Seri­en­reif: Trai­nings­ge­rät für den Trans­fer vom Roll­stuhl ins Auto

Laut der Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten in Deutschland e. V. (FGQ) gibt es allein 100.000 Querschnittgelähmte in Deutschland – Tendenz steigend, denn etwa 1.200 Fälle kommen pro Jahr hinzu.

Doch nicht nur sie benö­ti­gen einen Roll­stuhl. Auch Pati­en­ten mit ande­ren neu­ro­lo­gi­schen oder auch ortho­pä­di­schen Erkran­kun­gen kön­nen zeit­wei­lig oder dau­er­haft auf einen Roll­stuhl ange­wie­sen sein. Ein Roll­stuhl schränkt den Bewe­gungs­ra­di­us ein. Daher ent­wi­ckel­te das 1996 gegrün­de­ten Unter­neh­men Auto­mo­bi­le Soder­manns Reha-Mobi­li­täts­zen­trum-NRW ein Trai­nings­ge­rät, mit des­sen Hil­fe Pati­en­ten bereits in der Reha-Kli­nik den Trans­fer vom Roll­stuhl in ein Auto üben können.

„Egal wel­che Dia­gno­se vor­liegt – die Betrof­fe­nen sind zu Anfang oft über­zeugt, dass sie nicht mehr allein in ein Auto ein­stei­gen und damit über ihren Mobi­li­täts­ra­di­us nicht mehr selbst­stän­dig ent­schei­den kön­nen“, erläu­tert Jochen Rieß, Bera­ter für Son­der­um­bau­ten und Reha-Pro­duk­te bei Auto­mo­bi­le Soder­manns Reha-Mobi­li­täts­zen­trum-NRW, eines Anbie­ters für behin­der­ten­ge­rech­te Fahr­zeug­um­bau­ten aus Was­sen­berg in der Nähe von Mön­chen­glad­bach, im Gespräch mit der OT-Redaktion.

„Das Trau­ma des Unfalls, der Erkran­kung und ihrer Fol­gen sitzt so tief, dass die­se Pati­en­ten gro­ße Angst haben, bei einem Trans­fer vom Roll­stuhl ins Auto – ob auf den Fah­rer- oder Bei­fah­rer­sitz – her­aus­zu­fal­len.“ Der Trans­fer ins Auto und wie­der zurück in den Roll­stuhl sei ins­be­son­de­re des­halb so anspruchs­voll, weil die Betrof­fe­nen unter­schied­li­che Sitz­hö­hen meis­tern und die Ein­stiegs­kan­te sowie die Dach­kan­te berück­sich­ti­gen müss­ten. Außer­dem sei eine Steue­rung des Autos über die Peda­le nicht mehr mög­lich, sodass die Benut­zung von Hilfs­mit­teln wie Hand­ge­rä­ten für Gas und Brem­se erst erlernt wer­den müs­se. „Nach mei­ner Erfah­rung steigt der Angst­pe­gel der Betrof­fe­nen mit der Höhe der Läsi­on“, so Jochen Rieß. Ins­be­son­de­re für die men­ta­le Ent­wick­lung der Betrof­fe­nen sei es aber wich­tig, ihnen die­se Angst früh­zei­tig zu neh­men. „Das selbst­stän­di­ge Auto­fah­ren, ohne Ange­hö­ri­ge, Part­ner oder Freun­de um Hil­fe bit­ten zu müs­sen, ermög­licht oft erst die Aus­übung eines Beru­fes und ist das Tor zu einem selbst­be­stimm­ten Leben“, betont der Berater.

All­tags­ge­rech­tes Training

Um Betrof­fe­nen früh­zei­tig Per­spek­ti­ven in ein selbst­be­stimm­tes Leben auf­zu­zei­gen, habe sich sei­ne Fir­ma Gedan­ken gemacht, wie man Roll­stuhl­fah­rern bereits in der Reha-Kli­nik die Angst vorm Trans­fer neh­men kön­ne. Bis­her sei­en die Kli­ni­ken dies­be­züg­lich auf zwei Metho­den ange­wie­sen gewe­sen: Ent­we­der sie stell­ten in einem The­ra­pie­raum zwei nor­ma­le Stüh­le neben­ein­an­der, um den Trans­fer auf einen Auto­sitz zu üben oder sie nutz­ten Miet­fahr­zeu­ge als Übungsgeräte.

