somit möglich. Durch die Muskelaktivität beim Gehen kommt es jedoch wieder zur so genannten funktionellen Spitzfüßigkeit. Der Spitzfuß ist also nur unter Aktivität zu beobachten.
Dieses gilt auch im unbelasteten Zustand, wenn zum Beispiel der Fuß durch einen Reiz an der Fußsohle nicht in Dorsalextension angehoben wird, sondern durch das muskuläre Übergewicht beziehungsweise durch die Spastik der Fuß im Sinne einer Plantarflexion im Vorfuß abgesenkt wird, sodass wieder eine Spitzfußstellung im oberen Sprunggelenk resultiert.
Im Gegensatz zum funktionellen/ flexiblen Spitzfuß handelt es sich bei einem strukturellen oder rigiden Spitzfuß um eine Fehlstellung, die manuell nicht mehr korrigierbar ist. Bei gestrecktem Kniegelenk kann der Fuß im oberen Sprunggelenk nicht mehr über die Neutralstellung (Neutralnullmethode) dorsalextendiert werden. Erreicht die manuelle Redression im oberen Sprunggelenk noch die Nullstellung, so handelt es sich per Definition noch um einen funktionellen Spitzfuß. Wird jedoch die Neutralstellung im oberen Sprunggelenk bei gestrecktem Kniegelenk nicht mehr erreicht, so spricht man von einem strukturellen Spitzfuß.
Der initiale Spitzfuß weist häufig eine Pes plano valgus-Komponente auf, die durch Anhebung der Großzehe unter Belastung im Stand korrigiert werden kann. Es kommt zu einer vollständigen Aufrichtung der medialen Längswölbung (Jack-Test) (Abb. 2a–c).
Die Strukturveränderung liegt im Wesentlichen in der Verkürzung des M. triceps surae (M. gastrocnemius und M. soleus) sowie in der Verkürzung des M. tibialis posterior. Dieser ist insbesondere bei spastischen Lähmungen für die Klumpfußkomponente mitverantwortlich. Über einen funktionellen Test kann man dies einfach feststellen: Wird das Kniegelenk gebeugt, so sind die muskulären Anteile des M. tricpes surae (M. gastrocnemius) entspannt, sodass eine Dorsalextension über die Neutralstellung des oberen Sprunggelenkes hinaus möglich wird. Hält man den Fuß in dieser Position und führt dann das Kniegelenk in Extension, so entfaltet die Verkürzung des Gastrocnemius ihre Wirkung. Bei Erreichen der endgradigen Kniestreckung wird wiederum eine Plantarflexion im oberen Sprunggelenk hervorgerufen. Ist diese manuell nicht zu korrigieren, so handelt es sich um einen strukturellen Spitzfuß, da die Neutralstellung im oberen Sprunggelenk nicht mehr erreicht wird.
Wenn sich der Fuß auch bei gebeugtem Kniegelenk im oberen Sprunggelenk nicht dorsalextendieren lässt, so liegt zusätzlich eine Verkürzung des M. soleus vor, der im Kniegelenk nicht wirksam wird. Der Anteil des M. soleus vom M. triceps surae ist eingelenkig, während der M. gastrocnemius als Anteil des M. triceps surae zweigelenkig (Knie- und Sprunggelenk) ist.
Im Röntgenbild erkennt man bei einem funktionellen Spitzfuß in aller Regel keine Veränderungen im Bereich der knöchernen Strukturen. Bei einem strukturellen Spitzfuß können zum Beispiel verkalkte Weichteilstrukturen (Achillessehne, Kapsel), aber auch knöcherne Anteile des oberen Sprunggelenks so verändert sein, dass hieraus die Spitzfußstellung resultiert. Auch kann der Tuber calcanei durch die Fehlstellung angehoben werden, wie wir es aus Fußfehlstellungen nach Vorfußamputationen kennen.
Korrektur und Einstellung eines funktionellen Spitzfußes
Die Korrektur und Einstellung eines flexiblen beziehungsweise funktionellen Spitzfußes stellt für den erfahrenen Orthopädieschuhmacher und Orthopädie-Techniker in der Regel keine hohe Anforderung dar (Abb. 3). Erschwerend für die Korrektur eines funktionellen Spitzfußes bei einem Patienten mit Zerebralparese ist jedoch der Spannungszustand der Muskulatur. Je nach Tonusqualität kann er bei einer ausgeprägten Spastik nur mit großer Mühe überwunden werden, um den Fuß in die Korrekturstellung zu bringen. Kann der spastische Muskelwiderstand überwunden werden und der funktionelle Spitzfuß ist korrigierbar, so muss bei der Einbettung in eine Orthese oder einen Maßschuh alles versucht werden, die Neutralstellung im oberen Sprunggelenk zu erreichen. Diese muss im Gipsabdruck und Leisten fixiert werden.
