Haf­tungs­fal­len in der Lym­pho­lo­gie bei Auf­klä­rung und Behandlung

In ihrem Koalitionsvertrag hat die aktuelle Bundesregierung eine Stärkung der Patientenrechte geplant [Koalitionsvertrag 2021 „Mehr Fortschritt wagen“, S. 87]. Dies dürfte einhergehen mit einer verschärften Haftung der Behandelnden. Ob, wann und wie die Pläne umgesetzt werden, ist noch völlig offen. Aber auch jetzt schon gibt es Regelungen zum Behandlungsvertrag im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) [§§ 630a ff. BGB, in Kraft getreten am 26.02.2013], in denen Vorgaben zu medizinischen Standards, Aufklärung, Dokumentation und Beweislast normiert sind.

Wor­auf haben Ärzt:innen vor und bei der Durch­füh­rung von Lipo­suk­tio­nen und Sani­täts­häu­ser bei der Kom­pres­si­ons­ver­sor­gung also zu ach­ten, um sich kei­nen Scha­den­er­satz­for­de­run­gen aus­ge­setzt zu sehen? Tücki­sche Fall­stri­cke für behan­deln­de Ärzt:innen und wel­che Rol­le Sani­täts­häu­ser dabei ein­neh­men, erläu­tert Timm Laue-Ogal, Fach­an­walt für Medi­zin­recht, in die­sem Gastbeitrag.

Auf­klä­rung

Die Patient:innen sind von den Behan­deln­den vor einem Ein­griff durch einen dazu befä­hig­ten Arzt über die Behand­lung „im Gro­ßen und Gan­zen“ auf­zu­klä­ren und haben danach in den Ein­griff ein­zu­wil­li­gen. Dies ist ein Gebot des gesetz­lich ver­an­ker­ten Selbst­be­stim­mungs­rechts der Patient:innen. Die Auf­klä­rung muss münd­lich erfol­gen. Auf­klä­rungs­bö­gen mit einer Unter­schrift des Pati­en­ten sind nur ein Indiz dafür, dass ein Auf­klä­rungs­ge­spräch statt­ge­fun­den hat, aber kein ech­ter Beweis. Im Zwei­fels­fall muss die Behand­ler­sei­te vor Gericht nach­wei­sen, dass eine ord­nungs­ge­mä­ße münd­li­che Auf­klä­rung statt­ge­fun­den hat. Immer­hin erleich­tert die Recht­spre­chung es den Behan­deln­den hier durch den sog. „Immer-so-Beweis“1. Kann sich ein Arzt nicht mehr kon­kret an ein Auf­klä­rungs­ge­spräch erin­nern, gleich­zei­tig aber glaub­haft dar­le­gen, dass es für die Inhal­te der Auf­klä­rung einen haus­in­ter­nen Stan­dard gibt, an den man sich immer hält, dann reicht das laut BGH (Bun­des­ge­richts­hof, Anm. d. Red.) für den Nach­weis einer ord­nungs­ge­mä­ßen Auf­klä­rung aus.

Ist die Auf­klä­rung feh­ler­haft, z. B. weil nicht auf in Betracht kom­men­de Alter­na­ti­ven hin­ge­wie­sen wur­de oder das Gespräch erst weni­ge Minu­ten vor dem Ein­griff erfolg­te, dann ist der durch­ge­führ­te Ein­griff man­gels Ein­wil­li­gung des Pati­en­ten grund­sätz­lich rechts­wid­rig. In die­sem Fall kön­nen sich die behan­deln­den Ärz­te nur noch auf die sog. mut­maß­li­che Ein­wil­li­gung der Patient:innen beru­fen, also dar­auf, dass auch bei ord­nungs­ge­mä­ßer Auf­klä­rung eine Ein­wil­li­gung in den Ein­griff erfolgt wäre. So sieht es § 630h Abs. 2 Satz 2 BGB vor. Dann muss der Pati­ent zur Über­zeu­gung des Gerichts dar­le­gen, dass das eben nicht der Fall gewe­sen ist.

