Kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie bei osteo­po­ro­ti­schen Frak­tu­ren der Wir­bel­säu­le – Indi­ka­ti­on, Durch­füh­rung und Grenzen

H. Siekmann, D. Adler
Osteoporotische oder osteoporoseassoziierte Wirbelkörperfrakturen treten aufgrund der stetig älter werdenden Gesellschaft in zunehmender Zahl auf und stellen eine nicht unerhebliche ökonomische Belastung dar. Handelt es sich hierbei um „benigne“ Frakturen (AO Typ A) ohne akute neurologische Defizite, stehen dem behandelnden Arzt prinzipiell zwei Therapieoptionen zur Verfügung (konservative Therapie vs. operative Therapie). Voraussetzung für eine adäquate Therapieentscheidung ist eine vollständige Diagnostik (Anamnese und bildgebende Verfahren sowie Knochendichtemessung). Anschließend muss der Patient in die Entscheidung einbezogen und über beide Therapiealternativen ausführlich aufgeklärt werden, um juristische Konsequenzen im Falle eingetretener Komplikationen zu vermeiden. Indikation, Durchführung und Grenzen der konservativen Frakturbehandlung bei osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen werden in diesem Artikel unter Würdigung der aktuellen Literatur besprochen.

Ein­lei­tung

Osteo­po­ro­se wird als sys­te­mi­sche Ske­lett­er­kran­kung mit ver­min­der­ter Kno­chen­mas­se, ver­än­der­ter Mikro­ar­chi­tek­tur des Kno­chens und resul­tie­ren­dem Sta­bi­li­täts­ver­lust mit erhöh­ter Frak­tur­nei­gung defi­niert 1 2 3 4. Die kon­ti­nu­ier­lich stei­gen­de Zahl osteo­po­ro­ti­scher Wir­bel­kör­per­frak­tu­ren stellt medi­zi­nisch eine der größ­ten sozio­öko­no­mi­schen Her­aus­for­de­run­gen unse­rer Zeit dar; allei­ne in Deutsch­land sind ca. 3 Mio. Men­schen von osteo­po­ro­se­be­ding­ten Frak­tu­ren der Wir­bel­säu­le betrof­fen 5 2. Dane­ben begüns­tigt die Osteo­po­ro­se Extre­mi­tä­ten- und Becken­frak­tu­ren (vor allem Steiß­beinfrak­tu­ren) des alten Men­schen im Rah­men von Nied­rig­ener­gie-Trau­ma­ta, z. B. im Rah­men von Stür­zen auf der Ebe­ne, die ansons­ten nicht mit einer Frak­tur ein­her­ge­hen würden.

Die ope­ra­ti­ve Ver­sor­gung osteo­po­ro­ti­scher Frak­tu­ren sowohl am Stamm­ske­lett als auch der Extre­mi­tä­ten erfor­dert häu­fig wei­ter­füh­ren­de Ope­ra­ti­ons­tech­ni­ken (z. B. Zemen­t­aug­men­ta­ti­on der Pedi­kel­schrau­ben über der Wir­bel­säu­le oder zemen­tier­te Endo­pro­the­sen­im­plan­ta­tio­nen an den Extre­mi­tä­ten), die ein zusätz­li­ches Ope­ra­ti­ons­ri­si­ko (z. B. Zemen­t­embo­lie) ber­gen und die Ope­ra­ti­ons­zeit verlängern.

Soweit kei­ne Kon­tra­in­di­ka­tio­nen (z. B. WK-Frak­tur mit neu­ro­lo­gi­schen Defi­zi­ten, offe­ne Frak­tu­ren der Extre­mi­tä­ten etc.) bestehen, stellt die kon­ser­va­ti­ve Frak­tur­be­hand­lung immer eine The­ra­pie­op­ti­on dar, wobei eine lang­fris­ti­ge Immo­bi­li­sa­ti­on der Pati­en­ten mit den bekann­ten Kom­pli­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten (wie Pneu­mo­nie, Throm­bo­se, Embo­lie etc.) ver­mie­den wer­den muss.

