Epidemiologie und Risikofaktoren der VKB-Verletzung
Nach wie vor ist die VKB-Verletzung im Sport eines der schwerwiegendsten Knietraumen. Die Rehabilitation erfordert mehrere Monate, und nicht alle Sportler erreichen nach einer VKB-Verletzung wieder ihr früheres Leistungsniveau 1 2. 84 % der VKB-Verletzungen ereignen sich ohne direkten Gegnerkontakt, meistens während Landungen und Richtungswechseln mit Stopp‑, Seitwärts- und Drehbewegungen 3. Das Risiko, eine Verletzung des vorderen Kreuzbandes (VKB) zu erleiden, ist bei Frauen höher als bei Männern. Die Gefahr, eine VKB-Verletzung im Wettkampf zu erleiden, ist höher als im Training: Bram, Magee 4 berichten bei Heranwachsenden über ein 6- bis 8‑fach höheres Risiko für eine VKB-Verletzung im Wettkampf als im Training. Neben dem Geschlecht und dem Wettkampf stellt das jeweilige Anforderungsprofil einer Sportart einen weiteren Risikofaktor dar: Sowohl Frauen als auch Männer verletzen sich insbesondere in Spielsportarten mit intermittierendem Aktivitätsprofil (Fußball, Basketball, Handball) 5 6. Hat der Sportler bereits eine operativ versorgte VKB-Ruptur erlitten, steigt das Risiko einer erneuten VKB-Verletzung um ca. 15 % an derselben Extremität und um ca. 7 % an der bisher nicht betroffenen Extremität, was die Bedeutung der Sekundärprävention unterstreicht 7.
Voraussetzungen einer VKB-Rehabilitation
Damit der Sportler nach einem VKB-Trauma in den Wettkampf zurückkehren kann, müssen zur Durchführung der Rehabilitation angemessene personelle, strukturelle und organisatorische Voraussetzungen gegeben sein 8:
- adäquate fachliche Qualifikationen und Erfahrungen aller Mitarbeiter (Mediziner, Physiotherapeuten, Sportwissenschaftler, Psychologen)
- systematische Nutzung aktueller, fachwissenschaftlich relevanter Erkenntnisse, am besten auf der Basis evidenzbasierter Medizin („evidence-based medicine“, EBM) und evidenzbasierter Praxis („evidence-based practice“, EBP).
- die Fähigkeit aller Mitarbeiter zur Zusammenarbeit und zur Kommunikation (Koordination aller Personen und Kompetenzen, Entscheidungsfindung und ‑durchsetzung)
- Einsatz geeigneter Erhebungs‑, Dokumentations- und Berichtssysteme zur Verknüpfung aller Informationen aus Wettkampf, Training, Medizin und Physiotherapie sowie deren Pflege und Auswertung (mittels Datenbanken)
- geeignete apparative Ausstattung sowohl in der Therapie als auch im Bereich des Rehabilitationstrainings (Klein- und Großgeräte)
- Therapie- und Trainingsplanung nach VKB-Verletzungen
Bei der postoperativen Rehabilitation von Knietraumen wie der VKB-Ruptur hat in den letzten Jahren – auch aufgrund der hohen Rezidivraten und der z. T. geringen Return-to-Performance-Raten – ein Umdenken stattgefunden: In früheren Zeiten wurden mehr oder weniger verbindliche zeitliche Angaben zum Durchlaufen postoperativer Phasen mit einer Gesamtdauer von insgesamt 9 bis 12 Monaten bis zur Rückkehr zum Wettkampf getroffen – heutzutage sind die Phasen der Rehabilitation nicht mehr nach zeitlichen Angaben festgelegt, sondern anhand zuvor definierter Kriterien, die es während jeder Phase individuell zu erfüllen gilt, um in die nächste Phase zu gelangen 9 10. Die Rehabilitation sowohl nach operativer als auch nach konservativer Versorgung von Knietraumen ist in Phasen gegliedert. Die Phasen der Rehabilitation geben kein starres zeitliches Schema vor, sondern dienen der Orientierung der Therapeuten und sind anhand vorher festgelegter