Worauf haben Ärzt:innen vor und bei der Durchführung von Liposuktionen und Sanitätshäuser bei der Kompressionsversorgung also zu achten, um sich keinen Schadenersatzforderungen ausgesetzt zu sehen? Tückische Fallstricke für behandelnde Ärzt:innen und welche Rolle Sanitätshäuser dabei einnehmen, erläutert Timm Laue-Ogal, Fachanwalt für Medizinrecht, in diesem Gastbeitrag.
Aufklärung
Die Patient:innen sind von den Behandelnden vor einem Eingriff durch einen dazu befähigten Arzt über die Behandlung „im Großen und Ganzen“ aufzuklären und haben danach in den Eingriff einzuwilligen. Dies ist ein Gebot des gesetzlich verankerten Selbstbestimmungsrechts der Patient:innen. Die Aufklärung muss mündlich erfolgen. Aufklärungsbögen mit einer Unterschrift des Patienten sind nur ein Indiz dafür, dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat, aber kein echter Beweis. Im Zweifelsfall muss die Behandlerseite vor Gericht nachweisen, dass eine ordnungsgemäße mündliche Aufklärung stattgefunden hat. Immerhin erleichtert die Rechtsprechung es den Behandelnden hier durch den sog. „Immer-so-Beweis“1. Kann sich ein Arzt nicht mehr konkret an ein Aufklärungsgespräch erinnern, gleichzeitig aber glaubhaft darlegen, dass es für die Inhalte der Aufklärung einen hausinternen Standard gibt, an den man sich immer hält, dann reicht das laut BGH (Bundesgerichtshof, Anm. d. Red.) für den Nachweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung aus.
Ist die Aufklärung fehlerhaft, z. B. weil nicht auf in Betracht kommende Alternativen hingewiesen wurde oder das Gespräch erst wenige Minuten vor dem Eingriff erfolgte, dann ist der durchgeführte Eingriff mangels Einwilligung des Patienten grundsätzlich rechtswidrig. In diesem Fall können sich die behandelnden Ärzte nur noch auf die sog. mutmaßliche Einwilligung der Patient:innen berufen, also darauf, dass auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung eine Einwilligung in den Eingriff erfolgt wäre. So sieht es § 630h Abs. 2 Satz 2 BGB vor. Dann muss der Patient zur Überzeugung des Gerichts darlegen, dass das eben nicht der Fall gewesen ist.
Im Falle der Liposuktion bei Lipödem mit mehreren Eingriffen ist grundsätzlich nur einmal ausführlich über die Operationen und deren Risiken aufzuklären. Obwohl regelmäßig mehrere Monate zwischen den einzelnen Eingriffen liegen, reicht dies in den allermeisten Fällen aus. Etwas anderes gilt aber, wenn vor den ersten Liposuktionen an den Armen nur über diese Eingriffe aufgeklärt wurde und es bei den Folge-Operationen an den Beinen andere, ggfs. erhöhte Risiken gibt. Dann ist darüber gesondert aufzuklären. Jedes Aufklärungsgespräch bei geplanten Eingriffen hat rechtzeitig vor der Operation stattzufinden, sodass die Patient:innen eine ausreichende Bedenkzeit haben. Eine Aufklärung am Tag der Liposuktion selbst ist regelmäßig nicht rechtzeitig.
Bei Entstauungsmaßnahmen verordnen Ärzte regelmäßig eine Kompressionsbestrumpfung (Rundstrick, Flachstrick, medizinisch adaptive Kompression – MAK), die von Sanitätshäusern vermessen und angepasst wird. Dabei wird die therapeutische Aufklärung über das Anlegen und Tragen der Kompression von den dortigen Fachkräften übernommen. Dies ist auch zulässig. Ärzte können solche Aufklärungsmaßnahmen an fachkundige und damit „befähigte“ Personen delegieren, die selbst keine Ärzte sind.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Kosteninformation: Nach § 630c Abs. 3 BGB ist der Patient über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung, hier: der Kompressionsversorgung zu informieren. Dem Gesetzeswortlaut nach hat dies sogar in Textform zu geschehen. Es ist den Sanitätshäusern daher unbedingt anzuraten, den Patient:innen die unterschiedlichen Kompressionsmöglichkeiten und die damit jeweils einhergehenden Eigenanteile verständlich zu erläutern und auf einem von dem Patienten zu unterzeichnenden Informationsbogen die gewünschte Versorgung festzulegen.
Behandlung
Wie bisher schulden Ärzte den Patient:innen eine Behandlung „lege artis“, also gemäß den jeweils aktuellen fachmedizinischen Standards2. In einem Gerichtsverfahren wird die Frage, ob dagegen verstoßen wurde und demnach ein Behandlungsfehler vorliegt, so gut wie immer durch Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt. Maßgabe sind hier vorhandene Leit- oder Richtlinien der medizinischen Fachgesellschaften und im Übrigen die gesetzlichen Beweismaßregeln.
Facharztstandard: Die für Liposuktionen einschlägige Leitlinie3befindet sich zwar derzeit in der Überarbeitung, standardmäßig wird vor operativen Eingriffen eine komplexe physikalische Entstauung (KPE) durchzuführen sein. Entstautes Gewebe ist sicherer operabel, die Liposuktion also mit weniger Risiken verbunden und die Heilungszeit nach der Operation ist kürzer. Nicht zuletzt sieht auch die 2019 in Kraft getretene QS-Richtlinie Liposuktion bei Lipödem im Stadium III4zwingend eine mindestens sechs Monate kontinuierlich durchgeführte konservative Therapie vor, bevor ein operativer Eingriff von der Krankenkasse bezahlt wird. Die gerichtlichen Sachverständigen orientieren sich bei ihren Gutachten in Haftungsprozessen an diesen Vorgaben.
