Ortho­pä­die­tech­ni­sche Ver­sor­gung im Sportschuh

T. Sprekelmeyer
In Deutschland erfreut sich der Breitensport insbesondere in Form des Laufsports einer sehr großen Beliebtheit. Die Lust, sich neuen sportlichen Herausforderungen zu stellen und Höchstleistungen zu erreichen, ist ungebrochen. Dies erfordert häufig aber nicht nur eine Höchstleistung der eigenen körperlichen Konstitution, sondern auch des Sportgeräts wie z. B. des Laufschuhs. In den vergangenen Jahren hat die Laufschuhindustrie viele Neuerungen und Verbesserungen in die Schuhe integriert. Fragen nach Dämpfung, Funktion, Passform und Sprengung werden nicht nur von Sportprofis, sondern auch von Breitensportlern gestellt. Nichtsdestotrotz sind die Schuhe immer Massenprodukte, die für eine optimale Anpassung an den jeweiligen Nutzer beispielsweise durch Einlagen oder eventuell auch Zurichtungen individualisiert werden müssen.

Ein­lei­tung

Über 80 % der Beschwer­den bei Sport­lern sind Über­las­tungs­re­ak­tio­nen an Knie, Fuß oder Achil­les­seh­ne. Risi­ko­fak­to­ren hier­für sind unter ande­rem Wett­kampf­sport, hohe Trai­nings­um­fän­ge, schnel­le Stei­ge­rung der Trai­nings­in­ten­si­tät, frü­he­re Ver­let­zun­gen und Achs­fehl­stel­lun­gen. Ins­be­son­de­re Per­so­nen mit Fehl­stel­lun­gen des Fußes haben ein erhöh­tes Risi­ko, Beschwer­den zu ent­wi­ckeln 1.

Schnell stellt sich daher die Fra­ge, wie die­sen Über­las­tungs­be­schwer­den vor­ge­beugt wer­den kann oder wie die­se zumin­dest gelin­dert wer­den kön­nen. Eine ers­te Ant­wort hier­auf ist die Aus­wahl eines geeig­ne­ten Sport­schuhs, gege­be­nen­falls in Ver­bin­dung mit einer Ein­la­gen­ver­sor­gung. Die aktu­el­le Schuh­aus­wahl ist jedoch so groß, dass das The­ma Sport­schuh­aus­wahl den Rah­men die­ses Arti­kels spren­gen wür­de. Auch blei­ben selbst bei einer her­vor­ra­gen­den Schuh­be­ra­tung vie­le ver­schie­de­ne Varia­blen übrig, die sich erst in der kon­kre­ten, fort­dau­ern­den Belas­tungs­si­tua­ti­on wäh­rend der Sport­aus­übung erge­ben und so ein mög­li­ches Ver­let­zungs­ri­si­ko pro­vo­zie­ren. Gesi­chert ist in jedem Fall die Erkennt­nis, dass Sport­ler mit einer gut trai­nier­ten Mus­ku­la­tur (d. h. auch mit einer guten Fuß­mus­ku­la­tur) und adäquat aus­ge­wähl­tem Sport­schuh das Risi­ko einer Ver­let­zung wei­test­ge­hend aus­schlie­ßen kön­nen. In die­sem Arti­kel soll es daher um die Fra­ge gehen, wie die Ortho­pä­die-Tech­nik durch Ver­än­de­run­gen im oder am Schuh zur Beschwer­de­lin­de­rung bei­tra­gen kann.

Häu­fi­ge Indi­ka­tio­nen für eine ortho­pä­die­tech­ni­sche Ver­sor­gung sind Prä­ven­ti­on von Über­las­tung, Ver­let­zun­gen und einer Über­be­an­spru­chung der Gelen­ke und Bän­der, Ent­las­tung von Druck­stel­len, Unter­stüt­zung eines sen­so­mo­to­ri­schen Trai­nings, Stär­kung des mus­ku­lä­ren Tonus und Opti­mie­rung des Bewe­gungs­ab­lau­fes. Bau­stei­ne für kon­ser­va­ti­ve und post­ope­ra­ti­ve Behand­lungs­maß­nah­men sind die symp­ toma­ti­sche The­ra­pie, eine Unter­stüt­zung gegen patho­lo­gi­sche Ver­än­de­run­gen, die Siche­rung des Ope­ra­ti­ons­er­geb­nis­ses und die all­ge­mei­ne Ver­kür­zung der Rekonvaleszenz.