„Im ers­ten Fall ist das Trai­ning fern von den rea­len Bedin­gun­gen, im zwei­ten Fall fin­det es bei Wind und Wet­ter statt. Das sind kei­ne idea­len Bedin­gun­gen, zumal aus Kos­ten- und Zeit­grün­den nicht sel­ten ganz auf das Trai­ning ver­zich­tet wird“, erläu­tert Rieß. „So ent­stand in unse­rem Unter­neh­men die Idee, ein Trai­nings­ge­rät zu ent­wi­ckeln, das dem Pati­en­ten bereits in der Kli­nik sicher und wet­ter­un­ab­hän­gig das Üben des Ein- und Aus­stei­gens erlaubt. Wir haben uns bezüg­lich der Maße des Gerä­tes an einem klas­si­schen Mit­tel­klas­se­wa­gen ori­en­tiert, um all­tags­taug­li­che Bedin­gun­gen bie­ten zu kön­nen, da die meis­ten Roll­stuhl­fah­rer ein Fahr­zeug die­ser Kate­go­rie nutzen.“

Inner­halb eines Jah­res ent­stand das mobi­le ein­sit­zi­ge Trai­nings­ge­rät „Reha-Slide“, das mit 135 cm Län­ge, 79 cm Brei­te und 148 cm Höhe ver­gleichs­wei­se kom­pak­te Maße auf­weist. Der Öff­nungs­win­kel der Türen und die Rah­men­hö­he ent­spre­chen einem Mit­tel­klas­se­wa­gen. Zu bei­den Sei­ten des Gerä­tes kön­nen schwenk­ba­re Rutsch­bret­ter je nach Bedarf ein- oder aus­ge­klappt wer­den, sodass der Trans­fer auf den Bei­fah­rer­sitz oder Fah­rer­sitz glei­cher­ma­ßen geübt wer­den kann. Das Lenk­rad ist auf den Pati­en­ten ein­stell­bar. Zu den wei­te­ren Aus­stat­tungs­op­tio­nen zäh­len unter ande­rem Pedal­ab­de­ckun­gen, ortho­pä­di­sche Auto­sit­ze, ein Hand­be­dien­ge­rät für Gas und Brem­se sowie ein Lenkraddrehknauf.

Trai­nings­ge­rät im Praxistext

Seit Anfang 2019 ist ein Pro­to­typ unter ande­rem in der BDH-Kli­nik Val­len­dar in Rhein­land-Pfalz in Betrieb. Der Bun­des­ver­band für Reha­bi­li­ta­ti­on (BDH) ist Trä­ger und Allein­ge­sell­schaf­ter von sie­ben über ganz Deutsch­land ver­teil­ten Ein­rich­tun­gen und eines ambu­lan­ten The­ra­pie­zen­trums für neu­ro­lo­gi­sche Reha­bi­li­ta­ti­on. An der BDH-Kli­nik Val­len­dar betreu­en durch­schnitt­lich 270 Mit­ar­bei­ter jähr­lich rund 2.400 Pati­en­ten. Axel Kröll, Lei­ten­der Phy­sio­the­ra­peut der Kli­nik, bestä­tigt, dass das Ein- und Aus­stei­gen in ein Fahr­zeug in der Tat eine gro­ße Her­aus­for­de­rung für die Pati­en­ten sei.

„Im ers­ten Schritt müs­sen sie die Hand­lung pla­nen, also ent­schei­den, wie sie an das Fahr­zeug her­an­fah­ren und wo genau sie den Roll­stuhl posi­tio­nie­ren müs­sen. Sodann geht es um die Bewe­gungs­ab­läu­fe: Hebe ich bei­spiels­wei­se zuerst die Bei­ne oder das Gesäß in das Fahr­zeug? Die­se Punk­te wer­den gemein­sam mit dem The­ra­peu­ten, abhän­gig vom indi­vi­du­el­len Funk­ti­ons­po­ten­zi­al und gege­be­nen­falls unter Ein­be­zie­hung einer Hilfs­per­son, erar­bei­tet und trai­niert“, sagt Axel Kröll. Aller­dings soll­te jedes Trai­ning in der The­ra­pie so all­tags­re­le­vant wie mög­lich sein, um einen größt­mög­li­chen Effekt zu erzielen.

