Skoliosetherapie
Idiopathische Skoliosen sind dreidimensionale Verformungen der Wirbelsäule, für die keine spezifische Ursache benannt werden kann. Neben der Seitverkrümmung findet man eine Rotation der Wirbelkörper vor, häufig auch verbunden mit einer Lordosierung der Brustwirbelsäule. Die klassische Therapie beinhaltet im ersten Schritt die klinische Erfassung der Fehlstellung. Genaue Daten zum Grad der Abweichung liefert die Bestimmung des Cobb-Winkels am Röntgenbild. Der Winkel nach Cobb ist ein Maß zur Bestimmung der Wirbelsäulenverkrümmung. Hierzu werden zunächst die beiden am stärksten gekippten Wirbel einer Krümmung bestimmt und dann der Winkel zwischen diesen beiden Neutralwirbeln gemessen. Nach den Versorgungsempfehlungen der Scoliosis Research Society (SRS) erfolgt bei Abweichung bis 20° Cobb eine physiotherapeutische Behandlung. Bei stärkeren Abweichungen der Wirbelsäule (bis 45° Cobb) kommen Korsette zur Korrektur der Fehlstellung zur Anwendung. Fehlstellungen über 50° nach Cobb werden der operativen Therapie zugeführt.
Eine regelmäßige Kontrolle der Fehlstellung während des Wachstums ist ein wichtiger Bestandteil der Versorgung einer Skoliose. Um hierbei die Strahlenbelastung für die Patienten möglichst gering zu halten, kann zur Dokumentation des Therapieverlaufs auch die Streifenlichttopometrie eingesetzt werden. Das vom Autor verwendete Messsystem wurde in den 80er Jahren an der Universität Münster entwickelt. Aus einer Lichtquelle werden dabei parallele horizontale Lichtstreifen auf den Oberkörper projiziert. Treffen die Lichtstreifen auf die unregelmäßig geformte Rückenoberfläche, erscheinen die parallelen Streifen verkrümmt. Dieses Bild wird mittels einer digitalen Kamera erfasst und vom Computer in eine dreidimensionale Abbildung des Rückens umgerechnet. Durch dieses Verfahren können Messergebnisse mit einer Genauigkeit im Millimeterbereich erzielt werden. Es konnte nachgewiesen werden, dass über die exakte Erfassung der Oberfläche Rückschlüsse auf die Position der darunterliegenden Wirbelsäule möglich sind. Aktuelle Messsysteme arbeiten über einen bewegten Streifen, mitteln bis zu 30 Bilder je halber Sekunde und können somit auch normale Körperschwankungen berücksichtigen.
Sensomotorische Einlagen
Im Gegensatz zu den herkömmlichen passiven Einlagen, die über eine mechanische Abstützung auf Fußfehlstellungen einwirken, wird bei der Versorgung mit sensomotorischen Einlagen die Eigenwahrnehmung des Patienten dahingehend verändert, dass es zu einer aktiven Aufrichtung kommt. Im Fokus steht bei dem vom Verfasser verwendeten System weniger die Veränderung der Fußposition als vielmehr die Beeinflussung der gesamten Körperhaltung. Die Beeinflussung der Eigenwahrnehmung erfolgt bei diesem Einlagensystem über das Unterlegen von 1 bis 3 mm starken Plättchen unter definierten Zonen der Fußsohle (Abb. 1), die Haltungskorrektur erfolgt dann durch den Patienten selbst. Ziel dessen ist es, dass der Patient die neuen Haltungsmuster verinnerlicht und dauerhaft anwendet. Die Wirkung der sensomotorischen Einlagen wurde in verschiedenen Arbeiten nachgewiesen 1 2.
Klinische Erfahrungen
Die Patienten werden meist nach klinischer Untersuchung und Diagnose einer Skoliose mit einem Winkel bis 20° Cobb zugewiesen. In der Eingangsuntersuchung wird mit Hilfe der Streifenlichtprojektion die Position des Patienten im Raum erfasst. Die Abweichungen (Rotation im Becken und im thorakalen Bereich) werden in Millimeterabweichung dokumentiert. Zusätzlich wird mit Hilfe eines Lasers die seitliche Wirbelsäulenabweichung sichtbar gemacht. Für die Feinanalyse stehen in der gesamten Messung mit Hilfe einer sogenannten Punktewolke die Millimeterwerte in den Achsen x‑y-z zur Verfügung. Wird der Mauszeiger an einer Stelle in der Messung positioniert, erhält man hierzu die Koordinaten x‑y-z. Mit Hilfe dieser Vorgehensweise können die verschiedenen Areale zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Nach dem ersten Scan mit der Erfassung der Ist-Situation werden die sensomotorischen Teilchen unter der Fußsohle positioniert.
