Reha­bi­li­ta­ti­on nach Vierfach­amputation und Prothesen­versorgung – ein Fall fürs Team

S. Breier1, J. Schröter2, S. Bayer3,D. Trinius4, S. Bosch5
Die Amputation aller vier Gliedmaßen („Quadruple Amputation“) tritt eher selten auf, die Auswirkungen aber können verheerend sein. Beidseitige transradiale Amputationen beeinträchtigen das Halten und Manipulieren von Gegenständen und wirken sich daher auf alle Aktivitäten des täglichen Lebens aus. Beidseitige transtibiale Amputationen beeinträchtigen in hohem Maße die Fortbewegung, das Sitzen und das Gleichgewicht, das durch die Beine gewährleistet wird. Der Verlust mehrerer Gliedmaßen hat demzufolge schwerwiegende Auswirkungen auf die Mobilität einer Person und ihre Fähigkeit, Aktivitäten des täglichen Lebens auszuführen. Die Belastungen nach Mehrfachamputation mit prothetischer Versorgung bedingen sich gegenseitig und erfordern eine hochspezialisierte interdisziplinäre Betreuung. Für Menschen mit einer beidseitigen Amputation der unteren und oberen Gliedmaßen ergeben sich daher besondere Herausforderungen in der Rehabilitation.

 

1 Ergo-Hand­the­ra­peu­tin, Össur Aca­de­my, Köln
2 Chef­arzt der Ortho­pä­die und Unfall­chirurgie, Chi­ro­the­ra­pie, Phy­si­ka­li­schen The­ra­pie, Spe­zi­el­len Schmerz­the­ra­pie, Rönt­gen­dia­gnos­tik des Ske­letts, Notfall­medizin sowie Chef­arzt der Ortho­pä­die und Ärzt­li­cher Direk­tor, MEDIAN Reha-Zen­trum Wies­ba­den Sonnenberg
3 Ortho­pä­die­tech­ni­ker-Meis­te­rin und Lei­te­rin Ortho­pä­die­tech­nik, Häuss­ler Tech­ni­sche Ortho­pä­die GmbH in Ulm
4 Phy­sio­the­ra­peu­tin, Fach­kli­nik Ichenhausen
5 Ergo­the­ra­peu­tin, Neu­ro­lo­gie der Fach­kli­nik Ichenhausen

Anzei­ge

 

Ein­lei­tung

Die häu­figs­te Ursa­che einer Vier­fach­am­pu­ta­ti­on ist eine Sep­sis, die soge­nann­te „Blut­ver­gif­tung“. Die­se ist defi­niert als eine lebens­be­droh­li­che Organ­fehl­funk­ti­on auf­grund einer Über­re­ak­ti­on des Immun­sys­tems auf eine Infek­ti­on1. Auf Grund­la­ge der Ana­ly­se einer DRG-Sta­tis­tik fand sich 2015 eine Sep­sis­in­zi­denz von 158 pro 100.000 Ein­woh­ner in Deutsch­land2. Die­ses ent­spricht ca. 130.000 Pati­en­ten im Jahr. Die Ent­wick­lun­gen zwi­schen 2010 und 2015 zei­gen eine jähr­lich durch­schnitt­li­che Zunah­me um 7,9 % der Sep­sis­pa­ti­en­ten. Die Mor­ta­li­tät sank in die­ser Zeit zwar von 47,8 % auf 41,7 %3, zeigt aber die Gefähr­lich­keit die­ses Krank­heits­bil­des, an wel­chem trotz Inten­siv­me­di­zin fast jeder zwei­te Pati­ent verstirbt.

Im Rah­men des „sep­ti­schen Schocks“ ver­sa­gen inner­halb kür­zes­ter Zeit meh­re­re lebens­wich­ti­ge Orga­ne wie Leber, Nie­re oder Lun­ge gleich­zei­tig und es kommt zu einer Zen­tra­li­sie­rung des Kreis­lau­fes, in des­sen Fol­ge die Durch­blu­tung in der Peri­phe­rie deut­lich ver­rin­gert wird. Im schlimms­ten Fall kann es dann zum Abster­ben von Fin­gern und Zehen bis hin zu gro­ßen Tei­len von Armen und Bei­nen kom­men, wel­che ent­spre­chen­de Ampu­ta­tio­nen not­wen­dig machen.

Sep­sis­pa­ti­en­ten haben im Ver­gleich zur Nor­mal­be­völ­ke­rung ein 3,3‑fach erhöh­tes Risi­ko, unter blei­ben­den Ein­schrän­kun­gen im all­täg­li­chen Leben zu lei­den4. Die­se kön­nen sich durch kogni­ti­ve oder neu­ro­lo­gi­sche Defi­zi­te sowie moto­ri­sche Ein­schrän­kun­gen mani­fes­tie­ren. Vor allem in Fol­ge einer Mehr­fach­am­pu­ta­ti­on kommt es zu erheb­li­chen Mobi­li­täts­ein­schrän­kun­gen und nicht sel­ten durch die hohe psy­chi­sche Belas­tung zu post­trau­ma­ti­schen Belas­tungs­stö­run­gen5. Des­we­gen soll­te eine Auf­nah­me eines Ange­hö­ri­gen zur Unter­stüt­zung des Pati­en­ten sowohl im Akut­haus als auch in der sich anschlie­ßen­den Reha erfol­gen. Häu­fig ist auf­grund der vie­len und ein­schrän­ken­den phy­si­schen und psy­chi­schen Fol­gen eine inten­si­ve Reha not­wen­dig, wel­che sich über meh­re­re Mona­te erstreckt.

Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­men

Bei Extre­mi­tä­ten­ver­lus­ten kommt der Schmerz­the­ra­pie von Beginn an eine gro­ße Bedeu­tung zu. Hier­bei gilt es, sowohl Stumpf­schmer­zen als auch Phan­tom­schmer­zen adäquat zu behan­deln. Aus einer sys­te­ma­ti­schen Über­sichts­ar­beit geht her­vor, dass eine prä­ope­ra­ti­ve Schmerz­be­hand­lung sowohl das Risi­ko für Phan­tom­schmer­zen redu­ziert als auch phy­si­sche und psy­chi­sche Out­co­mes ver­bes­sern kann6. Dabei stel­len unter ande­rem bila­te­ra­le Ampu­ta­tio­nen sowie schlech­te psy­chi­sche Out­co­mes einen Risi­ko­fak­tor für die Ent­wick­lung von Phan­tom­schmer­zen dar. Die kom­ple­xe Schmerz­ä­tio­lo­gie muss daher im Rah­men einer inter­dis­zi­pli­nä­ren mul­ti­mo­da­len Schmerz­the­ra­pie behan­delt wer­den7. Die­se kann aus medi­ka­men­tö­sen Antei­len wie Gaba­pen­tin, Amit­ri­pty­lin, Opio­iden oder loka­len Anäs­the­ti­ka sowie the­ra­peu­ti­schen Moda­li­tä­ten wie z. B. Sen­so­mo­to­rik­trai­ning, Trig­ger­punkt- oder Spie­gel­the­ra­pie bestehen, wel­che im Akut­kran­ken­haus begon­nen wer­den soll­te. Par­al­lel dazu erfolgt eine all­ge­mei­ne Rob­orie­rung des Pati­en­ten. Sobald der Pati­ent kar­dio­pul­mo­n­al sta­bil ist und die Wund­ver­hält­nis­se unkri­tisch sind, soll­te er in eine spe­zia­li­sier­te Reha­kli­nik ver­legt werden.

Bei Auf­nah­me dort muss zunächst eine Bewer­tung von objek­ti­ven Befun­den des Schä­di­gungs­mus­ters und sub­jek­ti­ven Ein­schät­zun­gen der Behand­ler in einem spe­zi­ell geschul­ten Team mit allen betei­lig­ten Fach- und Berufs­grup­pen (Ärz­te, Pfle­ge­kräf­te, The­ra­peu­ten, Sozi­al­dienst, Psy­cho­lo­gen, Ortho­pä­die­tech­ni­ker) erfol­gen8, um die nächs­ten Schrit­te der Mobi­li­sie­rung des Pati­en­ten und die dafür not­wen­di­gen Hilfs­mit­tel und Pro­the­sen zu pla­nen. Eine beglei­ten­de psy­cho­lo­gi­sche The­ra­pie ist häu­fig not­wen­dig, da auf­grund des stark ver­än­der­ten äußer­li­chen Kör­per­bil­des die Selbst­iden­ti­tät eine gro­ße Her­aus­for­de­rung für die Pati­en­ten dar­stellt. Wei­ter­hin sind die Betrof­fe­nen vor allem zu Beginn der Reha auf die Hil­fe von ande­ren ange­wie­sen und erle­ben dies als Abhän­gig­keit oder Hilflosigkeit.

Hier­bei ist es unab­ding­bar, den Pati­en­ten und des­sen Ange­hö­ri­ge so früh wie mög­lich in die Auf­klä­rung und den Ver­sor­gungs­pro­zess mit ein­zu­be­zie­hen. Ein im o. g. Team für jeden Pati­en­ten erstell­ter Behand­lungs­plan dient als Leit­fa­den für die indi­vi­du­el­le Pati­en­ten­ver­sor­gung. Er bil­det die Grund­la­ge zur Errei­chung der iden­ti­fi­zier­ten kurz- und lang­fris­ti­gen Zie­le in Bezug auf Akti­vi­tä­ten und Teil­ha­be, die der Pati­ent benö­tigt und durch­füh­ren möch­te. Dem ver­ant­wort­li­chen Fach­arzt für Orthopädie/Unfallchirurgie/Rehabilitationsmedizin obliegt die Koor­di­na­ti­on des Ver­laufs. Zur Ver­ein­heit­li­chung der Behand­lun­gen hat es sich bewährt, ein stan­dar­di­sier­tes Vor­ge­hen zu ent­wi­ckeln. Wäh­rend der gesam­ten Reha­bi­li­ta­ti­ons­pha­se wird der Behand­lungs­plan zwi­schen allen Betei­lig­ten in regel­mä­ßi­gen Team­sit­zun­gen (1–2‑mal wöchent­lich) immer wie­der ent­spre­chend mit den Fort­schrit­ten des Pati­en­ten abgestimmt.

Am Anfang ste­hen die Kon­di­tio­nie­rung der Ampu­ta­ti­ons­stümp­fe und die ers­te Ver­sor­gung mit Inte­rims­pro­the­sen im Vor­der­grund (Abb. 1). Da es sich im Bereich der unte­ren Extre­mi­tä­ten meis­tens um Ampu­ta­tio­nen im Fuß- oder Unter­schen­kel (trans­ti­bi­al) han­delt ohne Ver­lust der Knie­ge­lenks­funk­ti­on, emp­fiehlt sich, hier mit der Ver­sor­gung zu begin­nen, um dem Pati­en­ten zu mehr Selbst­stän­dig­keit und dem damit ver­bun­de­nen Zuge­winn an Mobi­li­tät zu verhelfen.

Fall­bei­spiel

Die beson­de­re Bedeu­tung, die einer ganz auf die indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­se des Pati­en­ten aus­ge­rich­te­ten sta­tio­nä­ren Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­me zukommt, wird anhand eines Fall­bei­spiels näher erläutert:

Im Janu­ar 2022 erlitt der zu dem Zeit­punkt 33 Jah­re alte Pati­ent eine Frak­tur des Tuber­cu­lum majus und eine vor­de­re Schul­ter­lu­xa­ti­on rechts. Die Schul­ter wur­de repo­niert und zwei Wochen spä­ter erfolg­te eine Plat­ten­os­teo­syn­the­se. Es ent­wi­ckel­te sich ein Schul­ter­ge­lenks­em­py­em mit ful­mi­nan­ter Sep­sis, wor­auf­hin eine ope­ra­ti­ve Revi­si­on durch­ge­führt wur­de. Die Sep­sis (Toxic, Schock Syn­drom) führ­te dazu, dass einen Monat spä­ter eine Exar­ti­ku­la­ti­on im Hand­ge­lenk rechts erfor­der­lich wur­de. Eine Nacham­pu­ta­ti­on mit knö­cher­ner Rück­kür­zung bei­der Unter­ar­me wur­de dann zwei Wochen spä­ter auf­grund einer durch Ischä­mie ver­ur­sach­ten tro­cke­nen Nekro­se durch­ge­führt. Zudem muss­ten bei­de Unter­schen­kel ampu­tiert wer­den sowie der dista­le Ober­schen­kel rechts.