Kenn­zah­len zur Osteoporose

Die Prä­va­lenz (Krank­heits­häu­fig­keit in einer bestimm­ten Popu­la­ti­on) der Osteo­po­ro­se nach WHO-Defi­ni­ti­on mit ernied­rig­ter Kno­chen­dich­te­mes­sung (DXA T‑Wert < ‑2,5) liegt bei post­me­no­pau­sa­len Frau­en im Alter von 55 Jah­ren bei ca. 7 % und steigt auf 19 % im Alter von 80 Jah­ren an. Die jähr­li­che Inzi­denz osteo­po­ro­ti­scher Wir­bel­kör­per­frak­tu­ren bei Frau­en im Alter zwi­schen 50 und 79 Jah­ren liegt bei etwa 1 %, bei gleich­alt­ri­gen Män­nern um 0,6 % 1. Ent­spre­chend der bekann­ten Geschlech­ter­ver­tei­lung bei Osteo­po­ro­se han­delt es sich in der Mehr­zahl (mehr als zwei Drit­tel) der Fäl­le bei osteo­po­ro­se­as­so­zi­ier­ten Wir­bel­kör­per­frak­tu­ren um Frau­en jen­seits des 65. Lebensjahres.

Alters­trau­ma­to­lo­gie

Die Ein­füh­rung mini­mal­in­va­si­ver Ope­ra­ti­ons­tech­ni­ken (Ver­te­bro­plas­tie und spä­ter Bal­lon­ky­pho­plas­tie) führ­te in den letz­ten Jah­ren zu ste­tig stei­gen­den Zah­len der ope­ra­ti­ven Inter­ven­tio­nen bei „ein­fa­chen“ Wir­bel­kör­per­frak­tu­ren ohne Betei­li­gung der für die Sta­bi­li­tät ent­schei­den­den Wir­bel­kör­per­hin­ter­kan­te. Die demo­gra­phi­sche Ent­wick­lung mit zuneh­mend älte­ren Men­schen und die zuneh­men­de Lebens­er­war­tung las­sen für die Zukunft wei­ter stei­gen­de Zah­len osteo­po­ro­se­as­so­zi­ier­ter Frak­tu­ren erwar­ten. Die soge­nann­te Alters­trau­ma­to­lo­gie rückt ver­stärkt in den Fokus der behan­deln­den Ärz­te und ver­langt ein inter­dis­zi­pli­nä­res Zusam­men­ar­bei­ten, um den Beson­der­hei­ten des „alten Pati­en­ten“ gerecht zu wer­den. Aktu­ell wird allei­ne die Zahl der neu auf­tre­ten­den osteo­po­ro­se­as­so­zi­ier­ten Wir­bel­kör­per­frak­tu­ren welt­weit mit jähr­lich 1,4 Mio. ange­ge­ben 1; für die Zukunft wird mit einem wei­te­ren Anstieg der Zah­len und der ope­ra­ti­ven Inter­ven­tio­nen gerechnet.

Lite­ra­tur zur The­ra­pie osteo­po­ro­ti­scher Wirbelkörperfrakturen

Aktu­ell kann in der gän­gi­gen Lite­ra­tur kein Kon­sens über die Vor­tei­le der ope­ra­ti­ven Ver­sor­gung sta­bi­ler osteo­po­ro­ti­scher Wir­bel­kör­per­frak­tu­ren (AO Typ-A-Frak­tu­ren) mit­tels allei­ni­ger Kypho­plas­tie im Ver­gleich zur kon­ser­va­ti­ven The­ra­pie im Lang­zeit­ver­gleich gefun­den wer­den 6 7 8 9 10. Des Wei­te­ren ist bis­her nicht all­ge­mein ver­bind­lich gere­gelt, in wel­chen Fäl­len eine allei­ni­ge Kypho­plas­tie des frak­tu­rier­ten Wir­bel­kör­pers zur Frak­tur­ver­sor­gung aus­reicht und wann eine addi­ti­ve dor­sa­le Instru­men­tie­rung (gege­be­nen­falls auch mini­mal­in­va­siv per­ku­tan) der hin­te­ren Säu­le mit­tels Schrau­ben-Stab-Sys­tem not­wen­dig ist (B- und C‑Komponente der Frak­tur, Betei­li­gung der Kor­pushin­ter­wand) und über wie vie­le Seg­men­te gege­be­nen­falls die Instru­men­tie­rung zu erfol­gen hat. Lang­stre­cki­ge Instru­men­tie­run­gen über meh­re­re Seg­men­te über- und unter­halb des gebro­che­nen Wir­bel­kör­pers füh­ren zu einer deut­lich erhöh­ten Last­über­tra­gung auf die benach­bar­ten Wir­bel­säu­len­seg­men­te durch die „lan­gen Hebel“ der fusio­nier­ten Wirbelsäulensegmente.

