Die Projektgruppe, koordiniert von der Münchner Innovationsmanufaktur GmbH, bestand außerdem aus Wissenschaftlern und Medizinern der Technischen Universität München, Experten des Olympiastützpunkts Bayern, Fertigungsexperten der Phoenix GmbH & Co. KG sowie erfahrenen Orthopädie-Technikern der Ortema GmbH. Nach mehr als zwei Jahren Forschungs- und Entwicklungstätigkeit, gefördert ab Januar 2011 vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (IIA-081501/11–13), ist so eine Orthese, die sogenannte Präventhese (Abb. 1a/b), entstanden, die mit einer ®evolutionär neuen Technik jeder Athletin und jedem Athleten individuell mittels 3‑D-Scans angepasst wird.
Denn das Kniegelenk mit der vorderen Kreuzbandruptur stellt die am häufigsten verletzte Region am Körper dar. Skirennläufer weisen ebenfalls ein hohes Verletzungsrisiko auf. Dass dies nicht nur ein nationales Problem ist, zeigen die Ergebnisse des Injury Surveillance System (ISS), das Unfälle im Auftrag des Internationalen Skiverbandes (FIS) bei Weltcuprennläufern analysiert hat. Hierbei ist ebenfalls das Knie mit ca. 36 % die am häufigsten verletzte Körperregion. Meist handelt es sich dabei auch um schwerwiegende Verletzungen wie Ruptur des vorderen Kreuzbandes, Meniskusverletzungen und Knorpelschäden, die zu langen Ausfallzeiten oder sogar zum Karriereende führen.
Einleitung
Das Kniegelenk ist beim Skisport im Allgemeinen, speziell jedoch im alpinen Skirennsport, sehr hohen Belastungen ausgesetzt und damit für Überlastungen und Verletzungen prädestiniert. Dabei repräsentiert das Kniegelenk im Rennsport wie im Breitensport die am häufigsten betroffene Körperregion. Neben isolierten Ligamentverletzungen am Kniegelenk finden sich auch Kombinationsverletzungen mehrerer ligamentärer Strukturen sowie der Menisken und des Knorpels. In einer von der Fédération Internationale de Ski (FIS) in Auftrag gegebenen Studie von Flørenes 1 zeigt sich über die letzten Jahre, dass insgesamt 36 % der Verletzungen das Kniegelenk der Rennläufer betrafen. Von diesen Knieverletzungen wurden 54 % mit mehr als 28 Tagen Wettkampfund Trainingsabsenz als schwer eingestuft. In einer weiterführenden Studie mit umfassender Datenerhebung über sechs Weltcup-Skisaisons (2006–2012) war das Kniegelenk mit einem relativen Anteil von 38 % sogar das am häufigsten verletzte Gelenk.
Obwohl das hohe Risiko einer Knieverletzung im alpinen Skirennsport bekannt ist, lehnen die meisten Athleten herkömmliche Knieorthesen ab, denn diese sind ihnen einerseits zu voluminös, andererseits schränkt die Vergurtung, mit der sie am Bein befestigt sind, subjektiv die Bewegungsfreiheit und damit die Leistung des Athleten ein.
Ziel dieses Forschungsprojekts war die Konzeption, Entwicklung, prototypische Umsetzung und qualitative Evaluierung eines Kniegelenksprotektors für den alpinen Skirennsport in enger Kooperation mit dem Deutschen Skiverband (DSV) unter sporttechnologischen sowie medizinischen und biomechanischen Gesichtspunkten. Die wissenschaftlichen und technischen Ziele des Vorhabens bestanden darin, relevante Themenfelder wissenschaftlich fundiert zu analysieren, daraus ein systematisches Anforderungsprofil für eine wirksame und praktikable Knieorthese für den Skirennsport abzuleiten und auf dieser Basis einen präventiven Schutz zu entwickeln.
Methodik
Ein in der Skihalle Wittenburg mit Kaderathleten des DSV im Jahr 2008 durchgeführter Test mit vorkonfektionierten Hartrahmenknieorthesen (Abb. 2a/b) zeigte, dass keinerlei signifikante Unterschiede bei Slalomtrainingsläufen mit und ohne Knieorthesen festgestellt werden konnten. Dabei wurden Zeiten gemessen und analysiert, Videoaufzeichnungen ausgewertet 2 und subjektive Aussagen der Sportler zu den Trainingsläufen mit und ohne Orthese verglichen.
