Einführung
Die Versorgung von Menschen mit Amputationen im Hüftbereich ist eine besondere Herausforderung für den Orthopädie-Techniker. Die Patienten benötigen mehr Konzentrations- und Energieaufwand, um eine Beckenkorbprothese zu führen, als Prothesenträger anderer Amputationsniveaus. Durch den Wegfall des Oberschenkels und der ansetzenden Muskulatur bleibt als einzige Steuerungsmöglichkeit der Prothese die Beweglichkeit des Beckens. Mit dieser im Bewegungsumfang begrenzten Steuerungsmöglichkeit soll es dann gelingen, die Bewegung der mechanischen Sprunggelenk‑, Kniegelenk- und Hüftgelenk-Passteile zu koordinieren und somit gleich drei große und biomechanisch anspruchsvolle Funktionseinheiten zu ersetzen. Der Anwender muss dabei mit einer reduzierten Propriozeption, das heißt, mit weniger Informationen z. B. über Position und Bewegungsablauf der Protheseneinheit zurechtkommen.
Dem Prothesenschaft, der am Anfang dieser einzuleitenden prothetischen Funktionskette steht, kommt hierbei eine zentrale Rolle zu. Für ihn ergeben sich die Anforderungen einer möglichst körpernahen, druckstellenfreien Passform mit wenig Bewegungseinschränkung im Lendenwirbelbereich und einer direkten Steuerungsmöglichkeit. Pseudarthrotische Bewegungen zwischen Stumpf und Schaft gilt es auf ein Minimum zu reduzieren. Seit 1954 Colin McLaurin mit der „Kanada-Prothese” 1 richtungsweisende Schritte bei der Versorgung dieser Anwendergruppe einschlug, haben sich neue Materialien und Arbeitstechniken entwickelt, die maßgeblich zur Verbesserung des Schaftkomforts beitragen. Biomechanische Aspekte haben zur Entwicklung von geteilten Beckenkörben in Verbindung mit einem Inlaymaterial geführt.
Schafttechniken im Vergleich
Zwei grundlegende Schaftgattungen werden dem Techniker und Anwender zur Auswahl gestellt. Zur Gattung der einteiligen Beckenkörbe mit einer ventral gelegenen Verschlusstechnik zählt neben dem konventionellen sitzbeinunterstützenden Beckenkorb auch die Beckenkorbprothese mit tuberumgreifender Einbettung nach Botta 2. Hierbei handelt es sich um eine Schafttechnik, die unter Einbeziehung des Tubers und fortlaufender knöcherner Strukturen ein gutes Widerlager gegen das seitliche „Shiften” des Korbes aufweist. Jedoch bietet das System keine zufriedenstellende Lösung für die Fixierung der Prothese über die Beckenkammeinfassung, was vor allem bei kräftigeren Anwendern deutlich wird. Das Prothesengewicht lastet zum Großteil auf den ventralen Beckenkämmen, eine zufriedenstellende Einfassung ist aufgrund der äußeren schrägen (M. obliquus externus abdominis) und der queren Bauchmuskulatur (M. obliquus internus abdominis) oft nicht möglich. Zur Verringerung der Pumpbewegung werden die hinteren Anteile des Beckenkammes mit eingefasst und somit eine Verdrängung der breiten Rückenstrecker (M. latissimus dorsi) hervorgerufen. Durch ein stärkeres Schließen als vorgesehen verwringt der ventrale Anteil des Beckenkorbes. Dies initiiert Passformprobleme und die Gefahr einer Druckstellenbildung auf den vorderen oberen Spinen 3.
