Ein Service, den das Team von Siebeneck Orthopädie-Technik in Münster seit rund drei Jahren anbietet – insbesondere um Schulen, Pflegeeinrichtungen und Kliniken anzusteuern. Oftmals seien die räumlichen Möglichkeiten dort begrenzt, erklärt Geschäftsführer Jan Siebeneck die Hintergründe und damit die Entscheidung für den Sprinter. Und: „Wir wollten mit mehr Qualität bei Vor-Ort-Besuchen anrücken – mit der gleichen Qualität, die wir auch in unseren Filialen anbieten.“ Egal ob kleine oder große Schleifarbeiten, Instandsetzungen, Gipsabdrücke oder Scans – die fahrende Werkstatt macht das von unterwegs aus möglich. Zudem kann das Team flexibler auf Gegebenheiten vor Ort reagieren, beispielsweise wenn Patient:innen, die zuvor nicht angekündigt waren, spontan eine Versorgung benötigen. Während der passende Kleber, die passenden Nieten oder sonstige Utensilien im alten Kombi nicht immer parat waren, ist in der „MS Ortho“ alles zu finden. Ein weiterer Vorteil: „Wir reduzieren Fahrtwege und ‑zeiten – für uns und für die Kund:innen“, sagt Siebeneck.
Behelfsmäßige Abläufe gehören mit dem Fahrzeug ebenfalls der Vergangenheit an. „Wenn wir früher in einer Einrichtung gegipst haben, haben wir das Wasser mit einer Schale zur Liege geholt, vorher alles mit Folie und Papier abgedeckt, um die Räumlichkeiten ordentlich zu verlassen“, erinnert sich Siebeneck. Dank Warmwasseraufbereitung, Klimaanlage und Standheizung sind Vorkehrungen wie diese nicht mehr notwendig. „Grundsätzlich gehen wir mit den Patient:innen ins Fahrzeug und versorgen sie dort“, sagt Siebeneck. Auch für kleine Schleifarbeiten können sie in der „MS Ortho“ Platz nehmen – Staubabsaugung und Hörschutz machen es möglich.
Bis aus dem ehemaligen Krankentransport die „MS Ortho“ wurde, vergingen rund zwei Monate. Den Ausbau – „die etwas andere Teambuildingmaßnahme“, scherzt Siebeneck – erledigten die Kolleg:innen selbst. Alles, was nicht benötigt wurde, musste weichen. Die wichtigsten Fragen im Anschluss: „Wie platzieren wir die Patient:innen im Fahrzeug, so dass sie sich wohlfühlen? Wie können wir die Arbeitsabläufe für unsere Kolleg:innen optimal darstellen? Und wie müssen wir die Maschinen und Geräte anordnen, damit sie, vielleicht sogar zu zweit, arbeiten können?“, so Siebeneck. Die wohl größte Hürde: das Gewicht. Dieses wurde vom Team immer wieder geprüft, um sicherzugehen, dass der Wagen samt Inhalt nicht mehr als 3,5 Tonnen wiegt. Denn dann wäre ein LKW-Führerschein notwendig geworden. Anfängliche Kinderkrankheiten – die Stromversorgung reichte beispielsweise nicht aus – merzte das Team schnell aus. Ein Schraubstock wurde später nachgerüstet. „Wir sind komplett autark. Wir parken vor der Einrichtung und können direkt starten“, betont Siebeneck.
