Moderiert von Michael Blatt, Programmleiter im Verlag OT, trafen sich Armin Zepf, geschäftsführender Gesellschafter bei Häussler Technische Orthopädie und Obermeister der Landesinnung Baden-Württemberg, Alexandra Reim, Klassensprecherin der Meister-Abschlussklasse 2023 an der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik (Bufa) und Dr. Kirsten Kielbassa-Schnepp, Referatsleiterin Berufliche Bildung beim ZDH, sowie Rolf Jarasch, Leiter des Patient Care Center Göttingen, zum digitalen Austausch. Im Mittelpunkt sollte, das machte Michael Blatt eingangs klar, nicht die Analyse des Ist-Zustands stehen, denn der Mangel an Fachkräften im Handwerk im Allgemeinen und in der Orthopädie-Technik im Speziellen ist hinreichend bekannt. Vielmehr sollte sich die Diskussion darum drehen, was junge Menschen in das Fach lockt und welche Perspektiven die Orthopädie-Technik bietet.
Als Vertreterin der jungen Generation sollte Alexandra Reim beispielsweise ihren Traumarbeitgeber skizzieren. Doch statt fürstlichem Gehalt oder Vier-Tage-Woche wünscht sie sich einen Betrieb, der die Akquise von Auszubildenden im Blick behält, um die Zukunft des Fachs zu sichern. Denn nur, wenn genug Berufsnachwuchs den Weg in die Orthopädie-Technik findet, ist auch die Versorgung von Patient:innen möglich. Dr. Kirsten Kielbassa-Schnepp, die vor allem die Gesamtsituation im Handwerk und der beruflichen Bildung im Allgemeinen im Blick hatte, stellte Möglichkeiten vor, wie Betriebe den Auszubildenen den Einstieg in den Beruf angenehmer gestalten können. Sei es durch ein Azubi-Ticket für den Öffentlichen Personennahverkehr, Vergünstigungen beim Einkaufen in Geschäften des täglichen Bedarfs oder anderen finanziellen Zuschüssen.
Apropos finanzielle Zuschüsse: Alexandra Reim berichtete aus ihrem erst kürzlich erfolgreich beendeten Meisterlehrgang, dass dank Aufstiegs-BAföG und KfW-Kredit bei guten Leistungen die Lehrgangsgebühren um bis zu 75 Prozent gefördert werden können. „Man muss sich aber alles genau ausrechnen“, riet sie zukünftigen Meisterschüler:innen dazu, sich vorab gut zu informieren über die verschiedenen Fördermöglichkeiten, die sich nicht alle kombinieren lassen.
Das Thema Geld griff auch Armin Zepf auf. „Die Zeiten, in denen man Lehrgeld bezahlt hat, sind schon seit dem Mittelalter vorbei.“ Nicht mehr der Auszubildende bezahlt dafür, das Wissen seines Meisters vermittelt zu bekommen, sondern er wird dafür bezahlt zu lernen. Dennoch eine gute Investition in die Zukunft, wie sich alle Beteiligten der Runde einig waren. Doch Zepf stellte fest: „Beim Thema Gehalt sind wir Schlusslicht.“ Ein Zustand, für den er auch die Krankenkassen in die Mitverantwortung nimmt. „Wir sind nicht der Wurmfortsatz im Gesundheitswesen, sondern ein elementarer Teil der Gesundheitsversorgung“, mahnte Zepf zu mehr Selbstbewusstsein einerseits und auch für mehr Verständnis bei den Kostenträgern andererseits, dass die Versorgung mit Hilfsmitteln in einer immer älter werdenden Gesellschaft kein Auslaufmodell ist, sondern ganz im Gegenteil selbstbestimmtes Leben und Mobilität gewährleistet und somit auch entsprechend finanziert werden muss.