Nach jeder Unterlegung wird mit einem Scan die Veränderung dokumentiert und mittels der Koordinaten analysiert. Die Auswirkung der sensomotorischen Teilchen kann bei jedem Patienten unterschiedlich sein und muss individuell abgestimmt werden. Zielsetzung ist es, das Becken gegen den thorakalen Bereich zu derotieren und die seitliche Abweichung der Wirbelsäule zu verringern. Nach Erfahrung des Autors führen die sensomotorischen Teile nicht immer zum Erfolg, da zusätzliche Einflüsse, z. B. craniomandibuläre oder visuelle Dysfunktionen, die Wirkung hemmen können und gegebenenfalls gesondert therapiert werden müssen. Zeigt sich beim Austesten eine positive Reaktion auf das Unterlegen der Plättchen, wird der Patient mit sensomotorischen Einlagen versorgt und nach 6 bis 8 Wochen kontrolliert. In der Regel erfolgt auch hier eine Messung mit und ohne sensomotorische Einlagen. Die Veränderung ohne Einlage wird beurteilt und die Funktion der sensomotorischen Einlage überprüft. Gegebenenfalls wird die Einlage mit anderen Teilchen noch einmal verändert. Nach 4 bis 6 Monaten oder einem starken Wachstumsschub wird die Situation erneut mit dem Rückenscanner erfasst und so der Verlauf protokolliert.
Fallbeispiel 1
Es stellt sich eine 14-jährige Patientin mit einem Cobb-Winkel von 15° vor. Die Eingangsuntersuchung beinhaltet Schmerzerfassung, Austesten der Kopfrotation und Beurteilung der Wirbelsäule durch Vorbeugetest. Des Weiteren erfolgt eine visuelle Beurteilung der Taillendreiecke, Palpation der hinteren Darmbeinstacheln (SIPS), des Beckenkamms und der vorderen Darmbeinstacheln (SIAS). Im Ergebnis findet sich lediglich eine unwesentliche Höhendifferenz. Nach der Eingangsuntersuchung erfolgt die erste Messung mit dem Rückenscanner. Wichtig ist dabei, dass der Patient in der sogenannten Pedometrischen Indexposition (PIP) steht, um eine reproduzierbare Körperhaltung zu gewährleisten. Hierzu stehen beide Beine jeweils in einer Außenrotation von je 7°, die Augen bilden eine Linie mit dem Antitragus am Ohr (der Blick ist somit gerade nach vorne gerichtet).
Nach der Erfassung des Ist-Zustandes erfolgt die Unterlegung der sensomotorischen Teile. Angestrebtes Ziel ist es, die Rotationsfehlstellung im Becken und die seitliche Wirbelsäulenabweichung zu verringern. Im ersten Schritt der Analyse orientiert man sich an den Isobasen (Höhenlinien). Die Darstellung bildet den Patienten in Höhenlinien von 15 mm ab. Zeigt sich ein asymmetrisches Bild wie in Abbildung 2 links, befindet sich der Oberkörper des Patienten in einer Rotationsfehlstellung (links nach vorne bzw. rechts nach hinten), zu erkennen an dem kleineren Feld im Schulterbereich und an dem schmaleren Feld im Beckenbereich jeweils an der linken Seite. In Abbildung 2 rechts wurde die Körperhaltung mit den sensomotorischen Teilchen korrigiert. Über die Isobasendarstellung zeigt sich dann eine fast symmetrische Messung.
Die Dokumentation des Therapieverlaufs zeigt über einen Zeitraum von einem halben Jahr die Veränderung der Körperhaltung durch die sensomotorische Einlagenversorgung (Abb. 3). Zu beachten ist dabei, dass die Aufnahmen jeweils ohne unterlegte Plättchen erfolgten, somit also eine Übernahme der veränderten Körperhaltung ins automatisierte Körperschema erfolgt ist.