Befür­wor­ter und Kon­tra­hen­ten der ope­ra­ti­ven und kon­ser­va­ti­ven The­ra­pie­re­gime stüt­zen sich zur Unter­maue­rung der jeweils favo­ri­sier­ten The­ra­pie­op­tio­nen auf kon­trä­re Lite­ra­tur­zi­ta­te, obwohl dies­be­züg­lich qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Stu­di­en rar sind und teil­wei­se negiert wer­den 11 12. Nach Stu­di­en von Kall­mes 9 und Buch­bin­der 7 8 konn­ten kei­ne Vor­tei­le der Ver­te­bro­plas­tie gegen­über der kon­ser­va­ti­ven The­ra­pie ermit­telt wer­den. Boo­nen 6 und Ward­law 10 berich­te­ten über eine effek­ti­ve Schmerz­re­duk­ti­on mit Sen­kung des Schmerz­mit­tel­be­dar­fes bei gleich­zei­ti­ger Stei­ge­rung des post­ope­ra­ti­ven Akti­vi­täts­ni­veaus und damit der sub­jek­ti­ven Lebens­qua­li­tät nach statt­ge­hab­ter Kyphoplastie.

Nach der Leit­li­nie der AMWF (Arbeits­ge­mein­schaft der Wis­sen­schaft­li­chen Medi­zi­ni­schen Fach­ge­sell­schaf­ten), die als Refe­renz in Deutsch­land gül­tig ist, soll­te eine Kypho­plas­tie erst nach frus­tra­nem kon­ser­va­ti­vem The­ra­pie­ver­such über drei Wochen erfol­gen; dege­ne­ra­ti­ve Wir­bel­säu­len­ver­än­de­run­gen müs­sen als mög­li­che Beschwer­de­ur­sa­che berück­sich­tigt wer­den, und es soll­te eine doku­men­tier­te, inter­dis­zi­pli­nä­re Fall­dis­kus­si­on vor­lie­gen, wobei letz­te­re im kli­ni­schen All­tag nicht regel­haft durch­ge­führt wird. Hier wird eben­falls über zwei Stu­di­en berich­tet, wobei eine Schein­ope­ra­ti­on zu ähn­li­cher Schmerz­lin­de­rung wie eine Ver­te­bro­plas­tie führ­te, Lang­zeit­er­fah­run­gen zu Nut­zen und Risi­ko feh­len und die Daten­la­ge bezüg­lich Fol­ge­frak­tu­ren eher inkon­sis­tent ist 13.

Dia­gnos­tik

Pati­en­ten mit unspe­zi­fi­schen oder chro­ni­schen Rücken­schmer­zen stel­len sich in nicht uner­heb­li­cher Zahl in ortho­pä­di­schen Pra­xen und bei den Haus­ärz­ten vor. Die Dia­gnos­tik beginnt mit einer aus­führ­li­chen Ana­mne­se zur Eva­lua­ti­on der Begleit­erkran­kun­gen und der ein­ge­nom­me­nen Medi­ka­ti­on (z. B. lang­jäh­ri­ge Kor­ti­son­ein­nah­me), um mög­li­che Risi­ko­fak­to­ren zu erfas­sen. Anschlie­ßend folgt eine aus­führ­li­che kör­per­li­che Unter­su­chung, da nicht alle radio­lo­gisch nach­ge­wie­se­nen Wir­bel­kör­per­frak­tu­ren frisch und damit sym­pto­ma­tisch (Klopf­schmerz) sind und einer The­ra­pie bedür­fen. Labor­che­misch ist eben­falls eine Rei­he von Para­me­tern (Kal­zi­um, Alka­li­sche Phos­phat­a­se, CRP, Eiweiß-Elek­tro­pho­re­se etc.) zu untersuchen.

