Einleitung: Herstellung von Alltagshilfen und Gegenständen des täglichen Gebrauchs mittels 3D-Druck
Die bisher nur marginal für und von Menschen mit Behinderungen genutzten sogenannten Maker-Technologien bergen ein enormes Potenzial. Sie sind in der Maker-Community inzwischen so weit entwickelt, dass Alltagshilfen in individualisierter Form produziert und damit die soziale Teilhabe und Selbstbestimmung im Alltag gefördert werden können. Die weitere Entwicklung der Maker-Technologien leidet jedoch unter drei Problemen:
- Es fehlt an Kooperationserfahrung,
- es mangelt an entsprechend orientierten zielgruppenspezifischen Makerspaces, und
- es fehlt ein entsprechendes interdisziplinäres Forschungsfeld.
Das Projekt „Selfmade“ der Technischen Universität (TU) Dortmund in Zusammenarbeit mit der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Dortmund hat sich diesen drei Problemen gewidmet (Eckdaten in Tab. 1). Wissenschaftler, Making-Experten und Experten mit Behinderungen haben innerhalb dieses Projekts innovative methodische Ansätze und Produkte entwickelt und getestet. Der inklusive Makerspace besteht auch nach Ende der Projektlaufzeit (September 2018) weiter.
Die meisten Teilnehmer an dem Projekt waren neben körperlichen und motorischen Beeinträchtigungen von mindestens einer zusätzlichen Beeinträchtigung betroffen, z. B. kognitiv oder sensorisch. Besonders hoch war der Anteil der Teilnehmer, die Unterstützte Kommunikation nutzen.
Der Dortmunder Makerspace „Self-made“ knüpft an die Maker-Bewegung an. Im Mittelpunkt des Konzepts stehen offene Innovationsansätze, die das kreative Potenzial der Maker-Bewegung nutzen und Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund direkt in den Prozess der Ideen- und Lösungsfindung einbeziehen. Der Begriff „Makerspace“ bezieht sich auf eine offene Hightech-Werkstatt, in der die Anwender mit computergesteuerten Maschinen verschiedenste Produkte herstellen können 1. Der Fokus z. B. für die 3D-Konstruktion liegt auf weit verbreiteten OpenSource-Lösungen.
Beim Projekt „Selfmade“ ging es zudem darum, einen Treffpunkt für Menschen mit und ohne Behinderungen mit technologischem Interesse zu schaffen. Der Makerspace wurde daher an einem bereits bestehenden Arbeitsplatz angesiedelt: im „Büro für Unterstützte Kommunikation (UK)“ der AWO Dortmund, in dem zwölf Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen täglich arbeiten. Rein rechtlich ist das UK-Büro ein Außenarbeitsplatz der Dortmunder AWO-Werkstatt für Menschen mit Behinderungen.
Dem Projekt „Selfmade“ liegt ein partizipativer Forschungsansatz zugrunde; auch für die Produktherstellung wurde ein partizipativer Ansatz entwickelt. Viele Jahre lang waren an der Teilhabeforschung gerade die Menschen, die von ihr profitieren sollten, nicht beteiligt. Wenn die Prämisse unterstützt werden soll, dass alle Forscherinnen und Forscher das Recht haben, Entscheidungen und Praktiken zu beeinflussen, müssen Wege gefunden werden, die die Perspektive und die Meinung aller Forschenden von Anfang an ernst nehmen. Der partizipative Forschungsansatz des „Inclusive Participatory Action Research“ (IPAR) 2 wurde mit dem aus der Informatik stammenden Design-Thinking-Ansatz verknüpft. Konzepte wie IPAR etablieren in der Forschung gleichberechtigte Machtund Kompetenzverhältnisse, indem Menschen, die traditionell als Objekte von Forschung betrachtet wurden, nunmehr als Kolleginnen und Kollegen an Lösungen mitarbeiten. Wesentliche Aspekte, auf denen der Forschungsansatz beruht:
- die gezielte Mitwirkung von Menschen mit Behinderungen am Forschungsprozess von Beginn an,
- Zugänglichkeit für alle, z. B. auch für Nutzende der Unterstützten Kommunikation,
- Kontrolle und Mitbestimmungsmöglichkeiten sowie
- die gezielte Verbreitung von Ergebnissen unter Einbezug von Menschen mit Behinderungen 3.
