Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung im Spitzensport

Wenn in der Kieler Wunderino-Arena – im Sprachgebrauch auch bekannt als Ostseehalle – das Who‘s who des internationalen Handballs zusammenkommt, dann kann es schon ohrenbetäubend laut werden, da über 10.000 Anhänger:innen „ihre“ Sportler anfeuern. Der heimische THW Kiel ist deutscher Rekordmeister und Dauergast in der europäischen Königsklasse – der Champions League. Mit weit über 50 Einsätzen in Pokal, Bundesliga, Champions League und Nationalmannschaft sind die Spieler des THW hohen Belastungen ausgesetzt. Verletzungen sind dabei fast vorprogrammiert.

Weil Aus­fäl­le von Schlüs­sel­spie­lern aber die sport­li­chen Zie­le des Ver­eins gefähr­den, ist die medi­zi­ni­sche Abtei­lung stets dar­um bemüht, den Pro­fis die bes­te Ver­sor­gung zu ermög­li­chen. Mar­kus Engel­mann ist seit 2022 lei­ten­der Phy­sio­the­ra­peut der Kie­ler. Im Gespräch mit der OT-Redak­ti­on spricht er über Prä­ven­ti­on, Reha­bi­li­ta­ti­on und die Bedeu­tung von ortho­pä­die­tech­ni­schen Hilfs­mit­teln im Spitzensport.

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OT: 70 Pro­zent der ein­ge­setz­ten Spie­ler in der Handball­bundesliga haben sich laut VBG-Sport­re­port aus dem Jahr 2021 ver­letzt. Wür­den Sie aus Ihrer Beob­ach­tung her­aus die­se Zahl bestä­ti­gen oder wür­den Sie sie korrigieren?

Mar­kus Engel­mann: Ich den­ke, dass 70 Pro­zent eine rea­lis­ti­sche Dar­stel­lung sind. Die Sai­son ist lang und Hand­ball ein kör­per­be­ton­ter Sport, da blei­ben Ver­let­zun­gen nicht aus!

OT: Wei­ter heißt es dort, dass die Teams in der Hand­ball­bun­des­li­ga ganz unter­schied­li­che Prä­ven­ti­ons­kon­zep­te haben. Tau­schen Sie sich, als Mit­glied des Betreu­er­stabs des THW Kiel, mit ande­ren Betreuer:innen über hand­ball­spe­zi­fi­sche Prä­ven­ti­on aus oder ori­en­tie­ren Sie sich eher an ande­ren Sportarten?

Engel­mann: Sel­ten besteht die Mög­lich­keit, mit Kol­le­gen aus ande­ren Ver­ei­nen einen inten­si­ven Aus­tausch zu pfle­gen, aber wir dis­ku­tie­ren intern in unse­rem Medi­cal Staff (Ärz­te, Ath­le­tik­trai­ner und Phy­sio­the­ra­peu­ten, Anm. d. Red.) die best­mög­li­che indi­vi­du­el­le prä­ven­ti­ve Maß­nah­me. Dabei flie­ßen sicher­lich auch Ein­flüs­se aus ande­ren Sport­ar­ten wie Fuß­ball, Bas­ket­ball, Eis­ho­ckey oder Leicht­ath­le­tik ein. Letzt­end­lich ist es aber immer eine indi­vi­du­el­le Entscheidung!

OT: Wel­che Kom­po­nen­ten hat eine gute Ver­let­zungs­prä­ven­ti­on für Sie?

Engel­mann: Grob besteht sie aus drei Säu­len. Ers­tens: Belas­tungs­steue­rung. Zwei­tens: Ver­trau­en. Und drit­tens: inter­dis­zi­pli­nä­res Arbei­ten der ein­zel­nen Grup­pen. Ein guter Trai­ner steu­ert die Belas­tung sei­ner Sport­ler und passt das Pen­sum an die aktu­el­le Situa­ti­on an. Dadurch mini­miert man das Risi­ko einer Über­las­tung. Gleich­zei­tig ist das gegen­sei­ti­ge Ver­trau­en wich­tig, dass z. B. der Kader dem medi­zi­ni­schen Staff und dem Trai­ner ver­traut und auch klar kom­mu­ni­zie­ren kann, dass er müde ist oder ein Pro­blem hat, damit dann die Belas­tung gesteu­ert wer­den kann. Und letzt­lich ist der direk­te Aus­tausch not­wen­dig, dass wir im medi­zi­ni­schen Staff dem Trai­ner spie­geln, ob die Belas­tung zu hoch ist oder es ein Argu­ment gibt, die Belas­tung bei einem Spie­ler anzupassen.

OT: Wel­che Rol­le neh­men Orthopädietechniker:innen und Hilfs­mit­tel in der Vor­beu­gung von Ver­let­zun­gen im Spit­zen­sport ein?

Engel­mann: Durch die immer grö­ßer wer­den­den indi­vi­dua­li­sier­ten Ange­bo­te in die­sem Bereich ist es schon eine gute kom­ple­men­tä­re Säu­le im Sport gewor­den, auf die wir ger­ne zurückgreifen.