Mit dem Ziel, die festen Anteile des Schaftes zu reduzieren, um die Bewegungsfreiheit der Lendenwirbelsäule (LWS) zu erhöhen, wurde der „halbe Beckenkorb” entwickelt 4. Der semiflexible Anteil des Gießharzschaftes auf der kontralateralen Seite wird hierbei durch eine oder mehrere Bandagen ersetzt. Durch die in unterschiedliche Zugrichtung wirkenden Verschlüsse sollen die Kräfte in Statik und Dynamik aufgenommen werden. Mit der Reduzierung der festen Anteile leidet allerdings die Torsionsstabilität des Beckens im Schaft. Auch der stabile Gegenhalt gegen die Adduktionsneigung der Prothese während des prothesenseitigen Einbeinstandes lässt sich nur bei schlanken Anwendern zufriedenstellend umsetzen.
Um den Anforderungen hinsichtlich einer verbesserten Steuerung der Prothese, mehr Beweglichkeit im Becken sowie einer hygienischen und hautschützenden Stumpfbettung adäquat nachzukommen, entwickelte sich eine zweite Gestaltungsvariante der Beckenkörbe. Es handelt sich hierbei um zweigeteilte Beckenkörbe mit Inlays in Silikontechnik, die durch eine reduzierte Formgestaltung, den Materialmix und die daraus resultierenden Eigenschaften die angesprochenen Anforderungen besser erfüllen. Bei dieser Variante öffnet und schließt eine hinten gelegene (dorsale) Verschlusstechnik den zweigeteilten Schaft von außen zur Körpermitte (M‑L-Richtung) hin. Ein Teil besteht aus der verwringungssteifen Beckenkorbhälfte, die das Volumen des Stumpfes aufzunehmen hat und gleichzeitig eine stramme anterior-posteriore Führung sichern sollte. Die zweite Hälfte umfasst die kontralaterale Seite, die für das nötige Widerlager verantwortlich ist und den Korb um das Becken gegen abduzierende und adduzierende Bewegungen stabilisiert (Abb. 2) 5 6. Semiflexible Anteile, die ein Einsteigen durch das Aufbiegen der ventralen Anteile ermöglichen, sind hier nicht vorzufinden.
Der Anwender muss über die Inhalte der neuen Schafttechnik im Vorfeld ausführlich aufgeklärt werden. Ein Einsatz dieser Technologie ist nur dann sinnvoll, wenn explizit auf den geänderten Ablauf bei der Anziehtechnik und beim Handling des Verschlusses hingewiesen wird und der Anwender dafür die entsprechende Compliance mitbringt.
Das neue Schaftkonzept
Das Versorgungssystem besteht aus einer hochtemperaturvernetzenden HTV-Silikonhose mit einer ventralen Verschlusstechnik. Die HTV-Silikon-Mischungen können mit variabler Shore-Härte in den Shore-Härtebereichen A 50 bis A 80 zum Einsatz kommen. Sie werden in Abhängigkeit von der Gewebebeschaffenheit des Stumpfes weicher oder härter eingestellt. Die Verschlusstechnik hat sich zwischenzeitlich von einer seltener eingesetzten Zip-Verschlusstechnik (Abb. 3a) hin zu einer Klettverschlusstechnik (Abb. 3b) entwickelt. Dadurch wird eine Erleichterung des Handlings und eine verbesserte Funktion im Sinne einer dosierbaren stärkeren Vorkompression der Weichteile erzielt. Bei schlecht weichteilgedeckten Stümpfen, wenig verschiebbarem Narbengewebe oder empfindlichen Hautarealen werden niedershorige raumtemperaturvernetzende RTV-Silikongelareale in die Hüfthose eingearbeitet (Abb. 4a u. b).
Über die Silikonhose wird der zweigeteilte Beckenkorb adaptiert. Die Verschlusstechnik spielt hierbei eine besondere Rolle. Vorzugsweise kommt hierbei das System aus dem Hause Ortho Systems zum Einsatz, bestehend aus den beiden Führungsteilen des Gleiters und dem Verschlussstück „Mammut” (Abb. 5a‑c). Die mechanischen Anforderungen an dieses Bauteil sind je nach Weichteilzustand und gewünschter Kompression des Stumpfes sehr hoch. Der Gleiter muss eine Bedienung auch unter Scherkräften zulassen, das Mammut sollte hingegen ein Schließen und Verriegeln unter hohen Zugkräften ermöglichen. Die Anordnung der Teile erfordert eine optimale Einstellung, um der hohen Belastung standzuhalten.
