„Nach der Aus­bil­dung geht’s erst rich­tig los“

Im Juli 2021 schloss sie ihre Ausbildung zur Orthopädietechnikerin beim Freiburger Sanitätshaus Schaub KG ab – und das mit Erfolg. Für ihr besonderes Engagement und ihre herausragenden Leistungen wurde Natalie Vöttiner nun auch mit dem Josef-Rahm-Förderpreis 2021 ausgezeichnet. Womit sie überzeugen konnte, welchen Herausforderungen sie sich im Alltag stellt und warum ihre Ausbildung anders verlief als gedacht, verrät die 23-Jährige im Gespräch mit der OT-Redaktion.

OT: Wie schon im Vor­jahr gibt es aus­schließ­lich weib­li­che Gewin­ne­rin­nen: Sind Frau­en in der Bran­che auf dem Vormarsch?

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Nata­lie Vöt­ti­ner: Na klar. Das zeigt ja schon allei­ne das Ergeb­nis. Dass es schon das zwei­te Mal in Fol­ge aus­schließ­lich weib­li­che Gewin­ne­rin­nen gibt, ist für mich kein Zufall. In mei­nem Jahr­gang war knapp die Hälf­te der Aus­zu­bil­den­den weib­lich. Ich freue mich sehr, dass sich mehr Mädels als noch vor 20 Jah­ren bewusst für einen Hand­werks­be­ruf entscheiden.

OT: Sie haben den 1. Platz belegt: Womit konn­ten Sie beson­ders überzeugen?

Vöt­ti­ner: Schon wäh­rend mei­ner Aus­bil­dung habe ich mich mit Elan und Enga­ge­ment in das Betriebs­sys­tem unse­res Fräs­ro­bo­ters ein­ge­ar­bei­tet und war bereits Ende mei­nes zwei­ten Lehr­jahrs eine der Hauptansprechpartner:innen, wenn es um das Frä­sen von Korsett‑, Bein- oder Kopf­mo­del­len ging. Das ist nicht selbst­ver­ständ­lich. Ich den­ke, auch mei­ne gro­ße Wiss­be­gier­de sticht her­aus. Ich bin unheim­lich neu­gie­rig auf alles, was mit mei­nem Beruf zu tun hat.

OT: Was hat Sie dazu bewegt, eine Aus­bil­dung zur Ortho­pä­die­tech­ni­ke­rin zu machen?

Vöt­ti­ner: Nach mei­nem Abitur am Tech­ni­schen Gym­na­si­um (Fach­rich­tung Mecha­tro­nik) 2018 woll­te ich eigent­lich dual stu­die­ren gehen. Im Lau­fe mei­nes letz­ten Schul­jah­res ist mir aber immer bewuss­ter gewor­den, dass ich Sach­ver­hal­te nicht mehr nur theo­re­tisch bear­bei­ten woll­te. Ich woll­te lie­ber etwas Prak­ti­sches machen. Wo man etwas baut und hin­ter­her sagen kann: „Das habe ich gemacht.“ Eine Bekann­te mei­ner Mut­ter arbei­tet als Ortho­pä­die­schuh­tech­nik-Meis­te­rin. Über sie bin ich auf den Beruf Orthopädietechniker:in gekommen.

Viel­fäl­tig­keit ist Fluch und Segen zugleich

OT: Wel­che Erwar­tun­gen hat­ten Sie an Ihre Aus­bil­dung? Wur­den die­se erfüllt?

Vöt­ti­ner: Anfäng­lich dach­te ich, in der Aus­bil­dung lernt man alles, was man für sein spä­te­res Berufs­le­ben braucht. Das war eine tota­le Fehl­ein­schät­zung. Die Ortho­pä­die-Tech­nik ist ein Feld mit vie­len Fach­be­rei­chen, die in sich selbst so kom­plex und umfas­send sind, dass man nie­mals alles wis­sen kann. In der Aus­bil­dung lernt man die Grund­la­gen. Und auf denen kann man auf­bau­en. Irgend­wann habe ich erkannt: Nach der Aus­bil­dung geht’s erst rich­tig los, vor allem was die Eigen­ver­ant­wor­tung im Umgang mit Kund:innen angeht. Man hört nie auf dazuzulernen.

OT: Was sind für Sie die größ­ten Her­aus­for­de­run­gen im Beruf?

Vöt­ti­ner: Die Viel­fäl­tig­keit des Berufs ist Fluch und Segen zugleich. Kein Tag ist gleich. Heißt: Man muss sei­nen Fokus immer wie­der – auch oft spon­tan – neu aus­rich­ten. Wenn es Not­fall­ver­sor­gun­gen gibt, muss man sei­nen Tages­plan wie­der umschmei­ßen und neu auf die Bei­ne stel­len. Unse­re Kund:innen sind von zen­tra­ler Bedeu­tung bei uns – schließ­lich ist alles, was wir bau­en und ver­sor­gen, zum Schluss für einen Men­schen. Auf die ver­schie­de­nen Bedürf­nis­se der Kund:innen ein­zu­ge­hen und vor allem mit den unter­schied­lichs­ten „Typen“ kon­fron­tiert zu sein, ist durch­aus her­aus­for­dernd. Da gibt es sol­che, die wis­sen dei­ne Arbeit zu schät­zen und sind dank­bar dafür. Ande­re wie­der­um stel­len dei­ne Kom­pe­tenz kom­plett infra­ge. Dazwi­schen gibt es alle mög­li­chen Schattierungen.

Arbeits­wei­se wird digitaler

OT: Scan, 3D-Druck und Co.: Die OT-Bran­che wird immer digi­ta­ler. Emp­fin­den Sie das als Berei­che­rung oder geht für Sie damit das Hand­werk verloren?