Dabei ist nicht nur der Winkel zwischen Fußsohle und Unterschenkel entscheidend, sondern insbesondere der klinische Winkel des Rückfußes, der entweder varisch oder valgisch „deformiert“ sein kann (Abb. 4a–d).
Die Einstellung des Rückfußes sollte bei einem funktionellen Spitzfuß stets in der Neutralstellung erfolgen. Die neutrale Einstellung soll unter anderem verhindern, dass die Achillessehne in eine varische oder valgische Fehlform abdriftet und dadurch fehlbelastet wird. Durch die Neutralstellung wird ein axialer Zug auf die Achillessehne gewährleistet.
Durch diese streng neutrale Einstellung der Ferse in Verlängerung der Unterschenkellängsachse ist zudem eine Dehnung der verkürzten Wadenmuskulatur unter Belastung gewährleistet. Dies kann bei längerer Tragezeit des Hilfsmittels dazu führen, dass trotz des Wachstums des Kindes eine Verschlechterung der Befunde nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt eintritt. Mit einer derartigen Einstellung des Rückfußes ist somit eine „dynamische Kontrakturprophylaxe“ gewährleistet, die eine vorzeitige operative Behandlung eines verkürzten Wadenmuskels zeitlich hinauszögern kann. Dieses sollte stets das Ziel sein, wenn zerebralparetische Kinder mit Hilfsmitteln versorgt werden.
Bei der Abformung des Fußes müssen auch die anatomischen Strukturen, wie Innenknöchel, Außenknöchel, mediale und laterale Kulisse der Achillessehne, Fersenhöcker, mediale Längswölbung, retrokapitale Querwölbung und so weiter, für die Erstellung eines Gipsabdruckes oder eines Leistens präzise berücksichtigt werden. Die anatomischen Strukturen des Befundes müssen in der Hilfsmittelversorgung wieder erkennbar sein, damit die Funktion des Hilfsmittels bei maximaler Formschlüssigkeit und Berücksichtigung des Fußvolumens gewährleistet ist. Eine unvollständige Korrektur des Fußes würde einen Funktionsnachteil des Hilfsmittels bedeuten, weil nicht alle Möglichkeiten der anatomischen Korrigierbarkeit genutzt wurden.
Wenn unter Belastung im Hilfsmittel der Fuß eine veränderte Form einnehmen kann, weil zum Beispiel das Fußvolumen nicht korrekt eingeschätzt wurde, oder die anatomischen Strukturen nicht akkurat abgeformt wurden und eine Restfehlstellung im Hilfsmittel verbleibt, so würde dieses Hilfsmittel allenfalls den Befund konservieren, jedoch niemals korrigieren können. Eine Korrektur muss jedoch angestrebt werden, um insbesondere beim Kind eine wachstumslenkende Befundbeeinflussung sicherzustellen. Gelegentlich ist es sogar erforderlich, bei der Erstellung eines Gipsabdruckes eine „Überkorrektur“ des Rückfußes anzustreben, um den Fuß unter den belastenden Kräften während des Stehens und Gehens innerhalb der Orthese ausreichend in Korrekturstellung fixieren zu können. Dabei geht man davon aus, dass unter Belastung innerhalb des Hilfsmittels ein „partieller Korrekturverlust“ eintreten kann, wenn die spastischen Tonusverhältnisse eine vollständige Korrektur nur mit größter Mühe ermöglichen. Durch die zuvor berücksichtigte „Überkorrektur“ führt der Korrekturverlust unter Belastung dann zu einer korrekten Neutraleinstellung des Fußes. Der Untersucher muss zuvor jedoch bei seiner fachgerechten Bewertung herausarbeiten, in welche Fehlstellung der Fuß unter Belastung bevorzugt abdriftet. Bei vermehrter Varisierung der Ferse ist eine valgische Überkorrektur (10°), bei vermehrter Valgisierung eine varische Rückfußeinstellung anzustreben (5–10°). Dabei ist es in der Regel hilfreich, auch über den Vorfuß die pronierenden oder supinierenden „Hebel“ zu nutzen, um im Rückfuß die Korrektur erreichen zu können (Abb. 5a u. b, 6a u. b).
Häufig werden beim Gipsabdruck bei einem spastischen Patienten die auftretenden Kräfte der Plantarflektion im oberen Sprunggelenk unterschätzt, da die Tonuszustände sehr unterschiedlich sein können. Scheinbar gelingt es nicht, das obere Sprunggelenk in Neutralstellung oder Überkorrektur einzustellen. Unerlässlich ist es, den Fuß unter Einbeziehung der Bodenreaktionskräfte im Stand zu untersuchen. Gelingt es, bei korrigiertem Fußgewölbe und neutraler Ferseneinstellung, das Kniegelenk über den Fuß zu bewegen, so muss sich dieses Korrekturergebnis auch im Gipsabdruck wiederfinden.