Der Herstellungsprozess
Die Formerfassung erfolgt traditionell über den Gipsabdruck. An dieser Stelle beginnt die physische Einflussnahme des Technikers auf die Schaftanpassung. Es gilt, die Topografie des Stumpfes, spezifische Merkmale wie Narbenbeschaffenheit, individuelle Entlastungs- und Belastungszonen zu erkennen und in die Modellierphilosophie zu integrieren.
Eine spezielle Zone ist der Bereich der Hüftgelenksaufnahme. Zur Erhaltung einer vollständigen Funktion des Passteiles sowie einer akzeptablen kosmetischen Formgebung müssen die Weichteile an dieser Stelle verdrängt werden. Die Gelenkaufnahme sollte so nah wie möglich am Körper positioniert werden. Folglich wird dieses verdrängte Volumen an den benachbarten Arealen gefordert. Beim Herstellen der ventralen, dorsalen und medialen Anlagepunkte gilt das gleiche Wirkprinzip. Das Ziel des Gipsabdruckes sollte sein, so viel Funktionsstellung wie möglich einzubringen.
Zusammenfassend sollten die folgenden Aspekte berücksichtigt werden:
- möglichst hüftnahe Anformung der Gelenkaufnahmen
- knöcherne und lastübertragende Strukturen sind unter Endbelastung zu gipsen
- Sitzbein-Ramusast
- Weichgewebe
- Realisation einer sitzbeinumgreifenden Bettung des Beckens
- Einhaltung eines möglichst engen A‑P-Maßes
- Ausmodellierung der ventralen und dorsalen Anlagepunkte:
- ventrale Anlage medial der Spinen auf die Bauchmuskulatur
- dorsomediale Anlage zwischen M. gluteus maximus und M. gluteus medius
- dorsale Anlagepunkte lateral der Dornfortsätze des Kreuzbeines auf den Rückenstrecker
Daraus resultiert die Notwendigkeit, einen entsprechenden Gipsabdruck unter Einsatz von zwei, in Ausnahmefällen sogar drei Technikern anzufertigen (Abb. 6a):
- Hand 1 kümmert sich um die Umgreifung des Sitzbein-Ramusastes,
- Hand 2 um die Volumenverdrängung im Bereich der Hüftaufnahme,
- die Hände 3 und 4 um die Anlagepunkte frontal und dorsomedial.
Als dorsales Widerlager dient der gepolsterte Bauch des Technikers. Diese Gipsabdrucktechnik bedeutet vollen Einsatz der Techniker; der Anwender steht mit einer physiologischen Lordose und einem ausgerichteten Becken sicher im Patientenstand (Abb. 6b‑d).
Die Modelltechnik orientiert sich an einer modifizierten Zweck- und Volumenform im Sinne einer bestmöglich physiologischen Stumpfbelastung. Auch nach mehrjährigerErfahrung in der Anwendung dieses Schaftsystems kann nach der Modellierung des Gipspositives nicht auf die Kontrolle der Passform durch einen Volumen-Testbeckenkorb verzichtet werden. An dem durchsichtigen, aus PE gefertigten Test-Beckenkorb können schnell Änderungen vorgenommen werden, z. B. thermoplastische Umformungen. Durch Ausspritzen mit RTV-Silikonen lassen sich Narbenkanäle höchst individuell abbilden. Der Anwender bekommt bei dieser Formtestung einen ersten Eindruck von den herrschenden Druckverhältnissen und kann aktiv in den Prozess mit einbezogen und befragt werden.