Kriterien, die sowohl biologisch-zeitliche Aspekte berücksichtigen (Heilungsvorgänge; Ablauf entzündlicher Phasen; Anpassungen unterschiedlicher Gewebe), als auch funktioneller Gesichtspunkte (motorische Testverfahren) sowie subjektiven Selbsteinschätzungen (Fragebögen) individuell zu gestalten. Es muss davon ausgegangen werden, dass auch mehrere Monate nach der Operation beim Patienten noch Umbauprozesse im Rahmen der Ligamentisierung stattfinden und Defizite in den Bereichen Sensomotorik, Muskelkraft und neuromuskuläre Kontrolle (veränderte Aktivierungsmuster) auftreten. Daher ist eine zu frühzeitige Re-Integration in den Sport – wenn möglich – zu vermeiden. Außerhalb des Profisports erscheint es aufgrund der erhöhten Wiederverletzungsrate sinnvoll, mit dem Return to Sport (RTS) bzw. dem Return to Competition (RTC) so lange zu warten, bis eine optimale Wiederherstellung bei minimalem Rezidivrisiko gegeben ist (Abb. 1).
Die Umsetzung einer längeren Rehabilitationshase im leistungsorientierten und professionellen Sport aufgrund der Motivation des Athleten und des Drucks von außen schwierig und erfordert Kompromisse. Verletzungen des VKB sind meist von weiteren Binnenschädigungen des Kniegelenkes begleitet, dessen bereits erfolgte operative Versorgung oder konservative Therapie während der Rehabilitation zu berücksichtigen sind. Je nach Krafteinwirkung und Verletzungsmechanismus kommt es bei der VKB-Verletzung zu typischen Begleitverletzungen wie Meniskusschäden (longitudinale Risse, Korbhenkelrupturen), Knorpelschäden (abgescherte Fragmente, „bone bruise“) und zu begleitenden Schädigungen des Kapsel-Band-Apparates. Bei der Planung der rehabilitativen Maßnahmen ist überdies auf Fehlstellungen und anatomische Besonderheiten zu achten, wie u.a.:
- Beinachsen in ausgeprägter Varus- oder Valgusstellung,
- tibialer Slope; Weite der Notch,
- Ausheilung von Kontusionen („bone bruise“),
- unterschiedliche Dauer der Ligamentheilung bzw. des Ligamentumbaus der verwendeten Transplantate (Patellar‑, Hamstrings- oder Quadrizepssehnen).
Während die Ligamentisierung der Patellarsehne z. B. ca. 12 Monate dauert, beträgt die Dauer bei den Beugersehnen bis zu 24 Monaten, was bei der Rehabilitation zu berücksichtigen ist 11 12. Werden diese Faktoren während der Rehabilitation nicht beachtet, können sich in der Folge sekundäre Schädigungen durch unangepasste Rehabilitationsmaßnahmen und die damit verbundenen Fehlbelastungen – z. B. (degenerative) Meniskus- und Knorpelschädigungen – entwickeln. Abzuraten ist von Maßnahmen und Techniken, deren Wirksamkeit im Bereich der Rehabilitation bisher nicht nachgewiesen wurde.
Untersuchungs- und Messverfahren
Um rehabilitative und präventive Maßnahmen bei einer Verletzung des VKB sachgerecht zu planen, sollten geeignete Untersuchungs- und Messverfahren eingesetzt werden. Dazu gehören die im Folgenden genannten Verfahren, die sensitiv, spezifisch, objektiv, reliabel und valide sein müssen:
- manuelle Untersuchungs- bzw. Messverfahren
- bildgebende Untersuchungs- bzw. Messverfahren
- biomechanische Untersuchungs- bzw. Messverfahren
- funktionelle Untersuchungs- bzw. Messverfahren
- subjektive Test- bzw. Messverfahren
- psychologische Untersuchungs- bzw. Messverfahren
Phasen der Rehabilitation nach VKB-Verletzung
Im Folgenden werden 5 Phasen der Rehabilitation nach VKB-Verletzung mit operativer Versorgung aufgeführt und im weiteren Verlauf genauer erläutert.
