Ganz im Sinne „von Praktiker:innen für Praktiker:innen“ greifen die Organisatoren dafür immer Themen aus der praktischen Tätigkeit auf und beleuchten sie aus verschiedenen Perspektiven. Entsprechend vielfältig und interdisziplinär präsentierte sich auch das diesjährige Programm.
Zum Auftakt am Morgen gab Oliver Gültig, Gründer der Lymphologic Med. Weiterbildungs GmbH, Aschaffenburg, vor ca. 200 Teilnehmer:innen einen detaillierten Einblick in das Thema „Das Lymphgefäßsystem als kompensierender Drainageweg“. Anhand vieler praktischer Beispiele stellte der erfahrene Physiotherapeut die hohe Relevanz des Lymphgefäßsystems für den Körper anschaulich dar. Anschließend informierte Dr. Gabriele Faerber, Zentrum für Gefäßmedizin, Hamburg, über den aktuellen Entwicklungsstand der neuen „Leitlinie Lipödem“, deren Fertigstellung noch für 2022 geplant ist. Die dort in der Theorie angesprochenen Punkte wurden von Dr. med. Anna-Theresa Lipp, Praxis Dr. Lipp und Kollegen, München, in ihrem Vortrag „Ganzheitliche Therapie des Lipödems“ auch aus der evidenzbasierten Perspektive nochmal aufgegriffen, anhand von Fallbeispielen aus der Praxis untermauert und dadurch für die Zuschauer:innen greifbarer gemacht. Die onkologische Perspektive der Lymphologie und interessante Einblicke in die aktuelle Krebsforschung standen bei den zwei folgenden Vorträgen im Fokus. Dr. med. Barbara Netopil, Klinik Königstein der KVB, Königstein am Taunus, referierte über die Diagnose Mammakarzinom und wie sich die Therapie, Komplikationen und Nachbehandlung verändert haben. Anschließend griff Prof. Dr. med. Anke Strölin, Universitäts-Hautklinik, Tübingen, die Früherkennung maligner Tumore und Rezidive im Spannungsfeld zwischen klinischer Diagnostik und ambulanter Versorgung auf.
Berufspolitik im Fokus
Der spätere Vormittag stand ganz im Zeichen der aktuellen berufsspezifischen Entwicklungen und Zukunftsaussichten: Hans Ortmann, Physiotherapieverband VPT, stellte den aktuellen GKV-Bundesrahmenvertrag vor und zeigte Herausforderungen und Chancen für die ambulante physiotherapeutische lymphologische Versorgung auf. „Warum gehört die Lymphologie in die Pflichtvorlesung des Medizinstudiums“: Dieser Frage widmete sich Dr. med. Simon Classen, Direktor der Kerckhoff-Klinik GmbH in Bad Nauheim. Er zeigte in seinem Vortrag auf, wie relevant die Lymphologie in den unterschiedlichen medizinischen Fachbereichen ist. Für die Übernahme in die Curricula des Medizinstudiums seien zwar viele Hürden zu nehmen, aber auch Lösungsansätze greifbar. Er warb deshalb für eine aktive Mitarbeit in der Umsetzung dieser Ansätze. Sein Appell fand im Chat gleich Anklang. Befürworter und Ideengeber meldeten sich direkt zu Wort. Das zeigt einmal mehr: Netzwerken ist auch online sehr gut möglich.
Eigene Portfolios weiterentwickeln
„Welche Trends beeinflussen unser Geschäft mit der lymphologischen Versorgung?“ Dies war nur eine der Fragen, der sich Rainer Volkmer, Geschäftsführer Volkmer Management, in seinem Vortrag annäherte. Er gab eine Analyse der aktuellen Entwicklung der Lymphologie vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Veränderungen. Diese Erkenntnisse wurden im darauffolgenden Workshop vertieft sowie Ideen für die Weiterentwicklung des eigenen Portfolios in der lymphologischen Versorgung erstellt. Weitere berufsbezogene Workshops boten allen teilnehmenden Berufsgruppen die Gelegenheit, auf Grundlage von Impulsvorträgen aktuelle Themen zu diskutieren und neue Projekte zu entwickeln. Das Zukunftsthema „Chancen und Risiken der Digitalisierung und Telematik“ sowie das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz bildeten den Abschluss des fachlichen Tagungsteils.
Mit einem abwechslungsreichen, humorigen Vortrag „Gehirn unter Strom“ schloss Keynote-Speaker Prof. Dr. Volker Busch, Facharzt für Neurologie sowie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Regensburg, den Tag und gab dabei auch praktische Tipps zum Umgang mit Reizüberflutung und digitalem Alltagsstress. Parallel begleitete und bereicherte die Industrieausstellung den Campus-Tag mit virtuellen Präsentationen von Innovationen und Weiterentwicklungen im Bereich der (Kompressions-)Versorgung.