In der Fol­ge­zeit ent­wi­ckel­te der Pati­ent eine Tetrapa­re­se und eine depres­si­ve Epi­so­de. Zudem trat ein neu­ro­pa­thi­sches Schmerz­syn­drom auf. Nach­dem die Nar­ben an den Bei­nen ver­heilt waren, wur­den noch im Kran­ken­haus zunächst ers­te Bein­pro­the­sen gefer­tigt und im August 2022 zwei myo­elek­tri­sche mul­ti­ar­ti­ku­lie­ren­de Pro­the­sen für die rech­te und lin­ke Sei­te ange­passt. In den sich anschlie­ßen­den Wochen erhielt der Pati­ent einen elek­tri­schen Roll­stuhl und es wur­den indi­vi­du­el­le Hilfs­mit­tel zum selbst­stän­di­gen Essen gefertigt.

Bei der Auf­nah­me in die Reha­kli­nik waren ein selbst­stän­di­ger Lage­wech­sel und Trans­fer mit Kom­pen­sa­ti­on mög­lich. Der Pati­ent erhielt kurz nach Beginn der Reha­maß­nah­men sei­ne Bein­pro­the­sen als Inte­rims­pro­the­sen. Er war in der Lage, teil­wei­se frei zu ste­hen. Eini­ge Meter konn­te er frei gehen, ansons­ten ver­wen­de­te er Unter­arm­geh­stüt­zen. Im elek­tri­schen Roll­stuhl war der 33-Jäh­ri­ge auch ohne Pro­the­sen selbst­stän­dig mobil.

In der Reha­kli­nik erhielt der Pati­ent ein indi­vi­du­ell auf ihn ange­pass­tes The­ra­pie­pro­gramm von Phy­sio- und Ergo­the­ra­pie, bei dem unter­schied­li­che Behand­lungs­an­sät­ze mit­ein­an­der kom­bi­niert wur­den, um ein opti­ma­les Ergeb­nis zu erzie­len. Beim Lauf­trai­ning wur­de anfangs Wert auf das Gleich­ge­wichts­trai­ning gelegt. Mit zuneh­men­der Sicher­heit wech­sel­te er vom Geh­bar­ren zu Unter­arm­stüt­zen, wobei er am Schluss ohne jeg­li­che Stüt­zen lief und somit sein per­sön­li­ches Reha­ziel erreicht hat­te. Par­al­lel erfolg­te für die obe­re Extre­mi­tät ein inten­si­ves ergo­the­ra­peu­ti­sches Pro­the­sen­trai­ning mit dem Ziel der best­mög­li­chen Wie­der­ein­glie­de­rung in das sozia­le und beruf­li­che Leben.

Zum Zeit­punkt des Ereig­nis­ses leb­te der Pati­ent mit sei­ner Lebens­ge­fähr­tin in einer Miet­woh­nung im 5. Stock eines Hau­ses mit Auf­zug. Bereits wäh­rend der Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­men bemüh­te sich die Lebens­ge­fähr­tin, eine neue behin­der­ten­ge­rech­te Woh­nung zu fin­den. Der Pati­ent hat­te bis zum Ereig­nis als Kon­struk­teur bei einer gro­ßen Fir­ma gear­bei­tet. Sein Ziel ist es, in den alten Beruf zurück­zu­keh­ren. Nach drei Mona­ten konn­te der Pati­ent aus der sta­tio­nä­ren Reha ent­las­sen werden.

Wie wich­tig die eige­ne Resi­li­enz und die emo­tio­na­le Beglei­tung ist, schil­dert er mit eige­nen Wor­ten: „Als ich anfangs in der Kli­nik war und mei­ne Hän­de und Füße sah, wuss­te ich zwar noch nicht, wel­che Aus­wir­kun­gen das Gan­ze haben wird, hat­te aber schon eine Befürch­tung, die sich letzt­end­lich auch bewahr­hei­te­te. Trotz­dem hat­te ich nie den Gedan­ken, dass es das jetzt war, son­dern über­leg­te mir wäh­rend der gan­zen Zeit, wie ich alle All­tags­si­tua­tio­nen meis­tern kann, was für ‚Werk­zeu­ge‘ ich ggf. brau­che und was ich impro­vi­sie­ren und adap­tie­ren muss. Beson­ders der Rück­halt mei­ner Fami­lie und mei­ner Freun­din hat mir dabei geholfen.“

The­ra­pie­zie­le

Eine Mehr­fach­am­pu­ta­ti­on hat für Betrof­fe­ne zur Fol­ge, dass sich ihr All­tag in allen Lebens­be­rei­chen kom­plett ver­än­dert und sie sich mit vie­len Her­aus­for­de­run­gen kon­fron­tiert sehen. Die­se schwer­wie­gen­de Ver­än­de­rung bedingt zwangs­läu­fig ein Um- und Neu­ler­nen, da Mehr­fach­am­pu­tier­te ihren indi­vi­du­el­len All­tag sowohl ohne als auch mit Pro­the­sen bewäl­ti­gen müssen.

