Während die Veranstaltung in den Vorjahren digital stattgefunden hatte, wurde dieses Mal auf ein hybrides Konzept gesetzt – für Moderatorin Juliana Ditsche, Leiterin des Instituts für Messtechnik und Biomechanik (IMB), An-Institut der Fachhochschule Dortmund sowie Studiengangsleitung Orthopädie- und Rehabilitationstechnik, ein voller Erfolg. Dass bei der großen Anzahl an Referent:innen der eine oder die andere auch mal ein technisches Problem hatte, gehört wohl dazu, wurde von der Bufa aber schnell gelöst. In Präsenz gab es dagegen ganz andere Herausforderungen: Glatteis und der Streik der Deutschen Bahn erschwerten die Anreise. In Summe waren schließlich 55 Teilnehmer:innen online sowie 30 vor Ort in Dortmund dabei.
Das Seminar bot mit zahlreichen Aspekten einen zielgruppengerechten Rundumblick zum Themenkomplex Digitalisierung – von Künstliche Intelligenz (KI) über den Einsatz verschiedener Materialien bis hin zur Qualitätssicherung und den Umgang mit psychischen Belastungen in der digitalisierten Arbeitswelt. Präsenzteilnehmer:innen erhielten in den Mittagspausen zudem die Gelegenheit, Live-Präsentationen mitzuerleben.
KI und ihre Folgen
„In naher Zukunft wird KI das Rückgrat eines jeden Teams sein“, sagte vor ein paar Jahren Michael Katzlberger, CEO von Katzlberger Consulting. Unter dieser Prämisse beschrieb Alina Carabello, Technische Universität Chemnitz, Szenarien von Arbeiten, die keines menschlichen Einsatzes mehr bedürfen. Konkret ging sie auf die Orthopädie-Technik ein, in der beispielweise Handvermessung automatisiert, Ausfälle von Hilfsmitteln vorhergesagt oder Therapietraining bei Skoliose messbar gemacht werden können. Weil es für handwerkliche, individualisierte Anwendungen jedoch keine KI gibt, „die wie ChatGPT aus dem Regal kommt, ist das definitiv keine Technologie für morgen, sondern eher für überübermorgen“, konstatierte sie.
Auch Robert Falkenstein, Handwerkskammer für Oberfranken, ist sich sicher, dass die Implementierung einer KI noch Zukunftsmusik ist, weil man zu viel wissen muss, um eine KI zu trainieren und sinnvoll zu nutzen. „In ein paar Jahren wird es Tools geben, die leicht zu handhaben sind“, prophezeit er. Dennoch sollte man sich schon jetzt mit dem Thema auseinandersetzen, damit man den Zug nicht verpasst, denn „es wird auch hier nicht die gut vorbereiteten Unternehmen treffen“.
Ein bisher wenig beachteter Umstand ist die psychische Belastung. Nehmen körperliche Beschwerden durch Zuhilfenahme digitaler Arbeitsmittel ab, verstärken sich im digitalen Zeitalter gleichzeitig Phänomene wie Unter- oder Überforderung als Fehlbelastungen, mit teils gravierenden Folgen. Darauf richtete Dr. Julian Elias Reiser von der Technischen Universität Dortmund sein Augenmerk. Individuelle Stressmessung gestaltet sich bisher jedoch als schwierig, weshalb er hier großen Forschungsbedarf sieht.
Beispiele aus Forschung und Praxis
Einige Referenten zeigten den Status quo in der Orthopädie-Technik auf und präsentierten Beispiele aus Forschung und Praxis. Für verteilte Prozesse plädierte Fabian Schneider, Rahm – Zentrum für Gesundheit. In seinem Haus nimmt man Modellierung und Konstruktion von Hilfsmitteln vor und greift für die Produktion auf einen Dienstleister zurück. So kommen die Vorzüge der Additiven Fertigung zum Tragen, während die Investitionskosten überschaubar bleiben. „Die hybride Fertigung ist zukunftsfähig mit vielen Vorteilen und nur wenigen Nachteilen“, lautet sein Fazit.
Lisa Pabst, Sanitätshaus Klinz, vermittelte einen anschaulichen Überblick über verschiedene Druckverfahren und ihre jeweiligen Einsatzbereiche, während Antonius Köster, CEO des gleichnamigen Unternehmens, Kriterien für die Auswahl eines Scanners bereitstellte.
Wie smartes Textil die Gipsabformung ersetzen kann, erläuterte Prof. Dr. Joris Pascal, Fachhochschule Nordwestschweiz. In Zusammenarbeit mit der Firma Bellwald TEC ist ein System – bestehend aus Magnetfeld und Messstrumpf – entstanden, das sauber und schnell, digital und nachhaltig sowie leicht und tragbar ist. Auf der Oberfläche des Strumpfes sind Sensoren angebracht. Diese werden von einem Magnetfeld aktiviert und eine digitale Form des Fußes entsteht. Auch für andere Körperbereiche ist das System laut Pascal nutzbar.