Bild­ge­ben­de Stan­dard­dia­gnos­tik ist die nativ­ra­dio­lo­gi­sche Dar­stel­lung des betrof­fe­nen Wir­bel­säu­len­ab­schnit­tes in zwei Ebe­nen. Bei dia­gnos­ti­zier­ter Frak­tur (Abb. 1) soll­te bei Ver­dacht auf eine alte Wir­bel­kör­per­frak­tur zusätz­lich nativ­ra­dio­lo­gisch eine Hypo­moch­li­onauf­nah­me (Abb. 2) im Lie­gen ange­fer­tigt wer­den, um ers­te Hin­wei­se auf eine mög­li­che Wir­bel­kör­perpseud­arthro­se zeit­nah zu erhal­ten. Wei­ter­füh­rend wird mit­tels Magnet­re­so­nanz­to­mo­gra­fie (MRT) geklärt, ob es sich um eine fri­sche Frak­tur han­delt (Stei­ge­rung der Inten­si­tät in den STIR- oder TIRM-Sequen­zen) (Abb. 3) und ob mög­li­cher­wei­se liga­men­tä­re Struk­tu­ren ver­letzt sind, um eine mög­li­che B- oder C‑Verletzung (nach AO: Arbeits­ge­mein­schaft Osteo­syn­the­se) der Wir­bel­säu­le nicht zu über­se­hen. Gege­be­nen­falls wird die Dia­gnos­tik mit­tels Com­pu­ter­to­mo­gra­fie (CT) ver­voll­stän­digt, um die Frak­tur­form exakt eva­lu­ie­ren und klas­si­fi­zie­ren zu kön­nen. Ech­te Ope­ra­ti­ons­in­di­ka­tio­nen sind Ber­s­tungs­frak­tu­ren der Wir­bel­kör­per sowie B- und C‑Verletzungen der Wir­bel­säu­le 14.

Prä- oder pro­blem­los auch post­ope­ra­tiv soll­te die Osteo­po­ro­se­dia­gnos­tik mit­tels Kno­chen­dich­te­mes­sung (DXA: Dual Ener­gy X‑ray Absorp­tio­me­try) ver­voll­stän­digt und medi­ka­men­tös mit Cal­ci­um- und Vit­amin-D-Prä­pa­ra­ten sowie gege­be­nen­falls Bis­phos­pho­na­ten behan­delt wer­den. Hier­bei ist zu beach­ten, dass durch Sin­te­run­gen von Wir­bel­kör­pern falsch hohe Wer­te bezüg­lich der Kno­chen­dich­te ermit­telt wer­den kön­nen, so dass frak­tu­rier­te Wir­bel­kör­per nicht in die Beur­tei­lung ein­be­zo­gen wer­den sollten.

Ent­schei­dungs­fin­dung bezüg­lich der adäqua­ten Therapie

Die Wahl der geeig­ne­ten The­ra­pie­form soll­te pati­en­ten­spe­zi­fisch und immer wie­der indi­vi­du­ell an den jewei­li­gen Pati­en­ten ange­passt erfol­gen, wobei unter­schied­li­che Aspek­te beach­tet wer­den müs­sen. Hier­bei ist der Ver­weis dar­auf wich­tig, dass es sich bei den im Fol­gen­den beschrie­be­nen Frak­tu­ren um „benig­ne“ Frak­tu­ren (AO Typ A) ohne neu­ro­lo­gi­sche Defi­zi­te und damit nicht um Not­fall­pa­ti­en­ten han­delt und dass die Frak­tur­for­men nicht hoch­gra­dig insta­bil (B- und C‑Verletzungen der Wir­bel­säu­le) sind.

Pati­en­ten mit osteo­po­ro­ti­schen Sin­te­rungs­frak­tu­ren der Wir­bel­säu­le oder osteo­po­ro­se­as­so­zi­ier­ten Wir­bel­kör­per­kom­pres­si­ons­frak­tu­ren nach Baga­tell­trau­ma­ta sind häu­fig jen­seits des 65. Lebens­jah­res und haben nicht sel­ten meh­re­re Begleit­erkran­kun­gen, auch in Kom­bi­na­ti­on (Dia­be­tes mel­li­tus, arte­ri­el­le Hyper­to­nie, Depres­sio­nen, Nie­ren­in­suf­fi­zi­enz, Herz­rhyth­mus­stö­run­gen mit blut­ver­dün­nen­der Medi­ka­ti­on zur Throm­bo­em­bo­lie­pro­phy­la­xe, Herz­in­suf­fi­zi­enz etc.), die häu­fig medi­ka­men­tös behan­delt wer­den. Die­se Medi­ka­men­te soll­ten teil­wei­se vor einer geplan­ten Ope­ra­ti­on abge­setzt oder umge­stellt werden.