Phase 0 Prä-Rehabilitation
Phase 1 Klinische Phase
Phase 2 Return to Activity
Phase 3 Return to Sport
Phase 4 Return to Competition
Eine detailliertere Darstellung ist bei Freiwald und Gokeler 13 zu finden.
Phase 0: Prä-Rehabilitation
Die Phase der Prä-Rehabilitation (Phase 0) ist eine Phase, in der der operative Eingriff und die folgende Rehabilitation vorbereitet werden. Soweit es die Verletzung ermöglicht, werden vor dem operativen Eingriff alle grundmotorischen Fähigkeitsbereiche trainiert: Die Genexpression zur Steigerung der Proteinsynthese soll insbesondere durch gezieltes Krafttraining stimuliert werden14. Darüber hinaus können während der Prä-Rehabilitation sphase die postoperativen Aufgaben und Abläufe geübt werden; schließlich kann eine Gewöhnung an Geräte sowie Übungen stattfinden, wobei die Wirksamkeit weiter überprüft werden muss 15.
Phase 1: Klinische Phase
Die erste Phase der Rehabilitation ist nach operativer oder – je nach Verletzungstyp – konservativer Versorgung von der Reduktion der Schwellung und der (überschießenden) Entzündung sowie der Thromboseprophylaxe gekennzeichnet (Tab. 1).
Übergangskriterien Phase 1 zu Phase 2
Übergangskriterien zu Phase 2 sind:
- Reizfreiheit der Wunde,
- keine entzündlichen Prozesse,
- kein(e) /geringe® Schwellung/Ergussbildung,
- kein/geringer Schmerz (VAS),
- Fähigkeit zur Aktivierung der Muskulatur (insbesondere des M. quadriceps femoris) sowie
- Fähigkeit zur vollen Gewichtsübernahme (des eigenen Körpergewichts).
Phase 2: Return to Activity
Phase 2 „Return to Activity“ (RTA) beschreibt den Übergang von der klinischen Versorgung (Phase 1) in das allgemeine und spezielle Rehabilitationstraining. Die Freigabe zu Phase 2 erfolgt durch eine klinische Untersuchung durch den verantwortlichen Arzt. Im allgemeinem Rehabilitationstraining werden Übungen zur allgemeinen, sportartunabhängigen Konditionierung eingesetzt, mit zunehmender Belastbarkeit auch Übungen des speziellen Rehabilitationstrainings, das sich inhaltlich bereits an der betriebenen Sportart orientiert. Phase 2 kann sowohl stationär als auch ambulant erfolgen; die Trainingshäufigkeit variiert zwischen 2 oder 3 Einheiten pro Woche für Freizeit- und Breitensportler und bis zu 6 Einheiten pro Woche für Leistungssportler. Diese Angaben beziehen sich primär auf den Trainingsaspekt; begleitende Maßnahmen wie gezielte regenerative, physikalische Anwendungen oder psychologische Betreuungsmaßnahmen erfolgen zusätzlich. Aktive und passive Anwendungen und Übungen, die unter Phase 1 aufgelistet wurden, werden in den folgenden Phasen nicht nochmals explizit erwähnt, können jedoch je nach Bedarf und Indikation weiter angewendet werden. Bei allen weiteren Planungen ist zu beachten, dass nicht nur die Belastungsphasen berücksichtigt werden sollten, sondern auch die (physischen und psychischen) Entlastungsphasen. Im physischen Bereich müssen die Anpassungszeiträume der unterschiedlichen Gewebetypen (z. B. Muskulatur, Bindegewebe) beachtet werden; im Bereich der Psyche können Fragebögen zur Befindlichkeit Hilfestellung geben 16 (Tab. 2).