Die Laufzeiten in den einzelnen Fahrten und die Rückmeldungen der Sportler legten den Schluss nahe, dass die Gelenke, wie sie bei den herkömmlichen Orthesen verwendet werden, zu keiner Einschränkung der Performance führen. Eine exakte Nachbildung der komplexen Kniekinematik schien also nicht notwendig.
Ausgelöst durch die Volumenveränderungen im Oberschenkel während der Belastung ergaben sich aufgrund der straffen Fixation durch die Klettverschlussbänder Beeinträchtigungen der Muskelfunktion und damit kein ausreichender Tragekomfort über einen längeren Zeitraum. Erste Quantifizierungen der Volumenveränderungen wurden im Rahmen der leistungsdiagnostischen Krafttests vor und nach einer skispezifischen Kraftausdauerbelastung von 75 Sekunden durchgeführt (Abb. 3).
Die Ergebnisse zeigen deutlich die teilweise gravierenden, aber auch sehr individuellen Veränderungen des Muskelumfangs nach den Belastungen. Die Reihenuntersuchung mittels 3‑D-Oberflächenscan (Abb. 4) in verschiedenen skitypischen Situationen vor und nach Belastung stützte die ersten Vermutungen bezüglich der Variabilität der Volumenänderungen je nach individueller Anthropometrie. Gemeinsam waren die Tendenzen zu größeren Volumenänderungen bei kleineren Kniewinkeln. Dies verdeutlichte nochmals die Notwendigkeit der individuellen Ausarbeitung der Orthesen.
Nach mehr als zwei Jahren Forschung und Entwicklungsarbeit, gefördert vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) in der Zeit von 2011 bis 2013, wurden wissenschaftliche Grundlagen erarbeitet und Erkenntnisse in folgenden Teilbereichen gewonnen:
- Stand der Technik im Bereich orthopädischer Knieorthesen
- potenzielle Materialien und Technologien für eine protektive Knieorthese
- aktueller Status quo im Bereich der Verletzungsinzidenz und deren Mechanismen im alpinen Skirennsport 3
- „State of the Art“ in der sportmedizinischen Betreuung, Prävention und Therapie bei Knieverletzungen
- physiologische, biomechanische und psychologische Effekte beim Tragen von Knieorthesen
- geschlechtsspezifische Unterschiede und Besonderheiten im Nachwuchsleistungssport
Aus den Erkenntnissen der wissenschaftlichen Analyse wurde ein dezidiertes Anforderungsprofil erstellt und darauf aufbauend ein zeitnah realisierbares Konzept für eine neu zu entwickelnde Knieorthese einschließlich prototypischer Umsetzung ausgearbeitet. Dabei fanden folgende Aspekte besondere Berücksichtigung:
- Unterstützung der physiologischen Kniekinematik ohne Bewegungseinschränkung
- Aufnahme und Abbau von einwirkenden Kraftspitzen, die zu einer Schädigung oder unphysiologischen Belastung der anatomischen Strukturen des Kniegelenkes führen
- Schutzfunktion für die am häufigsten auftretenden Verletzungsmechanismen bei Kniegelenksverletzungen, insbesondere von vorderen Kreuzbandrupturen
- Unterstützung der mechanischen und funktionellen Gelenkstabilität mit Optimierung der sensomotorischen Fähigkeiten
Mit der Überführung der gewonnenen Daten und Erkenntnisse in ein Transfer- und Implementierungskonzept wurde die praktische Nutzbarkeit sowie die wissenschaftliche Umsetzbarkeit des Projektergebnisses sichergestellt.
Zu Beginn des Projektes wurden die Zahlen des „FIS Injury Surveillance System“ (ISS) des Oslo Sports Trauma Research Center 4 herangezogen, um Verletzungsinzidenzien und ‑mechanismen zu evaluieren und nach einer qualifizierten Analyse der Bewegungsmuster eine Entscheidung hinsichtlich möglicher Verletzungsprophylaxe-Szenarien zu treffen.
In der Entwicklung und Umsetzung einer derartigen präventiven Kniegelenksorthese mussten verschiedene Parameter gleichzeitig Berücksichtigung finden und den skitypischen Gelenkbewegungen Folge leisten. Dies waren maximale Protektion, bestmögliche Compliance bei den Athleten, rutschfreie Anbindung sowie die Realisierung von Volumen- und Formveränderungen bei unterschiedlichen Winkelstellungen des Kniegelenkes und muskulärer Anspannung 5.