Hierbei gewonnene Informationen ergänzen die Anamnese und bedeuten ein erstes wichtiges Feedback des Anwenders. Zudem werden dabei aufbaubezogene Daten ermittelt. Otto Bock hat mit der Helix-Hüfte 7 eine strukturierte Aufbaumethode entwickelt, die unabhängig von den eingesetzten Passteilen funktioniert und einen sinnvollen Standardaufbau ermöglicht. Bei der TMS-Methode zum Aufbau von Beckenkorbprothesen 8 wird der individuelle Teilmassenschwerpunkt (TMS) mit Hilfe eines Aufbautools ermittelt (Abb. 7) und auf dem PE-Schaft festgehalten. Später werden diese Aufbaulinien auf den definitiven Hüftschaft übertragen.
Die nächsten Arbeitsschritte bestehen in der Anfertigung der Silikonhose. Die HTV-Silikonhaut entsteht im Auflegeverfahren des Silikons über dem Gipsmodell, welches die finale Zweck-Volumenform hat. Die ermittelten und angedachten Funktionselemente werden eingebracht. Die Lasche wird angefertigt, Weichbettungen eingearbeitet und die Verstärkungen der Umlenkschlaufen mit dem Silikon verbunden (Abb. 8).
Die Produktion des Prepreg-Beckenkorbes erfolgt über die Silikonhose, um einen optimalen Formschluss zu erhalten. Durch die verwendeten Sandwichmaterialien sowie das orientierte Legen des Carbongewebes werden möglichst leichte und zugleich verwindungssteife Beckenkorbmodule angestrebt. Das „Backen” des Prepreg-Verbundes erfolgt unter hohem Druck im Autoklav und bringt dadurch ungeahnte mechanische Qualitäten in die Faser-Matrixbettung, die sich auch positiv auf das Gewicht auswirken. Überzeugend ist das Ausbleiben der Entspannungsdelaminationen bei ersten Belastungen des Korbes durch den Anwender. In den Hinterschneidungen scheint der erhöhte Druck eine Faserdominanz herzustellen, und an den kritischen Verbindungsstellen der Verschlussstücke zum Carbon kann der Einsatz des Autoklavs die Gefahr der Delamination durch sprödes Harz minimieren.
Die Technik stellt neue Herausforderungen an Material und Techniker. Geeignete Sandwichmaterialien, die ein thermoplastisches Anformen zur einfacheren Bearbeitung beim Armieren ermöglichen und trotzdem hohen Druck und Temperatur aushalten, sind schwer zu finden. Ein geeigneter Ersatz für PVA-Folien, die dazu neigen, mit dem Laminat zu verschweißen, aber trotzdem eine faltenfreie Oberfläche bilden, ist ebenfalls Mangelware. Modellbauer beschäftigen sich meist nur mit einer Oberflächenseite, während beim Prothesen-Container beide Seiten als Sichtseiten fungieren.
Ergebnisse
Die Umsetzung dieser Schaftmethodik hat für die Anwender zu deutlichen Verbesserungen in den Bereichen Schaftfunktionalität und Schaftkomfort geführt, welche im Folgenden dargestellt werden:
Funktion und Komfortgewinn: konturiert-elastische Bettung
Der wichtigste Bestandteil, um die Anforderung der direkten Steuerung zu verbessern, ist die „konturiert-elastische Bettung” des Stumpfes. Der Anwender komprimiert die Weichteile durch das Schließen der Silikonhose. An dieser Stelle zeigen sich die zäh-elastischen Eigenschaften des Materials Silikon so geeignet wie bei keinem anderen. Die Elastizität kann durch das Variieren der Shore-Härte sowie die Materialstärke der Silikonhaut nach den individuellen Gegebenheiten erfolgen. Sie unterstützt die gewünschten Effekte, eine tragfähige, feste (Stumpf-)Oberfläche zu schaffen. Bei dieser Art der Bettung, dem großflächig komprimierenden Einfassen des Stumpfes, reduziert sich die Relativbewegung zwischen Gewebe und Skelett signifikant. Durch das Anfertigen der Silikonhose in einer funktionalen Formgebung wird das unkontrollierte Verschieben der Weichteile weitestgehend vermieden. Die Volumenräume, in welche die Weichteile bei Belastung verdrängt werden, sind durch die Abdrucktechnik bereits gegeben und werden durch den Volumenkorb kontrolliert.