Nach abgeschlossener Wundheilung empfehlen sich z. B. Übungen im Wasser, die durch den hydrostatischen Druck und die unter der Körpertemperatur liegenden Wassertemperaturen zum Abklingen von Schwellungen und Ergüssen beitragen. Durch die auftriebsbedingte Entlastung der Gelenke sind intensivere Übungen für das Herz-Kreislauf-System und die Muskulatur möglich, die in anderen Settings (noch) nicht möglich sind. Eine neuere Alternative stellt das teilentlastende Laufen mittels Hypergravitation (z. B. mit dem Laufband „AlterG“, Milmont, Freemont) dar, dessen Einsatz in Training und Therapie jedoch noch weiter evaluiert werden muss 17 18. Schon in dieser Phase sollten die Übungen auf die künftigen Beanspruchungen in der jeweiligen Sportart zielen, da es keinen Transfer von unspezifischen rehabilitativen Übungen auf sportartspezifische Bewegungen gibt 19 20.
Übergangskriterien Phase 2 zu Phase 3
Um in Phase 3 der Rehabilitation zu gelangen, sollten folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Vorliegen eines nahezu physiologischen Gang- und Laufmusters,
- keine Neigung zur Schwellung/zum Erguss unter und nach Belastung,
- Punktzahl im IKDC Score ≥ 70 %,
- kein „giving way“ oder „pivot shift“,
- keine Kraft- und Drehmomentdefizite der Kniestrecker ≥ 40 % sowie
- keine Seitendifferenzen bei Sprungtests ≥ 30 %.
Darüber hinaus sollte die Belastbarkeit durch subjektive Angaben (Fragebögen) sowie durch qualitative (z. B. Beinachsenkontrolle bei Sprüngen) Beurteilungen abgesichert werden.
Phase 3: Return to Sport
Phase 3 „Return to Sport“ (RTS) umfasst die Rehabilitationsphase von der Aufnahme des sportartspezifischen Rehabilitationstrainings bis zum individualisierten und eingeschränkten Mannschaftstraining 21. In dieser Phase ist das Training auf die betriebene Sportart auszurichten, jedoch ohne die Heilung des VKB oder der Begleitverletzungen zu gefährden. Aktive und passive Anwendungen und Übungen, die in Zusammenhang mit den Phasen 1 und 2 aufgelistet wurden, werden in den folgenden Phasen nicht nochmals explizit erwähnt, sollten jedoch weiterhin je nach Bedarf und Indikation eingesetzt werden (Tab. 3).
Inhalte des Rehabilitationstrainings in Phase 3
In Phase 3 finden Therapie und Training nicht nur in Behandlungs- und Trainingsräumen, sondern verstärkt in der Halle bzw. im Outdoor-Bereich (auf dem Spielfeld, auch „on-field rehabilitation“ genannt) statt. Durch die Nähe bzw. den Kontakt zu anderen Sportlern bzw. Mannschaftkameraden wird der Rehabilitationsprozess unterstützt. Der Übergang in Phase 3 kann durch subjektive Angaben (Fragebögen), qualitative (z. B. Beinachsenkontrolle bei Sprüngen) und objektive Messungen (u. a. Messungen der Kraft, der Beweglichkeit, der Koordination) unterlegt werden. Der Belastungsaufbau ist in Absprache zwischen Medizinern, Physiotherapeuten, Sportwissenschaftlern (Athletiktrainern) sowie Reha-Trainern zu planen. In dieser Phase ist insbesondere auf die technisch korrekte Übungsausführung sowie darauf zu achten, dass während und nach Belastungen keine Schwellungen, Ergüsse oder Schmerzen auftreten. Sinnvoll ist es, die Trainingseinheiten (zumindest teilweise) mit Video aufzuzeichnen – sowohl zur Bewegungsanalyse als auch zur Dokumentation. In dieser Phase kann auch eine erste Teilnahme an niedrig-intensiven Teilen des Mannschaftstrainings geplant werden. Das kann die (auf die individuelle Belastbarkeit abgestimmte) Teilnahme am Aufwärmtraining bzw. – in Spielsportarten – die Teilnahme an Spielformen mit besonderer Kennzeichnung des Rekonvaleszenten beinhalten, z. B. in der Weise, dass der Spieler bei Ballbesitz nicht attackiert werden darf (neutraler Spieler).
