Kör­per­plas­ti­zi­tät bei Ampu­tier­ten und ihre Bedeu­tung für die Prothetik

R. Bekrater-Bodmann
Eine Amputation stellt einen weitreichenden Eingriff in die körperliche Integrität eines Menschen dar, der durch Prothesen zumindest teilweise ausgeglichen werden kann. Die Fähigkeit, einen künstlichen Körperteil – wie beispielsweise eine Prothese – als körperzugehörig wahrzunehmen, wird als „Körperplastizität“ bezeichnet. Das Erleben von Körperzugehörigkeit für eine Prothese könnte die Interaktion mit der Umwelt erleichtern. Darüber hinaus mehren sich die Hinweise, dass die Nutzung einer Prothese eine positive Wirkung auf den Phantomschmerz nach einer Amputation hat. Dieser Effekt könnte durch die Wahrnehmung der Prothese als körperzugehörig sogar noch gesteigert werden. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich Schlüsse für die Konstruktion zukünftiger Prothesen ziehen.

Ein­lei­tung

Ampu­ta­tio­nen gehö­ren zu den wohl ältes­ten chir­ur­gi­schen Ein­grif­fen der Mensch­heits­ge­schich­te. So legen Ske­lett­fun­de von Nean­der­ta­lern im heu­ti­gen Irak nahe, dass bereits vor etwa 50.000 Jah­ren elek­ti­ve Ampu­ta­tio­nen durch­ge­führt wor­den sein könn­ten 1. Auch die Anfän­ge der Pro­the­tik rei­chen weit in die Ver­gan­gen­heit zurück. So konn­te gezeigt wer­den, dass der am Fuß einer ägyp­ti­schen Mumie (datiert auf 950 bis 710 v. Chr.) gefun­de­ne künst­li­che gro­ße Zeh nicht nur einen kos­me­ti­schen Ersatz des wohl durch Krank­heit ver­lo­re­nen Zehs dar­stell­te, son­dern auch das Gehen erleich­ter­te 2. Dem Bedürf­nis nach Wie­der­her­stel­lung der kör­per­li­chen Unver­sehrt­heit nach einer Ampu­ta­ti­on ist im Ver­lauf der Medi­zin­ge­schich­te mit immer neu­en pro­the­ti­schen Ent­wick­lun­gen ent­spro­chen wor­den. Von der Eiser­nen Hand des Götz von Ber­li­chin­gen über den Sau­er­bruch­arm bis hin zum Ein­satz von Myo­elek­trik und mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Gelen­ken – Pro­the­sen soll­ten und sol­len stets ein mög­lichst voll­wer­ti­ger Ersatz für den ver­lo­ren­ge­gan­ge­nen Kör­per­teil sein. Der Fra­ge jedoch, ob die Pro­the­se als blo­ßes Werk­zeug oder als zum Kör­per zuge­hö­rig erlebt wird, ist erst in jüngs­ter Zeit wis­sen­schaft­li­che Beach­tung geschenkt wor­den. Die Beant­wor­tung die­ser Fra­ge könn­te eine beson­de­re Bedeu­tung für die Pro­the­sen­ak­zep­tanz und damit für die Nut­zung der Pro­the­se haben.