Schuh­ver­sor­gung im Laufsport

Bei der Ver­sor­gung des Sport­lers muss vor allem dem indi­vi­du­el­len Belas­tungs­mus­ter auf­grund der Sport­art Rech­nung getra­gen wer­den. Es soll­ten immer auch die Lauf- und Sport­art­tech­nik und der indi­vi­du­el­le Trai­nings­stand berück­sich­tigt wer­den: Befin­det sich der Sport­ler im Trai­ning, in einer Wett­kampf­vor­be­rei­tung oder mit­ten in einem Wett­kampf? Die­se Aspek­te sind bereits vor der eigent­li­chen ortho­pä­die­tech­ni­schen Ver­sor­gung zu berück­sich­ti­gen, um ein adäqua­tes Hilfs­mit­tel her­stel­len zu kön­nen und eine Über- oder Unter­ver­sor­gung zu ver­mei­den. Auf­schluss über ein mög­li­ches Defi­zit kann auch der getra­ge­ne Sport­schuh lie­fern; daher ist es immer sinn­voll, sich auch älte­re Schu­he zei­gen zu lassen.

Zur Erfas­sung der indi­vi­du­el­len Belas­tungs­si­tua­ti­on in der Sport­ler­ver­sor­gung steht eine Viel­zahl von Ana­ly­se­mög­lich­kei­ten zur Ver­fü­gung. Wich­tig ist hier­bei, die geeig­ne­ten Ana­ly­se­ver­fah­ren aus­zu­wäh­len und deren Ergeb­nis­se kor­rekt zu inter­pre­tie­ren. Am Beginn der Ana­ly­se soll­te immer das Pal­pie­ren und Betrach­ten bei­der Füße, der Sprung­ge­lenks­stel­lun­gen und ‑beweg­lich­kei­ten, der Bein­ach­sen, der Becken­stel­lung und der Rücken­sta­tik ste­hen. Gege­be­nen­falls sind auch ver­schie­de­ne bild­ge­ben­de Ver­fah­ren wie Ultra­schall oder auch Rönt­gen nötig, um eine medi­zi­ni­sche Dia­gno­se zu gene­rie­ren. Alle Auf­fäl­lig­kei­ten und Patho­lo­gien sind zusam­men­zu­fas­sen und müs­sen ent­spre­chend dem ange­zeig­ten Beschwer­de­bild des Sport­lers kor­rekt inter­pre­tiert wer­den. Dabei müs­sen die Sport­ler sehr genau ana­ly­siert wer­den. Dies ist oft nur mög­lich, wenn inter­dis­zi­pli­när am Pati­en­ten gear­bei­tet wird. Um Kom­pen­sa­ti­ons­mus­ter, Über­las­tungs­schä­den und aku­te Ver­let­zun­gen behan­deln zu kön­nen, gilt es in jedem Fall, die Ursa­che zu ermitteln.

Dabei ist es sinn­voll, den Sport­ler in sei­nen kon­kre­ten Bewe­gungs­ab­läu­fen zu befun­den. Neben dem Abscan­nen der Füße in der Sta­tik ste­hen mit der plantaren Druck­ver­tei­lungs­mes­sung und den Mess­ver­fah­ren zur mehr­di­men­sio­na­len Bie­ge- und Tor­si­ons­be­las­tung auch Mess­ver­fah­ren zur Erfas­sung der dyna­mi­schen Belas­tung zur Ver­fü­gung. Die­se Mess­ver­fah­ren lie­fern inner­halb ihres Sys­tems vali­de Mess­da­ten. Die Pedo­gra­phie bei­spiels­wei­se lie­fert Mess­wer­te hin­sicht­lich der Fuß­be­las­tung, gemes­sen in N/cm2, Impuls, Cen­ter of Pres­su­re u. a. Bei­de Mess­sys­te­me bie­ten Auf­schluss dar­über, wie der Fuß in den ver­schie­de­nen Bewe­gungs­si­tua­tio­nen belas­tet wird, gemes­sen im Schuh, sowohl mit als auch ohne Ver­sor­gung. Neben den ver­schie­de­nen Mess­sys­te­men soll­te auch eine video­ge­stütz­te Bewe­gungs­ana­ly­se zum Ein­satz kom­men, sei es auf dem Lauf­band, der Fahr­rad­rol­le oder auf einer Lauf­bahn: Damit kön­nen in ganz ver­schie­de­nen Situa­tio­nen und Umge­bun­gen die Bewe­gun­gen des Sport­lers fest­ge­hal­ten und anschlie­ßend ana­ly­siert wer­den. Hier­bei ist es wich­tig, die phy­sio­lo­gi­schen Bewe­gungs­mus­ter von patho­lo­gi­schen Bewe­gungs­mus­tern unter­schei­den zu kön­nen. Asym­me­trien und Kom­pen­sa­ti­ons­mus­ter müs­sen erkannt und aus­ge­ar­bei­tet werden.