Nach Ampu­ta­ti­on und Ver­sor­gung mit einer Pro­the­se besteht für alle an der Reha­bi­li­ta­ti­on betei­lig­ten Dis­zi­pli­nen das über­ge­ord­ne­te Ziel dar­in, die best­mög­li­che Wie­der­ein­glie­de­rung in den beruf­li­chen und sozia­len Lebens­be­reich zu ermög­li­chen. Im Rah­men der Anpas­sung der Pro­the­sen für die unte­re und obe­re Extre­mi­tät durch die Ortho­pä­die­tech­nik erler­nen Kli­en­ten zunächst deren Bedie­nung, um sie für Mobi­li­tät und grund­le­gen­de Auf­ga­ben des täg­li­chen Lebens nut­zen zu kön­nen9. Obwohl es für die the­ra­peu­ti­schen Beru­fe der Phy­sio- und Ergo­the­ra­pie Über­schnei­dun­gen gibt, ist die obe­re Extre­mi­tät mit den Inhal­ten Nar­ben­be­hand­lung, Desen­si­bi­li­sie­rung, Belas­tungs­trai­ning, Kör­per­sym­me­trie- und Mus­kel­auf­bau sowie Signal- und Funk­ti­ons­trai­ning eher der Ergo­the­ra­pie zuzu­rech­nen. Hin­ge­gen stellt die unte­re Extre­mi­tät mit prä­pro­the­ti­schem Auf­bau­trai­ning, Kräf­ti­gung, Kör­per­ba­lan­ce, Steh- und Geh­trai­ning eine Domä­ne der Phy­sio­the­ra­pie dar.

Ergo­the­ra­pie

Eine Unter­stüt­zung des Kli­en­ten bei der anste­hen­den ADL- (Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens) und IADL-Leis­tung (instru­men­tel­le Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens) zur Errei­chung der größt­mög­li­chen Unab­hän­gig­keit mit und ohne Pro­the­se kann als das gene­rel­le Hand­lungs­ziel der Ergo­the­ra­pie beschrie­ben wer­den10  11.

Es ist wich­tig, die Selbst­stän­dig­keit bei Akti­vi­tä­ten wie Essen, Kör­per­pfle­ge, Anzie­hen, Baden, Toi­let­ten­gang, Trans­fers, Roll­stuhl­po­si­tio­nie­rung und Mobi­li­tät auch ohne Pro­the­se zu trai­nie­ren, bevor die Inte­gra­ti­on der Pro­the­se in den All­tag beginnt (Abb. 2). Das Errei­chen der größt­mög­li­chen Selbst­stän­dig­keit bei ADLs wird durch das Tra­gen und Bedie­nen min­des­tens einer Pro­the­sen­hand erleich­tert. Der jeweils längs­te Stumpf wird häu­fig zur domi­nan­ten Hand, unab­hän­gig von ihrem Sta­tus vor der Ver­let­zung. Beson­ders das An- und Able­gen der Pro­the­sen erfor­dert Geschick­lich­keit, Greif­kraft und die Ver­wen­dung adap­ti­ver Hil­fen. Hier kann die Ver­wen­dung eines Anzieh­bau­mes Unter­stüt­zung bieten.

Mobi­li­tät oder das Füh­ren eines Fahr­zeugs ist in unse­rer Gesell­schaft eine wesent­li­che Vor­aus­set­zung für Unab­hän­gig­keit, Inte­gra­ti­on in die Gesell­schaft und damit ver­knüpft eine höhe­re Lebens­qua­li­tät12. Hier emp­fiehlt es sich, Kon­takt zu Fir­men auf­zu­neh­men, die sich auf die Umrüs­tung von Fahr­zeu­gen spe­zia­li­siert haben.

Wäh­rend der gesam­ten Reha­bi­li­ta­ti­on erfolgt eine umfas­sen­de Auf­klä­rung zu mög­li­chen Risi­ko­fak­to­ren wie Adi­po­si­tas, Haut­pro­ble­men, sit­zen­der Lebens­wei­se sowie Tabak- und Alko­hol­kon­sum. Zudem wird auf die Bedeu­tung von regel­mä­ßi­gen Fit­ness­übun­gen hin­ge­wie­sen, um die Kraft und Beweg­lich­keit zu erhal­ten und die Ent­wick­lung von Über­las­tungs- und Schmerz­syn­dro­men zu ver­hin­dern13.

Phy­sio­the­ra­pie

Das Ziel der Phy­sio­the­ra­pie besteht dar­in, Pati­en­ten das höchst­mög­li­che Maß an kör­per­li­cher Funk­ti­on zu ermög­li­chen14. Ein Sys­te­ma­tic Review von San­sam et al. (2009) iden­ti­fi­ziert posi­ti­ve und nega­ti­ve Fak­to­ren, die die Mobi­li­tät von Men­schen nach einer Ampu­ta­ti­on beein­flus­sen können.

Als posi­ti­ve Fak­to­ren gelten:

  • dista­le Amputation,
  • intak­te Kogni­ti­on und Gedächtnis,
  • nor­ma­ler Body-Mass-Index und
  • ein hohes Maß an kör­per­li­cher Fit­ness und Geh­fä­hig­keit vor der Operation.

Fol­gen­de Fak­to­ren wur­den als nega­tiv identifiziert:

  • beid­sei­ti­ge Ampu­ta­ti­on der obe­ren und unte­ren Gliedmaßen,
  • ver­zö­ger­te Wundheilung,
  • Abhän­gig­keit in den ADLs und
  • nicht auf einem Bein ste­hen zu können.

Bei der The­ra­pie von Mehr­fach­am­pu­tier­ten soll­te beson­de­res Augen­merk auf das inten­si­ve Üben von Trans­fer­si­tua­tio­nen (z. B. vom Bett zum Ste­hen oder in den Roll­stuhl) und den Wech­sel der Ebe­nen (z. B. Auf­ste­hen und Hin­set­zen) gelegt wer­den (sie­he Abb. 1). Betrof­fe­ne müs­sen in der Lage sein, sich im Bett zu dre­hen, den Über­gang von der Rücken- oder Sei­ten­la­ge zum Sit­zen an der Bett­kan­te zu voll­zie­hen und das Gleich­ge­wicht im Sit­zen ohne Unter­stüt­zung auf­recht­zu­er­hal­ten. Das Risi­ko eines Stur­zes erhöht sich beim Ste­hen und/oder Gehen durch Ver­än­de­rung des Kör­per­schwer­punk­tes oder auch durch auf­tre­ten­de Schmer­zen. Stra­te­gien zur Sturz­prä­ven­ti­on wer­den daher früh­zei­tig in die Reha­bi­li­ta­ti­on inte­griert und über alle Pha­sen hin­weg fortgeführt.