Vöt­ti­ner: Scan und 3D-Druck emp­fin­de ich per­sön­lich defi­ni­tiv als Berei­che­rung. Wenn wir zum Bei­spiel Kli­nik­ver­sor­gun­gen haben, ist der Scan im Ver­gleich zum her­kömm­li­chen Gip­sen sau­be­rer, macht kei­nen Schmutz und ist ange­neh­mer für unse­re Patient:innen. Auch jetzt schon mer­ke ich aber, dass ich weni­ger an der Werk­bank bin, je digi­ta­ler es wird. In unse­rem Sani­täts­haus bear­bei­te ich zum Bei­spiel Fräs­auf­trä­ge – wir frä­sen Model­le aus Hart­schaum­blö­cken für den Eigen­be­darf und ande­re Fir­men. Anfang Juli gab es in einer Woche elf Fräs­auf­trä­ge. Da saß ich dann eine Woche nur am PC und habe die­se abge­ar­bei­tet. Ich den­ke nicht, dass das Hand­werk als sol­ches ver­lo­ren geht. Unse­re Arbeits­wei­se in bestimm­ten Fer­ti­gungs­pro­zes­sen wird jedoch wesent­lich digi­ta­ler. Für mich ist es wich­tig, die Waa­ge zu hal­ten. Ich habe mich schließ­lich für einen Hand­werks­be­ruf ent­schie­den, weil ich an der Werk­bank ste­hen und nicht den gan­zen Tag vorm PC ver­brin­gen will.

OT: Wie sieht Ihre beruf­li­che Zukunft aus?

Vöt­ti­ner: Fürs Ers­te möch­te ich ganz nor­mal in mei­nem Beruf arbei­ten. Ich will Berufs­er­fah­rung in der Orthe­tik sam­meln, mein Wis­sen aus­bau­en und fes­ti­gen. Außer­dem beschäf­ti­ge ich mich seit einem hal­ben Jahr inten­si­ver mit der digi­ta­len Modell­er­stel­lung und ‑bear­bei­tung. Auch hier will ich vor­an­kom­men. Auf jeden Fall möch­te ich mich wei­ter­bil­den. Irgend­wann ist der Meis­ter natür­lich auch eine Opti­on. Im Moment aber noch nicht.

OT: Wel­che Tipps haben Sie für ange­hen­de Aus­zu­bil­den­de im Bereich Orthopädie-Technik?

Vöt­ti­ner: Bleibt neu­gie­rig und hin­ter­fragt Sach­ver­hal­te! Gebt euch nicht zufrie­den mit „das haben wir halt schon immer so gemacht“. Geht der Sache auf den Grund. Man lernt nur dazu, wenn man sich mit etwas beschäf­tigt und aus­ein­an­der­setzt. Bleibt auf­merk­sam – „mit den Augen und Ohren klau­en“! Anders als in der Schu­le ist „abschrei­ben“ erlaubt. Schaut, wie die ande­ren Gesel­len ihre Ver­sor­gun­gen anfer­ti­gen, wel­che Tricks und Knif­fe sie auf Lager haben. Da kann man sich ganz schön was abgu­cken. Zu guter Letzt: Wer schreibt, der bleibt. Es lohnt sich, wie­der­keh­ren­de Arbeits­schrit­te und theo­re­ti­sches Hin­ter­grund­wis­sen auf­zu­schrei­ben. Dadurch ver­in­ner­licht man das, was man gemacht hat. Und vor allem fängt man das nächs­te Mal nicht bei null an, son­dern ist selb­stän­di­ger, weil man nicht wie­der alles erfra­gen muss – man kann ein­fach nach­le­sen. Ich habe sel­ber auf mei­ner Werk­bank einen Ord­ner mit allen mög­li­chen Noti­zen ste­hen. Hier schaue ich regel­mä­ßig rein und es kom­men auch immer wie­der neue Noti­zen hin­zu. Hört nicht auf zu fra­gen, wenn die Aus­bil­dung vor­bei ist! Danach geht’s erst rich­tig los!

Die Fra­gen stell­te Pia Engelbrecht.

Der Josef-Rahm-För­der­preis 
Seit 2015 ver­ge­ben die Leis­tungs­er­brin­ger­ge­mein­schaft Reha­vi­tal und die Rahm – Zen­trum für Gesund­heit GmbH den Nach­wuchs­för­der­preis zu Ehren von Josef Rahm an die bes­ten Aus­zu­bil­den­den im Ver­bund. 2021 wähl­te die Jury, bestehend aus Mit­glie­dern des Per­so­nal­aus­schus­ses des Reha­vi­tal-Auf­sichts­rats, Geschäfts­füh­rer Jens Sell­horn sowie der Toch­ter des Preis-Namens­ge­bers und Geschäfts­füh­re­rin des gleich­na­mi­gen Unter­neh­mens, Mei­ke Rahm, sechs Gewin­ne­rin­nen aus. Im hand­werk­li­chen Bereich setz­ten sich Pau­la Jun­ge, Incort GmbH & Co.KG, und Nata­lie Vöt­ti­ner, Schaub KG, (bei­de 1. Preis) sowie Ste­fa­nie Mül­ler, Sani­täts­haus Glotz, und Yvonne Bil­li­on, Vital­Cen­trum Hodey KG, (bei­de 2. Preis) durch. Die Gewin­ne­rin­nen im kauf­män­ni­schen Bereich sind Danie­la Kot­zur, Ortho­pä­die Bril­lin­ger GmbH & Co.KG, (1. Preis) sowie Danie­la Mül­ler, Fried­rich Georg Strei­fen­e­der KG, (2. Preis). 
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