Eine wichtige Rolle in den Entwicklungs- und Forschungsprozessen des Projekts „Selfmade“ spielten ethische Aspekte. Zentral war dabei die kritische Reflexion der eigenen Handlungspraxis aller Beteiligten.
Unterstützende Technologien und Alltagshilfen
„Unterstützende Technologien“ ist ein Oberbegriff für jedes Gerät oder System, das es einem Menschen ermöglicht, eine Aufgabe zu erfüllen oder sie ihm zu erleichtern, die sonst zu schwer auszuführen wäre 4. Häufig wird in diesem Zusammenhang in Anlehnung an das Englische der Begriff „assistive Technologien“ verwendet, mit dem aber dasselbe gemeint ist. Assistive Technologien sind nicht zwangsläufig käuflich zu erwerben – es kann sich auch um handelsübliche Geräte oder Produkte handeln, die modifiziert oder angepasst werden. Im Deutschen werden solche Geräte häufig mit dem Begriff „Elektrotechnik“ assoziiert, international umfasst der Terminus „assistive technologies“ hingegen auch nichttechnische Hilfsmittel 5. Folgt man gängigen Systematiken zur Klassifizierung assistiver Technologien, so sind die im „Selfmade“-Projekt entwickelten Produkte der Kategorie „Low Tech“ zuzuordnen. Hierzu zählen sowohl nichtelektronische als auch einfache elektronische Hilfen, die in der Regel eher niedrigpreisig sind 6.
Die Versorgung mit medizinisch notwendigen Hilfsmitteln für Menschen mit Behinderungen ist in Deutschland durch die Sozialgesetzgebung geregelt: Nach § 33 SGB V und § 31 SGB IX haben die Versicherten Anspruch auf im Einzelfall notwendige Hilfsmittel. Dort werden Hilfsmittel definiert als Gegenstände, die im Hilfsmittelkatalog aufgeführt sind und somit einem intensiven Prüfungsverfahren unterliegen. Gegenstände des täglichen Gebrauchs sind ausgeschlossen. Der 3D-Druck ermöglicht zwar nicht die Herstellung von Hilfsmitteln im beschriebenen gesetzlich definierten Sinne. Er kann aber die Lücke zwischen medizinisch notwendigen Hilfsmitteln und Alltagshilfen schließen 7. Ein wesentlicher Vorteil besteht in der kostengünstigen Herstellung.
Forschungsdesign und Forschungsfragen
Das Forschungsdesign der hier vorgestellten Studie zum Projekt -„Selfmade“ wurde von der Maker-Bewegung inspiriert: Maker verfolgen oftmals das Ziel, angepasste Lösungen für Probleme zu finden, denen sie in ihrem Alltag begegnen. Maker zeichnen sich durch Offenheit für die Auseinandersetzung mit sozialen Bedürfnissen und den Umgang mit Vielfalt aus, haben aber oft keine Erfahrung in der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen bzw. keinen Kontakt zu ihnen 8. Der inklusive Makerspace „Selfmade“ in Dortmund wurde als Prozess der „sozialen Innovation” gestaltet, der nach einer „neuen Konfiguration sozialer Praktiken“ 9 verlangt– hier: einem pädagogischen Ansatz, der Menschen mit Behinderungen befähigt, digitale Technologien zu nutzen. Vor diesem Hintergrund wurden folgende Forschungsfragen formuliert:
- Welche Treiber und Barrieren unterstützen oder behindern inklusive Makerspaces?
- Welche Produkte wählen Menschen mit Behinderungen zur Produktion für eigene Zwecke aus?
- Fördert der Makerspace (als soziale Innovation) den Aufstieg anderer sozialer Innovationen?
Um diese Fragen zu beantworten, wurde ein qualitativer Ansatz gewählt. Als „Embedded Researchers“ 10 arbeiteten die Autoren zwei Jahre lang an diesem Prozess mit. Als Forschungsdesign wurde die Methode der Fallstudie gewählt, die besonders geeignet ist, ein zeitgenössisches Phänomen in seinem realen Kontext wäh rend seiner Entwicklung zu untersuchen 11. In diesem Zusammenhang wurden zwölf qualitative Interviews durchgeführt:
- dreimal mit zwei pädagogischen Mitarbeitern der AWO,
- einmal mit einem neu zugeordneten Werkstattleiter,
- zweimal mit zwei Menschen mit Behinderungen, die in der AWO-Werkstatt angestellt sind,
- und einmal mit dem Leiter der AWO Dortmund, der für den Betrieb der Werkstatt zuständig ist.