Bei Mehr­fach­am­pu­tier­ten wird best­mög­li­che Mobi­li­tät in ers­ter Linie durch die Stär­kung der Rumpf- und pro­xi­ma­len Mus­ku­la­tur erreicht. Da bei Unter­schen­kel- als auch Ober­schen­kel­am­pu­tier­ten die intrin­si­sche Fuß- und Knö­chel­kon­trol­le fehlt, müs­sen sie sich stark auf die pro­xi­ma­len Hüft­mus­keln stüt­zen, um das Gleich­ge­wicht zu hal­ten. Die Wie­der­erlan­gung der Rumpf­kraft ist eben­falls nach Ampu­ta­ti­on der obe­ren Glied­ma­ßen bedeut­sam. Sie gewähr­leis­tet Sta­bi­li­tät, Gleich­ge­wicht und die kor­rek­te Nut­zung der Pro­the­se15.

Das Geh­trai­ning erfor­dert die Unter­stüt­zung auf der rech­ten und lin­ken Sei­te, um eine Sym­me­trie der Bewe­gun­gen der unte­ren Glied­ma­ßen zu berück­sich­ti­gen. Dane­ben ist auf seit­li­che Rumpf­beu­gung und Rota­ti­on sowie Aus­dau­er­trai­ning Wert zu legen. Nach Ampu­ta­ti­on der unte­ren Glied­ma­ßen soll­te zur Fort­be­we­gung die kom­bi­nier­te Nut­zung von Pro­the­sen und eines Roll­stuhls in Betracht gezo­gen wer­den16. Auch bei bila­te­ra­ler Ampu­ta­ti­on der unte­ren Glied­ma­ßen ist anzu­stre­ben, dass Kli­en­ten ihre Pro­the­sen selbst­stän­dig an- und able­gen können.

Inter­dis­zi­pli­nä­re Versorgung

Beid­sei­ti­ge Ampu­ta­tio­nen im Unter­arm (trans­ra­di­al) beein­träch­ti­gen das Hal­ten und Mani­pu­lie­ren von Gegen­stän­den und wir­ken sich somit auf alle Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens aus. Beid­sei­ti­ge Ampu­ta­tio­nen im Bereich der Unter­schen­kel (trans­ti­bi­al) füh­ren zu einer star­ken Ein­schrän­kung der Fort­be­we­gung, des Sit­zens und des Gleich­ge­wichts, das durch die Bei­ne gewähr­leis­tet wird. Dem­zu­fol­ge hat der Ver­lust meh­re­rer Glied­ma­ßen schwer­wie­gen­de Aus­wir­kun­gen auf die Mobi­li­tät und die Fähig­keit einer Per­son, Akti­vi­tä­ten des täg­li­chen Lebens auszuführen.

Die Belas­tun­gen nach Mehr­fach­am­pu­ta­ti­on mit pro­the­ti­scher Ver­sor­gung bedin­gen sich gegen­sei­tig und erfor­dern – wie oben dar­ge­stellt – eine hoch­spe­zia­li­sier­te inter­dis­zi­pli­nä­re Betreu­ung. Für Men­schen mit einer beid­sei­ti­gen Ampu­ta­ti­on der unte­ren und obe­ren Glied­ma­ßen erge­ben sich daher beson­de­re Her­aus­for­de­run­gen in der Rehabilitation.

Ortho­pä­die­tech­nik

Ste­pha­nie Bayer

Die Ortho­pä­die­tech­nik über­nimmt in der Reha­bi­li­ta­ti­on von Vier­fach­am­pu­tier­ten die Auf­ga­be der Fer­ti­gung und Anpas­sung der Pro­the­sen und All­tags­hil­fen (sie­he Abb. 5a). Beson­de­res Augen­merk liegt dabei auf der Pass­teil­aus­wahl und der All­tags­taug­lich­keit. Zudem müs­sen die Erwar­tun­gen und Zie­le des Betrof­fe­nen, die er an die Hilfs­mit­tel hat, gemein­sam erar­bei­tet wer­den. Dazu gehört auch, dass die Tech­nik nicht alle Erwar­tun­gen erfül­len kann. Dies muss im Vor­feld mit dem Betrof­fe­nen ehr­lich und offen kom­mu­ni­ziert wer­den. Nur so las­sen sich Ent­täu­schun­gen ver­mei­den. Obers­tes Ziel bei Mehr­fach­am­pu­ta­ti­on liegt auf dem selbst­stän­di­gen An- und Aus­zie­hen der Pro­the­sen und einem ein­fa­chen Hand­ling. Zudem müs­sen die Pro­the­sen so leicht wie mög­lich gebaut wer­den und trotz­dem so viel Funk­ti­on wie mög­lich erset­zen. Die­sen Kom­pro­miss zu fin­den, ist neben der Anpas­sung die größ­te Her­aus­for­de­rung für den Orthopädietechniker.

Bein­pro­the­sen

Der nächs­te Schritt besteht für den Pati­en­ten dar­in, wie­der auf die Bei­ne zu kom­men. Dafür wer­den soge­nann­te Inte­rims­pro­the­sen gefer­tigt. Die­se Bein­pro­the­sen sind so kon­stru­iert, dass sie sich schnell an neue Gege­ben­hei­ten anpas­sen las­sen. Dies ist nötig, da sich in den ers­ten sechs Mona­ten nach einer Ampu­ta­ti­on die Stümp­fe stark ver­än­dern kön­nen. Im hier beschrie­be­nen Fall war eine wöchent­li­che Kon­trol­le und Nach­pas­sung der Schäf­te nötig. Auch den sta­ti­schen Auf­bau pass­ten wir an den Fort­schritt des Betrof­fe­nen an. Zusätz­lich tes­te­ten wir in die­ser Pha­se unter­schied­li­che Pass­tei­le. Die Inte­rims­pha­se ist bei Ein­fach­am­pu­tier­ten auf sechs Mona­te defi­niert, bei Mehr­fach­am­pu­tier­ten reicht die­se Zeit oft nicht aus. Daher ver­län­ger­ten wir die Inte­rims­pha­se und bau­ten für die Ober­schen­kel­pro­the­se einen zwei­ten Schaft.

