Ätiologie und Pathogenese
Epicondylitis humeri radialis („Tennisellenbogen“) und ulnaris („Golferellenbogen“) sind schmerzhafte fibroblastische Tendinosen (degenerativer Natur) des Sehnenansatzgewebes der Extensoren- bzw. Flexorengruppe. Die Erkrankung tritt in der Regel zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr auf, wobei der Median um das 40. Lebensjahr liegt 1.
Ursächlich ist eine sportliche oder berufliche Überlastung der Handgelenksextensoren (radial) bzw. ‑flexoren (ulnar). Bei folgenden Sportarten kann es unter anderem zum Auftreten einer Epicondylitis kommen: Golf, Tennis, Squash, Baseball, Bowling, Bogenschießen, Gewichtheben, Schwimmen und Rudern 2 3 4 5 6. Mit der Entstehung einer Epicondylitis assoziierte Berufe sind Tätigkeiten in der Fleischverarbeitung sowie als Schreiner und Klempner, bei denen gehäuft repetitive Unterarm‑, Handgelenk- und Handbewegungen ausgeführt werden 7. Infolge oben genannter Überbeanspruchung kommt es zu einer exzentrischen Kontraktion der intrinsischen Muskulatur 8 sowie zu einer repetitiven konzentrischen Kontraktion; dies führt dann zu degenerativen Veränderungen in der muskulotendinösen Region. In seltenen Fällen ist eine Epicondylitis traumatisch bedingt, beispielsweise durch ein direktes Anpralltrauma 9.
Makroskopische Veränderungen am Muskel-Sehnen-Ansatz des Epicondylus (erkennbar als gräulich verfärbtes, ödematös verändertes Gewebe) entstehen durch Mikrorisse, die bei fehlenden reparativen Prozessen ein Fortschreiten der Sehnendegeneration begünstigen. Hierbei sind partielle bzw. komplette Risse des Muskel-Sehnen-Ansatzes möglich 10. Die histomorphologischen Veränderungen zeigen sich als vaskuläre Hyperplasie mit einem erhöhtem Fibroblastenanteil sowie granulationsähnlichem, degenerativem Gewebe 11, was in der Vergangenheit als „angiofibroplastische hyperplastische Tendinose“ beschrieben wurde 12.
Abgesehen vom Frühstadium, in dem sich histologisch durchaus Zeichen einer akuten Entzündungsreaktion nachweisen lassen, fehlt das mikroskopische Korrelat einer Inflammation bei der Epicondylitis 13. Die Einteilung der strukturellen Veränderungen erfolgt nach Nirschl in drei Stadien 14 (Tab. 1).
Die Prognose der medialen Epicondylitis ist mit einer Genesungsrate von 81 % innerhalb von drei Jahren günstig 15. Allerdings muss angemerkt werden, dass die Erkrankung in der Regel Berufstätige betrifft, die dadurch in ihrer Arbeit zum Teil eine große Einschränkung erfahren.
Biomechanik
Als Ursache für die Epicondylitis wird eine wiederholte Überlastung des Handgelenks und des Ellenbogens gesehen. Die laterale Epicondylitis kommt bei einer Kombination von kraftvollen und sich wiederholenden Bewegungen häufiger vor 16.
Arbeitsplatzbezogene Risikofaktoren wurden in einem Review von van Rjin et al. untersucht, wobei sich zeigte, dass die laterale Epicondylitis mit dem Umgang mit Werkzeug (> 1 kg), dem Heben von Lasten (> 20 kg, mindestens 10-mal/Tag), sich wiederholenden Bewegungen (> 2 Std.), geringer Entscheidungsfreiheit am Arbeitsplatz und geringer sozialer Unterstützung assoziiert war 17. In einer Studie von Murray-Leslie aus dem Jahr 1976 wurde auch ein gehäuftes Auftreten der lateralen Epicondylitis bei vorliegendem Karpaltunnelsyndrom (33 %: 14 von 43 Patienten) im Vergleich zur Kontrollgruppe (7 %: 3 von 43 Patienten) beobachtet 18.