„Wichtig für alle weiteren Schritte der Hilfsmittelproduktion ist ein optimales Körpermodell“, betonte auch Alexander Krieger, Häussler Technische Orthopädie. Hilfreich dabei können Scanwerkzeuge sein, deren Einsatz er am Beispiel der Herstellung einer Hand- und einer Unterschenkelorthese vorstellte.
Auf den Einsatz von KI zur automatischen Landmarkenerkennung ging Volker Junior, Geschäftsführer Phoenix GmbH, bei der Vorstellung seines Forschungsprojekts „Ortho Zone“ ein. Damit sollen Hilfsmittel schnell und präzise, außerdem veränder- und reproduzierbar aufzusetzen sein. Sein Vortrag fand besonderen Anklang, wie ein Teilnehmer aus dem Plenum betonte: „Ich war der Meinung, dass wir noch zehn Jahre von den Möglichkeiten entfernt sind, die Sie uns heute präsentiert haben.“
Eine „Technische Innovation der Skolioseversorgung“ stellte Nico Stecher von der Technischen Universität Dresden vor. Ziel des Projekts „MBrace“ ist es, ein Korsett zu entwickeln, das den Tragekomfort, die Luftzirkulation und den Bewegungsumfang der Patient:innen erhöht. Zum einen soll die Masse der Orthese verringert werden (zum Beispiel durch Aussparungen) und zum anderen ein Design entworfen werden, durch das das Korsett nicht länger als medizinische Notwendigkeit, sondern vielmehr als modisches Accessoire wahrgenommen wird. Dafür kommt die Multi-Matrix-Faserkunststoff-Verbund-Technik (MM-FKV) zum Einsatz, eine Weiterentwicklung des Tailored Fibre Placement (TFP). Angewendet wird dieses Verfahren bereits im Flugzeugbau und eignet sich für Anwendungen, bei denen eine sehr hohe Festigkeit bei gleichzeitig geringem Gewicht gefragt ist.
Mehrere Slots waren dem Thema Material gewidmet. Silikon, Carbon und hybride Werkstoffentwicklung wurden besprochen und schließlich das Thema der Rückgewinnung. Dabei löste der Vortrag von Milan von dem Bussche großes Interesse aus. Sein Unternehmen Qitech hat sich auf Maschinen spezialisiert, die kleinen und mittelständischen Unternehmen bei wenig Platzbedarf die Inhouse-Wiederaufbereitung der Stoffe von temporär benötigten oder ausgedienten Hilfsmitteln ermöglichen.
Zwei Jahre MDR
Schließlich kam noch ein unliebsames und zugleich wichtiges Thema für die OT-Branche auf den Tisch: die Anwendung der Medizinproduktverordnung (MDR). Wie kann die Einhaltung der MDR gelingen – und das auch bei der Zusammenarbeit mit externen Fertigungsdienstleistern? Einen Einblick darin gab Dennis Schindeler, Geschäftsführer von Curelab sowie des Sanitätshauses Medisan, und stellte den Workflow, insbesondere mit Blick auf Sonderanfertigungen vor.
Ein Fazit zwei Jahre nach Einführung der MDR zog Ann-Kathrin Carl, Fachhochschule Münster. Bereits 2021, also noch vor Geltungsbeginn, wurden Händler und Hersteller von orthopädischen Hilfsmitteln sowie Mitarbeiter:innen von Sanitätshäusern zu den Herausforderungen bei der Umsetzung sowie den Auswirkungen befragt. 2023 wurde die Online-Erhebung wiederholt. Die Ergebnisse zeigen: Die Frustration in der Hilfsmittelbranche ist groß. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen sind mit dem Mehraufwand oft überfordert – auch finanziell. Neun von zehn Unternehmen erwarten Kostensteigerungen oder sind bereits mit Kostensteigerungen konfrontiert. Viele befürchten eine Reduzierung des Produktportfolios. Dass das Interesse an dem Thema groß ist, zeigten die zahlreichen Nachfragen in der anschließenden Diskussionsrunde. Auf die Frage, ob Vereinfachungen in Sicht sind, hätte Carl vermutlich gern eine positivere Antwort gegeben, doch ihre Einschätzung fiel wenig optimistisch aus. „Deutliche Vereinfachungen wird es meiner Meinung nach nicht geben“, sagte sie, stellte aber eine unterstützende Option in Aussicht: Vielleicht werde es künftig weitere Unternehmen geben, die bezüglich der MDR beratend zur Seite stehen.
Juliana Ditsche zog am Ende des zweitägigen Seminars ein positives Fazit. „Die Referenten und Referentinnen haben eine breite Vielfalt an Themen präsentiert. Für jeden war etwas dabei.“ Das wurde auch durch rege Beteiligung aus dem Publikum deutlich. Die Teilnehmer:innen nutzten die Diskussionsrunden am Ende der Themenblöcke, um offene Fragen zu stellen oder auch um direkte Anfragen für den weiteren Austausch zu stellen. Wieder einmal waren sowohl Expert:innen aus dem Fach als auch darüber hinaus vertreten. Auch wechselten erneut Theorie und Praxis immer wieder den Staffelstab und stellten aktuell relevante Themen in den Fokus sowie solche, die es künftig werden könnten.
Anja Knies und Pia Engelbrecht
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