In der prothetischen Versorgung zeigt sich: Je mehr Weichteile vorhanden sind und je lockerer das Bindegewebe ist, desto wichtiger wird die Kompression durch die HTV-Silikonhose. Der Stumpf wird in eine gute Kondition versetzt, um den Schaft aufzunehmen und damit eine möglichst bewegungsfreie Adaptation zwischen Stumpf und Prothese herzustellen. Die Weiterentwicklung der Verschlusstechnik zum Klettverschluss bringt für die Anwender ein klares Plus im „Handling”. Die Hose muss nicht mehr im Liegen angezogen werden, wie dies bei einem Zip-Verschluss oder bei der geschlossenen Technik der Fall ist, da die Klettverschlüsse nachreguliert werden können. Die Kompression kann tages- und volumenabhängig geschehen, ein Nachziehen des Klettverschlusses, selbst nach Anziehen des geteilten Beckenkorbes, ist möglich. Beim Anlegen der festen Schalen und Schließen des Korbes muss die Silikonhose keine neue Form eingehen, sondern wird wie vom Techniker beim Modellieren vorgegeben verändert.
Entgegen der Ansicht, ein hohes Adhäsionsverhalten der Silikonhose auf der Haut führe zu einer geringeren axialen Pseudarthrose 5, hat sich gezeigt, dass die Kompression einen höheren Stellenwert bei der Reduzierung der pseudarthrotischen Pumpbewegung einnimmt. Die Anwender empfinden das Tragen der Hose direkt auf der Haut unterschiedlich. Mehr als die Hälfte der Anwender bevorzugen es, eine dünne formschlüssige Funktionswäsche unter der Silikonhose zu tragen (Abb. 9). Silikon hat zudem vorteilhafte Materialeigenschaften: hohe Formbeständigkeit, hohe Flexibilität und geringe Dauerverformung. Dies ermöglicht eine dünnwandige Gestaltung des Schaftes ohne weit auslaufende, getulpte Schaftränder, an denen die Weichteile die nötige Auflagefläche finden. Der zirkuläre Schluss und die Rückstellkraft des Silikons verhindern eine Überlagerung der Weichteile am Schaftrand. Dadurch werden Schaftrandproblematiken wie ein Aufsitzen der Rippenbögen minimiert und die kosmetische Formgebung nachhaltig verbessert.
Funktion und Komfortgewinn: Schaftadaptation durch Formschluss
Eine gute Fixierung erhält der Schaft gegenüber der Hose durch den Formschluss. Der Stumpf zeigt sich durch Anlegen der Hose schon nahe der Funktionsform. Die Hinterschneidungen der Beckenkämme werden zum Mittragen genutzt. Allerdings dient dieser Effekt nicht wie bei der Beckenkammeinfassung des konventionellen Schaftsystems als einziges Mittel zur Aufnahme des Prothesengewichtes in der Schwungphase. Vielmehr können durch die adhäsiven Eigenschaften der Silikonhose zur Beckenkorbseite hin ungewollte axiale wie horizontale Bewegungen verhindert werden. Zusätzlich können Silikonformteile wie z. B. Keile einen Formschluss zwischen Silikon und Beckenkorb unterstützen und bilden gleichzeitig eine Anziehkontrolle für den Anwender (Abb. 10). Die klare Anforderung, die sich hierdurch für den Prothesenträger ergibt, ist ein exaktes Einsteigen in die Hose. Hierüber wird die Positionierung des Korbes und somit auch die Positionierung der Passteile festgelegt. Wird die Hose zu weit nach innen angezogen, hat das innenrotierte Gelenkachsen und einen innenrotierten Fuß zur Folge.
