„Die individuelle Versorgung muss möglich bleiben, sodass im Einzelfall ein ganz bestimmtes Hilfsmittel über die Hilfsmittelpositionsnummer verordnet werden kann oder über eine kassenübergreifend einheitliche Pseudonummer, sofern das betreffende Produkt nicht im Hilfsmittelverzeichnis (HMV) gelistet ist. Denn schließlich ist das HMV keine Positivliste mit ausschließlicher Gültigkeit. Innovationen müssen auch künftig in den Versorgungsprozess direkt eingebracht werden können“, erklärt Hagemeier. Die Vertreterin der Europäischen Herstellervereinigung für Kompressionstherapie, orthopädische Hilfsmittel und digitale Gesundheitsanwendungen sieht die Industrie zwar nicht unmittelbar von der Einführung der elektronischen Verordnung betroffen, aber das Thema müsse im Gesamtkontext der Digitalisierung des Gesundheitswesens betrachtet werden. Durch das E‑Rezept allein würden sich die Versorgungsprozesse nicht wesentlich verbessern, deutliche Effekte bringe aber das Zusammenspiel mit weiteren Komponenten wie der elektronischen Patientenakte (ePA) innerhalb der Telematikinfrastruktur (TI) – vor allem hier liege das Interesse der Industrie.
Ein bedeutsamer Aspekt sei das dem E‑Rezept zugrundeliegende elektronische Verordnungsblatt: „Das bisher für Arzneimittel erstellteDatenblatt kann nicht einfach für Hilfsmittel übernommen werden, da der Verordnungsprozess ein ganz anderer ist und die orthopädietechnischen Betriebe enger in die therapeutischen Entscheidungen einbezogen sind“, so Hagemeier. „Für die Leistungserbringer liegt deshalb in der Mitgestaltung des dahinterstehenden Workflows großes Potenzial.“ Das bisherige Konstrukt passe nicht mehr in die digitale Zeit: „Smarte Systeme sind gefragt, die neuen Anforderungen Schnittstellen bieten – zum Beispiel der sektorübergreifenden Versorgung, der patientenindividuellen Fabrikation sowie der zunehmenden Verknüpfung von digitalen Gesundheitsanwendungen mit Hilfsmitteln. Werden dabei Medienbrüche verhindert, vermindert dies zugleich die Fehleranfälligkeit. Wer jedoch die ‚alte Welt’ eins zu eins in der TI nachbauen will,vertut diese Chancen.“ Dies sei wie in der Automobilindustrie: „Wer den alten Verbrenner unverändert zum E‑Auto umrüstet, wird den Wettbewerb gegen Tesla nicht gewinnen.“ Neue Dienstleister warteten nur darauf, im Hilfsmittelbereich Marktanteile zu erringen, betont Hagemeier. Zudem dürfe es nicht dazu kommen, dass die Krankenkassen E‑Rezept und digitale Systeme ausnutzten, um die Versorgung zu steuern: „Die Gefahr ist vorhanden! Die Krankenkassen dürfen mit den Beitragsgeldern digitale Gesundheitsanwendungen selbst entwickeln und diese ihren Versicherten anbieten. Sie könnten Bonussysteme auflegen, die mit bestimmten Leistungen und Leistungserbringern verbunden sind. Die Industrie und die Leistungserbringer sollten gemeinsam dafür kämpfen, dass alle Patientinnen und Patienten selbst entscheiden, wer sie versorgt – und dies bei therapeutischer Notwendigkeit ebenfalls mit Produkten, die nicht im HMV stehen.“
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