Arm­pro­the­sen

Als das Gehen mit Geh­stüt­zen mög­lich war, bau­ten wir die Arm­pro­the­sen. Bei der Pass­teil­aus­wahl und der Schaft­kon­struk­ti­on berück­sich­tig­ten wir die unter­schied­li­chen Stumpf­län­gen. Links­sei­tig (lan­ger Unter­arm­stumpf) wähl­ten wir eine mul­ti­ar­ti­ku­lie­ren­de Hand mit einer Zwei­elek­tro­den­steue­rung. Der Schaft ist so gestal­tet, dass die kör­per­ei­ge­ne Pro- und Supi­na­ti­on zur Posi­tio­nie­rung der Pro­the­se im Raum genutzt wer­den kann. Auf der Gegen­sei­te (mit­tel­lan­ger Unter­arm­stumpf) kam eben­falls eine mul­ti­ar­ti­ku­lie­ren­de Hand zum Ein­satz. Sie wird über eine soge­nann­te Mus­ter­er­ken­nung gesteu­ert. Die­se Tech­nik erlaubt einen schnel­len Zugriff auf die unter­schied­li­chen Griff­mus­ter und die Ansteue­rung eines Dreh­mo­tors (Abb. 3). Die­ser ersetzt die Pro- und Supinationsbewegung.

In der Regel ist es für Pati­en­ten ein­fa­cher, eine ein­heit­li­che Steu­er­sys­te­ma­tik zu bedie­nen, auch wenn die Vor­aus­set­zun­gen der Ampu­ta­ti­ons­stümp­fe unter­schied­lich beschaf­fen sind. In die­sem Fal­le ent­schie­den wir uns für unter­schied­li­che Sys­te­me, da der Pati­ent dies wünsch­te und auch kogni­tiv in der Lage war, bei­de Pro­the­sen zu bedienen.

Für einen siche­ren Halt der Pro­the­sen nutz­ten wir Schaft­sys­te­me aus Sili­kon. Die­ses Mate­ri­al kom­bi­niert eine hohe Haf­tung mit ange­neh­mem Tragekomfort.

Aus­blick

Zum Ende der Inte­rims­pha­se war der Pati­ent in der Lage, alle vier Pro­the­sen ohne zusätz­li­che Hilfs­mit­tel selbst­stän­dig an- und aus­zu­zie­hen. Er konn­te mit den Bein­pro­the­sen frei ste­hen und die Arm­pro­the­sen ansteu­ern, um damit die für ihn wich­tigs­ten Tätig­kei­ten aus­zu­üben. Im Anschluss stell­ten wir die Bein­pro­the­sen fer­tig und wähl­ten die end­gül­ti­gen Pass­tei­le aus. Bei regel­mä­ßi­gen Tref­fen mit dem Betrof­fe­nen fra­gen wir Ortho­pä­die­tech­ni­ker immer wie­der ab, ob die aktu­el­le Ver­sor­gung zu den aktu­el­len Lebens­um­stän­den passt. Wenn dies nicht mehr der Fall ist, muss die Ver­sor­gung ange­passt wer­den – denn ein Vier­fach­am­pu­tier­ter kann mit sei­nen Pro­the­sen kei­ne Kom­pro­mis­se eingehen.

Phy­sio­the­ra­pie

Doren Tri­ni­us 

Der Pati­ent kam im Mai 2022 in die Kli­nik. Im Bett konn­te er sich ohne Hil­fe dre­hen und auf­set­zen. Er hat­te bereits einen elek­tri­schen Leih­roll­stuhl, mit dem er sich selbst­stän­dig im Haus bewe­gen konn­te. Eine Pro­the­sen­ver­sor­gung erfolg­te bis dato auf­grund offe­ner Wun­den noch nicht. Bauch, Ober­schen­kel und Unter­ar­me wie­sen rotes, fes­tes und her­vor­ste­hen­des Nar­ben­ge­we­be als Reak­ti­on des Kör­pers auf die Infek­ti­on an der Schul­ter auf. Am rech­ten Ober­schen­kel befand sich ein Keim in der OP-Wunde.

Beson­ders erwäh­nens­wert ist schon zu die­sem Zeit­punkt die psy­chi­sche Sta­bi­li­tät des Pati­en­ten. Er schau­te stets nach vorn, hader­te nie mit sei­nem Schick­sal und war jeden Tag bereit, an sei­ne Gren­zen zu gehen. Daher war es nicht schwer, funk­tio­nel­le Zie­le zu ste­cken und mit allen uns zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­teln die­sen Schritt für Schritt näher zu kommen.

Zie­le und Maßnahmen

Zu den Zie­len und Maß­nah­men gehören:

  • Wund­hei­lung för­dern durch CO2-Bad, Lymph­drai­na­ge, Massage
  • Errei­chen einer guten Stumpf­form durch Wickeln der Arm- und Beinstümpfe
  • Erhalt der Beweg­lich­keit und Kraft in allen Gelen­ken durch Kran­ken­gym­nas­tik in allen Ausgangsstellungen
  • Ver­bes­se­rung der Schul­ter­be­weg­lich­keit durch Manu­el­le The­ra­pie und eine Bewegungsschiene
  • Kraft­auf­bau in den Schul­tern, im Rumpf, in den Hüf­ten und im Knie durch eine Stütz­hal­tung im Unter­arm­geh­wa­gen, PNF (pro­prio­zep­ti­ve neu­ro­mus­ku­lä­re Fazi­li­ta­ti­on) und den Ein­satz von Theraband

Behand­lungs­ver­lauf

Unse­re Schwer­punk­te lagen auf der Mobi­li­sa­ti­on des rech­ten Schul­ter­ge­len­kes und dem Kraft­auf­bau aller Extre­mi­tä­ten und des Rump­fes als Vor­be­rei­tung für Ste­hen, Gehen mit Bein­pro­the­sen und Benut­zen von Arm­pro­the­sen. Alle Gelen­ke bis auf die rech­te Schul­ter waren frei beweg­lich. Der Pati­ent lag schon immer gern auf dem Bauch. Dies war eine gute Vor­aus­set­zung für den Erhalt der Wir­bel­säu­len­be­weg­lich­keit und Exten­si­on in den Hüf­ten für das spä­te­re Ste­hen mit Beinprothesen.