Weitere rechtliche Regelungen gibt es in dem schon erwähnten § 630h BGB, der zentralen Norm in Arzthaftungsprozessen. Verwirklicht sich z. B. bei einem Eingriff ein voll beherrschbares Behandlungsrisiko und führt dies bei dem Patienten zu einem Schaden, wird ein Behandlungsfehler vermutet. Wenn eine medizinisch gebotene Maßnahme nicht dokumentiert wurde, gilt sie als nicht erbracht. Auch dann wird also eine Unterschreitung des Facharztstandards angenommen.
Ausnahmsweise kann eine Unterschreitung des Fachstandards unschädlich sein, z. B. dann, wenn sie zwischen Sanitätshaus und Patient:in vereinbart wurde. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Patient keinen Eigenanteil für eine Kompressionsversorgung zu tragen bereit ist, dies aber Voraussetzung für die Einhaltung des Standards wäre. Dann kann einvernehmlich festgelegt werden, dass nicht der aktuelle fachliche Standard, sondern nur die zuzahlungsfreie Kassenversorgung geschuldet ist. Diese Möglichkeit sieht § 630a Abs. 2 BGB ausdrücklich vor.
Beweislast: Ansonsten gilt der Grundsatz: Ist ein Patient mit dem Ergebnis einer Behandlung nicht zufrieden oder kam es dabei zu Komplikationen und Folgeerkrankungen, muss er nicht nur beweisen, dass der Facharztstandard unterschritten wurde, sondern auch, dass es genau dadurch zum frustranen Ergebnis bzw. zu den weiteren Beschwerden kam. Ansonsten bleibt der Behandlungsfehler mangels dadurch verursachten Schadens für die Behandlerseite folgenlos.
Das Gesetz sieht jedoch bei dieser Beweisverteilung in § 630h Abs. und 5 BGB drei Ausnahmen zugunsten der Patient:innen vor. Eine Ausnahme ist der sog. Anfängerfehler. Stellt sich heraus, dass der behandelnde Arzt für den von ihm durchgeführten Eingriff nicht hinreichend befähigt war, wird vermutet, dass das die Ursache für den Gesundheitsschaden des Patienten ist.
Bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers findet ebenfalls eine Beweislastumkehr statt. Kann der Patient beweisen, dass das Vorgehen des Arztes in grober Weise gegen die Fachstandards verstieß, wird unterstellt, dass die gesundheitlichen Folgen auf diesem Fehler beruhen. Der Arzt muss in einem solchen Fall seinerseits das Gegenteil beweisen.
Dasselbe gilt bei einem sog. Befunderhebungsfehler. Die gesetzliche Regelung dazu liest sich kompliziert. Es geht um den Fall, in dem ein Arzt trotz unklarer Befunde pflichtwidrig keine weitere Abklärung vornimmt. Hätte sich bei korrekter Erhebung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiger Befund ergeben und wäre das Unterlassen einer Reaktion darauf grob fehlerhaft gewesen, wird vermutet, dass die fehlende Befunderhebung für den gesundheitlichen Schaden des Patienten ursächlich war.
Ausblick
Mehrere Patientenvertretungen erheben derzeit die Forderung an die Politik, das Beweismaß nicht nur in den genannten Ausnahmefällen zugunsten der Patient:innen zu lockern.
Nach dem bisherigen strengen Beweismaß (§ 286 ZPO) müssen Patient:innen im Regelfall – wenn keine der o. g. Ausnahmen vorliegt – die Ursächlichkeit des Fehlers für den Schaden „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ zur Überzeugung des Gerichts beweisen. Dieses Maß soll auf eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ abgesenkt werden.
Gefordert wird von mehreren Seiten zudem eine gesetzliche Konkretisierung des Zeitraums, der zwischen dem Aufklärungsgespräch und dem Eingriff liegen muss.
Einzelheiten zu beiden Punkten sind in der Rechtswissenschaft jedoch umstritten. Auch wenn der Patientenbeauftragte der Bundesregierung dieses Ziel und damit die Umsetzung des Koalitionsvertrages innerhalb der bis 2025 laufenden Legislaturperiode erreichen möchte: Es ist derzeit nicht sicher absehbar, ob und in welcher Form es bis dahin zu einer gesetzlichen Änderung der Beweisregelungen im Bereich der Behandlungsfehler kommt.
Timm Laue-Ogal
Rechtsanwalt Timm Laue-Ogal absolvierte bis 2001 sein Studium der Rechtswissenschaften in Osnabrück und Freiburg. Er ist seit 2002 mit eigener Kanzlei in Osnabrück zugelassen. Seit 2009 ist er Fachanwalt für Medizinrecht, seit 2015 Fachanwalt für Arbeitsrecht. Rechtsanwalt Laue-Ogal ist neben seiner bundesweiten anwaltlichen Tätigkeit für mehrere Seminar-Institute und Fachgesellschaften als Dozent für medizin- und arbeitsrechtliche Themen unterwegs.
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- so u. a. BGH, Urteil vom 28.01.2014 – VI ZR 143/13
- § 630a Abs. 2 BGB: „Die Behandlung hat nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein
anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist.“ - S1-Leitlinie 037/012: Lipödem von 10/2015, https://register.awmf.org/assets/guidelines/037–012l_S1_Lipoedem_2016-01-abgelaufen.pdf (Zugriff am 15.05.2023)
- G‑BA Qualitätssicherungs-Richtlinie Liposuktion bei Lipödem im Stadium III / QS-RL Liposuktion vom 19.09.2019