OT: Wie kam es dazu, dass Ihre 30 Jahre alte Idee 2019 wieder auf den Tisch kam?
Thomas Ruepp: 2005 besuchte ich die Fachhochschule Nordwestschweiz und stellte meine Idee den Professoren und Lehrenden vor. Es vergingen dann nochmals weitere elf Jahre, bis sich bei zwei von ihnen, Ralf Schumacher und Prof. Joris Pascal, Ideen zur konkreten Umsetzung manifestierten und in der Machbarkeitsstudie des ersten Prototyps von 2019 ihren Abschluss fand.
OT: Inwieweit haben Sie bis heute Ihre Prozesse digitalisiert?
Ruepp: Bereits 2005 begannen wir bei uns in der Werkstatt mit der Software des Herstellers Rodin 4D-Körpermessungen mit dem Bandmaß durchzuführen und den Computer mit Daten zu füttern. Daraus haben wir ein Modell designt und dann mit einer Fräse das Modell erstellt. Über das Modell konnten wir am Rechner den Aufbau des Hilfsmittels konstruieren. 2008 begannen wir mit einem Laserscanner die Körperteile zu scannen und im Computer zu designen. Daraus wurde wiederum das Positiv-Modell erzeugt. Beim Scannen waren die Möglichkeiten der Korrektureinwirkungen eher zu gering und so wurde wiederum ein Negativ-Modell mit Kunststoffbinden angefertigt und dieses Modell dann eingescannt. Somit hatten wir das korrigierte Modell und die schnellere Modellkonstruktion zur Fertigung des Hilfsmittels. Wir gehen davon aus, dass der innovative Messstrumpf noch wirtschaftlicher sein wird als die Technik, die wir heute nutzen. Deshalb investieren wir auch in diese Neuentwicklung.
OT: Wie funktioniert der „intelligente“ Messstrumpf?
Ruepp: Die 1 mm großen Magnetfeldsensoren, die auf dem Strumpf angebracht sind, werden von einem Magnetfeld aktiviert. Das Magnetfeld bildet mit dem Messstrumpf die Hardware. Das Magnetfeld ist in einem Behältnis untergebracht, das die Größe eines Aktenkoffers hat. Das Magnetfeld aktiviert die Sensoren, die im Strumpf (ähnlich eines Kompressionsstrumpfs) eingesetzt sind. Bei ihrer Aktivierung erzeugen sie eine digitale Form der Gliedmaßen. Wir haben damit also ein intelligentes Textil entwickelt. Die Software rekonstruiert diese Form, die die Sensoren erzeugt haben. Mit einer STL-Datei können die Daten an jegliche Softwareprogramme zur Weiterverarbeitung der Daten exportiert werden. Die Genauigkeit liegt mit den ersten Prototypen bei drei Millimetern. Ein für den Anfang sehr gutes Resultat, das mit dem Gipsen verglichen werden kann. Unser Ziel ist es, dass die Genauigkeit des marktreifen Messsystems bei unter einem Millimeter liegt.
OT: Wie muss man sich die Anwendung am Patienten vorstellen?
Ruepp: Dem Patienten wird der intelligente Messstrumpf angezogen. Die Möglichkeiten sind dabei vielfältig. Es könnte ein Beinstrumpf sein, so wie unser Protoptyp. Aber auch ein Armstrumpf ist eine Option oder eine Art T‑Shirt für den Rumpf oder ein Kopf- und Halsstrumpf. Für die Prothesen besteht zusätzlich die Option, verschiedene intelligente Strümpfe für unterschiedliche Stümpfe (S‑XXL) zu entwickeln. Also wenn die Technologie einmal funktioniert, sehen wir viele Anwendungsmöglichkeiten in der Orthopädie-Technik.
OT: Wie sieht Ihre weitere Planung aus? Wann könnte der Messstrumpf auf den Markt kommen?
Ruepp: Nach 100 Jahren Gipsen, zehn Jahren Messmethoden mit digitaler Verarbeitung, Scannen mit Infrarot und anderen Systemen haben wir mit dem Messstrumpf mit den Magnetfeldsensoren eine Methode entwickelt, die aus unserer Sicht genauer, schneller und einfacher zu handhaben ist als alle auf dem Markt befindlichen Systeme. In ca. zwei Jahren wird nach meiner Einschätzung die Idee marktreif sein. Die Arbeiten dazu laufen auf Hochtouren. Es gilt noch die Genauigkeit, die Computerprogramme sowie die Technologie mit dem Textil zu verbinden. Die Integration der Sensoren in ein Textil, deren Qualität als Mehrfacheinsatz angewendet werden kann oder auch aus hygienischen Aspekten als Einwegstrumpf zu konstruieren ist, ist darüber hinaus ein Ansatz, der noch weiterentwickelt und diskutiert werden muss. Dabei arbeiten derzeit das Start-up Bellwald-Tec GmbH aus dem Oberwallis und die Fachhochschule in Muttenz Hand in Hand. Erste Versuche und Tests laufen 1:1 am Patienten in der Basler Orthopädie René Ruepp AG.
Die Fragen stellte Irene Mechsner.
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