OT: Wel­che ortho­pä­die­tech­ni­schen Hilfs­mit­tel wer­den beim Hand­ball häu­fig verwendet?

Engel­mann: Ein­la­gen, Kom­pres­si­ons­s­lee­ves für Arm, Wade und Ober­schen­kel und Ban­da­gen bei­spiels­wei­se für das Sprunggelenk.

OT: Wie wür­den Sie die Ent­wick­lung der Ver­wen­dung von Hilfs­mit­teln in den ver­gan­ge­nen zehn Jah­ren beschreiben?

Engel­mann: Wie oben schon erwähnt: Da es immer mehr Mög­lich­kei­ten der Indi­vi­dua­li­sie­rung gibt, ist ein deut­li­cher Anstieg zu ver­zeich­nen, gera­de im Bereich der Einlagenversorgung.

OT: Wie ist das Feed­back von Spie­lern zu den Hilfsmitteln?

Engel­mann: Der Weg zum guten Pro­dukt ist von Spie­ler zu Spie­ler unter­schied­lich, aber unse­re Part­ner geben sich gro­ße Mühe, die Wün­sche zu erfül­len. Dem­entspre­chend ist das Feed­back am Ende ein gutes!

OT: Die Kie­ler Hand­bal­ler sind dank Liga, Pokal und inter­na­tio­na­ler Spie­le viel in der Hal­le und im Kraft­raum. Nut­zen Sie aber dar­über hin­aus noch im All­tag Hilfs­mit­tel wie zum Bei­spiel Einlagen?

Engel­mann: Mehr als die Hälf­te unse­res Kaders benutzt Ein­la­gen in sei­nen Schu­hen, einen wei­te­ren hohen Stel­len­wert haben Kom­pres­si­ons­s­lee­ves für Arm, Ober­schen­kel und Waden. Eben­so tra­gen vie­le Spie­ler zur Erho­lung die Reco­very Com­pres­si­on Socks von Bau­er­feind Sports.

OT: Wel­chen Stel­len­wert hat Ver­let­zungs­prä­ven­ti­on für Sportler:innen, aber auch für Vereine?

Engel­mann: Einen ele­men­ta­ren Stel­len­wert. Nur ein gesun­der Spie­ler kann maxi­ma­le Leis­tung brin­gen und dadurch erfolg­reich sein, dar­an wer­den Ver­ein und Spie­ler gemes­sen. Im All­tag ist es bei einem vol­len Spiel­plan eine Her­aus­for­de­rung für Trai­ner, Spie­ler und Medi­cal Staff, dem gerecht zu werden.

OT: Wie infor­mie­ren Sie sich über die neu­es­ten Ent­wick­lun­gen im Bereich Prä­ven­ti­on und natür­lich auch Rehabilitation?

Engel­mann: Über spe­zi­fi­sche Fort­bil­dun­gen im Bereich Sport oder Behand­lungs­tech­ni­ken, aber auch über die neu­en Medi­en oder das Inter­net. Dort fin­det man vie­le Stu­di­en zu dem The­ma, zum Bei­spiel auf Pubmed.com. Aber auch durch den regel­mä­ßi­gen inter­nen Aus­tausch mit den Kol­le­gen im medi­zi­ni­schen Staff. Kei­ner weiß alles oder ist per­fekt, da kann man viel von den Kol­le­gen und dem Dis­kurs ler­nen und mitnehmen!

OT: Wenn sich ein Pro­fi dann doch ver­letzt, dann ist der Wunsch von Ver­ein und Spie­lern häu­fig eine schnel­le Rück­kehr auf die Plat­te. Wie kön­nen Hilfs­mit­tel dabei hel­fen, dass Spie­ler wie­der ein­ge­setzt wer­den kön­nen, ohne eine wei­te­re gesund­heit­li­che Beein­träch­ti­gung zu riskieren?

Engel­mann: Gene­rell gibt es kei­ne Garan­tie, dass eine Ver­let­zung nicht wie­der auf­bricht, aber mit indi­vi­du­ell ange­pass­ten Hilfs­mit­teln wie z. B. einer Schie­ne bei einem Bän­der­riss kann man die Belas­tung früh­zei­tig stei­gern, da die soge­nann­ten Scher­kräf­te von der betrof­fe­nen Struk­tur genom­men wer­den. Dadurch kann sich die Struk­tur bes­ser an die Belas­tung anpas­sen, ohne zu über­rei­zen oder die Wund­hei­lung zu stören!

OT: Prä­ven­ti­on und Reha­bi­li­ta­ti­on sind zwei Berei­che, in denen Hilfs­mit­tel zum Ein­satz kom­men. Eine drit­te – mög­li­che – ist die Leis­tungs­stei­ge­rung. Wird im Hand­ball schon gezielt die­se Mög­lich­keit ausgeschöpft?

