Es konnte in mehreren Studien 1 2 (Abb. 1) belegt werden, dass massive Armlymphödeme zwar in verringertem Maße auftreten, jedoch durch brusterhaltende OP-Technik mit anschließender Strahlentherapie die Betroffenen vermehrt an Brust- und Thoraxwand-Ödemen leiden. Wie in der klassischen Ödembehandlung kommt auch hier die KPE (Komplexe Physikalische Entstauungstherapie) zum Einsatz. Dabei leistet die Kompression und Druckentlastung der Brust einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität der Patienten. Konfektionierte Kompressions-BHs von verschiedenen Anbietern (z. B. Anita, Amoena) können eine erste postoperative Lösung sein. Unter Berücksichtigung der physikalischen Gesetze der Druckverteilung benötigt man bei Brust- und Thoraxwand-Ödemen einen zirkulären Druck, der nur durch KompressionsThoraxbandagen (z. B. von Juzo) aufgebaut werden kann. Verschiedene Möglichkeiten der Versorgung und spezielle Brust-Druckpelotten zur Lymphabflusssteigerung erbringen eine Ödemverbesserung und bieten damit individuelle Versorgungsmöglichkeiten, die für die Patienten ein deutliches Plus an Lebensqualität bedeuten.
Einleitung
Rund 70.000 Frauen und ca. 620 Männer (Stand: 2012) 3 erkranken jährlich in Deutschland an Brustkrebs. Neben der Anzahl der entfernten Lymphknoten stellt die nachfolgende Strahlentherapie ein Risiko dar, ein Lymphödem zu entwickeln. Patientenspezifische Faktoren sind ebenfalls entscheidend. Massive Armlymphödeme treten seltener auf, dagegen kommt es häufiger zu Brust- und Thoraxwand-Ödemen aufgrund der Bestrahlungstherapie 2. OP- bzw. eventuelle Brustrekonstruktionsnarben belasten sowohl den physischen als auch den psychischen Heilungsprozess.
Lymphödeme in der Brust sind schmerzhaft. Spannungsschmerzen im dorsalen Bereich des oberen Rumpfquadranten beeinträchtigen die Patienten zusätzlich. Oft wird das Tragen eines BHs nicht toleriert; sportliche Betätigung, die gerade nach einer Krebserkrankung einen wichtigen Therapiebaustein darstellt, wird zum Problem. Psychosoziale Instabilität und gesellschaftlicher Rückzug sind die Folgen.
Bei Armlymphödemen gibt es mit der Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie (KPE) geeignete Handlungskonzepte, mit der bei konsequenter Anwendung sehr gute Ergebnisse erzielt werden können. Die Säulen der KPE mit Manueller Lymphdrainage (MLD; bei Bedarf), Hautpflege, Bewegung und Kompression sind evidenzbasiert und werden in den neuen Leitlinien, ergänzt um eine Anleitung zum Selbstmanagement der Patienten, als Therapiestandard verankert sein (AWMF-Leitlinien „Lymphödem“, Reg. Nr. 058; voraussichtliche Veröffentlichung der überarbeiteten Version 2017). Die vorrangige Aufgabe für Strumpfexperten (Bandagisten, Orthopädie-Techniker) ist es, die Patienten mit der Kompressionsversorgung vertraut zu machen und sie auf ihrem oft mühsamen Weg zu begleiten, bis der angestrebte Erfolg spürbar und sichtbar wird. Dies gelingt nur, wenn interprofessionell vernetzt gehandelt wird und die Patienten sinnvoll über Therapie- und Verhaltensregeln aufgeklärt werden. Die Qualität der Versorgung muss sich daran messen lassen, ob die Kompressionsbestrumpfung tatsächlich getragen wird und ob für die Betroffenen die bestmögliche Lösung in ihrer individuellen Situation gefunden wurde. Es gilt also, die Patienten im Versorgungsprozess zu halten und ihre Eigenverantwortung mit dem Ziel zu fördern, Progredienz und Auftreten von Begleiterkrankungen entgegenzuwirken.
Armlymphödeme
Bei der Versorgung von Lymphödemen im Armbereich hat sich in den letzten Jahren ein zunehmend solider Standard etabliert. Moderne Armkompressionstrümpfe sind am proximalen Ende schräg gearbeitet und bieten mit weichen Hafträndern guten Halt, ohne abzuschnüren. Flachgestrickte Materialien bieten deutlich mehr Möglichkeiten in der Ausführung und erzeugen durch die erhöhte „Stiffness“ den notwendigen Druck auf das Ödemgewebe. Das bedeutet, sie bieten ein Widerlager bei Muskelaktivität und wirken somit gezielt auf das epifasziale Ödemgewebe.