Anzei­ge

Pro­the­sen­nut­zung und ‑akzep­tanz

Auf­grund der gegen­wär­ti­gen Geset­zes­la­ge ange­nom­men wer­den, dass die meis­ten in Deutsch­land leben­den Ampu­tier­ten eine Pro­the­se besit­zen oder zumin­dest frü­her beses­sen haben. Der Besitz einer Pro­the­se sagt jedoch nicht zwangs­läu­fig etwas über ihre Nut­zung aus. Im Rah­men einer gro­ßen vom Euro­päi­schen For­schungs­rat geför­der­ten Stu­die hat der Autor der vor­lie­gen­den Arbeit zusam­men mit Kol­le­gen deutsch­land­weit über 3.000 Ampu­tier­te befragt (sie­he bei­spiels­wei­se 3). Fast 81 Pro­zent der Ampu­tier­ten gaben an, eine Pro­the­se zu nut­zen. Die Nut­zungs­ra­te vari­ier­te jedoch stark zwi­schen Arm- und Bein­am­pu­tier­ten. So gaben nur etwa 45 Pro­zent der Arm­am­pu­tier­ten an, eine Pro­the­se zu nut­zen, wohin­ge­gen der Anteil bei den Bein­am­pu­tier­ten bei rund 92 Pro­zent lag.

Akzep­tanz und Nut­zung einer Pro­the­se hän­gen von einer Viel­zahl von Fak­to­ren ab. So iden­ti­fi­zier­ten Biddiss und Chau 4 als häu­figs­te Grün­de für das Ableh­nen einer Arm­pro­the­se eine unge­nü­gen­de Funk­tio­na­li­täts­stei­ge­rung und einen zu gerin­gen Tra­ge­kom­fort. Die­se Ein­schät­zun­gen haben jedoch ledig­lich eva­lua­ti­ven Cha­rak­ter und ver­nach­läs­si­gen die Bedeu­tung des sub­jek­ti­ven Kör­per­emp­fin­dens von Ampu­tier­ten in Bezug auf die Pro­the­se. So meh­ren sich die Hin­wei­se, dass die Wahr­neh­mung einer Pro­the­se als kör­per­zu­ge­hö­rig ein wich­ti­ger, bis­lang aber wei­test­ge­hend unbe­ach­te­ter Fak­tor für die Akzep­tanz eines künst­li­chen Kör­per­teils sein könnte.

Kör­per­plas­ti­zi­tät

Die Fähig­keit, einen künst­li­chen Kör­per­teil – wie bei­spiels­wei­se eine Pro­the­se – als kör­per­zu­ge­hö­rig wahr­zu­neh­men, wird als „Kör­per­plas­ti­zi­tät“ bezeich­net 5. Die soge­nann­te Gum­mi­hand-Illu­si­on bie­tet eine Mög­lich­keit, die Kör­per­plas­ti­zi­tät zu tes­ten und zu quan­ti­fi­zie­ren. Bei die­sem Expe­ri­ment – ursprüng­lich für nicht­am­pu­tier­te Per­so­nen beschrie­ben – wird eine rea­lis­tisch aus­se­hen­de Gum­mi­hand im Blick­feld eines Pro­ban­den plat­ziert, wäh­rend die Sicht auf die eige­ne Hand ver­hin­dert ist. Wird nun mit einem Pin­sel die Gum­mi­hand zusam­men mit der eige­nen ver­deck­ten Hand berührt, stellt sich bei den meis­ten Pro­ban­den schon bald das Gefühl ein, die Berüh­rung nicht mehr in der ver­deck­ten Hand, son­dern in der Gum­mi­hand zu spü­ren. Beglei­tet wird die­se Wahr­neh­mung von dem star­ken Gefühl, die Gum­mi­hand sei die eige­ne Hand 6. Die syn­chro­ne visu­el­le und tak­ti­le Sti­mu­la­ti­on in die­sem Expe­ri­ment führt dazu, dass die sen­so­ri­sche Infor­ma­ti­on kom­bi­niert und als zusam­men­ge­hö­rig wahr­ge­nom­men wird. Für das Gehirn ist die plau­si­bels­te Inter­pre­ta­ti­on die­ser unge­wöhn­li­chen Situa­ti­on, dass die Gum­mi­hand zum eige­nen Kör­per gehö­ren muss.