Weitere Daten wurden über die Teilnahme an mehr als 40 Meetings und offenen Making-Veranstaltungen im Makerspace und über mehr als 20 Veranstaltungen wie z. B. Tagungen erhoben, bei denen über den Makerspace und seine Ergebnisse diskutiert wurde. Zusätzlich wurden drei Workshops besucht, in denen Menschen mit Behinderungen Objekte „machten” – von der Ideensammlung über die Methodik des „Design Thinking” bis hin zum eigentlichen Drucken von Objekten.
Der Design-Thinking-Ansatz (Abb. 1) ist in Disziplinen wie z. B. der Informatik bereits etabliert. Er soll Entwicklungsprozesse verbessern, indem von vornherein eine benut-zerzentrierte Perspektive eingenommen wird. Für „Selfmade“ wurde der ‑Design-Thinking-Ansatz 12 an die Bedürfnisse und Fähigkeiten von Menschen mit komplexen Behinderungen angepasst 13; im Fokus standen dabei spezifische Kommunikationsformen, da zahlreiche Teilnehmende sich über Unterstützte Kommunikation verständigen.
Schließlich wurden Daten aus Rechnungen, Einladungen und Anwesenheitslisten gewonnen sowie Fotos von Objekten und Beobachtungen gesammelt. Um Zusammenhänge der beobachteten Prozesse zu dekonstruieren und zu verstehen, wurde in der Fallstudie ein „Zwiebelmodell“ zur Analyse sozialer Innovationen verwendet, das zwischen miteinander verbundenen Kontextebenen unterscheidet. Jede „Zwiebelschicht“ umfasst ihren eigenen Kontext von Barrieren und Faktoren, die soziale Innovationen unterstützen oder behindern 14. Die hier verwendeten Schichten waren:
- K ontext der Normen: professionelle und ethische Standards, historische und rechtliche Bedingungen, Kodizes und andere akzeptierte Sozialstandards
- K ontext der Strukturen: Einschränkungen und Pfadabhän-gigkeiten bestehender Institutionen sowie wirtschaftliche, kulturelle, politische und technologische Imperative
- K ontext der Funktionen: Verfahren, Zusammenarbeit, Geschäftsund Governance-Modelle 15
Fallstudie
Der Anspruch des „Selfmade“-Projekts lautete, dass Menschen, die den inklusiven Makerspace aufsuchen, selbstständig Entscheidungen treffen, um das gewünschte Produkt selbst zu kreieren. Dabei hängt der Umfang der jeweiligen Handlungen immer von den eigenen Möglichkeiten ab. Auch wenn nur ein Farbwunsch für ein gewünschtes Produkt geäußert wird, ist dies bereits „eine Form der Selbstbestimmung“ (AWO-Manager im Interview).
Kontext der Normen
Die AWO Dortmund setzte den Makerspace „Selfmade“ in erster Linie als Empowerment-Instrument ein, da er sich als weniger technisch erwies als erwartet, aber viel größere Auswirkungen auf die sozialen Praktiken der Teilnehmenden hatte („digital empowerment”). Als besonders wichtiger Kontext stellten sich die rechtlichen Rahmenbedingungen heraus: In den Interviews berichteten die pädagogischen Mitarbeiter, dass sie Schwierigkeiten hatten, spezifische Arbeitsplatzausstattungen zur Unterstützung ihrer Arbeit in der AWO-Werkstatt zu erhalten. Deren Beschaffung wurde als bürokratisch und kostspielig eingestuft. Ein Beispiel sind batteriebetriebene Taster, mit denen elektrische Geräte auch von Menschen eingeschaltet werden können, die sie mit handelsüblichen Schaltern nicht bedienen können. Solche Taster werden zwar vom Sozialversicherungssystem finanziert, aber die AWO-Werkstatt benötigt sie in größerer Zahl und häufiger als rechtlich vorgesehen. Eines der Hilfsmittel, die im Makerspace hergestellt wurden, waren Taster auf der Grundlage eines 3D-Modells, das kostenlos von einer Sharing-Plattform heruntergeladen wurde; das mittels 3D-Drucker gefertigte Objekt wurde anschließend mit kostengünstigen Elektronik-Teilen versehen.