Um die Volumen- und Formveränderungen zu realisieren, werden mehrere 3‑D-Oberflächenscans in verschiedenen Winkelstellungen des Kniegelenkes auf einer schiefen Ebene (14° Neigung) im Skischuh gefertigt. Diese zeigen die Flächen der geringsten Volumenveränderung bei skitypischen Bewegungen und geben Hinweise zur individuellen Rahmenformgestaltung der Präventhese.
So ergab sich die Entwicklung einer neuartigen Carbonknieorthese mit polyzentrischen, zweiachsigen Zahnsegmentgelenken aus hochwertigem Titan. Durch eine komplexe 3‑D-Vermessung des Beines können die Flächen der Ober- und Unterschenkel optimal an den jeweiligen Athleten bzw. die jeweilige Athletin mit ihrer individuellen Anthropometrie angepasst werden.
Eine kniegelenkumschließende, verstärkte Rahmenkonstruktion, die durch Profilierung über extrem leichte, anmodellierte und mit Carbonfasern ummantelte Kunststoffrippen ausgesteift ist, wird gefertigt. In Kombination mit einer Kompressionshose mit integrierten Silikonstreifen, die einen bestmöglichen Halt gewährleisten, wird eine optimale Anbindung an das Bein erreicht. So entstand eine Knieorthese, die das Kniegelenk stabilisiert, ohne die Bewegung einzuschränken.
Jedoch wurden die Anlageflächen an Ober- und Unterschenkel völlig neu gestaltet. Durch die Orientierung der Carbonfasern konnte ein neuartiger Zuschnitt entwickelt werden, der sich ausschließlich an wenig in Volumen und Topographie veränderten Muskelarealen abstützt. Durch ein flexibles, aber unelastisches Band werden mediale und laterale Schalenanteile am Oberschenkel verbunden und Muskelfunktion und Leistungsfähigkeit auch in skitypischer Abfahrtposition nicht irritiert. Ein subjektives „Einschnüren“ der Muskulatur wird effektiv vermieden. Am Unterschenkel umschließt die Carbonschale den Musculus tibialis anterior gar nicht, durch eine semizirkuläre Wadenspange wird jedoch eine deutlich verbesserte Rotationsstabilisierung der Orthese am Bein erreicht. Die Länge der Orthese muss exakt auf die Beinlänge und Höhe des Skischuhschaftes abgestimmt sein. Es sollte der Kontakt zwischen Präventhese und distalem Skischuhende in Körpervorlage wie in Rückenlage vermieden werden. Dadurch wird die Performance des Athleten trotz Tragen der Orthese nahezu nicht beeinflusst. Dabei vereint die Präventhese das bewährte Schutzprinzip einer individuell gefertigten klassischen Knieorthese mit einem neuen Konzept der Anbindung am Bein.
Dieses neuartige Mehrschichtprinzip ist folgendermaßen aufgebaut: Die erste Ebene, die direkt auf der Haut des Beines aufliegt, besteht aus einer Sportkompressionshose, die propriozeptiv wirkt und damit schon eine erste sensomotorische Unterstützung für das Kniegelenk bietet, aber hauptsächlich für einen optimalen Sitz und die Ortsständigkeit des Hartrahmenanteils der Orthese sorgt (Abb. 5). Die Kompressionshose ist an definierten Stellen mit einem elastischen silikonartigen rutschhemmenden Material beschichtet und reduziert damit die Relativbewegung zwischen Bein und Orthese auf ein absolutes Minimum.
Die zweite Ebene besteht aus zwei Carbonschalen, die zur Anbindung der dritten Ebene dienen und selbst schon geringe bis mittlere Kräfte aufnehmen können. Zur Gestaltung dieser Schalen werden die Beine jedes Skiathleten mittels eines 3‑D-Oberfächenscanners in verschiedenen skitypischen Beugewinkeln gescannt (Abb. 6a/b). Über eine speziell von der Entwicklergruppe erstellte Software können die Stellen am Bein definiert werden, die bei den skitypischen Bewegungen keine oder keine relevante Muskelvolumenveränderung aufweisen. Diese Areale am Bein werden per Computerprogramm gekennzeichnet und dienen als idealer Ort für die Anbindung der Orthese am Bein.