Doch nicht nur das Gehalt allein bestimmt darüber, ob man sich für einen Beruf entscheidet. Faktoren wie gesundes Arbeiten oder Nachhaltigkeit werden immer wichtiger. Das bestätigte auch Reim: „Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Trend, sondern in den Köpfen des Nachwuchses fest verankert. Man überlegt sich beim Arbeiten mit Kunststoff schon, wie viel davon jetzt nötig ist.“
Wie eine OT-Werkstatt der Zukunft aussehen könnte, darüber hat sich Rolf Jarasch viele Gedanken gemacht. Beispielsweise beantwortete er die Frage „Braucht jeder Mitarbeiter eine eigene Werkbank?“ mit einem „Nein“. In dem neuen Patient Care Center in Göttingen werden unter der Flagge des Hilfsmittelherstellers Ottobock verschiedene Versorgungsfelder wie Physiotherapie, ein Biomechanik-Forschungslabor oder eben eine moderne OT-Werkstatt zusammengebracht, um die Versorgungsmöglichkeiten der Zukunft zu erforschen und anzuwenden. Für die OT-Werkstatt bedeutet dies, dass die Prozesse untersucht und aus der Analyse Rückschlüsse gezogen wurden. Für die konkrete Umsetzung hieß das, dass – wie bereits erwähnt – auf eine eigene Werkbank verzichtet wird, dafür aber Gruppenräume zum gemeinsamen Arbeiten einladen. Überhaupt: Bei der Gestaltung wurde darauf geachtet, dass das Umfeld einerseits eine angenehme Arbeitsatmosphäre schafft, andererseits die Effizienz gesteigert wird. Jarasch warnte aber auch, dass den jungen Bewerber:innen kein falsches Bild der Orthopädie-Technik und des eigenen Betriebes vermittelt werden dürfe. Wenn die Erwartungen die Realität um ein vielfaches übertreffen würden, dann wäre die Enttäuschung bei den Arbeitnehmer:innen groß und das Ausscheiden aus dem Fach zumindest nicht unwahrscheinlich.
Dass das Handwerk insgesamt einen Imagewechsel erlebt, davon kann Kerstin Kielbassa-Schnepp berichten. „Das Handwerk ist den Menschen zugewandt und deshalb steigert sich auch das Interesse daran“, sagte die ZDH-Referatsleiterin. Viele Zukunftsthemen wie Klimawandel und Mobilität sind vom Handwerk abhängig, doch der demographische Wandel ist in vollem Gange und die Zahl der jungen Menschen, die eine akademische Laufbahn einschlagen wächst. „Wir müssen uns um die wenigen Köpfe beziehungsweise Hände streiten“, so Kielbassa-Schnepp. Das Handwerk bietet aber eine individualisierte Ausbildung – im Gegensatz zu dem „Massenbetrieb Hochschule“.
„Es kommt auf das Handwerk an. Stein auf Stein, Prothese auf Bein“, identifiziert auch Armin Zepf das Handwerk als Zukunftstreiber. Als Obermeister der Innung Baden-Württemberg sowie im Berufsbildungsausschuss des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT) streitet er für eine Aktualisierung des Berufsbildes. „Unser Berufsbild ist revolutioniert worden“, ist sich Zepf sicher und fordert daher eine Grundlagendiskussion. Viele Orthopädietechniker:innen schlagen zudem immer häufiger eine zusätzliche akademische Laufbahn ein. Mit den Studiengängen in Ulm, der von Zepf vorgestellt wurde, oder dem neuen Orthobionik-Studiengang in Göttingen, von dem Jarasch berichtete beziehungsweise an Bufa und FH Dortmund – mit Alexandra Reim war eine aktuelle Studierende in der Runde vertreten – wurden die Möglichkeiten aus der Branche vorgestellt. Doch trotz des Wunsches mancher nach mehr Akademisierung fasst Jarasch zusammen: „Ohne die Praxis funktioniert die Orthopädie-Technik nicht!“
Die Aufzeichnung des Live-Videotalks steht in voller Länge auf dem Youtube-Kanal des Verlags OT zur Verfügung.
Heiko Cordes