Des Weiteren betrafen zwei nicht vorhergesehene Kontexte von Normen den Makerspace: Klienten, die ihren eigentlichen Arbeitsplatz in der Hauptwerkstatt haben, müssen zunächst zum Makerspace anreisen (z. B. mit Transportern, die für Elektrorollstühle ausgestattet sind). Für Menschen, die dies nicht eigenständig können, funktioniert der Transfer jedoch nur während der Arbeitszeit der Mitarbeiter.
Die zweite unvorhergesehene Herausforderung betraf versicherungstechnische Probleme. Der pädagogische Ansatz des Makerspace besteht darin, die Laptops und 3D-Drucker innerhalb des Workshops für die Nutzenden leicht zugänglich zu machen. Die IT-Systeme wurden daher auf (rollstuhlgängigen) Rolltischen installiert, die auf Wunsch in jeden Raum der Werkstatt des Makerspace verlagert werden können. Aus versicherungstechnischen Gründen war es jedoch erforderlich, die Ausrüstung außerhalb der Betriebsstunden in einem abgeschlossenen Raum zu lagern, sodass ein Raum als Lagerraum für die Ausrüstung reserviert und ausgestattet werden musste, was zusätzlichen Zeitaufwand erforderte.
Kontext der Strukturen
Für die eigenständige Produktion von 3D-Objekten im Makerspace „Selfmade“ wurde eigens ein fünfstufiges stärkenorientiertes Modell in Bezug auf die Fähigkeiten der Teilnehmenden entwickelt:
- Stark eingeschränkte motorische Fähigkeiten, geringe IT-Kenntnisse In einem Regal steht eine Auswahl bereits gedruckter Produkte zur Verfügung. Nutzerinnen und Nutzer mit Behinderung suchen ein Objekt aus, Mitarbeiter des Makerspace lösen den Druckvorgang aus.
- Motorische Basis-Fähigkeiten, geringe IT-Kenntnisse Eine Speicherkarte mit dem digitalen Modell eines Objekts kann ausgewählt und der Druckvorgang mit ihr ausgelöst werden.
- Basis-IT-Kenntnisse Nutzer können Produkte aus einer kuratierten Liste, diAWO-Werkstatte sie im Internet finden, auswählen und selbst drucken.
- Fortgeschrittene IT-Kenntnisse Nutzer können bereits erprobte Produkte selbst am Laptop anpassen oder Modelle von einer Plattform herunterladen.
- Fortgeschrittene IT-Kenntnisse, gute kommunikative Fähigkeiten Nutzer werden zum Tutor für 3D-Druck 16.
Während zahlreiche andere Makerspaces viel technische Ausrüstung, Werkzeuge und ein „kreatives Chaos“ aufweisen 17, verfügt der inklusive Makerspace „Selfmade“ nur über wenige technische Objekte: Die drei beweglichen IT-Stationen mit Laptops und 3D-Druckern sind die einzigen technologischen Phänomene. Die in den Interviews und bei den Besuchen gewonnenen Daten deuten darauf hin, dass die Gründe dafür insbesondere darin liegen, dass der Makerspace „Selfmade“ in erster Linie auf die soziale Haltung der Nutzenden abzielt und nicht darauf, das UK-Büro in eine technische Umgebung zu verwandeln. Wichtig für den sozialen Aspekt der Inklusion sind Niedrigschwelligkeit und Barrierefreiheit.
Kontext der Funktionen
Der Makerspace „Selfmade“ wurde mit dem Ziel initiiert, Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, den 3D-Druck zu nutzen. Der interviewte AWO-Manager spricht in diesem Zusammenhang von „Handprothesen in trendigen Farben, gerade mit Tattoos. Wir hatten die wildesten Ideen. Aber was die AWO-Mitarbeiter wirklich brauchen, sind normale Dinge des täglichen Lebens.“ Der Nutzen im Alltag ist entscheidend für die Projektteilnehmer: „Damit ich selbst Dinge programmieren kann, die mir nützlich sind“ (Interview Mitarbeiter mit Behinderung).
Die Entscheidung, ob entworfene bzw. ausgewählte Objekte gedruckt werden, sollte von den in der AWO-Werkstatt tätigen Personen getroffen werden; die Rolle des pädagogischen Personals bestand darin, die Lücke zwischen den Schnittstellen der ‑3D-Drucker und den Kompetenzen der Menschen, die sie nutzen wollen, zu schließen. Auf diese Weise wurden innerhalb einer Feldphase von 14 Monaten mehr als 60 verschiedene Objekte erstellt.
