Medi­zin auf vier Pfoten

Nicht nur physisch, auch mental macht Assistenzhund Querido seine Besitzerin mobil. Er motiviert Sophia Brandner, aus dem Haus zu gehen, begleitet sie von A nach B, gibt ihr Sicherheit und stärkt ihr Selbstbewusstsein.

Zusam­men­ge­führt wur­den die bei­den 2017 durch den Frank­fur­ter Ver­ein VITA Assis­tenz­hun­de. Für die 21-Jäh­ri­ge, die eine cere­bra­le Bewe­gungs­stö­rung hat, hat sich seit­dem viel ver­än­dert. Was genau, das erzählt sie im Gespräch mit der OT-Redaktion.

OT: Was hat Sie und Ihre Eltern dazu bewo­gen, einen Assis­tenz­hund in Ihr Leben zu bringen? 

Sophia Brand­ner: Wenn man eine Behin­de­rung hat, bedeu­tet das, dass man immer viel mehr kämp­fen muss, um das Glei­che zu errei­chen wie Nicht-Behin­der­te. Das fing bei einem Kin­der­gar­ten­platz an, setz­te sich bei einem Platz in einer Regel-Grund­schu­le und spä­ter wei­ter­füh­ren­den Schu­le fort und betraf schließ­lich auch die Suche nach einem Aus­bil­dungs­platz und einer Arbeits­stel­le.  All das war ein Kampf. Lei­der mach­ten mir auch Mit­schü­ler das Leben schwer. Ich wur­de mit Papier­kü­gel­chen bewor­fen und aus­ge­grenzt. Ich war nie kör­per­li­cher Gewalt aus­ge­setzt, aber ich wur­de aus­ge­lacht und es wur­de über mich getu­schelt. Ab der Puber­tät wur­de ich mei­nen Mit­schü­le­rin­nen pein­lich, denn was wür­den wohl die Jungs und die ande­ren den­ken, wenn man mit einer Behin­der­ten befreun­det ist. Mir wur­de das Gefühl gege­ben, ich sei anders und ich gehö­re nicht dazu. Mit der Zeit hat mich das sehr run­ter­ge­zo­gen. Ich habe mich in mei­nem „Schne­cken­haus“ ver­kro­chen und mein Leben vor mich hin­ge­lebt. Ich habe zuhau­se den gan­zen Nach­mit­tag gelernt, weil ich dach­te, wenn ich gute Noten schrei­be, wer­de ich mehr akzep­tiert. Lei­der hat das nicht so geklappt, wie ich mir erhofft hat­te, eher das Gegen­teil war der Fall. Irgend­wann war ich dann auch in Behand­lung bei einer Psy­cho­lo­gin. Die The­ra­pie half mir zwar, aber ich fühl­te mich trotz­dem allein und wert­los. Da ich schon immer ein sehr gro­ßes Herz für Hun­de bzw. all­ge­mein für Tie­re hat­te, kamen mei­ne Eltern auf die Idee, mit VITA Kon­takt auf­zu­neh­men. Wofür ich ihnen sehr dank­bar bin, denn ohne Quer­ido wäre ich nie­mals die Sophia, die ich jetzt bin.

OT: Sowohl Ihre Moto­rik und Bewe­gungs­fä­hig­keit als auch Ihr Sprach­ver­mö­gen sind ein­ge­schränkt. Wel­che Auf­ga­ben oder Tätig­kei­ten fal­len Ihnen dadurch im All­tag schwer? Inwie­fern ist Quer­ido eine Unterstützung? 

Brand­ner: Län­ge­re Stre­cken zu Fuß sind für mich sehr anstren­gend bzw. nicht mach­bar. Hier­für neh­me ich mei­nen Roll­stuhl. In der Fein­mo­to­rik bin ich sehr ein­ge­schränkt. Schuh­bän­der bin­den fällt mir bei­spiels­wei­se sehr schwer. Gene­rell bin ich sehr schnell erschöpft im All­tag, z. B. durch die Arbeit, Frei­zeit und Ter­mi­ne. Durch mei­ne Ver­span­nun­gen habe ich auch Mus­kel­schmer­zen. Mir fällt es sehr schwer, in der Öffent­lich­keit zu spre­chen. Vor allem, wenn ich auf­ge­regt bin oder mich in einer für mich neu­en Situa­ti­on befin­de, spre­che ich undeut­li­cher. Frü­her trau­te ich mich z. B. nicht, beim Bäcker eine Bre­ze zu kau­fen, meist ver­stan­den mich die Ver­käu­fer und Ver­käu­fe­rin­nen nicht und muss­ten häu­fi­ger nach­fra­gen. Irgend­wann habe ich sol­che Situa­tio­nen gemie­den. Quer­ido kann zwar nicht für mich spre­chen, jedoch reicht allein sei­ne Anwe­sen­heit aus, dass ich mir mehr zutraue. Außer­dem muss ich mit Quer­ido auch kom­mu­ni­zie­ren, und so übe ich täg­lich, deut­lich zu spre­chen. Quer­ido hört mir immer zu. Quer­ido assis­tiert mir nicht nur, indem er mir bei­spiels­wei­se Stif­te auf­hebt, die mir run­ter­fal­len, son­dern er ist mein bes­ter Freund, der immer für mich da ist. Dadurch füh­le ich mich nie mehr allein. Wenn es mir schlecht geht, hilft mir nichts mehr, als Quer­ido zu strei­cheln. Sein ruhi­ges Atmen beru­higt mich, sodass ich auto­ma­tisch ruhi­ger wer­de, was wie­der­um auch mei­ne Mus­keln ent­spannt. Wenn ich trau­rig bin, will er mich immer zum Lachen brin­gen. In der Öffent­lich­keit wer­fen mir vie­le Leu­te blö­de Bli­cke zu oder geben dum­me Kom­men­ta­re bezüg­lich mei­ner Gang­art oder Ähn­li­ches ab. Durch Quer­ido hat sich das sehr gebes­sert, da die meis­ten nur noch mei­nen „süßen“ Hund wahr­neh­men und mei­ne Behin­de­rung somit in den Hin­ter­grund rückt. Dadurch kom­me ich mit viel mehr Leu­ten ins Gespräch.

