OT: Wie schon im Vorjahr gibt es ausschließlich weibliche Gewinnerinnen: Sind Frauen in der Branche auf dem Vormarsch?
Natalie Vöttiner: Na klar. Das zeigt ja schon alleine das Ergebnis. Dass es schon das zweite Mal in Folge ausschließlich weibliche Gewinnerinnen gibt, ist für mich kein Zufall. In meinem Jahrgang war knapp die Hälfte der Auszubildenden weiblich. Ich freue mich sehr, dass sich mehr Mädels als noch vor 20 Jahren bewusst für einen Handwerksberuf entscheiden.
OT: Sie haben den 1. Platz belegt: Womit konnten Sie besonders überzeugen?
Vöttiner: Schon während meiner Ausbildung habe ich mich mit Elan und Engagement in das Betriebssystem unseres Fräsroboters eingearbeitet und war bereits Ende meines zweiten Lehrjahrs eine der Hauptansprechpartner:innen, wenn es um das Fräsen von Korsett‑, Bein- oder Kopfmodellen ging. Das ist nicht selbstverständlich. Ich denke, auch meine große Wissbegierde sticht heraus. Ich bin unheimlich neugierig auf alles, was mit meinem Beruf zu tun hat.
OT: Was hat Sie dazu bewegt, eine Ausbildung zur Orthopädietechnikerin zu machen?
Vöttiner: Nach meinem Abitur am Technischen Gymnasium (Fachrichtung Mechatronik) 2018 wollte ich eigentlich dual studieren gehen. Im Laufe meines letzten Schuljahres ist mir aber immer bewusster geworden, dass ich Sachverhalte nicht mehr nur theoretisch bearbeiten wollte. Ich wollte lieber etwas Praktisches machen. Wo man etwas baut und hinterher sagen kann: „Das habe ich gemacht.“ Eine Bekannte meiner Mutter arbeitet als Orthopädieschuhtechnik-Meisterin. Über sie bin ich auf den Beruf Orthopädietechniker:in gekommen.
Vielfältigkeit ist Fluch und Segen zugleich
OT: Welche Erwartungen hatten Sie an Ihre Ausbildung? Wurden diese erfüllt?
Vöttiner: Anfänglich dachte ich, in der Ausbildung lernt man alles, was man für sein späteres Berufsleben braucht. Das war eine totale Fehleinschätzung. Die Orthopädie-Technik ist ein Feld mit vielen Fachbereichen, die in sich selbst so komplex und umfassend sind, dass man niemals alles wissen kann. In der Ausbildung lernt man die Grundlagen. Und auf denen kann man aufbauen. Irgendwann habe ich erkannt: Nach der Ausbildung geht’s erst richtig los, vor allem was die Eigenverantwortung im Umgang mit Kund:innen angeht. Man hört nie auf dazuzulernen.
OT: Was sind für Sie die größten Herausforderungen im Beruf?
Vöttiner: Die Vielfältigkeit des Berufs ist Fluch und Segen zugleich. Kein Tag ist gleich. Heißt: Man muss seinen Fokus immer wieder – auch oft spontan – neu ausrichten. Wenn es Notfallversorgungen gibt, muss man seinen Tagesplan wieder umschmeißen und neu auf die Beine stellen. Unsere Kund:innen sind von zentraler Bedeutung bei uns – schließlich ist alles, was wir bauen und versorgen, zum Schluss für einen Menschen. Auf die verschiedenen Bedürfnisse der Kund:innen einzugehen und vor allem mit den unterschiedlichsten „Typen“ konfrontiert zu sein, ist durchaus herausfordernd. Da gibt es solche, die wissen deine Arbeit zu schätzen und sind dankbar dafür. Andere wiederum stellen deine Kompetenz komplett infrage. Dazwischen gibt es alle möglichen Schattierungen.
Arbeitsweise wird digitaler
OT: Scan, 3D-Druck und Co.: Die OT-Branche wird immer digitaler. Empfinden Sie das als Bereicherung oder geht für Sie damit das Handwerk verloren?