Im Fal­le der Lipo­suk­ti­on bei Lipö­dem mit meh­re­ren Ein­grif­fen ist grund­sätz­lich nur ein­mal aus­führ­lich über die Ope­ra­tio­nen und deren Risi­ken auf­zu­klä­ren. Obwohl regel­mä­ßig meh­re­re Mona­te zwi­schen den ein­zel­nen Ein­grif­fen lie­gen, reicht dies in den aller­meis­ten Fäl­len aus. Etwas ande­res gilt aber, wenn vor den ers­ten Lipo­suk­tio­nen an den Armen nur über die­se Ein­grif­fe auf­ge­klärt wur­de und es bei den Fol­ge-Ope­ra­tio­nen an den Bei­nen ande­re, ggfs. erhöh­te Risi­ken gibt. Dann ist dar­über geson­dert auf­zu­klä­ren. Jedes Auf­klä­rungs­ge­spräch bei geplan­ten Ein­grif­fen hat recht­zei­tig vor der Ope­ra­ti­on statt­zu­fin­den, sodass die Patient:innen eine aus­rei­chen­de Bedenk­zeit haben. Eine Auf­klä­rung am Tag der Lipo­suk­ti­on selbst ist regel­mä­ßig nicht rechtzeitig.

Bei Ent­stau­ungs­maß­nah­men ver­ord­nen Ärz­te regel­mä­ßig eine Kom­pres­si­ons­be­strump­fung (Rund­strick, Flachstrick, medi­zi­nisch adap­ti­ve Kom­pres­si­on – MAK), die von Sani­täts­häu­sern ver­mes­sen und ange­passt wird. Dabei wird die the­ra­peu­ti­sche Auf­klä­rung über das Anle­gen und Tra­gen der Kom­pres­si­on von den dor­ti­gen Fach­kräf­ten über­nom­men. Dies ist auch zuläs­sig. Ärz­te kön­nen sol­che Auf­klä­rungs­maß­nah­men an fach­kun­di­ge und damit „befä­hig­te“ Per­so­nen dele­gie­ren, die selbst kei­ne Ärz­te sind.

Wich­tig ist in die­sem Zusam­men­hang die Kos­ten­in­for­ma­ti­on: Nach § 630c Abs. 3 BGB ist der Pati­ent über die vor­aus­sicht­li­chen Kos­ten der Behand­lung, hier: der Kom­pres­si­ons­ver­sor­gung zu infor­mie­ren. Dem Geset­zes­wort­laut nach hat dies sogar in Text­form zu gesche­hen. Es ist den Sani­täts­häu­sern daher unbe­dingt anzu­ra­ten, den Patient:innen die unter­schied­li­chen Kom­pres­si­ons­mög­lich­kei­ten und die damit jeweils ein­her­ge­hen­den Eigen­an­tei­le ver­ständ­lich zu erläu­tern und auf einem von dem Pati­en­ten zu unter­zeich­nen­den Infor­ma­ti­ons­bo­gen die gewünsch­te Ver­sor­gung festzulegen.

Behand­lung

Wie bis­her schul­den Ärz­te den Patient:innen eine Behand­lung „lege artis“, also gemäß den jeweils aktu­el­len fach­me­di­zi­ni­schen Stan­dards2. In einem Gerichts­ver­fah­ren wird die Fra­ge, ob dage­gen ver­sto­ßen wur­de und dem­nach ein Behand­lungs­feh­ler vor­liegt, so gut wie immer durch Ein­ho­lung eines Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens geklärt. Maß­ga­be sind hier vor­han­de­ne Leit- oder Richt­li­ni­en der medi­zi­ni­schen Fach­ge­sell­schaf­ten und im Übri­gen die gesetz­li­chen Beweismaßregeln.