Korrektur und Einstellung eines strukturellen Spitzfußes
Zeigt sich eine initiale strukturelle Spitzfüßigkeit, aus der zum Beispiel ein Spitzfuß von 5° bis 10° resultiert, bietet es sich an, die Versorgung mit einer Fersensprengung auszustatten (Abb. 7a–c). Mit der unterschiedlichen Einstellung der Ferse und des Vorfußes kann eine „Entspannung“ der dorsalen Muskelkette (Plantarfaszie, dorsale Wadenmuskulatur (M. triceps surae)) und eine deutliche Verbesserung der Rückfußkorrigierbarkeit erreicht werden. Dabei sind die Gradzahlen für die Spitzfüßigkeit weniger entscheidend, da in diesem Falle die Spitzfußfehlstellung im Wesentlichen vorfußbetont ist.
Die Ferse soll in der Ansicht von medial und lateral in Neutralstellung eingestellt werden. Der Vorfuß ist jedoch gegenüber dem Rückfuß abgesenkt, so dass ein innerer „Absatz“ berücksichtigt wird, den wir als Fersensprengung bezeichnen (Abb. 8a–g). In der anterior-posterior Ansicht steht die Ferse streng neutral, in der mediallateralen Ansicht steht sie horizontal. Durch die Fersensprengung, die zur Entspannung der dorsalen Muskelund Faszienkette führt, ist die Einstellung des Rückfußes anatomisch korrekt möglich (Abb. 9a–d).
Ohne die Fersensprengung wäre die Rückfußkorrektur entweder äußerst schwierig oder nicht mehr möglich, so dass hier die strukturellen Veränderungen zu einer Spitzfußeinstellung führen würden (Abb. 10).
Ist eine solche Rückfußkorrektur durch Absenken des Vorfußes nicht mehr möglich, so sind die Strukturveränderungen so weit vorangeschritten, dass der Rückfuß in einer Spitzfußstellung eingestellt werden müsste. Dieses sollte, wenn irgend möglich, bei der Anfertigung von Hilfsmitteln wie orthopädischen Maßschuhen und/oder Orthesen vermieden werden, um – wie bereits oben erwähnt – einen axialen Zug auf die verkürzte Wadenmuskulatur sicherzustellen. In solchen Fällen sollte ein operatives Vorgehen in Betracht gezogen werden.
In Ausnahmefällen, wenn zum Beispiel eine operative Achillessehnenverlängerung nicht möglich ist oder nicht gewünscht wird, aber dennoch das Ziel einer Vertikalisierung und Mobilisation des Patienten angestrebt wird, muss der Rückfuß in seiner Fehlstellung „konserviert“ werden. Dabei ist ein orthopädieschuhtechnischer oder orthetischer Spitzfußausgleich notwendig, um eine Belastung des Fußes zu ermöglichen. Insbesondere ist dieses bei bereits über viele Jahre bestehenden Fußdeformitäten notwendig. Die Fehlstellungen sind in der Regel dann strukturell so „zementiert“ worden, dass eine Korrektur nur marginal oder gar nicht mehr möglich ist.
Bei allen anderen Fußdeformitäten, die im Rückfuß korrigierbar sind, sollte die Fersensprengung obligat verwendet werden, um die anatomische Einstellung des oberen Sprunggelenkes in Neutralstellung zu gewährleisten. Als Untersucher ist man häufig überrascht, wie gut die Rückfußeinstellung über die Fersensprengung gelingt, wenn eine strukturelle Spitzfüßigkeit vorliegt. Bevor ein orthopädischer Maßschuh oder eine Orthese für einen Spitzfuß gefertigt wird, sollte deshalb auf jeden Fall geprüft werden, ob mit Hilfe einer unterschiedlichen Einstellung der Ferse gegenüber dem Vorfuß eine Rückfußkorrektur möglich ist. Ist dies möglich, so muss das Hilfsmittel diese Rückfußkorrektur berücksichtigen. Andernfalls ist die Prognose für die weitere Befundentwicklung eindeutig verschlechtert.
Die Autoren:
Dr. Ulrich Hafkemeyer
Chefarzt Technische Orthopädie und pädiatrische Neuroorthopädie
SPZ-Westmünsterland
Christophorus-Kliniken GmbH
St.-Vincenz-Hospital
Südring 41
48653 Coesfeld
drulihafkemeyer@aol.com
OTM Carsten Kramer
Kompetenzzentrum Kramer
Gasthauskanal 2
26871 Papenburg
ca-kramer@t‑online.de
Erstveröffentlichung: Orthopädieschuhtechnik 10/2014, S. 34–40
Hafkemeyer U, Kramer C. Spitzfußversorgung – Korrekturmöglichkeiten bei funktionellem und strukturellem Spitzfuß, Orthopädie Technik. 2015; 66 (8): 20–25
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