Besondere Sorgfalt gilt dem Abmessen der Gelenkbereiche (Ellenbogen, Handgelenk), damit es im Alltag, zum Beispiel bei Computerarbeit oder beim Fahrradfahren, nicht zu Abschnürungen kommt. Bei distalen betonten Ödemen und Schwellungen im Handbereich ist ein Handschuh erforderlich.
Im Alltag haben sich zweiteilige Versorgungen bewährt. Der Kompressionsverlauf wird bei Materialüberlappung im Handgelenk kalkuliert reduziert. Somit wird eine Druckerhöhung verhindert. Gerade bei Ödemen im dorsolateralen Bereich des Oberarms können mit flachgestrickter Kompression Kalibersprünge in den Umfängen optimal umgesetzt werden. Die Naht des Strumpfes sollte dabei dorsal verlaufen (Armstrumpf; Abb. 2). Es hat sich in Studien gezeigt, dass eine höhere Kompressionsklasse (CCL) sich nicht unbedingt ödemreduzierend auswirkt. Hier stehen ganz klar die Mobilität und das Tragen des Strumpfes im Vordergrund. Mit CCL 2 werden bei Armlymphödemen sehr gute Ergebnisse erzielt. Patienten können sich nach Anleitung auch in der Erhaltungsphase selbst bandagieren und damit auf Ödemschwankungen reagieren. Bandagierungshilfen erleichtern das Handling und unterstützen das Selbstmanagement (Softcompress; Abb. 3). Bei älteren Patienten oder kardiovaskulär bedingten Komorbiditäten ist CCL 1 sinnvoll. Auf dem Markt wird eine Reihe von Anzieh- bzw. Gleithilfen angeboten, die das Anlegen von Kompressionsarmstrümpfen wesentlich erleichtern. Sie können budgetneutral als Hilfsmittel verordnet werden.
Mamma- und Thoraxwand-Ödeme
Bei Mamma-Ödemen handelt es sich vorwiegend um postradiogene Ödeme. Bei brusterhaltend operierten Frauen liegt die Häufigkeit laut einer Studie bei 27 %; das Auftreten von Mamma- bzw. Thoraxwand-Ödemen wird mit 19 % beziffert (siehe Abb. 1) 1. Schlecht sitzende, einschnürende BHs wirken ödembegünstigend. Ist das Ödem auf die Brust begrenzt, können spezielle Kompressions-BHs eingesetzt werden. Sie haben breite Träger, wirken komprimierend auf die Brust und sollten submammär nicht einschneiden (Kompressions-BH; Abb. 4) Das Einlegen von Brustpelotten bzw. Polstern ist hilfreich (z. B. bei Radioderm) und wird von den Betroffenen als angenehm und schmerzlindernd empfunden (Softcompress/Brusttrichter; Abb. 5). In vielen Fällen ist die textile Anlage eines BHs nicht ausreichend und führt zu einer axillären und/oder dorsalen Verschiebung des Ödems. Bei Kombinationsformen von Thoraxwand- und proximal betonten Ödemen unter Mitbeteiligung der Schulterregion kommen Thoraxbandagen zur Anwendung. Sie umschließen den Thorax und sind vorne zu öffnen; durch integrierte Armansätze komprimieren sie, ohne an der Schulter einzuschnüren (Abflusszone bei zephalem Lymphbündel). Die Armansätze können, falls es die Diagnose erfordert, in einer höheren CCL gewählt werden oder sind als separate Armstrümpfe zu kombinieren (Thoraxbandage; Abb. 6a–c). Thoraxbandagen werden immer nach Maß angefertigt und können individuell mit Druckpelotten oder Taschen zur Aufnahme von Epithesen ausgestattet werden.
Kompression im Thorax muss unter Berücksichtigung der gelenkigen Verbindungen (Wirbel, Rippen, Brustbein) besonders sensibel gehandhabt werden. Bei einer zu engen Kompression oder einer falsch gewählten CCL wird die Patientin bzw. der Patient versuchen, dies mit eingeschränkter Atmung zu kompensieren. Da gerade die tiefe Bauchatmung die Aktivität der großen Lymphbahn (Ductus thoracicus) fördert, muss die Atem-Exkursion bei angelegter Thoraxbandage kontrolliert werden und soll bei Inspiration ca. 4 cm Volumenzunahme ermöglichen (Umfang gemessen in Höhe der Mamillen). Dabei ist Folgendes zu beachten:
- Kompressionsklasse CCL 1 bei Thorax-Versorgung wählen;
- Thoraxbandage lang genug anmessen (verhindert Hochrutschen bei Bewegung);
- Halsausschnitt klein halten, da sonst Kompressions- bzw. Passformverlust droht;
- Armansätze sollen die Oberarmmuskulatur (M. biceps brachii) integrieren;
- Atemexkursion kontrollieren.