Engel­mann: Die­se Fra­ge ist schwer zu beant­wor­ten. Aus guter Prä­ven­ti­on resul­tiert eine ver­bes­ser­te Leis­tung. Eben­so hilft eine gute Reha­bi­li­ta­ti­on den ver­letz­ten Spie­lern wie­der auf Leis­tungs­ni­veau zu kom­men, wel­ches durch gute Prä­ven­ti­on wei­ter ver­bes­sert wird!
Bei­des zusam­men ergibt dann Kon­stanz, wel­che die Leis­tung posi­tiv beeinflusst!

OT: Wel­ches Pro­dukt, wel­ches ortho­pä­die­tech­ni­sche Hilfs­mit­tel wür­den Sie sich für den Hand­ball wün­schen, wel­ches noch nicht auf dem Markt ist bzw. wel­che sport­art­spe­zi­fi­sche Indi­vi­dua­li­sie­rung eines Hilfs­mit­tels könn­ten Sie sich vorstellen?

Engel­mann: Sobald es mir ein­fällt, las­se ich es euch wissen!

Die Fra­gen stell­te Hei­ko Cordes.

 

Spit­zen­sport­ler ver­trau­en auf Hilfsmittelversorgung
Hen­drik Peke­l­er ist einer der bekann­tes­ten deut­schen Hand­bal­ler. Der groß­ge­wach­se­ne Kreis­läu­fer spiel­te in der 1. Bun­des­li­ga unter ande­rem für die Spit­zen­teams der Rhein-Neckar Löwen und aktu­ell für den THW Kiel. Am 19. Mai 2022 erlitt er im Cham­pi­ons-League-Heim­spiel gegen Paris Saint-Ger­main einen Achil­les­seh­nen­riss am lin­ken Fuß. Dank der inter­dis­zi­pli­nä­ren Zusam­men­ar­beit von Vertreter:innen aus Phy­sio­the­ra­pie und Ortho­pä­die-Tech­nik konn­te Peke­l­er die pro­gnos­ti­zier­te Aus­fall­zeit nicht nur ein­hal­ten, son­dern sogar unter­bie­ten. „Ich hat­te schon in der Ver­gan­gen­heit immer mal wie­der Pro­ble­me mit der Achil­les­seh­ne, die­se Ver­let­zung war aber nicht zu erwar­ten“, erklär­te Peke­l­er. Nach­dem die Dia­gno­se fest­stand, wur­de der mitt­ler­wei­le 31-Jäh­ri­ge ope­riert. Nach dem Ein­griff wur­de der Kie­ler Kreis­läu­fer zwölf Tage lang mit einer Gips­schie­ne immo­bi­li­siert. Anschlie­ßend erhielt die Seh­ne eine ers­te Bewe­gungs­be­las­tung in einem Wal­ker in Spitz­fuß­stel­lung, der sechs Wochen spä­ter, mitt­ler­wei­le in fast nor­ma­ler Fuß­stel­lung, ent­fernt wur­de. Wäh­rend die­ser Zeit trug Peke­l­er den Kom­pres­si­ons­strumpf im Wal­ker. Danach schloss sich – anders als bei Breitensportler:innen – eine eng­ma­schi­ge, sechs­mo­na­ti­ge Leis­tungs­sport­re­ha­bi­li­ta­ti­on an. Die­ses Regime im Pro­fi­sport folgt einem bestimm­ten Ver­fah­ren, des­sen Erfolg am Ende von der Berufs­ge­nos­sen­schaft über­prüft wird. Nach Able­gen des Wal­kers wäre zum Schutz der Seh­ne eine leich­te Absatz­er­hö­hung im Schuh ange­zeigt gewe­sen. Peke­l­er unter­zog sich jedoch zwi­schen­zeit­lich einer dicht gestaf­fel­ten phy­sio­the­ra­peu­ti­schen Behand­lung mit manu­el­ler The­ra­pie und Käl­te­an­wen­dun­gen, so dass die Schwel­lung und Gewe­be­ent­zün­dun­gen, aus­ge­löst durch Ver­let­zung und Ope­ra­ti­on, nahe­zu voll­stän­dig abklin­gen konn­ten. Ein Fer­sen­keil war nicht mehr erfor­der­lich, die Trai­nings­ein­hei­ten konn­ten Schritt für Schritt begin­nen. Ver­ant­wort­lich für die mehr­mals täg­lich ange­wand­ten Maß­nah­men war die Phy­sio­the­ra­pie­ab­tei­lung mit dem lei­ten­den Phy­sio­the­ra­peu­ten Mar­kus Engel­mann. „Die Seh­ne hat vom Tag eins nach der Ope­ra­ti­on bis zum Trai­nings­ein­tritt kei­ne Pro­ble­me berei­tet. Ich war im Ver­lauf fast schmerz­frei“, so Peke­l­er. Bereits vor sei­ner Ver­let­zung griff der Natio­nal­spie­ler zu Kom­pres­si­ons­strümp­fen als Rei­se­be­glei­ter und trägt abseits der Sport­hal­le Einlagen. 
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