Post­ope­ra­ti­ve Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung nach Knie-OP – wie ist die Compliance?

P. Minzlaff
Kniegelenksschienen und Bandagen werden in der Orthopädie mit am häufigsten verschrieben. Dabei gibt es eine breite Palette an verschiedenen Hilfsmitteln, die teils ganz unterschiedliche Funktionen haben. Weiche Bandagen wirken einer Ergussentwicklung entgegen und zeichnen sich durch einen hohen Tragekomfort aus. Darüber hinaus helfen sie, das Gelenkstellungsempfinden zu verbessern. Sie werden in der Akutphase gerne verwendet, um Beschwerden zu lindern, kommen allerdings unmittelbar nach einer Operation kaum zum Einsatz. Häufig finden diese ihren festen Platz in der konservativen Arthrosetherapie und stellen zusammen mit Physiotherapie, ggf. Akupunktur oder intraartikulären Injektionen einen wichtigen Baustein dar [vgl. Duivenvoorden T et al. Braces and orthoses for treating osteoarthritis of the knee. Cochrane Database of Systematic Reviews, 2015; 3. doi: 10.1002/14651858.CD004020.pub3]. Nach einer Operation geht es darum, das Gelenk vor einer Folgeverletzung zu schützen. Dabei kommen in seltenen Fällen Streckschienen, die keinen Bewegungsradius erlauben, zum Einsatz. Viel häufiger werden dagegen stabile Hartrahmenorthesen verwendet, welche vor einer neuerlichen Verdrehung schützen und das Kniegelenk während seines Bewegungsablaufs führen.

Stu­di­en­la­ge Orthe­sen nach OP

Beu­gung und Stre­ckung kön­nen durch Ver­wen­dung von Hart­rah­men-orthe­sen vom Ope­ra­teur limi­tiert wer­den, um das Ope­ra­ti­ons­er­geb­nis nicht zu gefähr­den. Klas­si­scher­wei­se kom­men die­se Hilfs­mit­tel z. B. nach einer vor­de­ren Kreuz­band­ver­let­zung zum Ein­satz. Das ersetz­te Band wird durch die­se Nach­be­hand­lung zwar nicht direkt geschützt, neu­er­li­che Ver­dre­hun­gen sind aber unwahr­schein­lich. Die über­wie­gen­de Anzahl der Knie­chir­ur­gen ver­wen­det die­se Orthe­sen nach einer Ope­ra­ti­on. Das zei­gen einer­seits Umfra­ge­er­geb­nis­se im deutsch­spra­chi­gen Raum, ande­rer­seits auch Umfra­gen unter ame­ri­ka­ni­schen knie­chir­ur­gi­schen Kol­le­gen1 2. Wenn man die Sta­bi­li­tät des vor­de­ren Kreuz­band­trans­plan­tats über die Zeit unter­sucht, so zeigt sich, dass die­se wäh­rend der ers­ten Mona­te zunächst abnimmt und unter Berück­sich­ti­gung von Ein­hei­lungs- und Umbau­pro­zes­sen im wei­te­ren Ver­lauf aber wie­der zunimmt3. Dies hat zur Fol­ge, dass das Tra­gen der schüt­zen­den Orthe­se grund­sätz­lich bis zu Mona­ten nach der OP sinn­voll erscheint und nicht wie häu­fig üblich nur für weni­ge Wochen. Auch wenn die Daten­la­ge nicht ganz ein­deu­tig ist, so wird der Nut­zen hin­sicht­lich der sich ent­wi­ckeln­den Knie­ge­lenks­funk­ti­on, der Sta­bi­li­tät und der Anzahl der Rerup­tu­ren häu­fig in Fra­ge gestellt4.