Durch den hohen Leidensdruck und die Schmerzhaftigkeit von Brust- und Thoraxwand-Ödemen erleben die Patienten das Tragen einer Thoraxbandage als große Entlastung und beginnen nach der Eingewöhnungsphase ermutigt mit Aktivitäten, die zuvor unmöglich erschienen.
Anziehhilfen sind bei Thoraxbandagen eine wichtige Ergänzung und erleichtern das Anlegen für die Betroffenen enorm. Praktische Gleithilfen aus doppellagigen Materialien haben sich im Patientenalltag bewährt. Sie sind im Hilfsmittelkatalog gelistet und können ebenfalls verordnet werden.
OP-Narben
Nach einer lebensbedrohenden Erkrankung wie Krebs spielt die Narbenbildung oft eine untergeordnete Rolle. Aber für die Betroffenen sind eine geringe funktionelle Morbidität und ein adäquates ästhetisches Langzeitergebnis ebenso wichtig.
Narben im Bereich der unteren Brustfalte, wie sie nach Angleichung oder Rekonstruktion der Brust entstehen, reagieren sehr gut auf speziell entwickelte, selbstklebende Silikonauflagen (ScarPad/ Juzo; Abb. 7). Sie können auf die benötigte Größe zugeschnitten werden, sind wiederverwendbar und werden in verschiedenen Stärken (0,4–2,3 mm) angeboten. Verbesserte Elastizität und damit auch bessere Mobilität wirken sich durch den Einsatz der Silikonauflagen auf Narben bei brusterhaltender Therapie (BET) therapiefördernd aus. In Kombination mit Kompression wird die Beschaffenheit des Narbengewebes weich, elastisch und gleicht sich optisch dem natürlichen Hautbild an (Rötungen verblassen, Keloid-Bildung wird vermieden).
Fazit
Bei der Kompressionstherapie steht ein breites Spektrum an Versorgungsoptionen zur Verfügung. Die Herausforderungen der Zukunft bestehen darin, die Patientin in ihrer Komplexität wahrzunehmen und das für sie bestmögliche Versorgungskonzept unter Berücksichtigung eventueller Komorbiditäten zu entwickeln. Dies kann nur gelingen, wenn alle am Prozess Beteiligten dasselbe Ziel verfolgen, denn Therapiebereitschaft gelingt nur durch Akzeptanz der Diagnose und Gestaltungswillen bei der Prognose. Insofern werden gut ausgebildete Strumpfexperten benötigt, die Kompressionstherapie ganzheitlich auffassen, sowie eine interprofessionelle Zusammenarbeit auf Augenhöhe, um die vorhandenen Ressourcen effizient zu nutzen. Es geht nicht um die schnelle Abgabe eines Strumpfes, sondern vielmehr darum, den Patienten aus der passiven Rolle des Opfers zu befreien, ihm wieder die Handlungskompetenz zu übertragen und damit die Grundvoraussetzung für eine neue Lebensqualität zu schaffen – trotz Ödem.
Die Autorin:
Christine Hemmann-Moll
Bandagisten-Meisterin, Coach (IHK, EASC)
Buchenstraße 34
74906 Bad Rappenau
training@hemmann-moll.de
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Hemmann-Moll CH. Kompressionsversorgung des Arm- und Brustlymphödems. Orthopädie Technik, 2016; 66 (10): 54–56
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- Netopil B. Häufigkeit sekundärer Arm‑, Mamma und Thoraxwandödeme nach Mammakarzinomtherapie heutzutage. Eine retrospektive Studie mit 1000 einseitig am Mammakarzinom operierten Patientinnen (mit Erstdiagnose von 2000–2007). Dissertation Universität Gießen, 2010
- Vaezipour N. Inzidenz und Risikofaktoren des sekundären Lymphödems nach Therapie des Mammakarzinoms. Dissertation Universität Freiburg, 2015
- Deutsches Krebsforschungszentrum – Krebsinformationsdienst. Brustkrebs – eine Einführung: Anatomie, Häufigkeit, Tumorbiologie. https://www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/brustkrebs/was-ist-brustkrebs.php (Zugriff am 02.09.2016)