Inter­es­san­ter­wei­se kann auch bei Ampu­tier­ten eine sol­che Illu­si­on indu­ziert wer­den. So zeig­ten Ehrs­son et al. 7, dass eine im Sicht­feld plat­zier­te Gum­mi­hand von Arm­am­pu­tier­ten als kör­per­zu­ge­hö­rig wahr­ge­nom­men wird, wenn die­se zusam­men mit dem Ampu­ta­ti­ons­stumpf berührt wird (Abb. 1a und 1b). Die Gum­mi­hand-Illu­si­on demons­triert, wie plas­tisch die Kör­per­wahr­neh­mung auch Jahr­zehn­te nach einer Ampu­ta­ti­on blei­ben kann, und könn­te somit ein Modell für bestimm­te Aspek­te der Pro­the­sen­nut­zung darstellen.

Reprä­sen­ta­ti­on der Umwelt

Um sich in der Umwelt zu ori­en­tie­ren und mit ihr zu inter­agie­ren, sind Men­schen dar­auf ange­wie­sen, dass sowohl die Umwelt als auch der eige­ne Kör­per in Bezug zu ihr adäquat reprä­sen­tiert sind. Der peri­per­so­na­le Raum hat hier­bei eine beson­de­re Bedeu­tung. Er ist defi­niert als der­je­ni­ge den Kör­per umge­ben­de Raum, der mit den Armen erreicht wer­den kann 8. Da der Raum um die Hän­de her­um für die Inter­ak­ti­on mit Objek­ten eine beson­de­re Rol­le spielt, ist sei­ne Reprä­sen­ta­ti­on auf die Hän­de zen­triert und bil­det mit ihnen eine Reprä­sen­ta­ti­ons­ein­heit 9. Dadurch ver­schiebt sich auch sein Fokus, wenn sich die Posi­ti­on der Hän­de verändert.

Wie jedoch ver­än­dert sich die Reprä­sen­ta­ti­on die­ses hand­zen­trier­ten peri­per­so­na­len Rau­mes, wenn Per­so­nen im Rah­men der Gum­mi­hand-Illu­si­on eine künst­li­che Hand als zum eige­nen Kör­per zuge­hö­rig wahr­neh­men? Wie Broz­zo­li et al. 10 zei­gen konn­ten, „springt“ die Reprä­sen­ta­ti­on des hand­zen­trier­ten peri­per­so­na­len Rau­mes bei erfolg­rei­cher Illu­si­ons­in­duk­ti­on auf die Gum­mi­hand über. Somit scheint sei­ne Reprä­sen­ta­ti­on nicht etwa auf den phy­si­schen Hän­den zu ruhen, son­dern an dem Ort, an dem die eige­nen Hän­de wahr­ge­nom­men werden.

An Ampu­tier­ten konn­te nach­ge­wie­sen wer­den, dass auch das Tra­gen einer Pro­the­se die Reprä­sen­ta­ti­on des peri­per­so­na­len Rau­mes erwei­tert 11. Obwohl ent­spre­chen­de Daten von Ampu­tier­ten noch aus­ste­hen, legt das oben beschrie­be­ne Expe­ri­ment 12 nahe, dass Pro­the­sen, die als Teil des Kör­pers und nicht nur als blo­ßes Werk­zeug wahr­ge­nom­men wer­den, mit grö­ße­ren Ver­än­de­run­gen in der Reprä­sen­ta­ti­on des peri­per­so­na­len Rau­mes ein­her­ge­hen soll­ten 13. Da dies die Inter­ak­ti­on von Pro­the­se und Umwelt erleich­tern könn­te, kommt Pro­the­sen, die als kör­per­zu­ge­hö­rig wahr­ge­nom­men wer­den, mög­li­cher­wei­se auch eine Bedeu­tung für die moto­ri­sche Reha­bi­li­ta­ti­on zu.

