Einleitung
Die prothetische Versorgung nach Exartikulation im Schultergelenk stellt die Orthopädie-Technik vor besondere Herausforderungen. Wird diese komplexe Aufgabe um einen selektiven Nerventransfer mit anschließender TMR-Versorgung erweitert, stellt sie das derzeitige obere Ende der Skala höchster technischer und therapeutischer Ansprüche dar. Nach wie vor ist der Prothesenschaft als Mensch-Maschine-Interface das wichtigste Element der Prothese, insbesondere bei einem derartig hohen Anspruch an das Hilfsmittel. In diesem Artikel wird die Anfertigung eines Prothesenschaftes mit sowohl flexiblen als auch rigiden Zonen geschildert. Durch neue flexible und zugfeste Fasermaterialien für die Epoxid-Laminiertechnik wird gezielte Steifigkeit einerseits und komfortable Tragesicherheit andererseits ermöglicht. Kombiniert mit einem Innenschaft aus HTV-Silikon wird dieser nicht seiner flexiblen Eigenschaften beraubt.
Indikation
Beim vorgestellten Patienten wurde posttraumatisch eine Schulterexartikulation durchgeführt. Eine Erstversorgung des Patienten erfolgte im April 2016 mit HTV-Silikon-Innenschaft und Acrylharz-Außenschaft (Abb. 1). Eine zuverlässige Steuerung der Prothese war insbesondere bei Tätigkeiten, bei denen sich der Patient nach vorne beugen muss, schwierig. Denn das auftretende Rotationsmoment sorgte dafür, dass der dorsale Schaftanteil – und damit die Elektrode, die für die Extension des Ellenbogengelenkes (DynamicArm Plus) zuständig war – zeitweise den Kontakt zur Hautoberfläche verlor. Eine zuverlässige Steuerung der Prothese war damit nicht mehr gegeben.
Anforderungen an die Versorgung
Die Schafterneuerung erfolgte im Dezember 2017. Das Stumpfvolumen hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt nur unwesentlich verändert. Allerdings traten aufgrund des Nervenwachstums Veränderungen der Hotspots auf – konkret mussten zwei Elektroden aufgrund einer Veränderung der effizientesten Position des EMG-Signals verlagert werden.
In diesem Zusammenhang entstand die Idee, für den Außenschaft eine Materialkombination aus Epoxidharz und dem sowohl zugfesten als auch flexiblen Orthopox-Gewebeflex zu nutzen. Dieser Außenschaft sollte in der Lage sein, gemeinsam mit dem HTV-Silikon-Innenschaft mit einer mittleren Shore-A-Härte den Bewegungen der Schulter und des Rumpfes zu folgen. Gerade im Hinblick auf eine Prothese nach selektivem Nerventransfer mit multipler Signalgebung ist ein in jeder Bewegung sicherer Kontakt der Elektroden zur Haut essentiell. Ein Nachteil der Erstversorgung des Patienten bestand darin, dass die Flexibilität des Silikons durch die steife Außenschaftkonstruktion stark eingeschränkt wurde. Durch die Verwendung von Epoxidharz und die neuen Fasermaterialien konnte nun zudem eine Gewichtsersparnis von ca. 50 % gegenüber dem zuvor verwendeten Acrylharzlaminat erreicht werden. Die Reduzierung des Gewichtes des Außenschaftes wird überwiegend durch den Verzicht auf Perlontrikot erreicht. Die Silikon-Wandungsstärke lässt sich durch die Epoxid-Technik allerdings nicht verringern, weil die Bauhöhe der Einguss-Scheiben eine gewisse Wandungsstärke erfordert, in der Regel zwischen 3 und 4 mm.
