Das Bundesarbeitsgericht (BAG) begründet seine Entscheidung nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Mai 2019, welches die Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie betraf. Nach der BAG-Entscheidung ist das Urteil des EuGH aufgrund des Arbeitsschutzgesetzes mit sofortiger Wirkung von den Arbeitgebern in Deutschland zu beachten. Die Pflicht zur Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung beschränkt sich nicht darauf, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer:innen ein solches System zur Verfügung stellt, sondern verpflichtet sie, davon Gebrauch zu machen.Doch wie weit sind die deutschen Unternehmen bei der Umsetzung der Arbeitszeiterfassung? Dieser Frage ging eine repräsentative Umfrage unter 603 Unternehmen ab 20 Beschäftigten in Deutschland im Auftrag des Digitalverbands Bitkom nach. Das Ergebnis: Nur zwei von drei Arbeitgebern haben die Zeiterfassung bereits etabliert und nutzen diese auch. Ein Drittel der befragten Unternehmen (33 Prozent) hat die Arbeitszeit schon vor der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts erfasst, ein Viertel (26 Prozent) danach damit begonnen. 28 Prozent der Unternehmen machen noch keine Arbeitszeiterfassung, wollen aber dieses Jahr damit beginnen. 12 Prozent planen zwar, die Arbeitszeit zu erfassen, wissen aber noch nicht, ab wann. Insgesamt setzen alle Unternehmen die neue Vorgabe um oder haben dies fest vor.
„Für viele Unternehmen ist die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung eine große Umstellung. Sie greift tief in die Unternehmenskultur ein, zwingt zu Kontrolle, wo bislang auf Vertrauensbasis gearbeitet wurde, und schafft eine völlig überflüssige Bürokratie. Aktuell arbeiten rund zwei Drittel der Beschäftigten, die von ihrem Arbeitgeber die Möglichkeit dazu bekommen, komplett oder teilweise im Homeoffice. Besonders in der Digitalwirtschaft ist eine auf Flexibilität und Vertrauen basierende Arbeitskultur wichtig, die Branche muss angesichts des immensen Fachkräftemangels attraktiv bleiben – die Arbeitszeiterfassung ist dabei absolut kontraproduktiv“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg. „Wenn das Bundesarbeitsgericht auf Basis des geltenden Rechts mehr als 34 Millionen Menschen in Deutschland zur minutiösen Erfassung ihrer Arbeitszeiten verpflichtet, dann zeigt das vor allem eines: Unser Arbeitsrecht passt nicht mehr in die Zeit und gehört sehr grundsätzlich überprüft und reformiert.“
Flexibilitätsspielräume ausgestalten
Der aktuelle „Arbeitszeitreport Deutschland“, herausgegeben von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua), unterstützt diese Forderung Bergs nur bedingt. Laut dem Bericht wird die Arbeitszeit bei insgesamt acht von zehn Beschäftigten betrieblich (47 Prozent) oder durch die Beschäftigten selbst (32 Prozent) erfasst. Wird die Arbeitszeit betrieblich erfasst, geht dies fast immer mit der Verbuchung auf einem Arbeitszeitkonto einher. Im Durchschnitt seien, so das Fazit des Berichts, Beschäftigte mit Arbeitszeiterfassung zufriedener mit ihrer Work-Life-Balance. Die Ergebnisse des Arbeitzeitsreports unterstreichen, dass die Ausgestaltung der Länge, Lage und Flexibilität von Arbeitszeiten eine entscheidende Rolle für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten spielt. Sie hängt zudem mit der wahrgenommenen Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf zusammen. Flexible Arbeitszeiten gewinnen immer mehr an Bedeutung. Diese Flexibilitätsspielräume nicht nur zu nutzen, sondern gesundheitsförderlich auszugestalten, sei eine der zentralen zukünftigen Herausforderungen des Arbeitsschutzes.
Unter den Unternehmen, die die Arbeitszeit bereits erfassen, setzen laut Bitkom die meisten ein elektronisches System ein, das am Computer (28 Prozent) oder per Smartphone-App (17 Prozent) genutzt wird. Ein Viertel der Unternehmen (25 Prozent) setzt auf Stempel- oder Stechuhr, je ein Fünftel auf ein stationäres Zeiterfassungssystem, das mittels Karte, Chip, Transponder oder Fingerabdruck bedient wird (22 Prozent) oder Excel-Tabellen (20 Prozent). Immerhin 16 Prozent verwenden noch einen handschriftlichen Stundenzettel. Berg: „Unternehmen sollten bei der Arbeitszeiterfassung auf digitale Lösungen setzen. Sie sind einfach zu bedienen und können auch im Homeoffice genutzt werden.“
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