Gehen mit mecha­ni­scher und mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ter Knie­pro­the­se – Eine Stu­die über die phy­sio­lo­gi­sche und neu­ro­phy­sio­lo­gi­sche Beanspruchung

N. Nitzsche, M. Gerber, J. Rehor
Ziel der Studie war es, die physiologische Beanspruchung in Bezug auf Gehgeschwindigkeit und den Prothesentyp zu untersuchen. Es wurden sechs männliche, unilateral transfemoral amputierte Probanden (42,7 ± 8,1 Jahre, 1,77 ± 0,1 m, 82,7 ± 10,6 kg) auf einem Laufband mit drei verschiedenen Prothesen (C-Leg, Rheo Knee 2, Kinegen 3A2000) untersucht. Währenddessen wurde die neuromuskuläre Aktivität und Sauerstoffaufnahme erfasst. Die Geschwindigkeit zeigt einen signifikanten Effekt auf die Aktivität der untersuchten Muskeln (p<0,05). Es zeigte sich mit steigender Geschwindigkeit eine prothesenunabhängige Zunahme der Beinmuskelaktivität und des Sauerstoffverbrauchs. Das mechanische Kniegelenk zeigte eine signifikant geringere Aktivität des M. obliquus externus abdominis gegenüber mikroprozessorgesteuerten Kniegelenken (p<0,05). Diese Erkenntnisse könnten bei Umstellung des Prothesenträgers von mechanischer auf mikroprozessorgestützter Prothese von Bedeutung sein.

Ein­lei­tung

In Deutsch­land wer­den jähr­lich 40.000 bis 60.000 Bein­am­pu­ta­tio­nen und 10.000 bis 15.000 Arm­am­pu­ta­tio­nen durch­ge­führt. Die Ursa­chen sind ver­schie­den, haupt­säch­lich aber bedingt durch arte­ri­el­le Durch­blu­tungs­stö­run­gen (87 %), Unfäl­le (4 %), Infek­tio­nen (2 %), Tumo­ren (2 %) und ange­bo­re­ne Fehl­bil­dun­gen (0,2 %). In den letz­ten Jahr­zehn­ten wur­den vor allem für die unte­re Extre­mi­tät Pro­the­sen ent­wi­ckelt, die ein nahe­zu phy­sio­lo­gi­sches Gang­bild ermög­li­chen. Durch neu­ent­wi­ckel­te Funk­ti­ons­prin­zi­pi­en wer­den mehr Sicher­heit und Ener­gie­er­spar­nis ange­strebt. Dies macht sich in län­ge­ren Geh­stre­cken bemerkbar.

Anzei­ge

Eini­ge Stu­di­en unter­such­ten die­se Knie-Pro­the­sen hin­sicht­lich ihres Auf­baus, Funk­ti­ons­wei­se und Nut­zen für den Ampu­tier­ten 1 2 3. Vor allem gang­ana­ly­ti­sche Ver­glei­che von C‑Leg und nicht mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Knie­pro­the­sen 4 5 6 7 8 9 stan­den im Fokus. In Arbei­ten von Schmalz et al. 10 und Johans­son et al. 11 erfolg­ten zudem elek­tro­m­yo­gra­phi­sche Unter­su­chun­gen beim Gehen mit mecha­ni­schen bzw. mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Pro­the­sen. In nahe­zu allen Stu­di­en zeig­te die C‑Leg Pro­the­se die bes­ten Ergeb­nis­se. Die­se wur­de als ener­gie­spa­ren­de, sicher­heits­stei­gern­de Knie­pro­the­se bewer­tet, durch wel­che ein der Phy­sio­lo­gie ent­spre­chen­des Gang­bild erzielt wer­den kann. Kon­trär dazu ste­hen Ergeb­nis­se von Johans­son et al. 12, wel­che das Rheo Knee para­me­ter­be­zo­gen über­ord­nen. Uni­la­te­ral trans­fe­mo­ral ampu­tier­te Pati­en­ten zei­gen Asym­me­trien in der Kine­tik des Gehens 13. Ver­kürz­te Stand­zei­ten auf der Pro­the­sen­sei­te sowie redu­zier­te ver­ti­ka­le und hori­zon­ta­le Impul­se wur­den festgestellt.