Kor­ti­ka­le Reorganisation

Die meis­ten Ampu­tier­ten berich­ten in der Fol­ge des Ein­griffs von der Prä­senz eines Phan­toms, also der fort­be­stehen­den Wahr­neh­mung des ent­fern­ten Kör­per­teils. Etwa 75 Pro­zent aller Ampu­tier­ten lei­den dar­über hin­aus unter Phan­tom­schmer­zen 14. Dar­un­ter ver­steht man eine schmerz­haf­te Emp­fin­dung, die außer­halb des phy­si­schen Kör­pers im Phan­tom ver­or­tet wird. Neben peri­pher­phy­sio­lo­gi­schen Pro­zes­sen spie­len bei der Ent­ste­hung und Auf­recht­erhal­tung von Phan­tom­schmer­zen funk­tio­nel­le Ver­än­de­run­gen im Zen­tral­ner­ven­sys­tem eine Rol­le. Vor allem dem pri­mä­ren soma­to­sen­so­ri­schen Kor­tex scheint hier eine beson­de­re Bedeu­tung zuzu­kom­men. Durch die ampu­ta­ti­ons­be­ding­te sen­so­ri­sche Depri­va­ti­on fin­den hier plas­ti­sche Ver­än­de­run­gen in der Reprä­sen­ta­ti­on des Kör­pers statt. Dabei wird die ehe­ma­li­ge Reprä­sen­ta­ti­on der ampu­tier­ten Glied­ma­ße durch die angren­zen­den Reprä­sen­ta­tio­nen ande­rer Kör­per­tei­le über­la­gert. Die­se soge­nann­te kor­ti­ka­le Reor­ga­ni­sa­ti­on steht in direk­tem Zusam­men­hang mit der Inten­si­tät des Phan­tom­schmer­zes – je höher das Aus­maß der Reor­ga­ni­sa­ti­on, des­to inten­si­ve­re Phan­tom­schmer­zen wer­den berich­tet 15.

Es steht zu ver­mu­ten, dass die Wie­der­her­stel­lung der Kör­per­in­te­gri­tät von Ampu­tier­ten posi­ti­ve Effek­te auf die neu­ro­na­len Pro­zes­se und somit auch auf die kor­ti­ka­le Reor­ga­ni­sa­ti­on haben könn­te. Pro­the­sen eig­nen sich beson­ders für die­sen Zweck, geben sie doch ihren Trä­gern nicht nur einen Teil ihrer Auto­no­mie zurück, son­dern erset­zen zugleich den phy­sisch nicht mehr vor­han­de­nen Kör­per­teil. Dadurch kön­nen Pro­the­sen auch die Kör­per­wahr­neh­mung beeinflussen.

Pro­the­sen­nut­zung und Körperwahrnehmung

Bereits frü­he Stu­di­en haben gezeigt, dass sich die Pro­the­sen­nut­zung auf die Kör­per­wahr­neh­mung aus­wirkt. So führt das Tra­gen einer Pro­the­se zu einer Über­schät­zung der Stumpf­län­ge 16; ande­re Stu­di­en ermit­tel­ten einen posi­ti­ven Zusam­men­hang zwi­schen der Nut­zung einer funk­tio­nel­len, nicht jedoch einer kos­me­ti­schen Pro­the­se und der wahr­ge­nom­me­nen Leben­dig­keit des Phan­toms 17. Wie Giummar­ra et al. 18 berich­ten, gaben etwa 12 Pro­zent der in ihre Stu­die ein­ge­schlos­se­nen Ampu­tier­ten an, dass das Phan­tom und die Pro­the­se bei Nut­zung ver­schmöl­zen; wei­te­re 17 Pro­zent der Pro­ban­den sag­ten aus, dass das Phan­tom ver­schwin­de, sobald die Pro­the­se ange­legt wer­de. Bei­de Beschrei­bun­gen deu­ten dar­auf hin, dass Kör­per und Pro­the­se auf der Wahr­neh­mungs­ebe­ne inter­agie­ren, die Pro­the­se dadurch als kör­per­zu­ge­hö­rig emp­fun­den und damit die kör­per­li­che Inte­gri­tät zumin­dest teil­wei­se wie­der­her­ge­stellt wird. Die län­ger­fris­ti­ge Nicht­nut­zung einer Pro­the­se ist wie­der­um mit der Wahr­neh­mung eines soge­nann­ten Tele­skops asso­zi­iert 19. Dar­un­ter ver­steht man die Emp­fin­dung von Ampu­tier­ten, dass sich das Phan­tom im Ver­gleich zur gesun­den Extre­mi­tät ver­kürzt hat und die Phan­tom­hand oder der Phan­tom­fuß im Extrem­fall direkt am oder im Stumpf ver­or­tet wird. Da die­ses Phä­no­men eng mit der kor­ti­ka­len Reor­ga­ni­sa­ti­on und damit auch dem Phan­tom­schmerz in Bezie­hung steht 20, kann man im Umkehr­schluss fol­gern, dass das Tra­gen einer Pro­the­se die kor­ti­ka­len Reor­ga­ni­sa­ti­ons­pro­zes­se ver­hin­dern kann.