Biomechanische Analysen des Ellenbogengelenkes bei Sportlern – verdeutlicht am Beispiel der Baseballwerfer – haben während der Wurfbewegung hohe Winkelgeschwindigkeiten und einen extremen Valgusstress mit hoher Belastung auf das mediale Kollateralband sowie die muskulotendinösen Strukturen ergeben. Die Kraftübertragung erfolgt hierbei über die Muskelflexoren auf das mediale Kollateralband 19. Beim Golfspiel kommt es bei inkorrekter Technik, nachdem der Schläger nach der Ausholbewegung auf den Ball „geschlagen“ wird (engl. „bitting from the top“) zu Valgusstress am medialen Epicondylus des dominanten Armes, was zu Überlastungssymptomen führt 20 21. Bei Tennisspielern konnten Morris et al. mit elektromyographischen Untersuchungen zeigen, dass sowohl beim Vorhandaufschlag als auch beim Überkopfaufschlag die höchste Muskelaktivität im Bereich der Flexoren-Pronatoren-Gruppe besteht, insbesondere beim M. pronator teres 22.
Klinische Symptome
Klinisch imponieren Belastungsschmerzen, Ruhe und Nachtschmerzen sowie ggf. ein umschriebener Druckschmerz im Bereich des medialen bzw. lateralen Epicondylus. Gelegentlich kann eine lokale Schwellung und Überwärmung 23 bestehen. Meistens treten keine Einschränkungen der Beweglichkeit des Ellenbogens auf. Durch die Schmerzen besteht aber oft eine Schwäche des Handgelenks durch die Schmerzinhibition. Durch spezifische Provokationstests kann die Verdachtsdiagnose erhärtet werden. Hierbei kommt es zum Auftreten von Schmerzen im Falle der lateralen Epicondylitis bei:
- isometrischer Extension des Handgelenks,
- isometrischer Extension des dritten Fingers,
- passiver Extension des Handgelenks und gestrecktem Ellenbogen sowie
- passiver Extension des Mittelfingers und gestrecktem Ellenbogen.
Bei der medialen Epicondylitis werden korrespondierende Provokationstests für die Flexorengruppe verwendet.
Bildgebung – apparative Diagnostik
Arthrosonographische Untersuchungen des Ellenbogens sind wenig zielführend für die Diagnostik einer Epicondylitis. In Einzelfällen lässt sich eine Verdickung des Nervus ulnaris durch einen geübten Untersucher darstellen 24. Es empfiehlt sich eine Röntgenuntersuchung des Ellenbogens in zwei Ebenen. Hierbei lassen sich bei einem Fünftel der Patienten Exostosen im Gebiet der Epikondylen darstellen 25. Bei Wurfsportlern können sogenannte „traction spurs“ sowie eine Verkalkung des medialen Kollateralbandes nachweisbar sein 26. Partielle oder komplette Rupturen der ansetzenden Muskeln sowie ein Ödem und ggf. eine Kontrastmittelanreicherung sind mit dem MRT zu diagnostizieren 27 28.
Jedoch ist bei 50 % der asymptomatischen Patienten ein Ödem der Ansatzzone im MRT festzustellen 29. Somit besteht vermutlich keine Korrelation bei einer Tendinose (nicht Ruptur) zwischen der Ausprägung der Pathomorphologie im MRT und den klinischen Beschwerden. Eine (Teil-)Ruptur ist allerdings ein auch klinisch relevanter Befund.