Der Rumpf nimmt eine zen­tra­le Funk­ti­on beim Gehen ein. Die Rumpf­mus­kel­ak­ti­vi­tät wur­de bei Pro­the­sen­trä­gern bis­her kaum in die­sem Zusam­men­hang unter­sucht. Durch die Rumpf-Becken-Koor­di­na­ti­on wer­den poten­zi­ell desta­bi­li­sie­ren­de Rumpf­be­we­gun­gen ver­rin­gert. Da etwa zwei Drit­tel der gesam­ten Kör­per­mas­se ober­halb der Tail­le lie­gen, ist die Rumpf­kon­trol­le vor allem für die auf­rech­te Hal­tung sowie den Erhalt des Gleich­ge­wich­tes not­wen­dig 14.

Beim Gehen selbst rotiert der Rumpf um ca. 5° in der Trans­ver­sal­ebe­ne. Dadurch wird eine Rota­ti­on der Schul­tern und folg­lich das reak­ti­ve Arm­pen­deln aus­ge­löst. Die Rota­ti­ons­rich­tung der Schul­tern ist der Becken­ro­ta­ti­on ent­ge­gen­ge­setzt. Der M. obli­quus exter­nus und inter­nus abdo­mi­nis arbei­ten mit gerin­ger Akti­vi­tät wäh­rend des gesam­ten Gang­zy­klus und sta­bi­li­sie­ren den Rumpf in sei­ner auf­rech­ten Posi­ti­on. Die bila­te­ra­len tie­fen Rumpf­ex­ten­so­ren und ‑rota­to­ren (Mm. mul­ti­fi­di) unter­stüt­zen die Rumpf­sta­bi­li­sa­ti­on in der Stoß­dämp­fungs­pha­se, da in die­ser Pha­se das Fle­xi­ons­dreh­mo­ment am höchs­ten ist. Der ipsi­la­te­ra­le M. erec­tor spinae ist beson­ders in der Vor­schwung­pha­se aktiv, wäh­rend das kon­tra­la­te­ra­le Bein belas­tet wird 15. Die Akti­vi­tät der Rumpf­mus­ku­la­tur steigt mit zuneh­men­dem Fort­be­we­gungs­tem­po und kann vom Geschlecht abhän­gen 16 17.

Gera­de bei Men­schen mit Ampu­ta­tio­nen der unte­ren Extre­mi­tät kommt der Rumpf­mus­ku­la­tur eine beson­de­re Auf­ga­be zu. Durch den Ein­satz einer Pro­the­se sind der Gang­zy­klus sowie auch das Zusam­men­spiel der Mus­ku­la­tur von Bein, Becken und Rumpf ver­än­dert. Dadurch muss die Rumpf­mus­ku­la­tur mehr Ausgleichs‑, Kom­pen­sa­ti­ons- und Sta­bi­li­sa­ti­ons­ar­beit leis­ten 18. In Fol­ge kön­nen sich funk­tio­nel­le Sko­lio­sen und Hyper­lor­do­sen Jah­re nach der Ampu­ta­ti­on ent­wi­ckeln 19.

Auf­grund des auf­ge­zeig­ten Erkennt­nis­de­fi­zits bedarf es wei­te­rer Unter­su­chun­gen, die die Wir­kung von Pro­the­sen auf die Rumpf­mus­ku­la­tur in den Vor­der­grund rücken. Ziel die­ser Stu­die war es, die Akti­vi­tät der Rumpf- und Bein­mus­ku­la­tur sowie den Sau­er­stoff­ver­brauch in Abhän­gig­keit von der Geh­ge­schwin­dig­keit und der Pro­the­sen­art zu untersuchen.