Gui­do Pin­ter, Lei­ten­der Ergo­the­ra­peut der BDH-Kli­nik Val­len­dar, ergänzt: „Wenn ich das Ein- und Aus­stei­gen in ein Auto üben will, benut­ze ich ein Auto oder ein Trai­nings­ge­rät, das die­sem in Hin­blick auf Aus­ma­ße und Funk­tio­na­li­tät sehr nahe­kommt. Genau das ist beim mobi­len Trai­nings­ge­rät „Reha-Slide“ gege­ben. Für Pati­en­ten und The­ra­peu­ten bie­tet es nicht nur ein all­tags­taug­li­ches, siche­res und schnel­les Trai­ning, son­dern wir kön­nen erst­mals wet­ter­un­ab­hän­gig mit den Pati­en­ten üben, und zwar in allen Ergo- oder Phy­sio­the­ra­pie­räu­men, da das Trai­nings­ge­rät so klein und fle­xi­bel ist, dass es in jeden unse­rer Auf­zü­ge passt.“ Die Span­ne der Übungs­zeit sei je nach dem Schwe­re­grad der Erkran­kung in Bezug auf Funk­ti­on und Kogni­ti­on sehr unter­schied­lich. Bei eini­gen Pati­en­ten rei­che ein ein- bis zwei­ma­li­ges Trai­ning, ande­re müss­ten den Trans­fer müh­sam und lang­fris­tig erler­nen, so Gui­do Pinter.

Nach Aus­sa­ge der bei­den Kli­nik­ver­tre­ter reagie­ren die Pati­en­ten durch­weg posi­tiv auf das Trai­nings­ge­rät. Das gilt auch für Wer­ner Horn: Er ist seit einem Schlag­an­fall links­sei­tig gelähmt und muss das siche­re Ein- und Aus­stei­gen üben. Zur Reha­bi­li­ta­ti­on ist er in der BDH-Kli­nik Val­len­dar und nutzt dazu unter Anlei­tung den „Reha-Slide“ in einem der The­ra­pie­räu­me. „Das Trai­ning ist sehr ange­nehm und prak­tisch, und ich füh­le mich sicher dabei. Ich bin froh, dass es so etwas gibt, damit ich schnell wie­der mobil wer­de“, erklärt der 54-jäh­ri­ge Patient.

Noch im Lau­fe die­ses Jah­res soll der „Reha-Slide“ in Serie gehen: „Die zahl­rei­chen posi­ti­ven Rück­mel­dun­gen auch aus unse­ren wei­te­ren Part­ner­kli­ni­ken haben uns dar­in bestä­tigt, dass wir mit unse­rer Ent­wick­lung eine wich­ti­ge Lücke für die Betrof­fe­nen schlie­ßen kön­nen“, meint Jochen Rieß abschließend. ■

Das Unter­neh­men Auto­mo­bi­le Soder­manns Reha-Mobi­li­täts­zen­trum-NRW wur­de 1996 von Frank Soder­manns gegrün­det. Zunächst ein klas­si­sches Auto­haus, wur­de der Betrieb nach einem Unfall des Geschäfts­füh­rers, der ihn für meh­re­re Mona­te an den Roll­stuhl fes­sel­te, in kür­zes­ter Zeit auf den Umbau von Pkw umge­stellt durch sei­nen eige­nen Schick­sals­schlag erkann­te Frank Soder­manns den Bedarf an Fahr­zeu­gen für Men­schen mit Han­di­cap. Heu­te arbei­ten über 40 medi­zi­nisch und tech­nisch geschul­te Mit­ar­bei­ter an indi­vi­du­el­len Umbau­kon­zep­ten für Fahr­zeu­ge aller Art für Selbst­fah­rer, Bei­fah­rer und Fami­li­en mit behin­der­ten Kindern.

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