Pro­the­sen und Phantomschmerz

Tat­säch­lich konn­te in quer­schnitt­li­chen Unter­su­chun­gen gezeigt wer­den, dass die häu­fi­ge Nut­zung einer funk­tio­nel­len, nicht jedoch einer kos­me­ti­schen Arm­pro­the­se nega­tiv mit der Inten­si­tät von Phan­tom­schmer­zen sowie der kor­ti­ka­len Reor­ga­ni­sa­ti­on kor­re­liert ist 21 22. Die­se Ergeb­nis­se deu­ten dar­auf hin, dass Pro­the­sen neben der kör­per­li­chen auch die neu­ro­na­le Inte­gri­tät des Kör­pers wie­der­her­stel­len und über die­sen Mecha­nis­mus den Phan­tom­schmerz posi­tiv beein­flus­sen kön­nen. Aller­dings feh­len für die­se kau­sa­le Aus­sa­ge bis­her weit­ge­hend die längs­schnitt­li­chen Stu­di­en, wel­che die Aus­wir­kun­gen des Pro­the­sen­tra­gens über die Zeit hin­weg bele­gen könn­ten. Expe­ri­men­tell konn­te jedoch bereits gezeigt wer­den, dass ein soma­to­sen­so­ri­sches Dis­kri­mi­na­ti­ons­trai­ning am Stumpf von Ampu­tier­ten sowohl das Aus­maß der kor­ti­ka­len Reor­ga­ni­sa­ti­on als auch des Phan­tom­schmer­zes redu­ziert 23. Pro­the­sen, die sen­so­ri­sche Emp­fin­dun­gen an den Stumpf wei­ter­lei­ten, machen sich die­ses Prin­zip zunut­ze und kön­nen sich eben­falls posi­tiv auf den Phan­tom­schmerz aus­wir­ken 24.

Die meis­ten der bis­he­ri­gen Stu­di­en unter­such­ten den Zusam­men­hang zwi­schen Phan­tom­schmerz und pro­the­sen­be­zo­ge­nen Cha­rak­te­ris­ti­ka, bei­spiels­wei­se der Nut­zungs­dau­er oder der Art der Pro­the­se. Dem sub­jek­ti­ven Erle­ben des Ampu­tier­ten in Bezug auf die Pro­the­se wur­de bis­her jedoch wenig Beach­tung geschenkt, obwohl ihm eine beson­de­re Bedeu­tung bei der Modu­la­ti­on des Phan­tom­schmer­zes zukom­men könn­te. So legen Daten nahe, dass die Wahr­neh­mung, eine Pro­the­se gehö­re zum eige­nen Kör­per, nega­tiv mit der Auf­tre­tens­wahr­schein­lich­keit von Phan­tom­schmer­zen asso­zi­iert ist 25.