Metho­den

Es wur­den sechs männ­li­che, uni­la­te­ral trans­fe­mo­ral ampu­tier­te Pro­ban­den (42,7 ± 8,1 Jah­re, 1,77 ± 0,07 m, 82,7 ± 10,6 kg, 26,4 ± 3,6 kg/m2, Ampu­ta­ti­ons­dau­er 19 ± 7 Jah­re) unter­sucht. Bei fünf Pro­ban­den war die betrof­fe­ne Sei­te links und bei einem rechts. Die Ampu­ta­ti­on erfolg­te bei allen Pati­en­ten auf­grund eines Trau­mas. Die ursprüng­li­che Ver­sor­gung erfolg­te mit­tels C‑Leg Pro­the­se. Die Pro­ban­den hat­ten eine phy­sio­lo­gi­sche Stumpf­be­schaf­fen­heit sowie den Mobi­li­täts­grad IV. Der Schaft wur­de vier­mal mit­tels MAS-Schaft und zwei­mal mit­tels längs­ova­lem (tuber­um­grei­fen­dem) Schaft mit Vaku­um­haf­tung ver­sorgt. Ein Pro­band gab Phan­tom­schmer­zen an, alle ande­ren waren beschwer­de­frei. Alle Pro­ban­den berich­te­ten über anspruchs­vol­le Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten (Ski, Rad, Schwim­men, Inline-Ska­ten). Das nicht betrof­fe­ne Bein war beschwerdefrei.

Unter­su­chungs­ab­lauf

Die Mes­sun­gen erfolg­ten im Rah­men eines drei­stu­fi­gen Tests auf einem Wood­way® Lauf­band (Abb. 1). Die Pro­ban­den soll­ten mit jeder der drei Pro­the­sen mit 3 km/h, 4 km/h und 5 km/h für jeweils fünf Minu­ten gehen. Begon­nen wur­de mit der eige­nen Pro­the­se (C‑Leg). Die Zuord­nung der Pro­the­se zwei und drei (Rheo Knee 2, Kin­egen 3A2000) erfolg­te ran­do­mi­siert mit­tels Los­zie­hen. In der letz­ten Minu­te jeder Stu­fe wur­den elek­tro­phy­sio­lo­gi­sche Signa­le der unter­such­ten Mus­keln erfasst, da somit eine Ein­ge­wöh­nungs­zeit berück­sich­tigt wur­de. Die Sau­er­stoff­auf­nah­me (VO2) wur­de per­ma­nent mit­tels mobi­ler Spi­ro­me­trie erfasst (Cor­tex Meta­max 3B). Zwi­schen den ein­zel­nen Stu­fentests mit den drei Pro­the­sen hat­ten die Pro­ban­den eine erho­len­de 45-minü­ti­ge Pau­se. In die­ser brach­te ein Ortho­pä­die-Tech­ni­ker die neue Pro­the­se an und stell­te sie adäquat ein. Ange­brach­te Ober­flä­chen­elek­tro­den wur­den zwi­schen den Tests nicht entfernt.

Daten­er­fas­sung

Die Mes­sung der neu­ro­mus­ku­lä­ren Akti­vi­tät erfolg­te mit­tels Ober­flä­chen-EMG (Nora­xon, Abtast­ra­te 1500Hz, High­pass 50, Low­pass 500, RMS 100 ms). Es wur­de bila­te­ral der M. obli­quus exter­nus abdo­mi­nis und an der nicht betrof­fe­nen Extre­mi­tät wur­den M. glu­teus maxi­mus, M. rec­tus femo­ris, M. biceps femo­ris und M. gas­tro­c­ne­mi­us erfasst.

Trig­ge­rung

Mit bila­te­ra­len FSR-Fuß­schal­ter­soh­len (B&L Engi­nee­ring USA) fand eine Trig­ge­rung der Gang­zy­klen statt. Das dadurch ent­stan­de­ne Recht­eck­si­gnal erlaub­te eine Zuord­nung der Stand- und Schwungbeinphase.

Die sta­tis­ti­sche Aus­wer­tung erfolg­te mit­tels SPSS Ver­si­on 16.0. Die Para­me­ter (mitt­le­re Ampli­tu­de, Inte­gral, Maxi­mum) wur­den als Mit­tel­wert und Stan­dard­ab­wei­chung dar­ge­stellt. Signi­fi­kan­te Unter­schie­de zwi­schen den Stu­fen und Pro­the­sen wur­den mit­tels nicht para­me­tri­schem Test geprüft (nicht signi­fi­kant p>0,05; signi­fi­kant p≤0,05; hoch­si­gni­fi­kant p<0,01).