Durch inten­si­ves Trai­ning konn­te der Pati­ent bald im hohen Geh­wa­gen mit hän­gen­den Bei­nen stüt­zen. Das gleich­zei­ti­ge Abdu­zie­ren und Exten­die­ren eines Bei­nes, um es hin­ten auf der Bank abzu­le­gen, ver­lang­te Hoch­leis­tung von ihm. Bauch­mus­kel­trai­ning und Kraft­trai­ning der Bei­ne im Lie­gen gehör­te zum Tages­pro­gramm und Eigen­trai­ning. Die Deh­nung der Kör­per­rück­sei­te im Lang­sitz oder in Rücken­la­ge waren eben­falls Teil unse­rer phy­sio­the­ra­peu­ti­schen Einheiten.

Durch eine schnel­le Ver­sor­gung mit Bein­pro­the­sen durch die Ortho­pä­die­tech­nik konn­te der Pati­ent sei­ne ers­ten Steh- und Geh­ver­su­che nach weni­gen Wochen im hohen Geh­wa­gen unter­neh­men. Wir gin­gen min­des­tens ein- bis zwei­mal täg­lich lau­fen. Nach zwei Wochen lös­ten Unter­arm­geh­stüt­zen den hohen Geh­wa­gen ab. Ab die­sem Zeit­punkt war das Gehen zwi­schen zwei Bän­ken mög­lich. der Pati­ent war hin­sicht­lich sei­nes Gleich­ge­wichts mutig und fit genug, um die Stüt­zen zeit­wei­lig weg­zu­las­sen. An guten Tagen schaff­te er ca. 100 Meter mit klei­nen Steh­pau­sen. Eine neue Her­aus­for­de­rung stell­te das Tra­gen der Arm­pro­the­sen beim Gehen dar (Abb. 4).

Aus­blick

Der Pati­ent wird sich künf­tig ent­we­der mit einem elek­tro­ni­schen Roll­stuhl oder sogar frei lau­fend bewe­gen kön­nen. Somit wird er in der Lage sein, sich selbst zu ver­sor­gen und wahr­schein­lich auch wie­der berufs­tä­tig zu wer­den. Er ver­fügt über vie­le Ideen und aus­rei­chend Ener­gie, um sei­ne Lebens­träu­me zu verwirklichen.

Ergo­the­ra­pie

Ste­fa­nie Bosch

Zu Beginn des ergo­the­ra­peu­ti­schen Behand­lungs­pro­zes­ses wur­de mit dem Kli­en­ten geklärt, wel­che für ihn bedeut­sa­men Akti­vi­tä­ten er zeit­nah wie­der selbst­stän­dig durch­füh­ren will und wel­che Fern­zie­le für ihn rele­vant sind.

Neben der Ziel­for­mu­lie­rung ist es von zen­tra­ler Bedeu­tung, den aktu­el­len Zustand des Kli­en­ten auf Partizipations‑, Akti­vi­täts- und Funk­ti­ons­ebe­ne zu erhe­ben. Dabei stand vor allem sein rech­tes Schul­ter­ge­lenk im Vor­der­grund, das post­ope­ra­tiv ein akti­ves Bewe­gungs­aus­maß von weni­ger als 60 Grad in Fle­xi­on und Abduk­ti­on auf­wies. Dies wirk­te sich neben der Mehr­fach­am­pu­ta­ti­on zusätz­lich limi­tie­rend auf sei­ne Selbst­stän­dig­keit im All­tag aus.

Der Kli­ent lern­te zu Beginn der Reha­bi­li­ta­ti­on sei­ne Unter­arm­stümp­fe bei All­tags­ak­ti­vi­tä­ten ein­zu­set­zen, zum Bei­spiel beim Waschen und Anzie­hen. Dabei klemm­te er Objek­te zwi­schen bei­den Unter­arm­stümp­fen ein oder balan­cier­te und trans­por­tier­te sie auf den Stümp­fen. Außer­dem hielt er Objek­te mit den Zäh­nen fest, etwa eine Zahn­pas­ta­tu­be, damit er den Schraub­ver­schluss mit den Stümp­fen öff­nen konn­te. Zudem för­der­ten indi­vi­du­ell adap­tier­te Hilfs­mit­tel wie Besteck­man­schet­ten die Selbst­stän­dig­keit des Kli­en­ten im All­tag (Abb. 5a). Dar­über hin­aus berei­te­ten wir den Pati­en­ten auf das Tra­gen der myo­elek­tri­schen Pro­the­sen vor. Das Gewicht einer Hand­pro­the­se beträgt ca. 500 Gramm plus Gewicht des Schaf­tes, wes­halb die durch die Ampu­ta­ti­on atro­phier­te Mus­ku­la­tur trai­niert wer­den musste.

Zunächst beinhal­te­te das Pro­the­sen­trai­ning die siche­re und repe­ti­ti­ve Initia­li­sie­rung der unter­schied­li­chen Greif­be­we­gun­gen. Danach trai­nier­ten wir die­se unter Ein­be­zug von All­tags­ge­gen­stän­den. Dabei war es wich­tig, Objek­te in das Trai­ning zu inte­grie­ren, die sich in Grö­ße, Gewicht und Sta­bi­li­tät unter­schei­den (Abb. 5b u. c). Somit konn­ten wir ver­schie­de­ne Grif­fe erpro­ben, wobei er die Greif­kraft dosiert an die jewei­li­gen Objek­te anpasste.