Die Flexibilität, die der Wagen mit sich bringe, komme bei den Patient:innen gut an – vor allem für Kinder biete er ein besonderes Erlebnis. Angelehnt an den Comic „Kapitän Ortho“, der im Kids-Bereich auf der Website von Siebeneck zu finden ist, kam die „MS Ortho“ so zu ihrem maritimen Namen. Auch die Kolleg:innen würden die Werkstatt auf Rädern schätzen. „Sie wissen, sie haben für alle Fälle alles im Auto“, so Siebeneck, zumindest nahezu. „Patient:innen, für deren Versorgung mehrere Techniker:innen benötigt werden, betreuen wir dort eher nicht. Auch kein schwerstmehrfachbehindertes Kind, das im Rollstuhl sitzt. Die Zuwegung ist bei so einem Fahrzeug schwierig. Es gibt zwar Möglichkeiten eine Rampe anzubauen, dann würden wir bei unserem Fahrzeug aber gewichtstechnisch Probleme bekommen“, so Siebeneck. Zu Versorgungen, die hingegen regelmäßig in der „MS Ortho“ gemacht werden, zählen insbesondere Unterschenkelorthesen, Handorthesen sowie Lagerungsapparate. „Wenn wir in einer Einrichtung nicht die räumlichen Möglichkeiten haben, auf dem Flur etc. versorgen müssten, dann bevorzugen wir das Fahrzeug. Haben wir dort aber die räumlichen Möglichkeiten, dann bevorzugen wir es natürlich, die Versorgung in dem gewohnten Umfeld des Patienten zu machen. Das stellen wir den Patient:innen und Therapeut:innen immer frei.“
Für Siebeneck hat sich die Investition in die „MS Ortho“, die im Schnitt zwei Mal in der Woche ausrückt, gelohnt. Die Anschaffung sollte seiner Meinung nach dennoch gut überlegt sein. „Die Frage ist: Mit welchen Einrichtungen arbeitet mein Betrieb zusammen? Was ist das Kerngeschäft? Lohnt sich so ein Fahrzeug überhaupt?“, gibt er zu bedenken. „Wir haben aufgrund unserer Spezialisierung auf Kinderorthopädie und Orthetik lange Fahrstrecken. Für uns ist das sehr sinnvoll.“ Ein passendes Fahrzeug zu finden, das erschwinglich ist und eine gute Basis bietet, war jedoch gar nicht so leicht. Betrieben, die mit dem Gedanken spielen, eine mobile Werkstatt als Service anzubieten, rät er, sich vorab ein konkretes Konzept und Einsatzgebiete zu überlegen sowie im Vorfeld das Interesse bei Einrichtungen abzufragen und das Gewicht im Auge zu behalten.
„Flexibel und kostengünstig arbeiten“
Mobil – das bedeutet für die DOI Ortho-Innovativ GmbH nicht nur „fahrend“, sondern auch individuell gestalt- und flexibel kombinierbar. Die Idee zur „mobilen Werkbank“ entstand bereits vor rund 15 Jahren, als Geschäftsführer Heinz Trebbin als damaliger Schuldirektor der Universität Don Bosco in El Salvador begann eine internationale Ausbildung für Orthopädietechniker:innen zu etablieren und dafür unter anderem Testversorgungen mit den Studierenden umsetzen wollte. Doch die Patient:innen zu erreichen war nicht immer leicht. „Wenn sie nicht zu uns kommen können, müssen wir eben zu ihnen kommen“, erläutert Jochen Weigel, DOI-Teilhaber, die Hintergründe. Die Studierenden entwickelten daraufhin den „Cube“, der – unter anderem mit ausklappbarer Liege – eine Untersuchung samt Gipsabdruck, Modellierung und Herstellung ermöglichte.
Auf der OTWorld im Mai 2022 stellte DOI Ortho-Innovativ mit der „mobilen Werkbank“ eine neue Version vor. „Alles, was sich in einer Werkstatt befindet, ist auch hier drin“, betont Weigel. Konkret heißt das: Werkbank, Schleifmaschine, Vakuumpumpe, Kompressor, Aufbaugerät, Werkzeug und Ofen. Bei Bedarf können an die Werkbank weitere Utensilien wie Schraubstock oder Laminiergerät gesteckt werden. In erster Linie will der Betrieb damit Organisationen in Entwicklungsländern ansprechen. Mit Pick-up und Anhänger könne die modular zusammengebaute Werkstatt problemlos von A nach B transportiert werden, um Patient:innen vor Ort zu versorgen, berichtet Weigel. Doch auch deutsche Betriebe würden sich von dem Konzept angesprochen fühlen. „Warum soll ich mehrere Filialen ausstatten, wenn ich auch darauf zurückgreifen kann?“, so ihre Motivation. „Man kann flexibel und kostengünstig arbeiten“, bringt Weigel die Vorteile auf den Punkt. 10.000 Euro aufwärts müssen Betriebe je nach Ausstattung investieren. Ein Preis, zu dem große Hersteller oft lediglich eine Maschine anböten.
DOI Ortho-Innovativ arbeitet eng mit einem Partner in Mexiko zusammen. Drei Exemplare wurden bislang dorthin verkauft. Die OTWorld 2022 erwies sich als ideales Tool zum Netzwerken und brachte dem Unternehmen weitere Angebotsanfragen ein, unter anderem aus Süd-Italien, Portugal und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Insgesamt fanden an den vier Veranstaltungstagen Interessenten aus 49 Ländern den Weg zum Stand.