Ergeb­nis­se

Alle Ergeb­nis­se wur­den in Tabel­le 1 in Abhän­gig­keit der Geh­ge­schwin­dig­keit und Pro­the­se dar­ge­stellt (Tab. 1). Die Geschwin­dig­keit zeig­te einen signi­fi­kan­ten Effekt auf die Akti­vi­tät des M. oblic. ext. abd., M. glu­teus max. und M. rec­tus femo­ris (p<0,05). Es kam mit stei­gen­der Geschwin­dig­keit zu einer kon­ti­nu­ier­li­chen Zunah­me der Mus­kel­ak­ti­vi­tät, wel­che bei den ande­ren Mus­keln nur ten­den­zi­ell war (M. biceps fem., M. gas­tro­cn. med.). Jedoch zeig­te sich beim M. glu­teus maxi­mus zwi­schen den Geschwin­dig­kei­ten ein hete­ro­ge­nes Mus­ter. Es wur­de beob­ach­tet, dass beim Kin­egen die Akti­vi­tät bei Geschwin­dig­keits­än­de­rung von 3 auf 4 km/h ten­den­zi­ell zunahm und zu 5 km/h wie­der abnahm. Hin­ge­gen sank die Akti­vi­tät die­ses Mus­kels von 3 auf 4 km/h, um dann signi­fi­kant bei 5 km/h in der Schwung­pha­se sich zu erhöhen.

Beim Rheo 2 stieg die Akti­vi­tät des M. glut. max. in der Stand­pha­se von 3 auf 5 km/h signi­fi­kant an. Der M. rec­tus fem. zeig­te eine signi­fi­kan­te Zunah­me der Akti­vi­tät über die Geschwin­dig­keits­stu­fen (p<0,05). Für den M. obli­quus exter­nus abdo­mi­nis konn­te auf der nicht betrof­fe­nen Kör­per­sei­te dies beim C‑Leg und Kin­egen in der Stand­bein­pha­se beob­ach­tet wer­den. Beim Rheo Knee 2 wur­den die­se Akti­vi­täts­er­hö­hun­gen des M. obli­quus exter­nus abdo­mi­nis bei fünf km/h auf der Ampu­ta­ti­ons­sei­te in der Schwung­bein­pha­se fest­ge­stellt. Eine deut­li­che Zunah­me zeig­te sich im rela­ti­ven Sau­er­stoff­ver­brauch (p<0,05) (Abb. 2).

Hin­sicht­lich des Ein­flus­ses der Pro­the­se auf die Mus­kel­ak­ti­vi­tät konn­te nur für den M. obli­quus exter­nus abdo­mi­nis ein signi­fi­kan­ter Effekt fest­ge­stellt wer­den (p<0,05). Alle ande­ren Mus­keln schei­nen davon nur gering beein­flusst wor­den zu sein (p>0,05) (Abb. 3). Eben­so zeig­te die Pro­the­se kei­nen signi­fi­kan­ten Effekt auf den Sau­er­stoff­ver­brauch (p>0,05). Im Ver­gleich der Pro­the­sen war die Mus­kel­ak­ti­vi­tät für alle drei Geschwin­dig­kei­ten beim Kin­egen am gerings­ten. Beim Gehen mit dem Rheo Knee 2 konn­te bei glei­cher Geschwin­dig­keit eine leicht höhe­re Mus­kel­ak­ti­vi­tät gemes­sen wer­den. Die höchs­ten Akti­vi­tä­ten lagen beim Gehen mit der C‑Leg-Pro­the­se vor. Die eben beschrie­be­ne Ver­tei­lung der Mus­kel­ak­ti­vi­tät für die drei Pro­the­sen zeig­te sich auf der Ampu­ta­ti­ons­sei­te in bei­den Gang­pha­sen für alle Para­me­ter. Dabei war beim Gehen mit dem mecha­ni­schen Knie­ge­lenk eine signi­fi­kant gerin­ge­re Akti­vi­tät des M. obli­quus exter­nus abdo­mi­nis gegen­über den mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Knie­ge­len­ken zu verzeichnen.