Fach­arzt­stan­dard: Die für Lipo­suk­tio­nen ein­schlä­gi­ge Leit­li­nie3befin­det sich zwar der­zeit in der Über­ar­bei­tung, stan­dard­mä­ßig wird vor ope­ra­ti­ven Ein­grif­fen eine kom­ple­xe phy­si­ka­li­sche Ent­stau­ung (KPE) durch­zu­füh­ren sein. Ent­stau­tes Gewe­be ist siche­rer ope­ra­bel, die Lipo­suk­ti­on also mit weni­ger Risi­ken ver­bun­den und die Hei­lungs­zeit nach der Ope­ra­ti­on ist kür­zer. Nicht zuletzt sieht auch die 2019 in Kraft getre­te­ne QS-Richt­li­nie Lipo­suk­ti­on bei Lipö­dem im Sta­di­um III4zwin­gend eine min­des­tens sechs Mona­te kon­ti­nu­ier­lich durch­ge­führ­te kon­ser­va­ti­ve The­ra­pie vor, bevor ein ope­ra­ti­ver Ein­griff von der Kran­ken­kas­se bezahlt wird. Die gericht­li­chen Sach­ver­stän­di­gen ori­en­tie­ren sich bei ihren Gut­ach­ten in Haf­tungs­pro­zes­sen an die­sen Vorgaben.

Wei­te­re recht­li­che Rege­lun­gen gibt es in dem schon erwähn­ten § 630h BGB, der zen­tra­len Norm in Arzt­haf­tungs­pro­zes­sen. Ver­wirk­licht sich z. B. bei einem Ein­griff ein voll beherrsch­ba­res Behand­lungs­ri­si­ko und führt dies bei dem Pati­en­ten zu einem Scha­den, wird ein Behand­lungs­feh­ler ver­mu­tet. Wenn eine medi­zi­nisch gebo­te­ne Maß­nah­me nicht doku­men­tiert wur­de, gilt sie als nicht erbracht. Auch dann wird also eine Unter­schrei­tung des Fach­arzt­stan­dards angenommen.

Aus­nahms­wei­se kann eine Unter­schrei­tung des Fach­stan­dards unschäd­lich sein, z. B. dann, wenn sie zwi­schen Sani­täts­haus und Patient:in ver­ein­bart wur­de. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Pati­ent kei­nen Eigen­an­teil für eine Kom­pres­si­ons­ver­sor­gung zu tra­gen bereit ist, dies aber Vor­aus­set­zung für die Ein­hal­tung des Stan­dards wäre. Dann kann ein­ver­nehm­lich fest­ge­legt wer­den, dass nicht der aktu­el­le fach­li­che Stan­dard, son­dern nur die zuzah­lungs­freie Kas­sen­ver­sor­gung geschul­det ist. Die­se Mög­lich­keit sieht § 630a Abs. 2 BGB aus­drück­lich vor.

Beweis­last: Ansons­ten gilt der Grund­satz: Ist ein Pati­ent mit dem Ergeb­nis einer Behand­lung nicht zufrie­den oder kam es dabei zu Kom­pli­ka­tio­nen und Fol­ge­er­kran­kun­gen, muss er nicht nur bewei­sen, dass der Fach­arzt­stan­dard unter­schrit­ten wur­de, son­dern auch, dass es genau dadurch zum frus­tra­nen Ergeb­nis bzw. zu den wei­te­ren Beschwer­den kam. Ansons­ten bleibt der Behand­lungs­feh­ler man­gels dadurch ver­ur­sach­ten Scha­dens für die Behand­ler­sei­te folgenlos.

Das Gesetz sieht jedoch bei die­ser Beweis­ver­tei­lung in § 630h Abs. und 5 BGB drei Aus­nah­men zuguns­ten der Patient:innen vor. Eine Aus­nah­me ist der sog. Anfän­ger­feh­ler. Stellt sich her­aus, dass der behan­deln­de Arzt für den von ihm durch­ge­führ­ten Ein­griff nicht hin­rei­chend befä­higt war, wird ver­mu­tet, dass das die Ursa­che für den Gesund­heits­scha­den des Pati­en­ten ist.

Bei Vor­lie­gen eines gro­ben Behand­lungs­feh­lers fin­det eben­falls eine Beweis­last­um­kehr statt. Kann der Pati­ent bewei­sen, dass das Vor­ge­hen des Arz­tes in gro­ber Wei­se gegen die Fach­stan­dards ver­stieß, wird unter­stellt, dass die gesund­heit­li­chen Fol­gen auf die­sem Feh­ler beru­hen. Der Arzt muss in einem sol­chen Fall sei­ner­seits das Gegen­teil beweisen.