Anzei­ge

Dies hat dazu geführt, dass unter­schied­li­che Fach­ge­sell­schaf­ten den rou­ti­ne­mä­ßi­gen Ein­satz wegen feh­len­der Evi­denz nicht emp­feh­len5. Dabei muss jedoch berück­sich­tigt wer­den, dass einer­seits die Com­pli­ance hin­sicht­lich Tragedauer/Anwendung oft nicht abge­fragt wird und gemes­sen an der gro­ßen Fall­zahl an vor­de­ren Kreuz­band­ver­let­zun­gen und Ope­ra­tio­nen die über­wie­gen­de Anzahl an ope­rier­ten Pati­en­ten nicht in Stu­di­en erfasst ist. Zudem sind iso­lier­te vor­de­re Kreuz­band­ver­let­zun­gen sel­ten, eine Kom­bi­na­ti­on mit Ver­let­zun­gen des kol­la­te­ra­len Band­ap­pa­ra­tes oder der Menis­ken dage­gen häu­fig, wodurch schnell inho­mo­ge­ne Grup­pen entstehen.

Hin­te­re Kreuz­band­ver­let­zun­gen kön­nen effek­tiv durch Ver­wen­dung von Orthe­sen mit einem tibia­len Sup­port behan­delt wer­den (Abb. 1). Hier­durch wird ein Zurück­fal­len des Unter­schen­kels ver­läss­lich ver­hin­dert. Dies ist sowohl in der ope­ra­ti­ven wie auch in der kon­ser­va­ti­ven Behand­lung für den Erfolg entscheidend.

Neue­re Orthe­sen­mo­del­le sind auch mit digi­ta­len Sen­so­ren ver­se­hen. Hier­durch kann unter ande­rem die Beweg­lich­keit gemes­sen und so eine digi­ta­le Reha­bi­li­ta­ti­ons­steue­rung ermög­licht wer­den. Somit erge­ben sich erwei­ter­te Mög­lich­kei­ten des Moni­to­rings der Nach­be­hand­lung, was sich posi­tiv auf das Tra­gen des Hilfs­mit­tels aus­wir­ken kann.

Beweg­li­che Orthe­sen mit einem sog. Lock-Mecha­nis­mus las­sen sich durch ein seit­lich ange­brach­tes Arre­tier­sys­tem von einer Beu­ge- in eine Streck­or­the­se ver­wan­deln (Abb. 2). Dies ermög­licht gera­de in der Nach­be­hand­lung von Menis­kus- oder Knor­pel­ver­let­zun­gen den Erhalt einer last­frei­en Beweg­lich­keit sowie eine rei­ne Bean­spru­chung in Streck­stel­lung. Ins­be­son­de­re Menis­kus­ris­se wer­den in höhe­ren Beu­ge­gra­den belas­tet, was nach einer Naht unbe­dingt ver­mie­den wer­den soll­te. Das Kon­strukt Menis­kus­naht kann so geschützt wer­den und wird in der aktu­el­len Lite­ra­tur emp­foh­len6 7.

Auch nach knor­pel­chir­ur­gi­schen Ein­grif­fen ist somit die frü­he Auf­be­las­tung mit einer Orthe­se in Streck­stel­lung mög­lich. Lang­wie­ri­ge voll­stän­di­ge Ent­las­tungs­pe­ri­oden las­sen sich damit bei patell­ofe­mo­ral loka­li­sier­ten Schä­den ver­hin­dern8.

Com­pli­ance Orthe­sen nach OP

Es gibt tat­säch­lich nur weni­ge Arbei­ten, die auf das The­ma Com­pli­ance expli­zit ein­ge­hen. Schluss­fol­ge­run­gen über den Nut­zen des Hilfs­mit­tels sind damit schwie­rig zu interpretieren.

Aus der kon­ser­va­ti­ven Arth­ro­se­the­ra­pie weiß man, dass das Tra­gen einer val­gi­sie­ren­den Osteo­ar­thro­se-Orthe­se zur Reduk­ti­on des Knie-Adduk­ti­ons­mo­ments mit der Dau­er der Anwen­dung deut­lich abnimmt, obwohl der Nut­zen der Orthe­se für die meis­ten Pati­en­ten bereits nach weni­gen Wochen erkenn­bar ist9 10.

Als Haupt­ur­sa­che wer­den Tra­ge­kom­fort und schlech­te Prak­ti­ka­bi­li­tät im All­tag ange­ge­ben, wobei die Hälf­te der behan­del­ten Pati­en­ten sich für die erneu­te Ver­wen­dung im Fal­le einer Fol­ge­ver­let­zung aus­spricht11.

