Ver­hand­lungs­grund­la­ge: Respekt und Anerkennung

Wie laufen Verhandlungen bis zum Vertragsabschluss ab? Dürfen Leistungserbringer auf die Vereinheitlichung von Verträgen im Bereich der Hilfsmittel hoffen? Antworten auf diese und viele weitere Fragen des Moderators Michael Blatt, Leiter Verlagsprogramm im Verlag Orthopädie-Technik (OT), gaben fünf Expert:innen vor 140 Teilnehmer:innen im jüngsten Live-Videotalk des Verlages und der Confairmed GmbH am 9. September 2021.

Unter der Über­schrift „Das aktu­el­le HMV – Wie Betrie­be die neu­en Ver­trä­ge rich­tig anwen­den“ dis­ku­tier­ten Ortho­pä­die­tech­nik-Meis­ter Cars­ten Strang­mann, Refe­rent der Ver­trags­ab­tei­lung des BIV-OT, Anja Schmitz, Team­lei­tung Ver­sor­gung & Hilfs­mit­tel der Spec­trumK GmbH, Peter Dopp­ler, Geschäfts­füh­rer der Dopp­ler GmbH, einem Sani­täts­haus in Saar­brü­cken, Olaf Gaw­ron, Ortho­pä­die­tech­nik-Meis­ter, Refe­rent der Con­fairm­ed-Ver­trags­schu­lun­gen und stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der der Deut­schen Gesell­schaft für inter­pro­fes­sio­nel­le Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung e. V. (DGIHV), sowie Oli­ver Kreis­beck, Lei­ter Ver­trieb Markt Hilfs­mit­tel beim Abrech­nungs­dienst­leis­ter Noven­ti AZH Sani Visi­on, über Chan­cen und Her­aus­for­de­run­gen für das Ver­trags­we­sen im Hilfsmittelbereich.

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Ver­trag kommt von vertragen

Anja Schmitz arbei­tet seit 2009 beim Full-Ser­vice-Dienst­leis­ter Spec­trumK, der als Arbeits­ge­mein­schaft im Sin­ne des § 127 SGB V für Kran­ken­kas­sen unter ande­rem Rah­men­ver­trä­ge im Hilfs­mit­tel­be­reich abschließt. So saß sie mit Cars­ten Strang­mann am Ver­hand­lungs­tisch zum neu­en Ver­trag zur PG 24, der zwi­schen Spec­trumK und dem BIV-OT zum 1. Juli 2021 geschlos­sen wur­de. Mit dem gemein­sa­men Ziel, eine gute Ver­sor­gung zu einem ver­tret­ba­ren Preis zu ermög­li­chen, soll­ten sich die Part­ner ver­trau­ens­voll und offen begeg­nen, um ihre Inter­es­sen ziel­füh­rend aus­zu­glei­chen, so Anja Schmitz im Live-Video­talk. Eben­so wie die Leis­tungs­er­brin­ger müs­sen auch die Kran­ken­kas­sen auf eine wirt­schaft­li­che und dabei gute Ver­sor­gung ach­ten. Die Kos­ten­trä­ger sei­en nach ihrer Erfah­rung bereit, einen fai­ren Preis zu bezah­len, wenn die Leis­tun­gen dies recht­fer­ti­gen. Es gebe Kran­ken­kas­sen, die bewusst einen höhe­ren Preis für Pro­duk­te zah­len wür­den, wenn damit ein höhe­rer Qua­li­täts­an­spruch ver­bun­den sei. Das Gesamt­pa­ket müs­se stim­men. Am Ende müss­te auf bei­den Sei­ten das Gefühl da sein, dass der Ver­trag auch nach der Unter­schrift noch gel­te. „Ver­trag kommt von ver­tra­gen“, so die Teamleiterin.