Auf den Untergrund und das Schuhwerk muss geachtet werden: Der Handballspieler sollte eher auf Schwingboden trainieren, der Fußballspieler bevorzugt auf Rasen. Die Sportler sind anzuhalten, die im sportlichen Training und Wettkampf genutzten Schuhe zu gebrauchen (keine Joggingschuhe!). Die Inhalte des additiven Trainings und der begleitenden Therapie orientieren sich an den Inhalten der Phase 2 und müssen je nach Anforderungen und Belastungsreaktionen angepasst bzw. ergänzt werden. Grundsätzlich zu empfehlen ist ab spätestens dieser Phase ein kontinuierliches Monitoring der Belastungen (z. B. mittels GPS- oder LPS-Technologien 22 23 ), das zur Optimierung der Trainingssteuerung und der Therapie sowie zur Entscheidungsfindung bezüglich des Übergangs in die nächste Rehabilitationsphase beitragen kann 24.
Übergangskriterien Phase 3 zu Phase 4
Voraussetzung zum Übergang in Phase 4 („Return to Play“) ist eine gemeinsam abgesprochene Entscheidung zwischen Medizinern, Physiotherapeuten, Trainerstab und dem Sportler (in einer Teamsitzung). Die Entscheidung basiert auf klinischer Untersuchung, biomechanischen Testverfahren, subjektiver Selbsteinschätzung sowie auf der gemeinsamen Einschätzung des Verlaufs der bisherigen Behandlungen.
Um in Phase 4 zu gelangen, sollten (möglichst) folgende Voraussetzungen gegeben sein:
- keine Auffälligkeiten bei psychologischen Testverfahren,
- Punktzahl im IKDC Score ≥ 80 %,
- Kraft- und Drehmomentdefizite der Kniestrecker ≤ 20 %, — Seitendifferenzen bei Sprungtests ≤ 15 %.
Phase 4: Return to Play
Phase 4 „Return to Play“ (RTP) beschreibt den Übergang vom individualisierten und eingeschränkten Mannschaftstraining (Phase 3) zur uneingeschränkten Teilnahme am Mannschafts- bzw. Wettkampftraining (Phase 4). Dieser Zeitpunkt ist im bezahlten Sport gleichbedeutend mit dem Ende der Arbeitsunfähigkeit und hat deutliche Auswirkungen auf das Einkommen der betroffenen Sportler, was zu subjektiv geleiteten Fehlangaben führen kann („zu früher Einstieg ins Mannschaftstraining“). Entscheidendes Kriterium für den Eingang in Phase 4 ist die interdisziplinäre Entscheidung aller am Rehabilitationsprozess beteiligten Personen unter Einbeziehung der Eindrücke und Informationen des Trainers (bzw. des Trainerstabes) – auch als „shared decision making“ bezeichnet.