Dis­kus­si­on

Mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­te Pro­the­sen erzeu­gen auf­grund der Tech­no­lo­gie ein erhöh­tes Sicher­heits­emp­fin­den für den Pati­en­ten. Dies ermög­licht für Pati­en­ten höhe­ren Mobi­li­täts­gra­des mehr Fle­xi­bi­li­tät hin­sicht­lich der All­tags­ak­ti­vi­tä­ten. Bis­her wird von einer ver­bes­ser­ten Kine­ma­tik durch die­se Tech­no­lo­gie aus­ge­gan­gen. Ziel der Unter­su­chung war, zu über­prü­fen, inwie­fern sich dies an phy­sio­lo­gi­schen Grö­ßen wie der neu­ro­mus­ku­lä­ren Akti­vi­tät und dem Sau­er­stoff­ver­brauch zei­gen lässt. Dazu wur­de hier an einer klei­nen aber homo­ge­nen Pro­banden­grup­pe, die einen hohen Mobi­li­täts­grad besitzt und auf­grund der lan­gen Ampu­ta­ti­ons­zeit viel Erfah­rung mit die­ser Tech­no­lo­gie hat, ein stu­fen­för­mi­ger Geh­test durchgeführt.

Ein­fluss der Geschwindigkeit

Es zeig­te sich mit stei­gen­der Geschwin­dig­keit eine kon­ti­nu­ier­li­che Zunah­me der Mus­kel­ak­ti­vi­tät in den meis­ten Mus­keln. Zu einem ähn­li­chen Ergeb­nis kamen auch Chin et al. 20. Höhe­re Geschwin­dig­kei­ten ver­ur­sa­chen mehr Scher­kräf­te auf den Rumpf. Der M. obli­quus exter­nus abdo­mi­nis muss auf­grund der Geschwin­dig­keits­zu­nah­me wäh­rend der Stand­bein­pha­se den Rumpf ver­mehrt sta­bi­li­sie­ren und in der Schwung­bein­pha­se die ante­rio­re Becken­ro­ta­ti­on ver­stärkt durch­füh­ren. An ein­zel­nen Mus­keln wie dem M. rec­tus fem. und dem M. glut. maxi­mus lag auf­grund der schnel­le­ren Schritt­fre­quenz bei höhe­ren Geschwin­dig­kei­ten eine höhe­re neu­ro­phy­sio­lo­gi­sche Bean­spru­chung vor.

Mit zuneh­men­der Geschwin­dig­keit kann eine ver­stärk­te Seit­nei­gung des Rump­fes auf­tre­ten und eine Akti­vi­täts­stei­ge­rung des M. obli­quus exter­nus abdo­mi­nis bewir­ken 21 22. Die­se Seit­nei­gung kann bei­spiel­wei­se in der Stand­bein­pha­se von Pati­en­ten mit Kon­trak­tur der Hüft­ge­lenk­sad­duk­to­ren ein­tre­ten. Dabei wird das Becken auf der kon­tra­la­te­ra­len Sei­te abge­senkt und die ver­kürz­ten Hüft­ge­lenk­sad­duk­to­ren ver­schie­ben den Kör­per­schwer­punkt vom Stand­bein weg. Der Rumpf neigt sich zur Stand­bein­sei­te, um die ent­ste­hen­de Dys­ba­lan­ce aus­zu­glei­chen 23. Eine Seit­nei­gung des Rump­fes kann auch bei einer zu kur­zen Stand­bein­pha­se als Kom­pen­sa­ti­on ein­ge­setzt wer­den. Durch die Seit­nei­gung wird das Becken auf der Schwung­sei­te ange­ho­ben und damit das Durch­schwin­gen des Bei­nes ermög­licht. Bei höhe­ren Geschwin­dig­kei­ten steigt die Kraft­ein­wir­kung auf den Rumpf und es kommt folg­lich zu einer stär­ke­ren Akti­vie­rung 24. Mit zuneh­men­der Geschwin­dig­keit kann eine ver­stärk­te Vor­nei­gung des Rump­fes ange­nom­men wer­den. Dies kann bei einer zu schwa­chen Akti­vi­tät des M. quad­ri­ceps der Fall sein, wenn das Knie­ge­lenk in Exten­si­on zu sta­bi­li­sie­ren ist.