Fallbeispiel 2
Hierbei handelt es sich um ein Mädchen mit idiopatischer Skoliose im Alter von 10 Jahren (Abb. 4). In der Eingangsmessung ist bei dieser Patientin eine Seitverbiegung lumbal linkskonvex, thorakal rechtskonvex mit Rotation des Thorakalbereichs nach links, Schulterhochstand links und Überhang nach rechts zu erkennen. Die in der Tabelle in Abbildung 4 benutzten Begriffe „Tiefe Schulter” bzw. „Tiefe Becken” dokumentieren die Abweichung in der z‑Achse, sprich die Rotation. Der Wert „Lateraler Abstand” erfasst in der Frontalebene die Differenz zwischen C7 und der tiefsten Stelle der Lendenlordose, also den seitlichen Überhang. Das Verlaufsprotokoll ermöglicht eine Beurteilung der Fehlstellung und zeigt die Veränderung durch die sensomotorischen Teile über einen Zeitraum von 26 Monaten. Die Einlagen wurden während des gesamten Zeitraums konsequent getragen. Nach jedem Wachstumsschub wurde die Körperhaltung mit Hilfe des Rückenscanners überprüft; in diesem Rahmen wurden auch die sensomotorischen Einlagen neu erstellt. In den meisten Fällen reicht eine Größenanpassung mit den gleichen sensomotorischen Teilchen. In manchen Ausnahmefällen wird die Versorgung auch komplett neu aufgebaut. Die Messungen zeigen die Patientin jeweils neutral ohne aktuellen Einfluss der sensomotorischen Teile.
Fallbeispiel 3
Mit Hilfe des Rückenscanners kann die Therapie im Vorfeld auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Fallbeispiel 3 zeigt die Messungen bei einem Patienten mit Ischiasbeschwerden. Der Patient konnte durch die sensomotorischen Teile nicht korrigiert werden (Abb. 5). Messung A01 zeigt den Patienten in seinem Ist-Zustand; bei den Messungen A02 bis A10 wurde versucht, über die Fußsohle die Körperhaltung mit sensomotorischen Teilen zu verändern. Im Wesentlichen bewirkten die unterlegten Plättchen nur eine Vor- bzw. Rückneigung des Oberkörpers. Zwar zeigen sich auch minimale Veränderungen im Oberflächenrelief, aber die Fehlstellung an sich konnte nicht positiv beeinflusst werden.
Fallbeispiel 4
Auch andere Therapieverfahren können mit Hilfe des Rückenscanners überprüft werden. Das 4. Fallbeispiel zeigt einen jungen Patienten mit Leistenproblemen nach einem Trauma beim Fußballspielen (Abb. 6). Messung A01 zeigt den Eingangsbefund mit starker Rotation des Oberkörpers nach links anterior. A19 zeigt das Ergebnis nach erfolgter Physiotherapie (eine Behandlungseinheit). Die Rotation ist korrigiert, das Ergebnis wird auch in der Kontrollmessung B02 nach 4 Wochen gehalten.
Fazit
Die dargestellten Fallbeispiele belegen die Wirksamkeit sensomotorischer Einlagen in der Therapie idiopatischer Skoliosen bei Cobb-Winkeln unter 20°. Eine Kombination mit physiotherapeutischer Behandlung ist möglich. Die sehr dünne Ausführung der sensomotorischen Einlagen bewirkt eine gute Patientencompliance. Dadurch kann eine lange Tragezeit und damit auch eine hohe Wirksamkeit erzielt werden. Ohne ein geeignetes Messsystem ist der Versorgungserfolg nur schwer darzustellen. Das Messsystem hilft, die Wirkung der sensomotorischen Teile zu überprüfen, und bietet auch eine adäquate Dokumentation des Therapieverlaufs. Eine regelmäßige Kontrolle ist zwingend notwendig.
Der Autor:
Franz Fischer
Fischer Fuss Fit KG
Schlachthausstr. 11
92224 Amberg
fischer-fuss-fit@t‑online.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Fischer F. Sensomotorische Einlagenversorgung bei idiopathischer Skoliose. Orthopädie Technik, 2015; 66 (1): 32–35
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- Ohlendorf D, Natrup J. Haltungskorrektur durch sensomotorische Einlegesohlen – Ergebnisse einer dreidimensionalen Rückenvermessung. Orthopädie Technik, 2007; 58 (2): 102–106
- Stief T. Effektivität und Effizienz von plantaren neuromuskulär wirkenden FO-Elementen. Diplomarbeit Fachhochschule Münster, 2007