Funktion und Komfortgewinn: Volumenmanagement
Hüftanwender beklagen häufig, dass Mahlzeiten nur in Kinderportionen, dafür öfter über den Tag, eingenommen werden können. An einen ordentlich gefüllten Teller sei mit angelegter Prothese nicht zu denken. Den Volumenzuwachs lasse ein konventioneller Beckenkorb nicht zu. Auch Volumenveränderungen zwischen morgens und abends oder Sommer und Winter verstärken den Wunsch nach einer Möglichkeit, den Beckenkorb situationsbedingt anzupassen. Ein konventioneller Beckenkorb mit ventraler Zuggurtung verändert sich konstruktiv stark beim Schließen. Das ventrale M‑L-Verhältnis nimmt dabei deutlich stärker ab als das dorsale (Abb. 11). Dies führt zu einer erhöhten Druckstellengefahr im Bereich der vorderen oberen Spinen.
Der Gleiter-Verschluss hingegen gibt die Möglichkeit, die lichten Weiten in M‑L frontal wie dorsal in gleicher Weise zu reduzieren und den Stumpf insgesamt in den Korb zu zentrieren. Die ratschenartige Einhandbedienung des Mammut-Elementes erleichtert eine situationsabhängige Einstellung. Der ventrale Bereich rund um das Abdomen wird bei dieser Verschlusstechnik mit mehr Komfort ausgestattet. Durch die elastischen Eigenschaften des Silikons und durch einen reduzierten Schaftanteil des Prepreg-Containers kann die Hose bei Bauchatmung nach ventral expandieren. Bei einer klassischen Verschlusstechnik wird das Widerlager durch den entstehenden Druck unangenehm (Abb. 12).
Außerdem wird durch die spezielle Armierungstechnik die Flexibilität der Beckenumgreifung auf der kontralateralen Seite optimiert. Eine leicht federnde Eigenschaft bewirkt die Reduktion von Spitzendrücken bei einem zunehmenden Druckaufbau im Bereich des Bauches. Ein Verlust des ventralen Widerlagers ist nicht zu befürchten, denn die Silikonhose hält die Weichteile und bietet somit den nötigen Support. Die Modelliertechnik minimiert die Pseudarthrose in der Sagittalebene.
Funktion und Komfortgewinn: Hygiene, Schutz
Äußerst pflegeleichtes HTV-Silikon ermöglicht eine einfache Reinigung. Das Material kann sowohl gekocht als auch mit Alkohol desinfiziert und/oder sterilisiert werden. Dies bringt vor allem bei reaktionsempfindlichen Stümpfen einen großen Komfortgewinn. Das Material Silikon ist nicht allergen. Rückstände von Schweiß, häufigster Verursacher von Reaktionen, können schnell ausgewaschen werden. Einem sofortigen Wiedereinsatz der Hose steht somit nichts im Weg, da bei der Reinigung keine Trocknungs- oder Ruhezeiten entstehen.
Auch bei Arbeiten am Schaft bietet die Silikonhose einen entscheidenden Vorteil: Eingelegte Weichpolsterungen, Reduzierungen durch Pads oder angeschliffene Oberflächen kommen nicht mit der Haut in Berührung. Das Silikon bildet eine klare Trennschicht zum Korb. Wirkende Scherkräfte werden zum größten Teil auf der Außenseite der Silikonhose abgebaut (Abb. 13).
Gestaltungsvarianten definitiver Versorgungen
Eine klare Trimline können die Verfasser hier nicht nennen. Der Zuschnitt erfolgt individuell, doch Regelmäßigkeiten sind vorhanden: Die Silikonhose reicht von den unteren Rippenbögen und fasst nach distal den Stumpf komplett ein. Körperöffnungen können in der Regel freigehalten werden, knöcherne Strukturen wie Sitzbein und Ramusast werden teilweise mit in die Silikonhose einbezogen. Auf der umgreifenden Seite bestimmt der verträgliche Druck auf das Gewebe die Größe der Schaftanteile. Der Schaftzuschnitt des Prepreg-Containers ist im Vergleich zur Silikonhose bereits reduziert und kann je nach Konstitution des Anwenders auch mehr reduziert werden (Abb. 14).