Des Wei­te­ren konn­te für einen Teil der Mess­wer­te inner­halb die­ser Ver­suchs­rei­he beob­ach­tet wer­den, dass sich die Mus­kel­ak­ti­vi­tät von drei zu vier km/h nicht signi­fi­kant ver­än­der­te, erst bei fünf km/h deut­lich zunahm und dann gleich­zei­tig am höchs­ten war. Mög­lich scheint ein neu­ro­phy­sio­lo­gi­scher Ste­ady Sta­te der Mus­ku­la­tur bei güns­ti­gen Mas­sen­träg­heits­ver­hält­nis­sen, wel­cher sich anhand der Sau­er­stoff­auf­nah­me hier nicht zeigte.

Ein­fluss der Prothese

Bezüg­lich des Pro­the­sen­typs wur­de nur beim M. obli­quus exter­nus abdo­mi­nis ein signi­fi­kan­ter Effekt der Pro­the­se auf die Mus­kel­ak­ti­vi­tät gezeigt (p<0,05). Dabei besaß das mecha­ni­sche Knie­ge­lenk (Kin­egen) eine signi­fi­kant gerin­ge­re Akti­vi­tät des M. obli­quus exter­nus abdo­mi­nis gegen­über den mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Knie­ge­len­ken (C‑Leg und Rheo Knee 2) (Abb. 4). Bis­her zeig­te sich eine deut­lich gerin­ge­re Mus­kel­ak­ti­vi­tät (M. glu­teus med. et max.) gegen­über mecha­ni­schen Gelen­ken 25. Im Hin­blick auf kine­ma­ti­sche und kine­ti­sche Para­me­ter wie Stütz­zeit und Land­e­im­puls lie­gen zwi­schen mecha­ni­schen und pro­zes­sor­ge­stütz­ten Knie­ge­len­ken kaum Unter­schie­de vor 26. Neu­ro­phy­sio­lo­gisch betrach­tet, könn­ten die hydrau­li­schen und magne­tor­heo­lo­gi­schen Eigen­schaf­ten bei­der mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ten Pro­the­sen die Ursa­che sein.

Haupt­ziel die­ser Pro­the­sen ist, die Sicher­heit in der Stand­pha­se zu erhö­hen. Die Abtast­ra­te (50 Hz) beim C‑Leg scheint eine ver­zö­ger­te hydrau­li­sche Adap­ti­on zu ver­ur­sa­chen. In der frü­hen Schwung­pha­se der Pro­the­sen­sei­te könn­te trotz gerin­ger Reak­ti­ons­zeit der Elek­tro­nik (ca. 20 ms) eine Rest­span­nung im Gelenk zurück­blei­ben bzw. über die Schwung­pha­se vor­lie­gen. Der M. obli­quus exter­nus abdo­mi­nis muss wäh­rend der Schwung­bein­pha­se gegen die­se Strö­mungs­wi­der­stän­de arbei­ten. Betrof­fe­ne Pati­en­ten geben beim Umstei­gen von mecha­ni­scher auf eine mikro­pro­zes­sor­ge­stütz­te Pro­the­se (C‑Leg) an, dass das Ein­lei­ten der Schwung­pha­se anfangs bedeu­tend schwe­rer fällt. Ein aus­rei­chen­des Durch­schwin­gen der Pro­the­se erhöht dadurch den Kraft­ein­satz. Auf­grund der hohen Abtast­ra­te (1000 Hz) des Rheo Knee 2 ist die­ser Effekt ähn­lich dem der Kinegen-Prothese.