Ortho­pä­die­tech­ni­sche Hilfs­mit­tel ver­hel­fen der älte­ren Gene­ra­ti­on zwar zu einem erhöh­ten Mobi­li­täts­grad, jedoch nimmt mit zuneh­men­dem Alter das Aus­maß der kogni­ti­ven Schwä­chen zu und der all­ge­mei­ne Mobi­li­täts­grad alters­be­dingt ab. Dane­ben wir­ken der pro­gre­di­en­te Mus­kel­schwund im Alter, hal­tungs­be­ding­te Wir­bel­säu­len­fehl­for­men und fort­schrei­ten­de Wir­bel­säu­len­de­ge­ne­ra­tio­nen (z. B. Clau­di­ca­tio spi­na­lis bei dege­ne­ra­ti­ver Spi­nal­ka­nals­teno­se durch Band­schei­ben­pro­tru­sio­nen, Retro­spon­dy­lo­phy­ten und Hyper­tro­phie der Facet­ten­ge­len­ke) zusätz­lich immobilisierend.

Häu­fig sind es die­se mehr­seg­men­ta­len, schwe­ren Dege­ne­ra­tio­nen der Wir­bel­säu­le, die eine allei­ni­ge Kypho­plas­tie des gesinterten/frakturierten Wir­bel­kör­pers nicht sinn­voll erschei­nen las­sen und die Pla­nung einer kon­ser­va­ti­ven The­ra­pie in den Vor­der­grund rücken. Zwar sind dege­ne­ra­ti­ve Vor­schä­den kei­ne gene­rel­le Kon­tra­in­di­ka­ti­on, sie bedin­gen jedoch bei einer ope­ra­ti­ven The­ra­pie­ab­wä­gung gege­be­nen­falls zusätz­li­che dekom­pri­mie­ren­de Ope­ra­ti­ons­tech­ni­ken und dor­sa­le Instru­men­ta­tio­nen mit einem Schrau­ben-Stab-Sys­tem zur Stabilisierung.

Möch­te man mul­ti­mor­bi­den Pati­en­ten die­se z. T. nicht uner­heb­li­chen Ein­grif­fe erspa­ren, die nicht sel­ten einen län­ge­ren sta­tio­nä­ren Auf­ent­halt mit mög­li­chen peri- und post­ope­ra­ti­ven  Kom­pli­ka­tio­nen (Infek­ti­on, post­ope­ra­ti­ves Durch­gangs­syn­drom, Auf­ent­halt auf der Inten­siv­sta­ti­on, Pneu­mo­nie etc.) bedin­gen, und fin­den sich kei­ne aku­ten neu­ro­lo­gi­schen Defi­zi­te, so muss den Pati­en­ten und deren Ange­hö­ri­gen stets der kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie­ver­such erläu­tert und ange­bo­ten werden.

Kom­pli­ka­tio­nen im Rah­men der ope­ra­ti­ven Versorgung

Kypho­plas­tien bei Wir­bel­kör­per­frak­tu­ren gehö­ren heu­te zur täg­li­chen Rou­ti­ne deut­scher Kran­ken­häu­ser und wer­den teil­wei­se ohne umfas­sen­des und fun­dier­tes Wis­sen über die Chir­ur­gie der frak­tu­rier­ten und/oder dege­ne­ra­tiv ver­än­der­ten Wir­bel­säu­le ange­wandt. Da der ope­ra­ti­ve Auf­wand gering und der Mate­ri­al- und Per­so­nal­be­darf (1 Ope­ra­teur) eben­falls über­schau­bar ist, kam es in den letz­ten Jah­ren zu einem ste­ten Anstieg der Kypho­plas­tie­zah­len. Neben den übli­chen Über­schnei­dun­gen bezüg­lich der Wir­bel­säu­len­chir­ur­gie in den ope­ra­ti­ven Fach­ge­bie­ten wie der Unfall­chir­ur­gie, der Ortho­pä­die und der Neu­ro­chir­ur­gie ist die­ses Ope­ra­ti­ons­ver­fah­ren auch Inter­nis­ten und Radio­lo­gen zugänglich.