Nach die­ser auf­wen­di­gen Ana­ly­se kön­nen dann die ent­spre­chen­den ortho­pä­die­tech­ni­schen Ver­än­de­run­gen am oder im Schuh vor­ge­nom­men wer­den. Ortho­pä­disch indi­vi­du­ell her­ge­stell­te Ein­la­gen stel­len wohl die ver­brei­tets­te ortho­pä­die­tech­ni­sche Maß­nah­me dar. Hier sind dem Tech­ni­ker kaum Gren­zen in der Indi­vi­dua­li­tät gesetzt. Neben dem klas­si­schen Ein­la­gen­auf­bau mit den typi­schen Pelot­ten wie Längs­wöl­bungs­stüt­ze, retro­ka­pi­ta­ler Pelot­te und Cubo­id-Pelot­te kön­nen auch sepa­ra­te Pols­te­run­gen an der Fer­se oder am Vor­fuß plat­ziert wer­den. Zur Sta­bi­li­sie­rung des Fußes kann neben der media­len und late­ra­len Pelot­tie­rung die Ein­la­ge auch leicht scha­lig gear­bei­tet wer­den. Über supi­nie­ren­de oder pro­nie­ren­de Ele­men­te kann die seit­li­che Knie­sta­bi­li­tät posi­tiv beein­flusst werden.

Möch­te man den Fuß nicht nur pas­siv unter­stüt­zen, son­dern auch den Tonus und die Bewe­gungs­an­steue­rung der Mus­ku­la­tur in der auf­stei­gen­den Ket­te beein­flus­sen, wird die Ein­la­gen­ge­stal­tung unter sen­so­mo­to­ri­schen Gesichts­punk­ten durch­ge­führt. Hier­bei kann noch indi­vi­du­el­ler auf die mus­ku­lä­ren Defi­zi­te ein­ge­gan­gen wer­den, da die­se die für das moto­ri­sche Ler­nen erfor­der­li­chen neu­ro­mus­ku­lä­ren Bewe­gungs­wie­der­ho­lun­gen beein­flus­sen. Dabei ist zu beach­ten, dass die gefer­tig­te Ein­la­ge Gelenk­be­we­gun­gen zulässt und Mus­kel­bäu­che nicht kom­pri­miert. Für alle Ein­la­gen­tech­ni­ken gilt es, eine Über­kor­rek­tur des Rück­fu­ßes zu ver­mei­den, um eine natür­li­che Stoß­dämp­fungs­funk­ti­on des Fußes nicht zu verhindern.

Fall­bei­spie­le

Fall­bei­spiel 1: Jun­ge Sport­le­rin mit Adduk­to­ren­be­schwer­den rechts (Abb. 1a – f)

Ihr Wunsch ist es, einen Halb­ma­ra­thon zu lau­fen. Die Läu­fe­rin hat einen aus­ge­präg­ten Fer­sen­lauf­stil, was zur Fol­ge hat­te, dass sie in der Stütz­pha­se das Knie beug­te. Des Wei­te­ren ist die Absen­kung des media­len Fuß­ge­wöl­bes rechts stär­ker als links und die Hal­tung somit dysbalanciert.

Ver­sorgt wur­de sie mit sen­so­mo­to­ri­schen Ein­la­gen, um die Über­pro­na­ti­on rechts zu redu­zie­ren. Außer­dem wur­de ihr emp­foh­len, ein Lauf­trai­ning zu absol­vie­ren, um die Becken­sta­bi­li­tät zu ver­bes­sern und den Lauf­stil zu modi­fi­zie­ren. Zur Kon­trol­le nach drei Mona­ten war sie beschwer­de­frei und wies auf­grund ihres Lauf-ABCs ein deut­lich ver­bes­ser­tes Lauf­bild auf.

Fall­bei­spiel 2: Tri­ath­let mit Beschwer­den des rech­ten Knies, der Leis­te und des Trac­tus ili­o­ti­bia­lis (Abb. 2a – h)

Der Sport­ler zeig­te ein dezen­tes Tren­delen­burg­zei­chen mit einem vari­sier­ten Knie in der Stütz­pha­se, vor allem rechts, das mit Schuh stär­ker auf­fiel. Es wur­de eine Ein­la­gen­ver­sor­gung mit Vor­fuß­pro­na­ti­on rechts gefer­tigt und ein Sta­bi­li­sa­ti­ons­trai­ning der Becken­mus­ku­la­tur sowie ein neu­er Lauf­schuh mit fla­cher Spren­gung emp­foh­len. Durch die Vor­fuß­pro­na­ti­on der Ein­la­gen­ver­sor­gung war die vari­sie­ren­de Kom­po­nen­te wäh­rend der Stütz­pha­se deut­lich ver­rin­gert. Dies wur­de durch den flach­ge­spreng­ten Schuh eben­falls begüns­tigt. Der Pati­ent war anschlie­ßend beschwerdefrei.