Die dritte und stabilste Ebene besteht aus einem zweiteiligen Carbonrahmen, der über polyzentrische Gelenke miteinander verbunden ist und das Knie sehr stabil umschließt. Diese Schicht dient der Aufnahme von hohen Kräften und ist somit die wichtigste Ebene der protektiven Einheit, lässt aber gleichzeitig die geforderten skitypischen Kniebewegungen mit Volumenänderung am Oberschenkel zu (Abb. 7). Durch dieses Zusammenspiel des Mehrschichtprinzips wird das Kniegelenk stabilisiert, ohne den Skiathleten in seiner Performance negativ zu beeinträchtigen.
Validierung
Um die Wettkampf- und Praxistauglichkeit der Präventhese zu bewerten und zu erproben, mussten zwei Hauptkriterien erfüllt werden:
- Die Reglementarien für Schutzausrüstung im Skisport mussten eingehalten werden.
- Ein positives Feedback der Athleten musste eingeholt werden.
Die Einhaltung der Regeln für Schutzausrüstung im Skirennsport wurde gewährleistet
- durch die Einbindung des DSV und dessen sportwissenschaftlichen Erfahrungen,
- durch die langjährige Erfahrung in der Sportlerversorgung der Firma Ortema,
- durch einen engen Kontakt mit der FIS; in verschiedenen Entwicklungsstadien wurde das Projekt den FIS-Verantwortlichen vorgestellt, um sie so in die Entwicklung miteinzubeziehen.
Das Feedback der Athleten spielte für die (Weiter-)Entwicklung der Präventhese eine sehr große Rolle und wurde hauptsächlich in direkten Gesprächen (durch Trainer, Entwickler und Hersteller) und durch Befragungen mittels Fragebogen eingeholt. Die Athleten beurteilten die Präventhese grundsätzlich sehr positiv und
- hatten das Gefühl, dass die Präventhese sie bei Trainingsstürzen vor Verletzungen geschützt hat;
- fühlten sich nicht erkennbar in ihrer Bewegungsführung negativ beeinflusst und gleichzeitig sicherer;
- können sich vorstellen, die Präventhese langfristig bei Wettkämpfen zu tragen;
- würden die Präventhese auch anderen Athleten empfehlen (entweder zur Prävention oder nach einer Knieverletzung);
- äußerten den Wunsch nach beidseitiger Versorgung.
Um eventuelle negative Effekte auf das Leistungsvermögen zu ermitteln, wurden während der Prototypenerstellung und mit der ersten Versorgung Bewertungen und Erprobungen der Wettkampf- und Praxistauglichkeit durchgeführt:
Tests im Rahmen der Leistungsdiagnostik Ski alpin mit und ohne herkömmliche Orthesen (N = 5)
Es wurden ausgewählte Tests der Leistungsdiagnostik Ski alpin mit und ohne herkömmliche Orthesen durchgeführt. Als Ergebnis konnte festgehalten werden, dass der Präventhesen-Prototyp besser abschnitt als herkömmliche Orthesen. Der Vergleich mit und ohne Präventhese zeigte keine relevanten Unterschiede.
Ziel der EMG-Messung war die Überprüfung des Einflusses der Präventhese auf die Muskelaktivität der Probanden und die Muskelleistungsfähigkeit. Drei Tests wurden einmal ohne und einmal mit Präventhese (einschließlich Kompressionshose, Ebene 1) durchgeführt:
- 3 verschiedene Sprungformen: Counter Movement Jump, Squatjump, Squatjump mit Auftaktbewegung
- Krafttest an der Desmotronic, analog zum Leistungstest des DSV
- Reaktivkrafttest an der Beinpresse
Es wurden M. vastus medialis, M. rectus femoris, M. biceps femoris, M. tibialis anterior und M. gastrocnemius abgeleitet. Eine Ableitung des M. vastus lateralis war wegen des Präventhesenrahmens nicht möglich. Als Ergebnis wurde in den Leistungen bzw. Sprunghöhen festgestellt (Abb. 8):
- Sprunghöhen in allen Sprungformen (CMJ, SJ) identisch
- desmodromische Beinpresse: sowohl in der Konzentrik (2,9 %) als auch in der Exzentrik (2,4 %) höhere Leistungen mit Präventhese
- schräge Beinpresse: große Varianz in der Ausführung bei ähnlichen Muskelleistungen
Ergänzend wurde die Bestimmung der Belastungsverteilung im Labor vorgenommen. Es wurden mit einem Mess-Ski eine normale Standmessung und eine Standmessung in der Schräge durchgeführt. Auch hier ist wieder festzuhalten, dass keine Unterschiede zwischen den Versuchen mit und ohne Präventhese festgestellt werden konnten. Somit kann eine negative Auswirkung der Präventhese auf die Gleiteigenschaften der Athleten ausgeschlossen werden.