Obwohl die Kom­pli­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten im Rah­men des Ein­grif­fes neben den all­ge­mei­nen Ope­ra­ti­ons­ri­si­ken der Wir­bel­säu­len­chir­ur­gie (Blu­tung, Ver­let­zung der Dura und gege­be­nen­falls des Mye­lons etc.) teil­wei­se vital bedroh­li­che Ereig­nis­se wie z. B. aus­ge­präg­te Zemen­t­embo­lien (Abb. 4 bis 6) umfas­sen, fehlt den Ver­ant­wort­li­chen teil­wei­se die erfor­der­li­che Kom­pe­tenz, die­se Kom­pli­ka­tio­nen zu beherr­schen 15 16 17. Trotz der gerin­gen Ope­ra­ti­ons­dau­er von durch­schnitt­lich 20 bis 30 Minu­ten pro Wir­bel­kör­per bedeu­tet allei­ne schon die für die Ope­ra­ti­on erfor­der­li­che Bauch­la­ge­rung für alte und mul­ti­mor­bi­de Pati­en­ten eine zusätz­li­che Belas­tung – in sel­te­nen Fäl­len kommt es intra­ope­ra­tiv zu Kreis­lauf­still­stän­den mit Todes­fol­ge, auch wenn Reani­ma­ti­ons­maß­nah­men sofort grei­fen und eine Wei­ter­be­hand­lung auf einer Inten­siv­sta­ti­on (klei­ne­re Kran­ken­häu­ser ver­fü­gen teil­wei­se über kei­ne ITS) gewähr­leis­tet ist.

Juris­ti­sche Aspekte

Bezüg­lich der aktu­ell nicht defi­ni­tiv geklär­ten Fra­ge, ob eine Kypho­plas­tie gegen­über der kon­ser­va­ti­ven The­ra­pie einen rele­van­ten Vor­teil für den Pati­en­ten bie­tet, ist der juris­ti­sche Aspekt der „ech­ten Behand­lungs­al­ter­na­ti­ve“ zu würdigen.

Die umfas­sen­de Pati­en­ten­auf­klä­rung über die unter­schied­li­chen medi­zi­nisch indi­zier­ten und übli­chen Behand­lungs­al­ter­na­ti­ven ist obli­ga­to­risch und soll­te auch doku­men­tiert wer­den, damit klar ersicht­lich ist, dass dem Pati­en­ten die wesent­li­chen unter­schied­li­chen Risi­ken und Erfolgs­chan­cen erläu­tert wur­den (ech­te Behand­lungs­al­ter­na­ti­ven – BGH 6. Zivil­se­nat 09/87 und BGH 6. Zivil­se­nat 02/89).

Bei exak­ter Doku­men­ta­ti­on wird im mög­li­chen Regress­ver­fah­ren die Posi­ti­on der Kli­nik bzw. des behan­deln­den Arz­tes ent­schei­dend gestärkt.

Kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie osteo­po­ro­ti­scher Wirbelkörperfrakturen

Es kann nicht geleug­net wer­den, dass kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie­ver­fah­ren mit indi­vi­du­ell ange­pass­ter medi­ka­men­tö­ser Anal­ge­sie (nach WHO-Stu­fen­sche­ma 18) gege­be­nen­falls auch im inter­dis­zi­pli­nä­ren Behand­lungs­re­gime mit Vor­stel­lung der Pati­en­ten in der anäs­the­sio­lo­gi­schen Schmerz­am­bu­lanz, mit phy­sio­the­ra­peu­ti­schen Übungs­be­hand­lun­gen inklu­si­ve anal­ge­ti­scher Strom­the­ra­pie, ortho­pä­die­tech­ni­schen Hilfs­mit­teln (Orthe­sen für die Sta­bi­li­sie­rung der Wir­bel­säu­le) und mit einer antio­s­teo­po­ro­ti­schen Medi­ka­ti­on (Cal­ci­um + Vit­amin D und gege­be­nen­falls Bis­phos­pho­na­ten) gute funk­tio­nel­le Ergeb­nis­se im Out­co­me für den Pati­en­ten erzie­len können.