Im Gegen­satz dazu arbei­ten mecha­ni­sche Pro­the­sen eher wie ein frei schwin­gen­des Pen­del. Dadurch zeig­te sich hier beim Gehen wohl die gerings­te Mus­kel­ak­ti­vi­tät im Rumpf. Mit Blick auf das Pro­the­sen­ge­wicht könn­te auch des­sen Effekt vor­lie­gen. Die Kin­egen-Pro­the­se hat das gerings­te Eigen­ge­wicht, wodurch der M. obli­quus exter­nus abdo­mi­nis mög­li­cher­wei­se weni­ger arbei­ten muss. Die Funk­ti­ons­wei­se der Pro­the­sen kann eben­so Ein­fluss auf die Mus­kel­ak­ti­vi­tät haben. Durch die inte­grier­te Pneu­ma­tik­kam­mer beim Kin­egen wird ein pro­gres­si­ver Feder­ef­fekt erzeugt, wel­cher den Unter­schen­kel in Exten­si­on beschleu­nigt. In der initia­len Schwung­bein­pha­se bewirkt das Kin­egen durch sei­ne Mehr­ach­sig­keit eine schnel­le­re und stär­ke­re Beu­gung als mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­te Pro­the­sen 27. Nicht uner­heb­lich scheint die ver­än­der­te Mus­kel­län­ge des M. rec­tus femo­ris zu sein, wel­cher auf­grund sei­ner ana­to­mi­schen Ver­kür­zung eine Kom­pen­sa­ti­on durch den M. obli­quus exter­nus abdo­mi­nis erfährt.

In Bezug auf den Ein­fluss der Schaft­ver­sor­gung las­sen die Daten kei­ne Rück­schlüs­se auf des­sen Effekt zu. Auf­grund des hohen Mobi­li­täts­gra­des der Pro­ban­den wur­den die meis­ten mit MAS-Schaft, wel­cher eine hohe akti­ve Mus­kel­span­nung im Gang­zy­klus vor­aus­setzt, ver­sorgt. Ein gro­ßer Vor­teil des MAS-Schaft­sys­tems ist die Bewe­gungs­frei­heit im Hüft­ge­lenk 28. Tuber­um­grei­fen­de Schäf­te zeich­nen sich durch gerin­ge­ren Pro­the­sen­hub in der Schwung­pha­se sowie gerin­ge­re ven­tra­le Druck­kräf­te im Schaft und gerin­ge­re Becken­nei­gung aus 29. Der redu­zier­te Pro­the­sen­hub lässt eine gerin­ge­re Akti­vi­tät der ven­tra­len und sagit­ta­len Rumpf­mus­ku­la­tur ver­mu­ten. Zur Klä­rung diver­ser Effek­te der Schaft­form müss­ten grö­ße­re Fall­zah­len und mög­li­cher­wei­se ande­re Mobi­li­täts­gra­de mit ein­be­zo­gen werden.

Abschlie­ßend bleibt fest­zu­hal­ten, dass die Rumpf­mus­kel­ak­ti­vi­tät bei mecha­ni­schen Knie­ge­len­ken neu­ro­mus­ku­lär gerin­ger erscheint. Eine Pro­the­sen­ab­hän­gig­keit in Bezug zur Mus­ku­la­tur der unte­ren Extre­mi­tät lag hier nicht vor. Dies könn­te bei Umstel­lung des Pro­the­sen­trä­gers von mecha­ni­schem auf mikro­pro­zes­sor­ge­stütz­tes Gelenk rele­vant sein und bei trai­nings­the­ra­peu­ti­schen Inter­ven­tio­nen berück­sich­tigt werden.

Für die Autoren:
Dr. Nico Nitzsche
Hs Lau­sitz / Uni­ver­si­ty of Applied 
Sci­en­ces
Fakul­tät für Ingenieurwissenschaften
und Infor­ma­tik
Gro­ßen­hai­ner Stra­ße 57
01968 Senf­ten­berg
nico.nitzsche@hs-lausitz.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/Reviewed paper

Zita­ti­on
Nitz­sche N, Ger­ber M, Reh­or J. Gehen mit mecha­ni­scher und mikro­pro­zes­sor­ge­steu­er­ter Knie­pro­the­se – Eine Stu­die über die phy­sio­lo­gi­sche und neu­ro­phy­sio­lo­gi­sche Bean­spru­chung. Ortho­pä­die Tech­nik, 2013; 64 (3): 20–26
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