Der neue Prothesenschaft sollte am Krafteinleitungsbereich des Schultergelenks starr sein und die auftretenden Kräfte möglichst gleichmäßig auf den Silikon-Innenschaft verteilen. Dies wurde über eine V‑förmige Armierung mit dem Orthopox-Carbonfasergewebe erreicht (Abb. 2). Es handelt sich bei dieser Carbonfaser um ein Gewebe mit Köper‑2/2‑Bindung und einem Flächengewicht von 240 g/m2. Zusätzlich ist auf der Faser eine Epoxidbeschichtung aufgebracht, die beim Schneiden der Faser ein Ausfransen verhindert. Aus diesem Grund ist ein Abkleben der Zuschnitte mit doppelseitigem Klebeband nicht erforderlich. Die Verarbeitung von Orthopox weicht gegenüber den üblichen Verfahren insbesondere in folgenden Aspekte Veränderung der Kriterien zum Schleifen, z. B. bei der Kantenverarbeitung: Das Gewebeflex ist nur bei mehrlagigem Aufbau schleifbar; ein oder zwei Lagen werden mit einer Kevlar-Schere geschnitten.
- Veränderung der Kriterien bezüglich der Oberflächenstruktur: Ein Bekleben mit Kunstleder oder PVC-Folien aus der Kfz-Industrie sind zur Zeit die einzigen Möglichkeiten.
- Veränderung der Kriterien bezüglich der Bestimmungen zur Einhaltung der Arbeitssicherheit (Staubschutzmaske Klasse II in Verbindung mit Absaugvorrichtung, die gemäß den Berufsgenossenschaften die TRGS 900 erfüllt); generell sind die Arbeitsplatzgrenzwerte für CFK-Materialien einzuhalten.
Erstellung der Versorgung
Zunächst wurde der Bereich des Schaftes, der später die Grundlage für das Schultergelenk bildet, mit einer Lage Gewebeflex (Abb. 3) und mehreren Lagen Carbonverstärkung armiert und laminiert. Im Rahmen der folgenden Anprobe wurde das Schultergelenk „MovoShoulder Swing“ entsprechend den Aufbaurichtlinien positioniert und mit Spachtel fixiert. Mit einer zweiten Lage Gewebeflex und weiterer Carbonverstärkung über dem Schulterbügel wurde ein abschließendes Laminat erstellt (Abb. 4). Durch den Verzicht auf Perlongewebe fehlt ein Trägermaterial für Farbpigmente, wodurch nur eine blasse, unzureichende Färbung des Schaftes erzielt werden konnte. Aus diesem Grund wurde der Prothesenschaft mit einem Kunstleder in Carbon-Optik beklebt. Dadurch entstand ein homogenes, attraktives Finish mit einer angenehmen Oberflächenhaptik, da das Material wegen seiner Stärke von 1,5 mm bei Kontakt dämpfend wirkt. Der Anwender empfand diese neue Art des Oberflächenfinishs (Abb. 5) deutlich angenehmer als bei der Vorversorgung.
Es zeigt sich somit, dass die Akzeptanz einer Prothesenversorgung mit zunehmendem Tragekomfort und erhöhter Steuerungssicherheit steigt. Der Patient berichtet zudem von einer deutlichen Zunahme der Alltagstauglichkeit und daraus resultierend einer Steigerung der Tragedauer.
Fazit
Dieses komplexe Fallbeispiel einer Schulterexartikulationsprothese mit TMR zeigt deutlich, dass sich die Eigenschaften eines Schaftes durch den gezielten Einsatz moderner Materialien präzise an die Anforderungen der Prothesenstatik und des Anwenders anpassen lassen. Das Versorgungsergebnis hat zu einer erheblichen Steigerung der Alltagstauglichkeit geführt, da der Schaft jetzt in der Lage ist, den Bewegungen des Körpers in jeder Situation exakt zu folgen.
Für die Autoren:
Stefan Reinelt
Patient Care Center Duderstadt/Berlin Otto Bock HealthCare GmbH
Max-Näder-Str. 15
37115 Duderstadt
stefan.reinelt@ottobock.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Weiterführende Literatur:
- Kehnen M. Laminierharze für den Leichtbau in der Technischen Orthopädie. Orthopädie Technik, 2018; 69 (6): 52–55
- KuikenT, Dumanian G, Lipschutz RD, Miller LA, Stubbefeld KA. The use of targeted muscle reinnervation for improved myoelectric prosthesis control in a bilateral shoulder disarticulation amputee. Prosthetics and Orthotics International, 2004; 28: 245–253
Reinelt St, Ascheberg vA, Andres E. Neue Möglichkeiten der flexiblen Schaftgestaltung an der oberen Extremität mit Epoxidharzen. Orthopädie Technik, 2019; 70 (1): 41–43
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