Die Autoren beobachteten in diesem Zusammenhang die Workshops zum Design Thinking, die von den pädagogischen Mitarbeitern mit ihren Klienten durchgeführt wurden, um Ideen für zu druckende Objekte zu sammeln. Die Autoren dokumentierten auch die gedruckten Objekte und die digitalen Modelle, die entweder von externen Plattformen heruntergeladen oder innerhalb des Makerspace erstellt worden waren.
Beispiele für gedruckte Objekte aus dem Makerspace
Beispiel 1: Becherhalter
Eine tägliche Herausforderung der Klienten mit Spastiken stellt die Einnahme von Mahlzeiten und Getränken dar. Um das selbstständige und selbstbestimmte Trinken zu ermöglichen, wurden in der AWO-Hauptwerkstatt bisher Becherhalter aus Holz hergestellt (Abb. 2a). Diese haben jedoch nicht immer einen optimalen Winkel und sind nicht hygienisch zu reinigen, sodass sie regelmäßig ersetzt werden müssen. Die Lösung: Ein gedruckter Becherhalter, der aus zwei Teilen besteht und daher in verschiedenen, individuell einstellbaren Winkeln verklebt werden kann. Er kann zudem (z. B. am Tisch) fixiert werden und ist spülmaschinenfest (Abb. 2b).
Beispiel 2: Griff für Notrufklingel
Ein typisches Problem für Menschen mit Behinderungen besteht darin, dass industriell hergestellte Alltagshilfen oftmals nur für einen Teil von ihnen nutzbar sind. In öffentlich zugänglichen Toiletten und Pflegebädern für behinderte Menschen sind nach DIN 18040–1 „Barrierefreies Bauen“ Notrufsysteme zu installieren. Die Ausführung erfolgt nach DIN VDE 0834–1. Für zahlreiche Klienten ist es dennoch nicht möglich, den Notruf bei Bedarf eigenständig zu betätigen, da das Ziehen des am Ende der Kordel befindlichen Griffs insbesondere bei feinmotorischen Schwierigkeiten der Hand, die u. a. bei den zahlreichen Klienten mit Spastiken vorhanden sind, nur mit großer Mühe möglich ist. Die Lösung ist eine 3D-gedruckte Triangel, für deren Ziehen keine feinmotorischen Fähigkeiten der Hand notwendig sind (Abb. 3 a u. b).
Eine individualisierte Anpassung eines 3D-Objekts an eine einzelne Person und ihre Körperform wurde im Projekt nur in einem einzigen Fall vorgenommen: Bei der Herstellung einer Unterarmprothese zum Gitarrespielen, für die der Stumpf gescannt und die Prothese entsprechend angepasst werden musste, zeigte sich, dass dies nur mit großem zeitlichem Aufwand möglich ist und spezifischer orthopädietechnischer Kenntnisse bedarf. Aus diesen Gründen und auch aufgrund haftungsrechtlicher Aspekte wurden solche Individualisierungen nicht weiterverfolgt.
Individuelle Vorlieben können hingegen schnell berücksichtigt werden. So existiert das erste Produkt des Makerspace, die „Selfmade“-Tasse, inzwischen mit ca. 20 unterschiedlichen Griffen, die mittels der digitalen 3D-Druck-Modelle schnell weiter angpasst werden können und nach einer Erprobung dann häufig weiter modifiziert werden.
Ergebnisse
Zunächst weckten häufig „Spaßobjekte“ das Interesse am 3D-Druck. Sie wurden in erster Linie von einer Sharing-Plattform heruntergeladen, unverändert gedruckt und als Spielzeug oder zur Dekoration verwendet. Diese Objekte fungierten als niedrigschwellige Einstiegspunkte für den Einsatz des 3D-Druckers. Im weiteren Projektverlauf wurden dagegen zunehmend praktisch einsetzbare Alltagshilfen produziert. Diese Objekte sind häufig über etablierte Kanäle verfügbar, werden aber durch den 3D-Druck „entweder billiger, individueller oder schneller bereitgestellt“ (AWO-Manager im Interview). Der Makerspace hat sich nach einigen Monaten auf Alltagshilfen spezialisiert, die entweder im Makerspace oder in der viel größeren Werkstatt der AWO für Menschen mit Behinderungen (rund 900 Mitarbeiter) benötigt werden. Die Kompetenzen, die für den Betrieb des Makerspace erforderlich sind, wuchsen sowohl bei Klienten als auch bei pädagogischen Mitarbeitern.