Mehr Evidenz in der Lymphologie
Im Gespräch mit der OT-Redaktion gibt der wissenschaftliche Leiter und 1. Vorsitzende des Vereins Dr. med. Ulrich Eberlein detaillierte Einblicke in die Veranstaltung und wagt auch einen Blick in die Zukunft der Lymphologie.
OT: Zum zweiten Mal fand der Campus-Kongress online statt: Wie war diese Erfahrung für Sie? Welche Vor- und Nachteile sehen Sie für Ihren Kongress?
Dr. med. Ulrich Eberlein: Natürlich fehlt bei einem solchen Format der persönliche Kontakt, das „Menschliche“, was ja bei einem Kongress neben dem fachlichen Austausch eine zentrale Rolle spielt. Ich persönlich sehe in Hybrid-Veranstaltungen die Zukunft. Ein Vorteil dieses Formats liegt in der Verfügbarkeit der Vorträge über einen längeren Zeitraum, sodass interessante Beiträge im Nachgang auch noch einmal abgerufen werden können.
OT: Forschung, Netzwerk, Praxis und Industriepartner: Das waren auch dieses Jahr die Eckpfeiler der Veranstaltung. Was ist Ihnen von dieser Veranstaltung besonders in Erinnerung geblieben?
Eberlein: Das Lymphologicum ist ja ein Verbund verschiedener Fachbereiche – Ärzt:innen, Physiotherapeut:innen, Fachhändler:innen: alle, die sich der Versorgung von Lymphpatient:innen verschrieben haben. Die Auswahl der Vorträge spiegelte genau dieses Spektrum wider. Es war sozusagen für jeden etwas dabei und jede Berufsgruppe konnte von der anderen etwas lernen. Besonders wichtig fand ich das Thema „Lymphologie im Medizinstudium“. Nur durch eine bessere Ausbildung kann die Versorgung der Patient:innen verbessert werden. Hier sehe ich einen der Schwerpunkte für die Zukunft der Lymphologie.
OT: „Wir schreiben das Jahr 2040“: Wie könnte aus Ihrer Vorstellung heraus zum einen die lymphologische Versorgung in der Zukunft aussehen – Stichwort „Digitalisierung“ – und zum anderen auf der politisch/regulatorischen Ebene?
Eberlein: Das ist eine spannende Frage. Wird es durch Eingriffe im Genpool keine primären, durch verbesserte OP-Methoden keine sekundären Lymphödeme mehr geben? Wird die Häufigkeit der Adipositas, heute eine häufige Ursache für Lymphödeme, durch bewusste Ernährung abnehmen? Werden operative Methoden (z. B. lympho-venöse Anastomosen) die konservative Therapie (Komplexe Physikalische Entstauungstherapie) verdrängen? Die Zukunft der Lymphologie liegt darin, durch Versorgungsforschung und wissenschaftliche Studien für mehr Evidenz in der Lymphologie zu sorgen und durch eine bessere Ausbildung von Ärzt:innen das Bewusstsein für dieses Krankheitsbild zu schärfen.
OT: Der Campus-Kongress 2023 ist bereits geplant. Was macht den Reiz Ihrer Veranstaltung aus? Was wünschen Sie sich dafür?
Eberlein: Darauf freue ich mich schon jetzt im Vorfeld und darf allen Teilnehmenden ein spannendes Programm versprechen. Neben Vorträgen wird es auch wieder Workshops mit praktischen Übungen geben. Ein Programmpunkt, den sicher viele bei Online-Veranstaltungen vermisst haben. Ich würde mich freuen, erneut viele Interessierte persönlich im nächsten Jahr zum Campus Lymphologicum begrüßen zu dürfen.
Der nächste Campus Lymphologicum findet am 5. und 6. Mai 2023 im CPH statt.
Die Fragen stellte Irene Mechsner.
Das Lymphologicum – Deutsches Netzwerk für Lymphologie e. V. – ist ein Verbund ambulant tätiger Ärzt:innen, Therapeut:innen, Fachhändler:innen sowie spezialisierter Netzwerke. Ziel des Vereins ist es, regionale ambulante Netzwerkstrukturen zu schaffen, Qualifizierungsmaßnahmen wie beispielsweise den jährlichen Campus-Kongress durchzuführen, Versorgungsforschungen anzustoßen und einen Informations- und Beratungsservice für betroffene Patient:innen und ihre Angehörigen anzubieten. Dazu publiziert der Verein die einmal im Quartal erscheinende Zeitschrift LYMPHOLIFE®. Sie richtet sich sowohl an betroffene Patient:innen als auch an am lymphologischen Krankheitsbild interessierte Menschen.
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