Das­sel­be gilt bei einem sog. Befund­er­he­bungs­feh­ler. Die gesetz­li­che Rege­lung dazu liest sich kom­pli­ziert. Es geht um den Fall, in dem ein Arzt trotz unkla­rer Befun­de pflicht­wid­rig kei­ne wei­te­re Abklä­rung vor­nimmt. Hät­te sich bei kor­rek­ter Erhe­bung mit hin­rei­chen­der Wahr­schein­lich­keit ein reak­ti­ons­pflich­ti­ger Befund erge­ben und wäre das Unter­las­sen einer Reak­ti­on dar­auf grob feh­ler­haft gewe­sen, wird ver­mu­tet, dass die feh­len­de Befund­er­he­bung für den gesund­heit­li­chen Scha­den des Pati­en­ten ursäch­lich war.

Aus­blick

Meh­re­re Pati­en­ten­ver­tre­tun­gen erhe­ben der­zeit die For­de­rung an die Poli­tik, das Beweis­maß nicht nur in den genann­ten Aus­nah­me­fäl­len zuguns­ten der Patient:innen zu lockern.

Nach dem bis­he­ri­gen stren­gen Beweis­maß (§ 286 ZPO) müs­sen Patient:innen im Regel­fall – wenn kei­ne der o. g. Aus­nah­men vor­liegt – die Ursäch­lich­keit des Feh­lers für den Scha­den „mit an Sicher­heit gren­zen­der Wahr­schein­lich­keit“ zur Über­zeu­gung des Gerichts bewei­sen. Die­ses Maß soll auf eine „über­wie­gen­de Wahr­schein­lich­keit“ abge­senkt werden.

Gefor­dert wird von meh­re­ren Sei­ten zudem eine gesetz­li­che Kon­kre­ti­sie­rung des Zeit­raums, der zwi­schen dem Auf­klä­rungs­ge­spräch und dem Ein­griff lie­gen muss.

Ein­zel­hei­ten zu bei­den Punk­ten sind in der Rechts­wis­sen­schaft jedoch umstrit­ten. Auch wenn der Pati­en­ten­be­auf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung die­ses Ziel und damit die Umset­zung des Koali­ti­ons­ver­tra­ges inner­halb der bis 2025 lau­fen­den Legis­la­tur­pe­ri­ode errei­chen möch­te: Es ist der­zeit nicht sicher abseh­bar, ob und in wel­cher Form es bis dahin zu einer gesetz­li­chen Ände­rung der Beweis­re­ge­lun­gen im Bereich der Behand­lungs­feh­ler kommt.

Timm Laue-Ogal

 

Zur Per­son
Rechts­an­walt Timm Laue-Ogal absol­vier­te bis 2001 sein Stu­di­um der Rechts­wis­sen­schaf­ten in Osna­brück und Frei­burg. Er ist seit 2002 mit eige­ner Kanz­lei in Osna­brück zuge­las­sen. Seit 2009 ist er Fach­an­walt für Medi­zin­recht, seit 2015 Fach­an­walt für Arbeits­recht. Rechts­an­walt Laue-Ogal ist neben sei­ner bun­des­wei­ten anwalt­li­chen Tätig­keit für meh­re­re Semi­nar-Insti­tu­te und Fach­ge­sell­schaf­ten als Dozent für medi­zin- und arbeits­recht­li­che The­men unterwegs. 

 

  1. so u. a. BGH, Urteil vom 28.01.2014 – VI ZR 143/13
  2. § 630a Abs. 2 BGB: „Die Behand­lung hat nach den zum Zeit­punkt der Behand­lung bestehen­den, allgemein
    aner­kann­ten fach­li­chen Stan­dards zu erfol­gen, soweit nicht etwas ande­res ver­ein­bart ist.“ 
  3. S1-Leit­li­nie 037/012: Lipö­dem von 10/2015, https://register.awmf.org/assets/guidelines/037–012l_S1_Lipoedem_2016-01-abgelaufen.pdf (Zugriff am 15.05.2023)
  4. G‑BA Qua­li­täts­si­che­rungs-Richt­li­nie Lipo­suk­ti­on bei Lipö­dem im Sta­di­um III / QS-RL Lipo­suk­ti­on vom 19.09.2019
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