Schluss­fol­ge­run­gen

Osteo­po­ro­ti­sche oder osteo­po­ro­se­as­so­zi­ier­te Wir­bel­kör­per­frak­tu­ren ver­lan­gen wegen der häu­fig mul­ti­mor­bi­den Pati­en­ten, der nicht ein­deu­ti­gen The­ra­pie­emp­feh­lun­gen sei­tens der Lite­ra­tur und der aktu­el­len juris­ti­schen Situa­ti­on nach einer indi­vi­du­el­len The­ra­pie­pla­nung, wobei das Ein­be­zie­hen des Pati­en­ten in die Wahl des jewei­li­gen The­ra­pie­re­gimes ent­schei­dend ist. Dies gilt aus­schließ­lich für Wir­bel­kör­per­frak­tu­ren, die kei­ne not­fall­mä­ßi­ge ope­ra­ti­ve Ver­sor­gung erfor­dern, d. h. aku­te neu­ro­lo­gi­sche Defi­zi­te lie­gen nicht vor, und es han­delt sich um A‑Frakturen (Impres­si­ons- und Kom­pres­si­ons­frak­tu­ren), denn kom­pli­zier­te Ber­s­tungs­frak­tu­ren sowie B- und C‑Verletzungen der Wir­bel­säu­le soll­ten ope­ra­tiv ver­sorgt werden.

Für der­ar­ti­ge „benig­ne“ Wir­bel­kör­per­frak­tu­ren stellt die kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie immer eine über­den­kens- und dis­kus­si­ons­wür­di­ge Alter­na­ti­ve dar. Die­se Vor­ge­hens­wei­se ent­spricht den Emp­feh­lun­gen der AWMF-Leit­li­ni­en 13, wel­che die ope­ra­ti­ve Ver­sor­gung der­ar­ti­ger Frak­tu­ren mit­tels Kypho­plas­tie erst nach vor­aus­ge­gan­ge­ner frus­tra­ner kon­ser­va­ti­ver The­ra­pie über drei Wochen empfiehlt.

Aus juris­ti­schen Grün­den muss eine aus­führ­li­che Auf­klä­rung über die unter­schied­li­chen The­ra­pie­al­ter­na­ti­ven (kon­ser­va­tiv vs. ope­ra­tiv) schrift­lich fixiert werden.

Eine voll­stän­di­ge Dia­gnos­tik umfasst neben der exak­ten Frak­tur­klas­si­fi­ka­ti­on mit­tels Bild­ge­bung (Rönt­gen, MRT, gege­be­nen­falls CT) eine Kno­chen­dich­te­mes­sung (Osteo­den­si­to­me­trie via DXA), sofern die­se nicht bereits vor­liegt, um eine Osteo­po­ro­se sicher nach­wei­sen und adäquat medi­ka­men­tös behan­deln zu können.

Es wird sich zei­gen, ob die Erlös­si­tua­ti­on im DRG-Sys­tem die kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie der­ar­ti­ger Wir­bel­kör­per­frak­tu­ren der ope­ra­ti­ven The­ra­pie in Zukunft gleich­stel­len oder annä­hern wird.

Inter­es­sen­kon­flikt:
Der kor­re­spon­die­ren­de Autor gibt an, dass kein Inter­es­sen­kon­flikt besteht.

Für die Autoren:
Dr. med. Hol­ger Siekmann
Uni­ver­si­täts­kli­nik und Poli­kli­nik für
Unfall- und Wiederherstellungschirurgie
der Uni­ver­si­tät Halle
Ernst-Gru­be-Stra­ße 40
06120 Hal­le
holger.siekmann@uk-halle.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/Reviewed paper

Zita­ti­on
Siek­mann H, Adler D. Kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie bei osteo­po­ro­ti­schen Frak­tu­ren der Wir­bel­säu­le – Indi­ka­ti­on, Durch­füh­rung und Gren­zen. Ortho­pä­die Tech­nik, 2013; 64 (9): S. 54–59
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