The­ra­pie­ver­lauf

Im Behand­lungs­ver­lauf reflek­tier­ten wir mit dem Anwen­der regel­mä­ßig, wel­che The­ra­pie­zie­le bereits erreicht bzw. wel­che noch nicht erreicht waren. Dabei erör­ter­ten wir auch, ob sich Zie­le inhalt­lich oder im zeit­li­chen Ablauf ver­än­dert haben. Dar­auf auf­bau­end und unter Berück­sich­ti­gung des phy­si­schen Sta­tus der rech­ten Schul­ter pass­ten wir die Behand­lungs­maß­nah­men an und stimm­ten das Hilfs­mit­tel­trai­ning dar­auf ab.

Das All­tags­trai­ning mit den Hand­pro­the­sen erwei­ter­ten wir im wei­te­ren Ver­lauf durch das bila­te­ra­le Üben von Haus­halts­tä­tig­kei­ten (Abb. 5d). Dabei stell­te die Hand­ha­bung von Lebens­mit­teln sowie das Zube­rei­ten ein­fa­cher Mahl­zei­ten eini­ge von vie­len unter­schied­li­chen Auf­ga­ben dar, die wir mit dem Kli­en­ten erprob­ten und übten. Da er beruf­lich am Com­pu­ter arbei­tet, trai­nier­ten wir das Bedie­nen der Tas­ta­tur und Maus mit den Hand­pro­the­sen. Dabei stell­te sich her­aus, dass die Pro­the­sen­hän­de zu groß sind, um eine Stan­dard­maus zu bedie­nen, und dass am Arbeits­platz ent­spre­chen­de Vor­keh­run­gen zu tref­fen waren. Dies ver­deut­lich­te, dass das Erpro­ben von mög­lichst vie­len unter­schied­li­chen Tätig­kei­ten Kli­en­ten und Behand­ler für wei­te­re Her­aus­for­de­run­gen sen­si­bi­li­siert, mit denen Mehr­fach­am­pu­tier­te im All­tag kon­fron­tiert werden.

Aus­blick

Zum Zeit­punkt der Ent­las­sung nach Hau­se war der vier­fach ampu­tier­te Anwen­der bei vie­len All­tags­ak­ti­vi­tä­ten in Bezug auf Kör­per­pfle­ge und Anklei­den selbst­stän­dig. Sein Ziel, auf so weni­ge Hilfs­mit­tel wie mög­lich ange­wie­sen zu sein, wird in der wei­ter­füh­ren­den ambu­lan­ten The­ra­pie weiterverfolgt.

Um der her­aus­for­dern­den Behand­lung von Mehr­fach­am­pu­tier­ten auf Augen­hö­he zu begeg­nen, müs­sen meh­re­re Aspek­te beach­tet wer­den. Neben dem eng­ma­schi­gen inter­dis­zi­pli­nä­ren Aus­tausch steht jedoch der Kli­ent mehr denn je im Mit­tel­punkt der Behand­lung und nimmt dabei eine Exper­ten­rol­le für sich selbst ein. The­ra­peu­ten wer­den zu Co-Behand­lern, die Kli­en­ten mit ihrem Fach­wis­sen bei der Umset­zung und Errei­chen ihrer Zie­le unterstützen.

Fazit

Eine enge inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit bei der Behand­lung nach einer Mehr­fach­am­pu­ta­ti­on ist unab­ding­bar. Die adäqua­te medi­zi­ni­sche Behand­lung mit einer indi­vi­du­el­len Schmerz­the­ra­pie, Ergo- und Phy­sio­the­ra­pien sowie die pro­the­ti­sche Ver­sor­gung sind wich­ti­ge Bestand­tei­le des Reha-Pro­zes­ses. Hier­bei spielt die sozia­le und fami­liä­re Unter­stüt­zung der Betrof­fe­nen eine wich­ti­ge Rol­le. Sowohl der Pati­ent als auch die Ange­hö­ri­gen soll­ten früh und inten­siv in den gesam­ten Behand­lungs­pro­zess ein­ge­bun­den wer­den. Die Reha­bi­li­ta­ti­on der­art kom­ple­xer Schä­di­gungs­mus­ter ist daher nur in ent­spre­chen­den Fach­ab­tei­lun­gen mög­lich und umfasst in der Regel meh­re­re Monate.

 

Erst­ver­öf­fent­li­chung

Die­ser Bei­trag wur­de in einer ande­ren Form unter dem Titel „Fall für Drei – Reha­bi­li­ta­ti­on nach Mehr­fach­am­pu­ta­ti­on“ in der Aus­ga­be 6/23 der Fach­zeit­schrift „erg­o­pra­xis“ (Georg Thie­me Ver­lag) veröffentlicht.

 

Für die Autoren:
Susan­ne Breier 
BSc in Ange­wand­ten Therapie­wissenschaften, Ergotherapeutin, 
zer­ti­fi­zier­te Hand­therapeutin nach DAHTH, ECHT
Össur Aca­de­my, Köln 
SBreier@ossur.com

 

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Brei­er S, Schrö­ter J, Bay­er S, Tri­ni­us D, Bosch S. Reha­bi­li­ta­ti­on nach Vier­fach­am­pu­ta­ti­on und Pro­the­sen­ver­sor­gung – ein Fall fürs Team, Ortho­pä­die Tech­nik, 2023; 74 (9): 42–48

 

 

 

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  3. Fleisch­mann-Stru­zek C et al. Chal­lenges in asses­sing the bur­den of sep­sis and under­stan­ding the ine­qua­li­ties of sep­sis out­co­mes bet­ween Natio­nal Health Sys­tems: secu­lar trends in sep­sis and infec­tion inci­dence and mor­ta­li­ty in Ger­ma­ny. Inten­si­ve Care Medi­ci­ne, 2018; 44: 1826–1835. doi: 10.1007/s00134-018‑5377‑4
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