OT-Hand­werk attrak­tiv machen für Fachkräfte

Das Handwerk hat sich modernisiert, nun muss es das Image auch tun – so lässt sich der Live-Videotalk „Fachkräfteoffensive OT – Mittel und Wege aus dem Fachkräftemangel“ vom 15. Juni, den der Verlag OT gemeinsam mit der Confairmed GmbH ausgerichtet hat, zusammenfassen.

Mode­riert von Micha­el Blatt, Pro­gramm­lei­ter im Ver­lag OT, tra­fen sich Armin Zepf, geschäfts­füh­ren­der Gesell­schaf­ter bei Häuss­ler Tech­ni­sche Ortho­pä­die und Ober­meis­ter der Lan­des­in­nung Baden-Würt­tem­berg, Alex­an­dra Reim, Klas­sen­spre­che­rin der Meis­ter-Abschluss­klas­se 2023 an der Bun­des­fach­schu­le für Ortho­pä­die-Tech­nik (Bufa) und Dr. Kirs­ten Kiel­bassa-Schnepp, Refe­rats­lei­te­rin Beruf­li­che Bil­dung beim ZDH, sowie Rolf Jarasch, Lei­ter des Pati­ent Care Cen­ter Göt­tin­gen, zum digi­ta­len Aus­tausch. Im Mit­tel­punkt soll­te, das mach­te Micha­el Blatt ein­gangs klar, nicht die Ana­ly­se des Ist-Zustands ste­hen, denn der Man­gel an Fach­kräf­ten im Hand­werk im All­ge­mei­nen und in der Ortho­pä­die-Tech­nik im Spe­zi­el­len ist hin­rei­chend bekannt. Viel­mehr soll­te sich die Dis­kus­si­on dar­um dre­hen, was jun­ge Men­schen in das Fach lockt und wel­che Per­spek­ti­ven die Ortho­pä­die-Tech­nik bietet.

Als Ver­tre­te­rin der jun­gen Gene­ra­ti­on soll­te Alex­an­dra Reim bei­spiels­wei­se ihren Traum­ar­beit­ge­ber skiz­zie­ren. Doch statt fürst­li­chem Gehalt oder Vier-Tage-Woche wünscht sie sich einen Betrieb, der die Akqui­se von Aus­zu­bil­den­den im Blick behält, um die Zukunft des Fachs zu sichern. Denn nur, wenn genug Berufs­nach­wuchs den Weg in die Ortho­pä­die-Tech­nik fin­det, ist auch die Ver­sor­gung von Patient:innen mög­lich. Dr. Kirs­ten Kiel­bassa-Schnepp, die vor allem die Gesamt­si­tua­ti­on im Hand­werk und der beruf­li­chen Bil­dung im All­ge­mei­nen im Blick hat­te, stell­te Mög­lich­kei­ten vor, wie Betrie­be den Aus­zu­bil­de­nen den Ein­stieg in den Beruf ange­neh­mer gestal­ten kön­nen. Sei es durch ein Azu­bi-Ticket für den Öffent­li­chen Per­so­nen­nah­ver­kehr, Ver­güns­ti­gun­gen beim Ein­kau­fen in Geschäf­ten des täg­li­chen Bedarfs oder ande­ren finan­zi­el­len Zuschüssen.

Apro­pos finan­zi­el­le Zuschüs­se: Alex­an­dra Reim berich­te­te aus ihrem erst kürz­lich erfolg­reich been­de­ten Meis­ter­lehr­gang, dass dank Auf­stiegs-BAföG und KfW-Kre­dit bei guten Leis­tun­gen die Lehr­gangs­ge­büh­ren um bis zu 75 Pro­zent geför­dert wer­den kön­nen. „Man muss sich aber alles genau aus­rech­nen“, riet sie zukünf­ti­gen Meisterschüler:innen dazu, sich vor­ab gut zu infor­mie­ren über die ver­schie­de­nen För­der­mög­lich­kei­ten, die sich nicht alle kom­bi­nie­ren lassen.

Das The­ma Geld griff auch Armin Zepf auf. „Die Zei­ten, in denen man Lehr­geld bezahlt hat, sind schon seit dem Mit­tel­al­ter vor­bei.“ Nicht mehr der Aus­zu­bil­den­de bezahlt dafür, das Wis­sen sei­nes Meis­ters ver­mit­telt zu bekom­men, son­dern er wird dafür bezahlt zu ler­nen. Den­noch eine gute Inves­ti­ti­on in die Zukunft, wie sich alle Betei­lig­ten der Run­de einig waren. Doch Zepf stell­te fest: „Beim The­ma Gehalt sind wir Schluss­licht.“ Ein Zustand, für den er auch die Kran­ken­kas­sen in die Mit­ver­ant­wor­tung nimmt. „Wir sind nicht der Wurm­fort­satz im Gesund­heits­we­sen, son­dern ein ele­men­ta­rer Teil der Gesund­heits­ver­sor­gung“, mahn­te Zepf zu mehr Selbst­be­wusst­sein einer­seits und auch für mehr Ver­ständ­nis bei den Kos­ten­trä­gern ande­rer­seits, dass die Ver­sor­gung mit Hilfs­mit­teln in einer immer älter wer­den­den Gesell­schaft kein Aus­lauf­mo­dell ist, son­dern ganz im Gegen­teil selbst­be­stimm­tes Leben und Mobi­li­tät gewähr­leis­tet und somit auch ent­spre­chend finan­ziert wer­den muss.