Wahr­neh­mung von Prothesen

In einer eige­nen Erhe­bung wur­de die­ser Zusam­men­hang genau­er unter­sucht. Über 2.400 Arm- und Bein­am­pu­tier­te, die eine Pro­the­se (gleich wel­cher Art) nutz­ten, soll­ten auf einer Ska­la ein­schät­zen, ob und wie stark sie den künst­li­chen Kör­per­teil als kör­per­fremd oder kör­per­zu­ge­hö­rig wahr­nah­men. Zusätz­lich wur­de die Inten­si­tät der Phan­tom­schmer­zen mit­tels einer nume­ri­schen Schätz­ska­la von 0 (kei­ne Schmer­zen) bis 10 (stärks­te Schmer­zen) erfasst. Es zeig­te sich, dass eine als kör­per­fremd emp­fun­de­ne Pro­the­se mit Phan­tom­schmer­zen der gemit­tel­ten Inten­si­tät von etwa 4,5 asso­zi­iert war, unab­hän­gig von der Aus­prä­gung des Fremd­kör­per­ge­fühls. Bei Ampu­tier­ten, die ihre Pro­the­se als kör­per­zu­ge­hö­rig wahr­nah­men, zeig­te sich jedoch ein ande­res Bild: Je inten­si­ver das Gefühl war, die Pro­the­se gehö­re zum eige­nen Kör­per, des­to gerin­ger war die Inten­si­tät des Phan­tom­schmer­zes (Abb. 2a). War das Gefühl, die Pro­the­se sei kör­per­zu­ge­hö­rig, am stärks­ten aus­ge­prägt, wur­den die gerings­ten gemit­tel­ten Phan­tom­schmer­zen von etwa 2,7 ange­ge­ben, was einer um ca. 40 Pro­zent gerin­ge­ren Inten­si­tät im Ver­gleich zu als kör­per­fremd wahr­ge­nom­me­nen Pro­the­sen ent­spricht. Umge­kehrt berich­te­ten Ampu­tier­te mit gegen­wär­ti­gen Phan­tom­schmer­zen über ein gerin­ge­res Gefühl der Kör­per­zu­ge­hö­rig­keit für die Pro­the­se als Per­so­nen, die gegen­wär­tig kei­ne Phan­tom­schmer­zen emp­fan­den. Inter­es­san­ter­wei­se gibt es kei­ne signi­fi­kan­ten Unter­schie­de beim Gefühl der Kör­per­zu­ge­hö­rig­keit für die Pro­the­se zwi­schen Ampu­tier­ten, die nie Phan­tom­schmer­zen emp­fan­den, und sol­chen, die frü­her Phan­tom­schmer­zen hat­ten, aktu­ell aber nicht mehr (Abb. 2b). Die­ses Ergeb­nis könn­te dar­auf hin­deu­ten, dass eine redu­zier­te Kör­per­plas­ti­zi­tät ent­we­der ein Merk­mal der gegen­wär­ti­gen Phan­tom­schmer­zen ist oder dass die­se mit der Akzep­tanz der Pro­the­se als kör­per­zu­ge­hö­rig interferieren.

Kor­re­la­ti­on oder Kausalität?