Bei hemipelvektomierten Anwendern werden die Flächen größer gehalten, um ein Stabilisieren des Beckens im Beckenkorb zu realisieren und ein Abrutschen aufgrund fehlender Umgreifungsmöglichkeiten zu vermeiden. Die axiale Last muss über andere Strukturen als den Sitzbein-Ramusast verteilt werden. Die Weichteile sind in der Regel nicht stabil genug, um die volle Körperlast zu übernehmen. So können bei hohen Amputationsniveaus das Sitzbein der kontralateralen Seite, das Steißbein und die Rippenbögen mit einbezogen werden.
Die kosmetische Formgebung geschieht entweder so funktionell wie möglich, gleichbedeutend mit keiner Kosmetik, oder aber in Form geteilter Kosmetika (Abb. 15). Diese weisen im Unterschenkelbereich eine physiologische Form auf, im Oberschenkelbereich hingegen müssen sie schmal und klein sein, mit der Möglichkeit einer freien Bewegung in anteriore und posteriore Richtung, damit ein funktionelles Sitzen möglich ist. Durch die Anordnung des Hüftgelenks ist kaum Platz nach distal vorhanden, und es würde bei einer physiologischen Gestaltung der Kosmetik beim Sitzen zu einem starken Flektieren zwischen dem Beckenkorb und dem Oberschenkel kommen. Alternativ können durchgehende PUR-Weichschäume für eine geschlossene Kosmetik zwischen Unterschenkel und Oberschenkel verwendet werden. Der große Nachteil dessen ist jedoch die streckende Wirkung auf das Kniegelenk.
Diskussion
Damit die Vorteile des geteilten Beckenkorbes in Verbindung mit einer HTV-Silikonhose mit ventraler Verschlusstechnik genutzt werden können, bedarf es unbedingt einer Gebrauchsschulung durch den Orthopädie-Techniker. Das korrekte Anziehen der Silikonhose und der richtige Umgang mit dem Verschluss-System müssen angeleitet werden, da sich diese Technik von der Anwendung einer konventionellen Versorgung deutlich unterscheidet und etwaige Misserfolge aufgrund von Handhabungsproblemen vermieden werden sollten. Bei Anwendern mit eingeschränkten motorischen Fähigkeiten besteht die Möglichkeit, die Silikonhose in den Schaft zu fixieren (Abb. 16). Die Bedienung des Mammuts erfolgt konstruktionsbedingt nicht geräuschlos und hat dadurch zumindest bei einem Anwender zur Disqualifizierung dieses Systems geführt.
Weiterhin trägt eine erfahrene Physiotherapie zum Gelingen und zur Verbesserung der Versorgungsqualität bei. Durch die direktere Adaptation zwischen Schaft und Anwender kann in der Regel eine gegenüber dem erhaltenen Bein angepasste Prothesenlänge erreicht werden. Stolperrisiken, die durch ein axiales Pumpen (Pseudarthrose zwischen Stumpf und Schaft) bestehen und sich als „Schleifen” des Prothesenfußes in der Schwungphase bemerkbar machen, werden konstruktionsbedingt durch die Verwendung der Silikonhose fast vollständig eliminiert.
Durch eine verbesserte Kontrolle über das System lässt sich der statische Aufbau für den Anwender optimieren. Die Objektivierung der wirkenden Bodenreaktionskraft über das L.A.S.A.R. Posture ermöglicht es, die Statik im Hinblick auf eine physiologische Belastungssituation einzustellen 6 (Abb. 17). Eine Auskunft über die horizontal wirkenden Kräfte ist im Moment nur beim Einsatz eines Genium-Kniesystems möglich (Abb. 18). Wichtig sind diese Informationen dennoch auch bei anderen eingesetzten Passteilen, da nur so eine qualitative Bewertung vorgenommen und individuelle Körperhaltungen und Kompensationsmechanismen vermieden werden können.