Vöttiner: Scan und 3D-Druck empfinde ich persönlich definitiv als Bereicherung. Wenn wir zum Beispiel Klinikversorgungen haben, ist der Scan im Vergleich zum herkömmlichen Gipsen sauberer, macht keinen Schmutz und ist angenehmer für unsere Patient:innen. Auch jetzt schon merke ich aber, dass ich weniger an der Werkbank bin, je digitaler es wird. In unserem Sanitätshaus bearbeite ich zum Beispiel Fräsaufträge – wir fräsen Modelle aus Hartschaumblöcken für den Eigenbedarf und andere Firmen. Anfang Juli gab es in einer Woche elf Fräsaufträge. Da saß ich dann eine Woche nur am PC und habe diese abgearbeitet. Ich denke nicht, dass das Handwerk als solches verloren geht. Unsere Arbeitsweise in bestimmten Fertigungsprozessen wird jedoch wesentlich digitaler. Für mich ist es wichtig, die Waage zu halten. Ich habe mich schließlich für einen Handwerksberuf entschieden, weil ich an der Werkbank stehen und nicht den ganzen Tag vorm PC verbringen will.
OT: Wie sieht Ihre berufliche Zukunft aus?
Vöttiner: Fürs Erste möchte ich ganz normal in meinem Beruf arbeiten. Ich will Berufserfahrung in der Orthetik sammeln, mein Wissen ausbauen und festigen. Außerdem beschäftige ich mich seit einem halben Jahr intensiver mit der digitalen Modellerstellung und ‑bearbeitung. Auch hier will ich vorankommen. Auf jeden Fall möchte ich mich weiterbilden. Irgendwann ist der Meister natürlich auch eine Option. Im Moment aber noch nicht.
OT: Welche Tipps haben Sie für angehende Auszubildende im Bereich Orthopädie-Technik?
Vöttiner: Bleibt neugierig und hinterfragt Sachverhalte! Gebt euch nicht zufrieden mit „das haben wir halt schon immer so gemacht“. Geht der Sache auf den Grund. Man lernt nur dazu, wenn man sich mit etwas beschäftigt und auseinandersetzt. Bleibt aufmerksam – „mit den Augen und Ohren klauen“! Anders als in der Schule ist „abschreiben“ erlaubt. Schaut, wie die anderen Gesellen ihre Versorgungen anfertigen, welche Tricks und Kniffe sie auf Lager haben. Da kann man sich ganz schön was abgucken. Zu guter Letzt: Wer schreibt, der bleibt. Es lohnt sich, wiederkehrende Arbeitsschritte und theoretisches Hintergrundwissen aufzuschreiben. Dadurch verinnerlicht man das, was man gemacht hat. Und vor allem fängt man das nächste Mal nicht bei null an, sondern ist selbständiger, weil man nicht wieder alles erfragen muss – man kann einfach nachlesen. Ich habe selber auf meiner Werkbank einen Ordner mit allen möglichen Notizen stehen. Hier schaue ich regelmäßig rein und es kommen auch immer wieder neue Notizen hinzu. Hört nicht auf zu fragen, wenn die Ausbildung vorbei ist! Danach geht’s erst richtig los!
Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.
Seit 2015 vergeben die Leistungserbringergemeinschaft Rehavital und die Rahm – Zentrum für Gesundheit GmbH den Nachwuchsförderpreis zu Ehren von Josef Rahm an die besten Auszubildenden im Verbund. 2021 wählte die Jury, bestehend aus Mitgliedern des Personalausschusses des Rehavital-Aufsichtsrats, Geschäftsführer Jens Sellhorn sowie der Tochter des Preis-Namensgebers und Geschäftsführerin des gleichnamigen Unternehmens, Meike Rahm, sechs Gewinnerinnen aus. Im handwerklichen Bereich setzten sich Paula Junge, Incort GmbH & Co.KG, und Natalie Vöttiner, Schaub KG, (beide 1. Preis) sowie Stefanie Müller, Sanitätshaus Glotz, und Yvonne Billion, VitalCentrum Hodey KG, (beide 2. Preis) durch. Die Gewinnerinnen im kaufmännischen Bereich sind Daniela Kotzur, Orthopädie Brillinger GmbH & Co.KG, (1. Preis) sowie Daniela Müller, Friedrich Georg Streifeneder KG, (2. Preis).
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