Nach Menis­kus­näh­ten scheint das The­ma Com­pli­ance genau wie nach einer Ersatz­band­plas­tik des media­len patell­ofe­mo­ra­len Liga­ments kei­ne Rol­le zu spie­len. Die Tra­ge­dau­er wird nur für weni­ge Wochen emp­foh­len und im All­ge­mei­nen gut ange­nom­men. Die kli­ni­sche Pra­xis zeigt ein Abneh­men der Com­pli­ance im Lau­fe der Zeit. Des­halb ist es wich­tig, Nut­zen und Sinn des Hilfs­mit­tels in den jewei­li­gen ver­schie­de­nen Reha­bi­li­ta­ti­ons­pha­sen detail­liert zu bespre­chen. Wich­tig erscheint auch ein mög­li­cher schlech­ter „recall“ von medi­zi­ni­schen Infor­ma­tio­nen sein, was ins­be­son­de­re im Rah­men der zuneh­men­den Ambu­lan­ti­sie­rung und dem Weg­fall klas­si­scher post­ope­ra­ti­ver Visi­ten eine Rol­le spie­len wird12.

Fazit für die kli­ni­sche Praxis

  • Post­ope­ra­tiv kom­men in der Regel beweg­li­che Hart­rah­men­or­the­sen zum Einsatz.
  • Hart­rah­men­or­the­sen las­sen dezi­dier­te Restrik­tio­nen des Bewe­gungs­um­fangs zu und ermög­li­chen teils einen schnel­len Wech­sel zwi­schen Streck­schie­ne und Bewe­gungs­schie­ne, was ins­be­son­de­re nach Menis­kus­näh­ten oder knor­pel­chir­ur­gi­schen Ver­fah­ren sinn­voll erscheint.
  • Die Ver­wen­dung einer Orthe­se wird von Sei­ten des Pati­en­ten gut für weni­ge Wochen toleriert.
  • Die Com­pli­ance hin­sicht­lich der Tra­ge­dau­er ist teils nicht gut untersucht.
  • Aus bio­me­cha­ni­schen Gesichts­punk­ten erscheint die Ver­wen­dung einer Orthe­se nach vor­de­rem Kreuz­ban­der­satz (VKB-Ersatz) ins­be­son­de­re über Mona­te post­ope­ra­tiv sinnvoll.
  • Haupt­grün­de für das Abbre­chen der The­ra­pie sind Tra­ge­kom­fort und Prak­ti­ka­bi­li­tät im Alltag.

 

Hin­weis:
Die­ser Bei­trag erschien in ähn­li­cher Form unter dem­sel­ben Titel in dem Book­let „Grim C, Tischer T (Hrsg.). Ver­let­zun­gen und Erkran­kun­gen des Knie­ge­len­kes – wie hel­fen ortho­pä­di­sche Hilfs­mit­tel?“, einer Publi­ka­ti­on der Gesell­schaft für Ortho­pä­die­tech­nisch-Trau­ma­to­lo­gi­sche Sport­me­di­zin (GOTS) und der Euro­pean Manu­fac­tu­r­ers Fede­ra­ti­on for Com­pres­si­on The­ra­py and Ortho­pae­dic Devices (Euro­com e. V.).

Der Autor
PD Dr. med. Phil­ipp Minzlaff
Sport­or­tho­pä­die – Ortho­cli­nic Agatharied
Nor­bert-Ker­kel-Platz
83734 Haus­ham
08026 – 393‑2444
08024 – 475–420
Philipp.Minzlaff@khagatharied.de
Philipp.Minzlaff@mvzholzkirchen.de

 

Zita­ti­on
Minz­laff P. Post­ope­ra­ti­ve Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung nach Knie-OP – wie ist die Com­pli­ance? Ortho­pä­die Tech­nik, 2024; 75 (1): 56–58

 

 