Der kor­re­la­ti­ve Cha­rak­ter der Daten zur Kör­per­zu­ge­hö­rig­keit von Pro­the­sen lässt zwar kei­ne kau­sa­len Schlüs­se zu, betont jedoch aber­mals die enge Ver­bin­dung zwi­schen Kör­per­plas­ti­zi­tät, Pro­the­sen­nut­zung und Phan­tom­schmerz. Dass der Zusam­men­hang aber kau­sal sein könn­te, legen Ergeb­nis­se zur Spie­gel­the­ra­pie nahe. Die Spie­gel­the­ra­pie stellt eine Inter­ven­ti­on dar, bei der durch Spie­ge­lung von Bewe­gun­gen der intak­ten Extre­mi­tät die Illu­si­on zwei­er intak­ter Glied­ma­ßen erzeugt wird. Eine mehr­wö­chi­ge Anwen­dung kann die Inten­si­tät von Phan­tom­schmer­zen sowie die kor­ti­ka­le Reor­ga­ni­sa­ti­on signi­fi­kant redu­zie­ren, jedoch nur dann, wenn die Spie­ge­lung als kör­per­zu­ge­hö­rig wahr­ge­nom­men wird 26. Somit soll­ten auch Pro­the­sen mög­lichst so kon­stru­iert sein, dass das Gefühl der Kör­per­zu­ge­hö­rig­keit maxi­miert wird. Dabei soll­te auch ein mul­ti­sen­so­ri­scher Ansatz her­an­ge­zo­gen wer­den. So zeig­ten Maras­co et al. 27, dass sen­so­ri­sches Feed­back am Ampu­ta­ti­ons­stumpf, gekop­pelt mit Berüh­run­gen an der Pro­the­se, genutzt wer­den kann, um Ampu­tier­te einen künst­li­chen Kör­per­teil stär­ker als kör­per­zu­ge­hö­rig wahr­neh­men zu lassen.

Fazit

Pro­the­sen kön­nen hel­fen, nicht nur die kör­per­li­che, son­dern wahr­schein­lich auch die neu­ro­na­le Inte­gri­tät des Kör­pers nach einer Ampu­ta­ti­on wie­der­her­zu­stel­len. Über die­sen Mecha­nis­mus könn­ten sie auch den Phan­tom­schmerz posi­tiv beein­flus­sen. Dabei scheint dem sub­jek­ti­ven Emp­fin­den von Ampu­tier­ten eine beson­de­re Bedeu­tung zuzu­kom­men. So meh­ren sich die Hin­wei­se, dass die posi­ti­ven Effek­te der Pro­the­sen­nut­zung durch ein Gefühl der Kör­per­zu­ge­hö­rig­keit für die Pro­the­se gestei­gert wer­den kön­nen. Somit soll­ten nicht nur die indi­vi­du­el­len Phan­tom­wahr­neh­mun­gen berück­sich­tigt, son­dern auch das Kör­per­er­le­ben im Zusam­men­hang mit der Pro­the­sen­nut­zung in den Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­zess mit­ein­be­zo­gen wer­den. Neu­ar­ti­ge funk­tio­na­le Pro­the­sen, wie bei­spiels­wei­se unter Ver­wen­dung von Mul­ti­ar­ti­ku­la­ti­on und sen­so­ri­schem Feed­back, kön­nen die Kör­per­zu­ge­hö­rig­keit und damit auch die Akzep­tanz für den künst­li­chen Kör­per­teil ver­mut­lich erhö­hen. Die Erkennt­nis­se wei­te­rer Stu­di­en zum Erle­ben von Ampu­ta­ti­ons­pa­ti­en­ten könn­ten wich­ti­ge Schluss­fol­ge­run­gen für die Kon­struk­ti­on zukünf­ti­ger Pro­the­sen nach sich ziehen.

För­de­rung

Die­se Arbeit wur­de durch ein Pro­jekt des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Bil­dung und For­schung (V4UKF02) unter der Lei­tung von Her­ta Flor gefördert.

Inter­es­sen­kon­flikt

Der Autor erklärt, dass kein Inter­es­sen­kon­flikt in Bezug auf die vor­lie­gen­de Arbeit vorliegt.

Der Autor:
Dr. sc. hum. Robin Bekrater-Bodmann,
Diplom-Psy­cho­lo­ge
Insti­tut für Neu­ro­psy­cho­lo­gie und Kli­ni­sche Psychologie,
Zen­tral­in­sti­tut für See­li­sche Gesundheit
Medi­zi­ni­sche Fakul­tät Mann­heim der Uni­ver­si­tät Heidelberg
Qua­drat J5 , 68159 Mannheim
r.bekrater-bodmann@zi-mannheim.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

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