Inhalte des Rehabilitationstrainings in Phase 4
In Phase 4 werden die auf den Sportler individuell abgestimmten bisherigen Therapie- und Trainingsinhalte weitergeführt. Die Teilnahme am Mannschaftstraining erfolgt unter vorher kommunizierten Einschränkungen, z. B. mit der Vorgabe, nicht hart zu attackieren. Bei subjektiver oder von außen erkennbarer Ermüdung muss das Training vorzeitig beendet werden. Übungen, die das Kniegelenk besonders belasten (z. B. wiederholte Sprünge oder Richtungswechsel), sind auszulassen oder werden mit reduzierter Intensität absolviert
Übergangskriterien Phase 4 zu Phase 5
Voraussetzung zum Übergang in Phase 5 („Return to Competition“) ist die gemeinsam abgesprochene Entscheidung zwischen Medizinern, Physiotherapeuten, Trainerstab und dem Spieler auf der Basis klinischer Untersuchungen sowie der Ergebnisse der Testverfahren (Teamsitzung). Entscheidungskriterien sind:
- keine Auffälligkeiten bei psychologischen Testverfahren (ACL-RSI-Skala ≥ 56),
- Punktezahl im IKDC Score ≥ 90% bei Männern, ≥ 84% bei Frauen (nicht immer erreichbar),
- keine Kraft- und Drehmomentdefizite der Kniestrecker im Seitenvergleich von ≥ 10 % (Isokinetik bei 60°/s; 180°/s),
- keine Seitendifferenzen bei Sprungtests von ≥ 10 %,
- volles Bewegungsausmaß des Kniegelenkes (bei Streckung),
- keine abnormale Kapsel-Band-Laxität im Seitenvergleich (KT 1000/2000 Lachmann-Test und Schubladentest ≤ 3 mm im seitigen Vergleich, negativer Pivot-Shift Test)
- Schmerzfreiheit auch unter Belastung und nach Belastung,
- keine Schwellungen/Ergüsse während und nach Belastung,
- Frist nach operativ versorgten VKB-Verletzungen ≥ 9 Monate.
Phase 5: Return to Competition
Phase 5 „Return to Competition“ (RTC) beschreibt die Phase der vollständigen Belastbarkeit im Wettkampftraining und den Übergang in den sportartspezifischen Wettkampf. In den meisten Sportarten ist in Wettkämpfen die Verletzungsquote höher als im Training. Daher ist der Übergang vom Training zum Wettkampf (bzw. zum Spiel) mit besonderer Vorsicht festzulegen. Alle Belastungen, die auch im Wettkampf vorkommen, müssen daher im Vorfeld mit wettkampftypischer Dauer und unter wettkampftypischer Ermüdung absolviert werden. In Mannschaftssportarten ist es sinnvoll, die Spieler zunächst nicht nur am Mannschaftstraining teilnehmen zu lassen, sondern auch an Freundschaftsspielen. Der erste Einsatz sollte nicht über die volle Spielzeit erfolgen, auch um verzögerte Belastungsreaktionen zu erkennen, denn kein Training kann den Wettkampf simulieren. In Spielsportarten kann der Einsatz des Spielers zunächst in Freundschaftsspielen für z. B. eine Halbzeit erfolgen. In Punktspielen sollte eine fachkundige Beobachtung des Rekonvaleszenten erfolgen und bei nachlassender Bewegungsqualität (z.B. beginnendes Hinken) die Auswechslung erfolgen (z. B. im Fußball) bzw. die Einsatzzeiten reduziert oder der Einsatz abgebrochen werden (z. B. im Handball). Bei diesen Entscheidungen kann der Einsatz neuer Technologien („Wearables“ wie GPS- oder LPS-Systeme) Unterstützung leisten 25, die mittlerweile in den meisten Sportarten durch das Regelwerk in Wettkämpfen erlaubt sind.
Inhalte des Rehabilitationstrainings in Phase 5
Inhalte des Rehabilitationstrainings in Phase 5 sind:
- individualisierte Anwendung aller Therapie- und Trainingsinhalte der bisherigen Phasen,
- Teilnahme am Mannschaftstraining mit voller Belastung,
- Teilnahme an Wettkämpfen mit reduzierter Dauer (Auswechslung, Einsatzzeiten),
- bei Bedarf ergänzende bzw. alternative Trainingsinhalte, jedoch dürfen keine Über- und Fehlbelastungen provoziert werden.