„Mit der mobilen Werkbank sind keine Grenzen gesetzt. Jede Versorgung kann durchgeführt werden. Die Arbeitstechniken sind allerdings ein wenig anders“, betont Weigel und nennt ein Beispiel: In Deutschland würden beim Korsettbau eher Polyethylen-Platten in der Größe des Modells, das manchmal über 100 Zentimeter Umfang haben könne, verarbeitet. Doch in der „mobilen Werkstatt“ befinde sich ein Ofen, der ein Innenmaß von 60 mal 60 Zentimetern hat. „In so einem Fall benutzen wir eine dickere Kunststoffplatte, die wir nach dem Erhitzen vorsichtig auf das notwendige Maß dehnen, um den Kunststoff über das größere Modell ziehen zu können.“
Versorgung im Container
„Think big, make it small.“ So lautet das Motto der mobilen und kompakten Containerwerkstatt für Regionen ohne orthopädietechnische Versorgung, die Ottobock auf der OTWorld 2022 präsentierte. Die komplette orthopädietechnische (OT-)Versorgungsstation besteht aus zwei je 15 Quadratmeter großen Containern: Patient Care und Workshop, die sich zum jeweiligen Einsatzort transportieren lassen und dort dauerhaft oder temporär verbleiben. Im „Patient Care Container“ samt Sanitäranlage mit warmem und kaltem Wasser werden Anamnesen durchgeführt, Gipsabdrücke genommen, Prothesen und Orthesen angepasst. Im zweiten Container verbirgt sich eine komplett ausgestatte OT-Werkstatt – beide mit Strom- und Wasseranschluss, Aircondition sowie Beleuchtung mit Sensortechnologie und gegen Diebstahl gesicherten Fenstern.
Die Idee sei aufgrund konkreter Bedürfnisse in afrikanischen Ländern wie Kenia, Nigeria, Angola und Tansania entstanden, berichtet Peter Scheffers, Senior Global Business Development Manager der Unit Business Solutions PEM (Planning, Equipping, Materials) von Ottobock. „Dort fehlten Werkstätten, in denen die jungen Absolvent:innen nach ihrer OT-Ausbildung arbeiten konnten. Da haben wir uns gefragt: Wir können das Equipment liefern, wir können das Material liefern – warum können wir nicht ein Gebäude liefern?“ Der Umgang mit flexiblen Lösungen war dabei für das Unternehmen nicht neu, denn unter anderem bei Sportevents hatte sich Ottobock mit mobilen zeitweiligen Werkstätten vom Zelt bis zu Containervarianten einen Namen gemacht – beispielsweise bei den jüngsten Paralympics in Tokio, bei der Para-Leichtathletik-WM in Dubai 2019 oder den Invictus Games 2020 in Den Haag.
Scheffers und sein Team entwickelten nun entsprechend des definierten Bedarfs aus ersten Prototypen ein standardisiertes Produkt, das sich an örtliche Stromnetze oder Generatoren sowie eine Wasserversorgung anschließen lässt. Bewusst wurden Patienten- und Maschinenraum getrennt: „Der Bereich für Patient:innen soll leise, sauber und staubfrei sein. In der Werkstatt kann schon mal Lärm entstehen, wenn zum Beispiel die Trichterfräse loslegt.“ Doch ein Interesse an solcherart Lösungen besteht nicht nur in Afrika, sondern ebenfalls in anderen Teilen der Welt – das zeigte sich nicht zuletzt auf der OTWorld. Die Nachfrage dort habe ihn begeistert, so Scheffers: „Wir hatten Interessent:innen vor allem aus Südafrika, Kenia, Bulgarien, Marokko, Kolumbien – aber ebenso aus der Ukraine.“
Bereits im Umfeld der OTWorld gab es Gespräche, inwiefern die mobile Containerlösung in der Ukraine bei der prothetischen und orthetischen Versorgung helfen kann. Als Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach dann im Juni 2022 auf Einladung des ukrainischen Gesundheitsministers Viktor Ljaschko in die Ukraine reiste, gehörte auch die Unterstützung des im Verteidigungskrieg gegen Russland befindlichen Landes bei der Versorgung mit Prothesen zu den Zielen des Besuchs. Das Bundesgesundheitsministerium vermeldete am 10. Juni dazu, dass die Bundesregierung dafür die Aufstellung und den Betrieb von Container-Werkstätten zur Herstellung von Prothesen der Firma Ottobock unterstützen werde.
Pia Engelbrecht und Cathrin Günzel
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