  1. Val­le C et al. Stan­dards in der Nach­be­hand­lung nach vor­de­rem Kreuz­ban­der­satz im deutsch­spra­chi­gen Raum. Sport­ver­let­zung Sport­scha­den, 2018; 32 (2): 103–110. doi: 10.1055/a‑0583–3850
  2. Bud­ny J, Fox J, Rauh M, Fine­berg M. Emer­ging Trends in Ante­rior Cru­cia­te Liga­ment Recon­s­truc­tion. Jour­nal of Knee Sur­gery, 2017; 30 (1): 63–69. doi: 10.1055/s‑0036–1579788
  3. Pau­zen­ber­ger L, Syré S, Schurz M. “Liga­men­tiza­ti­on” in ham­string ten­don grafts after ante­rior cru­cia­te liga­ment recon­s­truc­tion: a sys­te­ma­tic review of the lite­ra­tu­re and a glim­pse into the future. Arthro­sco­py, 2013; 29 (10): 1712–1721. doi: 10.1016/j.arthro.2013.05.009
  4. Marois B et al. Can a Knee Brace Pre­vent ACL Rein­ju­ry: A Sys­te­ma­tic Review. Inter­na­tio­nal Jour­nal of Envi­ron­men­tal Rese­arch and Public Health, 2021; 18 (14): 7611. doi: 10.3390/ijerph18147611
  5. Wright RW et al. Ante­rior Cru­cia­te Liga­ment Recon­s­truc­tion Reha­bi­li­ta­ti­on: MOON Gui­de­lines. Sports Health, 2015; 7 (3): 239–243. doi: 10.1177/1941738113517855
  6. Koch M et al. Ear­ly Func­tion­al Reha­bi­li­ta­ti­on after Menis­cus Sur­gery: Are Curr­ent­ly Used Ortho­pe­dic Reha­bi­li­ta­ti­on Stan­dards Up to Date? Jour­nal of Reha­bi­li­ta­ti­on Prac­ti­ces and Rese­arch, 2020; 29: 3989535. doi: 10.1155/2020/3989535
  7. Car­der SL et al. Publicly Available Reha­bi­li­ta­ti­on Pro­to­cols Desi­gna­ted for Menis­cal Repairs Are High­ly Varia­ble. Arthro­sco­py, Sports Medi­ci­ne, and Reha­bi­li­ta­ti­on, 2021; 3 (2): e411–e419. doi: 10.1016/j.asmr.2020.10.004
  8. Mit­hoe­fer K et al. Cur­rent con­cepts for reha­bi­li­ta­ti­on and return to sport after knee arti­cu­lar car­ti­la­ge repair in the ath­le­te. Jour­nal of Ortho­pae­dic & Sports Phy­si­cal The­ra­py, 2012; 42 (3): 254–273. doi: 10.2519/jospt.2012.3665
  9. Squy­er E, Stam­per DL, Hamil­ton DT, Sabin JA, Leo­pold SS. Unloa­der knee braces for osteo­ar­thri­tis: do pati­ents actual­ly wear them? Cli­ni­cal Ortho­pae­dics and Rela­ted Rese­arch, 2013; 471 (6): 1982–1991. doi: 10.1007/s11999-013‑2814‑0
  10. Minz­laff P et al. Val­gus bra­cing in sym­pto­ma­tic varus mala­lignment for test­ing the expec­ta­ble “unloa­ding effect” fol­lo­wing val­gus high tibi­al osteo­to­my. Knee Sur­gery, Sports Trau­ma­to­lo­gy, Arthro­sco­py, 2015; 23 (7): 1964–1970. doi: 10.1007/s00167-013‑2832‑1
  11. McDe­vitt ER et al. Func­tion­al bra­cing after ante­rior cru­cia­te liga­ment recon­s­truc­tion: a pro­s­pec­ti­ve, ran­do­mi­zed, mul­ti­cen­ter stu­dy. The Ame­ri­can Jour­nal of Sports Medi­ci­ne, 2004; 32 (8): 1887–1892. doi: 10.1177/0363546504265998
  12. Wol­ders­lund M et al. Out­pa­ti­ents’ recall of infor­ma­ti­on when pro­vi­ded with an audio recor­ding: A mixed-methods stu­dy. Pati­ent Edu­ca­ti­on and Coun­seling, 2020; 103 (1): 63–70. doi: 10.1016/j.pec.2019.08.030
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