Nach dem Essen und Trinken folgt die Abführung. Egal, welches Schaftsystem zur Anwendung kommt – der Druck im Abdomen, wie klein er auch sein mag, bringt selbst bei Männern nicht die gewünschte Freiheit und Unbeschwertheit, um die Blase vollständig entleeren zu können. Somit zeigt der Toilettengang einmal mehr, dass das Tragen der Prothese hierbei nur ein Kompromiss für die Anwender sein kann.
Fazit
Die Versorgung dieser Anwendergruppe stellt eine sehr umfassende Aufgabe dar, der die Verfasser mit größtem Respekt begegnen. Einem langjährig in seinem System geübten Anwender muss bewusst gemacht werden, was es bedeuten kann, eine Systemumstellung vorzunehmen, und dass dies für ihn mit viel Aufwand und einer großen Lernbereitschaft verbunden ist. Andererseits gibt es nach Meinung der Autoren aus funktioneller Sicht keine Gründe, Neuanwender heutzutage noch mit einem konventionellen Beckenkorb zu versorgen. Nach einer sechsjährigen Erfahrung zeigt sich das beschriebene Versorgungssystem – geteilter Beckenkorb mit dorsaler Verschlusstechnik, Silikonhose mit ventraler Verschlusstechnik – als Mittel der Wahl und als großes Plus in der Versorgungsqualität der Hüftprothetik.
Als Wunschthemen für die Zukunft stehen aus Sicht der Autoren eine Reduzierung der Verschlussgröße und eine Verbesserung der Bedienung im Vordergrund, damit kosmetische Formgebung, Funktion und Akzeptanz der Prothese nochmals verbessert werden. Auch in der Hüftprothetik sehen wir zunehmend adaptiven Prothesensystemen entgegen, die sowohl den Schaft- als auch den Gangkomfort harmonisieren und den Anwendern zu mehr Mobilität verhelfen.
Ein enges interdisziplinäres Teamwork zwischen Anwender, Arzt, Orthopädie-Techniker und Therapeut wirkt sich nachhaltig auf die Versorgung des Anwenders aus. Diesem gebührt der größte Respekt, denn neben den klinischen Voraussetzungen und einer guten Prothetik ist das erfolgreiche Outcome auf diesem Versorgungsniveau einer unglaublichen Willensleistung und einem entsprechenden Kampfgeist unterworfen. Lohnen tut sich der Aufwand allemal: Die Hände frei zu haben, um sein Kind auf den Armen zu tragen, ist ein alltägliches Bedürfnis, das es zu erfüllen gilt.
Für die Autoren:
Tim Baumeister
Orthopädie-Technikermeister
Pohlig GmbH
Waldhofer Straße 98
69123 Heidelberg
T.Baumeister@pohlig.net
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Baumeister T, Schäfer M, Gawron O. Individuelle Silikon-Schafttechnik zur Verbesserung des Schaftkomforts in der Hüftprothetik. Orthopädie Technik, 2014; 65 (11): 18–27
- Kinder mit Trisomie 21: Einsatz der Ganganalyse zur adäquaten Schuh- und Orthesenversorgung — 5. November 2024
- Rehabilitation aus orthopädietechnischer und physiotherapeutischer Sicht – Osseointegration und Schaftprothesen der unteren Extremität im Vergleich — 5. November 2024
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- Baumgartner R, Botta P. Amputation und Prothesenversorgung. 3., vollständig überarbeitete Auflage. Stuttgart, New York: Thieme Verlag, 2008: 401
- Botta R. Beckenprothese mit Tuber umgreifender Einbettung. In: Baumgartner R, Botta P. Amputation und Prothesenversorgung. 3., vollständig überarbeitete Auflage. Stuttgart, New York: Thieme Verlag, 2008: 402–405
- Hauser D. Tuberumgreifende Einbettung bei Hüftexartikulationsprothesen. Orthopädie Technik, 2005; 56 (5): 408–411
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