Drei Kategorien von Alltagshilfen lassen sich identifizieren:
- völlig neue Objekte, die ohne 3D-Drucker nicht verfügbar sind, wie der Becherhalter;
- verbesserte Objekte, die zwar auch über etablierte Kanäle verfügbar sind, aber per 3D-Druck entweder billiger, individueller oder schneller produziert werden können als über andere Kanäle;
- Objekte, die sowohl über etablierte Kanäle als auch per 3D-Druck erhältlich sind, ermöglichen es, mehr von ihnen zu produzieren und sie effektiver an mehr Menschen zu verteilen.
Die Idee, Menschen mit und ohne Behinderungen in einen kommunikativen Austausch einzubinden, wurde dadurch unterstützt, dass die Benutzung des Makerspace „Selfmade“ kostenlos ist, während in anderen Makerspaces die Nutzung berechnet wird. Der Makerspace „Selfmade“ bietet zwar weitaus weniger Tools und Möglichkeiten als andere regionale Makerspaces, verfügte aber während der Projektzeit dennoch über eine Basis von rund 20 externen Nutzern, bestehend aus Anwohnern, Senioren und Angehörigen der Klienten. Im Anschluss an die Projektförderung stieg diese Zahl dank einer medialen Verbreitungsstrategie deutlich an, die eine intensive Berichterstattung in regionalen Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehberichten umfasste. Eine Projektevaluation hatte ergeben, dass der Makerspace zuvor noch nicht die gewünschte Bekanntheit erlangt hatte.
Fazit und Ausblick
Die hier vorgestellte Studie bestätigt, dass Makerspaces Orte sind, an denen mit neuen und maßgeschneiderten Ideen experimentiert werden kann, um Probleme zu lösen, die von denjenigen identifiziert werden, die solche Orte nutzen, um ihre Anliegen und Fragen bezüglich Hilfsmitteln selbst zu lösen 18.
Die Studie zeigt, dass sich durch die Nutzung von Makerspaces wie „Selfmade“ ein Markt mittlerer Qualität für Alltagshilfen bildet. Die Kombination aus den im Folgenden genannten Aspekten formt diesen Markt:
- die 3D-Drucktechnologie,
- die soziale Innovation der selbstgesteuerten Herstellung von Alltagshilfen durch Menschen mit Behinderungen sowie
- die Verbreitung von Modellen durch gemeinsame Plattformen und Communitys.
Der hier beschriebene Markt rangiert qualitativ unter dem der professionellen Hilfsmittel der Orthopädie-Technik, aber über dem der handgefertigten Alltagshilfen. Auf diesem Markt wird keine zertifizierbare Qualität erreicht, es werden keine Medizinprodukte hergestellt. Diese Einschränkung reduziert den Anwendungsbereich.
Es konnten zwei Gründe für die Ausweitung dieses Marktes identifiziert werden:
- Der 3D-Druck als Technologie ermöglicht neue Produkte und neue Produktionsmethoden für Alltagshilfen.
- Die Verbindung zu einer großen Community ermöglicht den Wissensaustausch und den Austausch guter Beispiele, die leicht zugänglich sind.
Für die Zukunft ist dennoch eine höhere Anzahl und größere Bandbreite insbesondere einfacher Alltagshilfen zu erwarten. Mit dieser Studie wurde ein Schlaglicht auf die Entstehung eines neuen Segments von Alltagshilfen geworfen, die die bestehenden Hilfsmittel ergänzen, aber kaum ersetzen werden. AWO-Werkstatt
Für die Autoren:
Dr. Ingo Bosse
Leiter des Regionalen Fortbildungszentrums der Bezirksregierung Münster für Inklusion
Tilbeck 2, 48329 Havixbeck
ingo.bosse@brms.nrw.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Bosse I, Pelka B. Selbstbestimmte und individualisierte Fertigung von Alltagshilfen per 3D-Druck für Menschen mit Behinderungen. Orthopädie Technik. 2020, 71 (2): 42–48
Projektlaufzeit | März 2017–September 2018 (18 Monate) |
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Finanzierung | Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) |
Beteiligte Institutionen | TU Dortmund, Fakultät Rehabilitationswissenschaften (Reha), Sozialforschungsstelle (SfS) assoziierte Partner: Arbeiterwohlfahrt Dortmund (AWO), Hochschule Ruhr-West |
Mitwirkende |
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Räumliche Verhältnisse | Makerspace im Büro für Unterstützte Kommunikation |
Technische Ausstattung |
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