OT: Wel­chen Ein­fluss hat Quer­ido über sei­nen „ver­ord­ne­ten Zweck“ hinaus? 

Brand­ner: Quer­ido schenkt mir Lebens­freun­de. Durch ihn habe ich viel mehr – auch men­ta­le – Ener­gie. Mor­gens steht er wedelnd vor mir und freut sich auf den Tag. Sei­ne gute Lau­ne steckt mich an. Ich wer­de gebraucht und habe die Ver­ant­wor­tung für ihn. Das tut mir gut. Quer­ido gibt mir Sicher­heit und för­dert mein Selbst­be­wusst­sein. Ich weiß inzwi­schen, dass ich nicht wert­los bin und genau­so das Recht habe, akzep­tiert zu wer­den wie ande­re. Quer­ido ist mein bes­ter Freund. Er ist mei­ne Medi­zin auf vier Pfoten.

OT: Ist ein Assis­tenz­hund tat­säch­lich ein Hilfs­mit­tel oder eher ein Hel­fer, ein Begleiter? 

Brand­ner: Hilfs­mit­tel klingt sehr gegen­ständ­lich und sach­lich, daher wür­de ich Quer­ido nicht als Hilfs­mit­tel bezeich­nen. Ich fin­de, das Wort spie­gelt nicht die Bin­dung zwi­schen Assis­tenz­hund und sei­nem Team­part­ner wider. Und genau die­se Bin­dung ist wich­tig, damit das Mensch-Hund-Team funk­tio­niert. Wir bezeich­nen uns auch als Team. „Hilfs­mit­tel“ klingt kalt und emo­ti­ons­los. Alle VITA-Teams, also Mensch und Hund, haben eine sehr star­ke Bin­dung, des­halb nen­nen wir unse­re Hun­de lie­be­voll unse­re Hel­fer und Beglei­ter. Der Hund ist unser bes­ter Freund.

OT: Gibt es auch Gren­zen, also Din­ge, bei denen Quer­ido Sie nicht aus­rei­chend unter­stüt­zen kann? 

Brand­ner: In die Real­schu­le durf­te ich Quer­ido nicht mit­neh­men, weil es die Klas­sen­leh­re­rin nicht erlaub­te. Es fiel mir sehr schwer, dort allei­ne hin­zu­ge­hen. Lei­der kann Quer­ido nicht schrei­ben oder Schuh­bän­der bin­den und mich nicht im Roll­stuhl schie­ben. Aber durch die emo­tio­na­le Unter­stüt­zung, die er mir gibt, fal­len mir sol­che Sachen leich­ter, und es ist gar nicht so schlimm, dass er das nicht kann.

OT: Wel­che Rol­le spielt der Assis­tenz­hund für Ihre Mobilität? 

Brand­ner: Ich füh­le mich durch ihn siche­rer und traue mich mehr Din­ge mit ihm. Durch das regel­mä­ßi­ge Gas­si gehen blei­be ich im Trai­ning. Dadurch habe ich mir im Lau­fe der Jah­re mehr Kon­di­ti­on antrai­niert und bin des­halb zu einem Teil auch ohne Roll­stuhl mobiler.

OT: Apro­pos Roll­stuhl: Gibt es Din­ge, die bei der Ver­sor­gung von Men­schen mit Assis­tenz­hund beach­tet wer­den müssen? 

Brand­ner: Der Assis­tenz­hund lernt, am Roll­stuhl zu lau­fen. Natür­lich pas­sen wir Roll­stuhl­fah­rer auf die Pfo­ten der Hun­de auf, doch der Hund ist dar­auf sen­si­bi­li­siert und weiß, wo er lau­fen kann, um den Roll­stuhl­fah­rer und sich selbst nicht in Gefahr zu brin­gen. Uns wur­de bei VITA auch bei­gebracht, immer die Brem­sen am Roll­stuhl zu zie­hen, damit der Roll­stuhl nicht ins Rol­len gerät, wenn man im Ste­hen mit dem Hund arbei­tet. Da ich zu einem klei­nen Teil auch Fuß­gän­ger bin, kann Quer­ido bei­des: „Fuß“ lau­fen am Roll­stuhl und neben mir als Fuß­gän­ger. Das wird bei VITA spe­zi­fisch für den mensch­li­chen Team­part­ner trainiert.

OT: Passt sich der Hund dem Hilfs­mit­tel an oder muss – im Gegen­teil – auch das Hilfs­mit­tel pas­send gemacht werden? 

Brand­ner: Der Hund lernt sehr schnell, sich einem Hilfs­mit­tel anzu­pas­sen. Bei­spiels­wei­se gab es bei VITA einen Assis­tenz­hund, der rechts vom Roll­stuhl­fah­rer lief, da der Roll­stuhl­fah­rer den Joy­stick sei­nes Roll­stuhls nur mit der lin­ken Hand bedie­nen konn­te, so lern­te der Assis­tenz­hund, auf der rech­ten Sei­te des Roll­stuhls zu lau­fen. Im Nor­mal­fall läuft jeder VITA-Assis­tenz­hund links neben dem Besit­zer. In der soge­nann­ten Zusam­men­füh­rung wird das gelernt.

Die Fra­gen stell­te Pia Engelbrecht.

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