Fall­bei­spiel 3: Mara­thon­läu­fer mit Achil­les­seh­nen­be­schwer­den sowie Leis­ten­be­schwer­den in der Vor­be­rei­tungs­pha­se sei­nes Wett­kamp­fes (Abb.3a – e)

Der Läu­fer trägt einen insuf­fi­zi­en­ten Lauf­schuh und ent­wi­ckelt hier­durch eine deut­li­che Über­pro­na­ti­on des Fußes. Die Ver­än­de­run­gen des Lauf­stils mit einem fer­sen­las­ti­gen Fuß­auf­satz erge­ben sich durch die Kom­pen­sa­ti­on des Beschwer­de­bil­des. Das Tren­delen­burg­zei­chen war posi­tiv. Die Emp­feh­lung lau­te­te, einen sta­bi­len Lauf­schuh ohne Pro­na­ti­ons­stüt­ze in Kom­bi­na­ti­on mit einer Ein­la­gen­ver­sor­gung zu ver­wen­den. Eine Lauf­stil­be­ra­tung sowie Kräf­ti­gungs­übun­gen des Beckens waren obli­gat, da in der Lauf­ana­ly­se auch dabei Defi­zi­te zu erken­nen waren. Auch die­ser Pati­ent war nach vier Mona­ten beschwerdefrei.

Fazit

Zusam­men­fas­send kann fest­ge­hal­ten wer­den, dass die ortho­pä­die­tech­ni­sche Ver­sor­gung des Sport­lers oft nicht mit der Abga­be eines Hilfs­mit­tels wie etwa einer Ein­la­ge gelöst ist. Oft sind eine ent­spre­chen­de Anpas­sung der Trai­nings­plä­ne und ein „Umpro­gram­mie­ren“ von Bewe­gungs­ab­läu­fen erfor­der­lich. Es wird schnell deut­lich, dass dies nur inter­dis­zi­pli­när funk­tio­nie­ren kann. Neben der Kennt­nis der ortho­pä­die­tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten muss der Tech­ni­ker ein Ver­ständ­nis für phy­sio­lo­gi­sche Bewe­gungs­mus­ter haben, um die Ergeb­nis­se ent­spre­chend dem Beschwer­de­bild rich­tig zu deu­ten. Kom­pen­sa­ti­ons­mus­ter und mus­ku­lä­re Dys­ba­lan­cen kor­rekt erken­nen – dies kann die Tech­nik nicht über­neh­men. Nicht sel­ten ist ein Hilfs­mit­tel nicht der ein­zi­ge Schlüs­sel zur Beschwer­de­frei­heit: Gera­de die Becken­sta­bi­li­tät mit ent­spre­chen­der Sport­tech­nik nimmt einen wich­ti­gen Anteil in der Rekon­va­les­zenz ein. Zusam­men mit Ärz­ten, Phy­sio­the­ra­peu­ten und der Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik bzw. Ortho­pä­die-Tech­nik kann dem Sport­ler gehol­fen wer­den, auch nach einer Ver­let­zung letzt­lich wie­der sei­ne vor­he­ri­ge Leis­tung zu errei­chen oder sie sogar zu optimieren.

Der Autor:
Tino Spre­kel­mey­er
Inha­ber der Fa. Sprekelmeyer
Ortho­pä­die-Schuh­tech­nik
Mar­ti­ni­stra­ße 79
49080 Osna­brück
tino@sprekelmeyer-online.de

Begut­ach­te­ter Bei­trag / review­ed paper

Zita­ti­on
Spre­kel­mey­er T. Ortho­pä­die­tech­ni­sche Ver­sor­gung im Sport­schuh. Ortho­pä­die Tech­nik, 2017; 67 (1): 36–38

 

 

  1. Walt­her M. Platt- und Hohl­fuß. Fuß­fehl­stel­lun­gen, Ver­let­zun­gen und Über­las­tungs­re­ak­tio­nen im Lauf­sport. Medi­cal Sports Net­work, 2011; (5): 12–16
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