Am Anfahrtssimulator des FES (Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten) Berlin wurden bei drei Athletinnen folgende Parameter bestimmt:
- Kraftangriffspunkt rechts und links
- Kräfte in je vier Quadranten rechts und links
- Kräfte seitliche Verschiebung rechts und links
- Drehmomente Torsion rechts und links
Ziel dieser Untersuchungen war festzustellen, ob sich eine negative Belastungsverteilung wie in Abbildung 9 links dargestellt (einseitige Lastverteilung führt zu schlechteren Gleiteigenschaften) durch geeignete Veränderungen in Sprengung, Skischuh und Präventhese positiv verändern lässt. Insbesondere in der Veränderung des Kraftangriffspunktes ist es bei dieser Probandin eindrucksvoll gelungen, eine zentrale, symmetrische Belastung zu erzielen.
Evaluation der Präventhese am Kniesimulator (Abb. 10)
Derzeit laufen noch Untersuchungen an einem neuen Kniesimulator an der TU-München. Diese zeigen erste positive Ergebnisse hinsichtlich der Stabilisierung des Kniegelenkes und des Schutzes des Kreuzbandes. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen.
Nach mehr als zwei Jahren Forschungs- und Entwicklungstätigkeit wurde der Grundstein für eine revolutionäre Technologie gelegt, die mittlerweile für Sportler verfügbar ist. Bis Mitte 2016 konnten ca. 70 Sportler-Versorgungen erfolgreich ausgeführt werden. Mit der Ortema konnte ein erfahrener Orthopädie-Technik-Partner für die Produktion und den Vertrieb gewonnen werden, der eine jahrelange Expertise in der individuellen Versorgung von Spitzensportlern mit Knieverletzungen aufweist.
Return to Sports/ Ergebnisse
Durch die Präventhese gelingt es verletzten Sportlern, nach kurzer Zeit zu ihren sportspezifischen Trainingseinheiten zurückzukehren, was in verschiedenen Testreihen wissenschaftlich dokumentiert wurde. Hierbei scheint eine doppelseitige Versorgung mit präventiver Stabilisierung der unverletzten Gegenseite sinnvoll zu sein, um Irritationen oder Einseitigkeiten zu vermeiden.
Durch die frühzeitige Einbindung des Internationalen Skiverbandes in die Entwicklung und den engen Kontakt während der verschiedenen Entwicklungsstadien des Projektes konnte die Einhaltung der Regularien problemlos erreicht werden. Des Weiteren wurde auf die Expertise und die Kenntnisse versierter Orthopädie-Techniker bei der Fertigung der neuen Rahmentechnologie zurückgegriffen. Das Feedback der Athleten spielte in der Entwicklung eine große Rolle und wurde hauptsächlich in direkten Gesprächen durch Trainer, Mannschaftsärzte, Entwicklungsingenieure und Orthopädie-Techniker über direkte Befragung oder mittels Auswertung von Fragebögen eingeholt. Dabei beurteilten die Athleten die Präventhese grundsätzlich sehr positiv.
Abschließend lässt sich konstatieren, dass in diesem interdisziplinären Projekt durch Entwicklung und Einsatz einer neuartigen Orthesenversorgung (der sogenannten Präventhese) präventive Maßnahmen erfolgreich sowohl in den professionellen alpinen Skirennsport als auch in den allgemeinen Skisport implementiert werden konnten. Hierbei ist es gelungen, einen möglichst umfassenden Schutz ohne Einschränkung des skitypischen Bewegungsspielraumes im Kniegelenk zu ermöglichen. Nichtsdestotrotz arbeitet das Projektteam derzeit an weiteren Optimierungen der Präventhese und der Kompressionshose: Die Silikonbeschichtung auf der Kompressionshose soll hierbei den sogenannten „lines of non-extension“ (LONEs) folgen. Dieses Konzept wurde bereits bei der Entwicklung von Raumfahrtanzügen der National Aeronautics and Space Administration (NASA) eingesetzt und soll bei der Präventhesen-Versorgung die Anbindung der Hartrahmenanteile an die Kompressionshose weiter verbessern und damit die Ortsständigkeit der Präventhese perfektionieren.