Differentialdiagnosen
Differentialdiagnostisch kommen Instabilitäten des Ellenbogens (posttraumatisch, postinterventionell), eine Verletzung der Kollateralbänder, Neoplasien, Bursitiden, Morbus Panner (Osteonekrose des Capitulum humeri), Morbus Hegemann (Osteonekrose der Trochlea humeri), ein Nervus-ulnaris-Kompressionssyndrom oder ein Zervikalsyndrom in Betracht. Intraartikulär können freie Gelenkkörper, eine Osteochondrosis dissecans oder osteochondrale Schäden ursächlich für die Beschwerden sein 30. Diese sollten ebenfalls ausgeschlossen werden.
Konservative Therapie
Die Erkrankung ist selbstlimitierend und die konservative Therapie bei > 85 % erfolgreich. Es wird angenommen, dass bei den 5 bis 15 % der Patienten, bei denen die Beschwerden persistieren (konservative Therapieversager), dies aufgrund einer ungenügenden Reduktion der Noxe und einer nicht konsequent durchgeführten Rehabilitation oder aufgrund der Nichtbeachtung präventiver Maßnahmen auftritt 31.
Die Basistherapie weist nur eine geringe bis keine Evidenz auf. Die strikte Meidung der auslösenden Aktivität ist notwendig, wobei eine länger andauernde vollständige Ruhigstellung über zwei Wochen hinaus aufgrund der Kontrakturgefahr durch eine Muskelatrophie nicht empfohlen wird.
Zur Basistherapie gehören:
- auslösende Noxe erkennen und meiden
- Verbesserung der Sporttechnik (Golf, Schwimmen etc.)
- kurzfristige Ruhigstellung – ggf. Oberarm-Castlonguette, alternativ Gilchristverband (maximal 1 bis 2 Wochen mit täglichem Durchbewegen)
- topische Diclofenac-Applikation
- Orthesen (Epicondylitisspange), besser: Handgelenksorthese 32
- Antiphlogistika 33
- physikalische Therapie (Kryotherapie, Elektrotherapie, Iontophorese, Röntgenreizbestrahlung)
- Physiotherapie: exzentrisches Dehnen 34
- Manualtherapie (auch der HWS)
- Akupunktur 35
In Anlehnung an die Behandlung der Tendinopathie der Achillessehne und der Patellarsehne sollte physiotherapeutisch exzentrisch gedehnt werden. Nach Stanish et al. sollten 3 × 15 Wiederholungen pro Tag durchgeführt werden 36. Weitere physiotherapeutische Maßnahmen (Iontophorese, Dehnungsübungen, Manualtherapie) sowie die tiefe Querfriktion nach Zyriax zeigen keine signifikante Verbesserung, jedoch eine Tendenz zu einer klinisch relevanten Schmerzreduktion von ca. 22 % 37.
Die Aufklärung des Patienten über den langen Therapieverlauf von 12 bis 20 Wochen ist hierbei essentiell. Die Behandlung sollte täglich konsequent mit einem Gewicht von 60 bis 80 % der möglichen Muskelkraft erfolgen.
Kortisoninjektionen sollten nur einmalig peritendinös appliziert werden und können kurzfristig (sechs Wochen) zuverlässig schmerzlindernd wirken sowie die Greiffunktion verbessern. Kortison kann die Degeneration der Sehnen fördern und zu subkutanen Fettgewebsnekrosen führen 38. Die Effekte sind jedoch mittel- und langfristig (sechs Monate) sowohl für die mediale als auch für die laterale Epicondylitis nicht mehr nachzuweisen 39 40. Mehrfache Kortisoninjektionen können den Heilverlauf sogar bis auf über ein Jahr verlängern, was in Metaanalysen gezeigt wurde 41 42 43 44 45.