Return to Competition – Testverfahren
Vor, während und nach Abschluss der Rehabilitation haben sich sowohl psychologische als auch biomechanische Testverfahren bewährt, auf die hier aus Platzgründen nicht näher eingegangen werden kann. Sie dienen dazu, Fortschritte zu dokumentieren und den Übergang von der einen in die nächste Phase zu begleiten bzw. abzusichern 26.
Fragebögen
Zur Erfassung des subjektiv empfundenen Zustandes des Sportlers haben sich Fragebögen bewährt. Zu nennen sind u. a. der IKDC‑, der Lysholm- und der Tegner-Score. Um die psychische Verfassung des Sportlers und deren Verlauf zu erfragen, hat sich insbesondere der ACL-RSI-Fragebogen bewährt, der in der prä- und postoperativen Phase von Kreuzbandpatienten eingesetzt wird 27. Er sollte daher bereits präoperativ beziehungsweise vor Beginn der konservativen bzw. operativen Behandlung sowie 6 und 12 Wochen nach Trauma und operativer Versorgung genutzt werden, um zeitliche Verläufe zu dokumentieren (Fortschritte, Stagnationen, Rückschritte) 28. Wie im psychologischen Anwendungsfeld existieren auch im Bereich der Evaluation der Kniegelenksfunktionen verschiedene Fragebögen wie z. B. IKDC, Lysholm-Score, Tegner-Score, Cincinnati-Knee-Score, KOOS oder WOMAC29 30 31 32 33 34.
Fazit und Ausblick
In Zukunft wird auch im Bereich der Rehabilitation nach VKB-Schädigungen und ‑Operationen die systematische Nutzung psychologischer, sportmedizinischer und biomechanischer Testverfahren sowie evidenzbasierter Wissensbestände einen immer größeren Stellenwert einnehmen. In Zukunft werden in der Rehabilitation Funktionsmessungen wie isokinetische Messungen, Techniken der kinematischen Gang- und Bewegungsanalyse kombiniert mit Kraftmessplatten, bei Bedarf Druckanalysen zur Bestimmung des Abrollverhaltens und der Fußformen verstärkt Anwendung finden. Sinnvoll ist es, durch biomechanische Routinemessungen bereits vor Verletzungseintritt die konditionellen und funktionalen Profile der Sportler zu erheben. Durch diese Vorgehensweise werden für das Training während der Rehabilitation individuelle „Benchmarks“ erstellt, und das rehabilitative Training kann passgenauer geplant und durchgeführt werden.
In den nächsten Jahren wird es immer bedeutsamer werden, in der angewandten Physiotherapie zwischen wirksamen und unwirksamen Therapien zu differenzieren. Es ist längst überfällig, dass in der Praxis bewährte und unverzichtbare Maßnahmen wie Kälte, Wärme, Kompression, Lymphdrainage, Dehnungen etc. unter wissenschaftlichen Kriterien überprüft werden; das betrifft auch die Versorgung mit Einlagen und Orthesen, da nur so eine wissenschaftlich begründetet Therapie konzipiert werden kann. Auch die Ernährung ist an die Schädigung und das spezifische Rehabilitationstraining anzupassen. Im klinischen Bereich ist dies vielfach schon der Fall, im Sport (bisher) weniger 35 36 37 38.
Für die Autoren:
Univ.-Prof. Dr. Jürgen Freiwald M. A.
Leiter des Forschungszentrums für Leistungsdiagnostik und Trainingsberatung
Bergische Universität Wuppertal
Gaußstraße 20
42119 Wuppertal
Freiwald@uni-wuppertal.de
www.bewegungswissenschaft.uniwuppertal.de
www.flt.uni-wuppertal.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
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- Die neue Leitlinie zum Lipödem-Syndrom: mehr Licht als Schatten. Konsequenzen für die Praxis — 5. Dezember 2024
- Orthesenversorgung bei Läsion des Plexus brachialis — 4. Dezember 2024
- Anforderungen an additiv gefertigte medizinische Kopfschutzhelme — 4. Dezember 2024
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