Doch nicht nur das Gehalt allein bestimmt dar­über, ob man sich für einen Beruf ent­schei­det. Fak­to­ren wie gesun­des Arbei­ten oder Nach­hal­tig­keit wer­den immer wich­ti­ger. Das bestä­tig­te auch Reim: „Nach­hal­tig­keit ist nicht nur ein Trend, son­dern in den Köp­fen des Nach­wuch­ses fest ver­an­kert. Man über­legt sich beim Arbei­ten mit Kunst­stoff schon, wie viel davon jetzt nötig ist.“

Wie eine OT-Werk­statt der Zukunft aus­se­hen könn­te, dar­über hat sich Rolf Jarasch vie­le Gedan­ken gemacht. Bei­spiels­wei­se beant­wor­te­te er die Fra­ge „Braucht jeder Mit­ar­bei­ter eine eige­ne Werk­bank?“ mit einem „Nein“. In dem neu­en Pati­ent Care Cen­ter in Göt­tin­gen wer­den unter der Flag­ge des Hilfs­mit­tel­her­stel­lers Otto­bock ver­schie­de­ne Ver­sor­gungs­fel­der wie Phy­sio­the­ra­pie, ein Bio­me­cha­nik-For­schungs­la­bor oder eben eine moder­ne OT-Werk­statt zusam­men­ge­bracht, um die Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten der Zukunft zu erfor­schen und anzu­wen­den. Für die OT-Werk­statt bedeu­tet dies, dass die Pro­zes­se unter­sucht und aus der Ana­ly­se Rück­schlüs­se gezo­gen wur­den. Für die kon­kre­te Umset­zung hieß das, dass – wie bereits erwähnt – auf eine eige­ne Werk­bank ver­zich­tet wird, dafür aber Grup­pen­räu­me zum gemein­sa­men Arbei­ten ein­la­den. Über­haupt: Bei der Gestal­tung wur­de dar­auf geach­tet, dass das Umfeld einer­seits eine ange­neh­me Arbeits­at­mo­sphä­re schafft, ande­rer­seits die Effi­zi­enz gestei­gert wird. Jarasch warn­te aber auch, dass den jun­gen Bewerber:innen kein fal­sches Bild der Ortho­pä­die-Tech­nik und des eige­nen Betrie­bes ver­mit­telt wer­den dür­fe. Wenn die Erwar­tun­gen die Rea­li­tät um ein viel­fa­ches über­tref­fen wür­den, dann wäre die Ent­täu­schung bei den Arbeitnehmer:innen groß und das Aus­schei­den aus dem Fach zumin­dest nicht unwahrscheinlich.

Dass das Hand­werk ins­ge­samt einen Image­wech­sel erlebt, davon kann Kers­tin Kiel­bassa-Schnepp berich­ten. „Das Hand­werk ist den Men­schen zuge­wandt und des­halb stei­gert sich auch das Inter­es­se dar­an“, sag­te die ZDH-Refe­rats­lei­te­rin. Vie­le Zukunfts­the­men wie Kli­ma­wan­del und Mobi­li­tät sind vom Hand­werk abhän­gig, doch der demo­gra­phi­sche Wan­del ist in vol­lem Gan­ge und die Zahl der jun­gen Men­schen, die eine aka­de­mi­sche Lauf­bahn ein­schla­gen wächst. „Wir müs­sen uns um die weni­gen Köp­fe bezie­hungs­wei­se Hän­de strei­ten“, so Kiel­bassa-Schnepp. Das Hand­werk bie­tet aber eine indi­vi­dua­li­sier­te Aus­bil­dung – im Gegen­satz zu dem „Mas­sen­be­trieb Hochschule“.

„Es kommt auf das Hand­werk an. Stein auf Stein, Pro­the­se auf Bein“, iden­ti­fi­ziert auch Armin Zepf das Hand­werk als Zukunfts­trei­ber. Als Ober­meis­ter der Innung Baden-Würt­tem­berg sowie im Berufs­bil­dungs­aus­schuss des Bun­des­in­nungs­ver­ban­des für Ortho­pä­die-Tech­nik (BIV-OT) strei­tet er für eine Aktua­li­sie­rung des Berufs­bil­des. „Unser Berufs­bild ist revo­lu­tio­niert wor­den“, ist sich Zepf sicher und for­dert daher eine Grund­la­gen­dis­kus­si­on. Vie­le Orthopädietechniker:innen schla­gen zudem immer häu­fi­ger eine zusätz­li­che aka­de­mi­sche Lauf­bahn ein. Mit den Stu­di­en­gän­gen in Ulm, der von Zepf vor­ge­stellt wur­de, oder dem neu­en Ort­ho­bio­nik-Stu­di­en­gang in Göt­tin­gen, von dem Jarasch berich­te­te bezie­hungs­wei­se an Bufa und FH Dort­mund – mit Alex­an­dra Reim war eine aktu­el­le Stu­die­ren­de in der Run­de ver­tre­ten – wur­den die Mög­lich­kei­ten aus der Bran­che vor­ge­stellt. Doch trotz des Wun­sches man­cher nach mehr Aka­de­mi­sie­rung fasst Jarasch zusam­men: „Ohne die Pra­xis funk­tio­niert die Ortho­pä­die-Tech­nik nicht!“

Die Auf­zeich­nung des Live-Video­talks steht in vol­ler Län­ge auf dem You­tube-Kanal des Ver­lags OT zur Verfügung.

Hei­ko Cordes

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