Neben der Basistherapie existiert eine Vielzahl neuerer Therapieverfahren:
- Applikation von plättchenreichem Plasma (PRP)
- Prolotherapie — Infiltration mit Botulinum-Neurotoxin (BoNT)
- Injektion mit Hyaluronsäure
- Extrakorporale Stoßwellentherapie (EKST)
Die PRP-Therapie zeigt in den vorliegenden Studien, die zumeist für die laterale Epicondylitis durchgeführt wurden, einen verzögerten Wirkungseintritt mit einer anschließend möglichen Beschwerdefreiheit, die bis zu einem Jahr nach der Applikation anhielt 46. Die Prolotherapie – die Injektion hyperosmolarer Glucoselösung mit einem Lokalanästhetikum – zeigte eine Verbesserung gegenüber einem Placebo erst nach sechs Monaten 47 48. Die Injektion von Botulinumtoxin, die zu einer reversiblen Paralyse der Muskulatur führt, kann zu einer kurzfristigen Schmerzreduktion führen 49.
Für eine Injektion mit Hyaluronsäure, die im Vergleich zum Placebo die Schmerzen kurzfristig und auch bis zu einem Jahr reduziert, sind 2 bis 5 Injektionen in wöchentlichem Abstand notwendig 50. Die EKST zeigt eine Tendenz zur Verbesserung der Behandlung bei therapieresistenten Beschwerden und kann somit auch zurückhaltend eingesetzt werden 51.
Orthopädische Orthesen wie eine Epicondiylitisspange (Abb. 1) oder eine Handgelenksorthese (Abb. 2) können die neuromuskuläre Aktivierung und die mechanische Beanspruchung der Muskulatur verringern 52 53 54 55. Sie zeigen zudem einen klinisch kurzfristigen Therapieerfolg 56, jedoch existiert hierfür keine statistische Signifikanz 57. Die Kombination von Dehnungsübungen und Unterarmorthese scheint zu besseren Behandlungsergebnissen zu führen 58.
Operative Therapie
Die operative Therapie kommt erst bei einem Nichtansprechen der konservativen Maßnahmen in Betracht. Eine operative Intervention sollte erst nach einem Zeitraum von 6 bis 12 Monaten und bei hohem Leidensdruck der Patienten erfolgen, da in diesem Zeitraum die Symptome bei einem Großteil der Patienten rückläufig sind.
Prinzip des Eingriffs:
- Exzision pathologisch veränderten Sehnengewebes
- Verstärkung der lokalen Durchblutung (Knochenanbohrung), um die Heilung zu stimulieren
- Rekonstruktion des Sehnenansatzes am Epicondylus
- Refixation/Verschluss eines Sehnendefekts
- Begleittherapie von Nervenkompression oder Bandinstabilität
Um Leistungssportlern frühzeitig die Rückkehr zu ermöglichen, kann eine operative Therapie erfolgen 59. Durch eine Ellenbogenarthroskopie können des Weiteren Begleitpathologien diagnostiziert und ggf. behandelt werden 60.
Ausblick
Die Deutsche Vereinigung für Schulter- und Ellenbogenchirurgie (DVSE) führt aktuell eine randomisiert prospektive Studie zur konservativen Therapie der Epicondylitis durch, die eine Gruppe mit Krankengymnastik und eine weitere mit einer Kombination aus Krankengymnastik und Orthese untersucht.
Interessenkonflikt
Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Für die Autoren:
Dr. med. Julian Dexel
Universitätscentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie
Universitätsklinikum
Carl Gustav Carus Dresden
Fetscherstr. 74, 01307 Dresden
Julian.Dexel@uniklinikum- dresden.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Kategorie 1 | Kategorie 2 | Kategorie 3 | |
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Klinik | moderate Beschwerden bei schwerer Belastung | Ruhe- und Belastungsschmerzen, nach Ruhigstellung Symptombesserung | Ruhe- und Belastungsschmerzen, Nachtschmerzen, keine Symptombesserung nach Ruhigstellung |
Pathologie | akute Inflammation, keine angiofibroblastischen Veränderungen | partielle angiofibroblastische Veränderungen | ausgeprägte angiofibroblastische Veränderungen, Partial- oder Komplettruptur der Sehnen |
Therapie | konservativ | konservativ | operativ |
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