Ein weiteres Ziel wird zukünftig sein, diese Erkenntnisse auch in andere Risiko-Sportarten (z. B. Motorcross, Eishockey) zu transferieren. Zusätzlich werden diese Erkenntnisse auch dem Freizeitund Breitensport zur Verfügung gestellt, um auch hier die hohen Verletzungszahlen des Kniegelenkes beim Skifahren in Zukunft reduzieren zu können.
Schlussfolgerung
Die Akzeptanz der neu entwickelten Präventhese zeigt sich durch die steigenden Versorgungszahlen. Auch konnten permanent durchgeführte Untersuchungen bei Spitzensportlern zeigen, dass die Orthesenversorgung sich weder negativ auf deren Performance noch auf den Muskelaufbau auswirkt. Durch Detailverbesserungen und Modifikationen konnte die Compliance ebenfalls deutlich verbessert werden, und die Ausarbeitung der Orthesen wurde wettkampftauglicher. Die Tatsache, dass sich Vertreter unterschiedlicher Ski-Nationalmannschaften in einem Expertenmeeting erst vor Kurzem zu einem intensiven Gedankenaustausch über die Verletzungsprophylaxe von Knieverletzungen trafen, zeugt von der Wichtigkeit des Themas. Zur wissenschaftlichen Beurteilung des protektiven Potenzials der Neukonstruktion werden die Athleten prospektiv erfasst, und es werden objektive und subjektive Daten ausgewertet.
Die tatsächliche Wirksamkeit kann aber letztlich nur über eine retrospektive Studie ermittelt werden. In einer Fall-Kontroll-Studie sollte über einen längeren Zeitraum die Verletzungshäufigkeit von Präventheseträgern mit nicht orthetisch versorgten Skifahrern verglichen werden. Dazu wird eine Gruppe von Probanden gewählt, die in ihren für die Untersuchung wesentlichen Eigenschaften wie Alter, Gewicht, Leistungslevel und Disziplinen denen der ersten Gruppe in etwa entspricht. Im Anschluss an das Matching wird unter Befragung der Probanden und mit Hilfe statistischer Auswertungsmethoden analysiert, ob die Verletzungshäufigkeit in der ersten im Vergleich zur zweiten Gruppe geringer oder gleich hoch ist. Dabei sind jedoch externe Faktoren wie die Taillierung des Skis, die Aufbauhöhe von Bindungsplatten und Skischuhen sowie die Pistenpräparation bei Vergleichen bei Veränderungen zu beachten.
Ein Forschungsantrag beim BISp zur Weiterentwicklung von Funktion, Wirkweise und Gelenkmechanik ist gestellt, wodurch die Verletzungsprävention nochmals gesteigert werden soll.
Für die Autoren:
Hartmut Semsch
Orthopädie-Techniker-Meister ORTEMA GmbH
Kurt-Lindemann-Weg 10
71706 Markgröningen
Hartmut.Semsch@ortema.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Semsch H, Brucker P, Huber A, Junior V, Spitzenpfeil P, Waibel K.-H. Return to Sports – Neuentwicklung einer Knieorthese für den Skisport. Orthopädie Technik, 2016; 67 (12): 30–35
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- Flørenes TW et al. Injuries among male and female World Cup alpine skiers. Br J Sports Med, 2009; 43 (13): 973–978
- Dürr K. Systematische, videobasierte Analyse von vorderen Kreuzbandrupturen im alpinen Ski Leistungssport des Deutschen Skiverbandes von 2004 bis 2014. In: Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften. München: Technische Universität München, 2014: 40
- Brucker PU, Spitzenpfeil P, Huber A, Waibel K, Maier W. Belastungen und Verletzungen des Kniegelenkes im Alpinen Ski-Hochleistungssport – Eine Statusquo-Analyse unter spezieller Fokussierung auf das vordere Kreuzband. Sport Ortho Trauma, 2011; 27: 247–254
- Bere T, Flørenes T, Krosshaug T, Koga H, Nordsletten L, Irving C, Muller E, Reid R, Senner V, Bahr R. Mechanisms for Anterior Cruciate Ligament Injury in World Cup Alpine Skiing: A Systematic Video Analysis of 20 Cases. Am J Sports Med, 2011; 39 (7): 1421–1429
- Brucker PU, Katzmeier P, Olvermann M, Huber A, Waibel K, Imhoff AB, Spitzenpfeil P. Alpiner Skibreiten- und Skileistungssport – Typische Verletzungsmuster und Möglichkeiten der Prävention. Unfallchirurg, 2014; 117 (1): 24–32