Eine Posi­ti­on, die auch Cars­ten Strang­mann unter­schrei­ben wür­de. „Auf bei­den Sei­ten gibt es Din­ge, die man ein­hal­ten muss“, erklärt der Ver­hand­lungs­füh­rer des BIV-OT für den PG-24-Ver­trag. „Das gilt für Ver­bän­de eben­so wie für die Kos­ten­trä­ger. Wir suchen in den Ver­hand­lun­gen Kom­pro­mis­se, damit die geschlos­se­nen Ver­trä­ge für bei­de Sei­ten zuträg­lich sind.“ In den letz­ten Jah­ren sei die Kom­mu­ni­ka­ti­on zum einen des Bun­des­in­nungs­ver­ban­des mit den Lan­des­in­nun­gen, aber auch mehr und mehr mit Leis­tungs­ge­mein­schaf­ten, die dem BIV-OT ein Ver­hand­lungs­man­dat erteilt hät­ten, bes­ser gewor­den, mein­te der gelern­te Ortho­pä­die­tech­nik-Meis­ter. In den zwei Jah­ren, in denen er in der Ver­trags­ab­tei­lung des Ver­ban­des arbei­te, sei­en 27 Ver­trä­ge ver­han­delt wor­den. Man­che Ver­hand­lun­gen sei­en inner­halb von acht bis zwölf Wochen geglückt, ande­re hät­ten sich über ein­ein­halb Jah­re gezogen.

Ver­trä­ge regel­mä­ßig neu verhandeln

OTM Peter Dopp­ler, der gemein­sam mit sei­ner Frau, eben­falls eine aus­ge­bil­de­te OT-Meis­te­rin, seit 2006 die Geschäf­te des Sani­täts­hau­ses mit 60 Mitarbeiter:innen an fünf Stand­or­ten lei­tet, wies auf die Schwie­rig­kei­ten der Lan­des­in­nun­gen hin, mit ihrem begrenz­ten Per­so­nal regel­mä­ßig Ver­trä­ge neu zu ver­han­deln. So wür­de bei­spiels­wei­se eine Kas­se noch immer die jahr­zehn­te­al­te Bun­des­pro­the­sen­lis­te bei der Abrech­nung von Arm­pro­the­tik anwen­den wol­len. Hier müss­te drin­gend ein neu­er Ver­trag her, der ermög­li­che, die Kun­den nach dem Stand der Tech­nik und für die Betrie­be wirt­schaft­lich zu ver­sor­gen. „Ich bin froh über die BIV-OT-Ver­trä­ge, mit deren Hil­fe wir auch auf Län­der­ebe­ne bes­ser ver­han­deln kön­nen“, sag­te der Geschäfts­füh­rer. Nach den in den Ver­trä­gen hin­ter­leg­ten Leis­tungs­be­schrei­bun­gen las­se sich gut arbei­ten. Aller­dings sei es für die Betrie­be schwie­rig, wenn Abrech­nungs­po­si­tio­nen bei ver­schie­de­nen Kran­ken­kas­sen anders lau­ten wür­den. Des­halb wün­sche er sich eine Ver­ein­heit­li­chung der Positionsnummern.

Posi­ti­ons­num­mern vereinheitlichen

Cars­ten Strang­mann bestä­tig­te bei­de Pro­ble­ma­ti­ken: Ins­be­son­de­re auf der Ebe­ne der Lan­des­in­nun­gen feh­le es an Per­so­nal. Dabei sei es sinn­voll, Ver­trä­ge regel­mä­ßig anzu­pas­sen, damit die Kos­ten­sprün­ge für die Kas­sen nicht zu groß wür­den. In der Tat sei­en unter­schied­li­che Posi­ti­ons­num­mern eine Hür­de. Des­halb gin­gen sie ger­ne wie beim PG-24-Ver­trag mit einem Hand­buch in die Ver­hand­lun­gen, das dem GKV-Spit­zen­ver­band als „Autor“ des Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis­ses als Grund­la­ge für des­sen Über­ar­bei­tung die­nen kön­ne. Die Ver­trags­aus­ge­stal­tung erfol­ge dann ent­lang des Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis­ses. Sol­che Hand­bü­cher wie das 2016 erschie­ne­ne Kom­pen­di­um „Pro­the­tik der obe­ren Extre­mi­tät“ und das 2018 ver­öf­fent­lich­te Kom­pen­di­um „Pro­the­tik der unte­ren Extre­mi­tät“ sei­en sehr zeit­auf­wen­dig im Ehren­amt von einer gan­zen Rei­he von Expert:innen erar­bei­tet wor­den, merk­te Olaf Gaw­ron an, der zu den Autoren des zwei­ten Kom­pen­di­ums gehör­te. Offen­sicht­lich habe der GKV-Spit­zen­ver­band vor der Fort­schrei­bung des Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis­ses PG 24 im Jahr 2019 das Kom­pen­di­um gele­sen. Er sei über­zeugt, „die qua­li­ta­tiv hoch­wer­tigs­te Ver­sor­gung ist am Ende die kos­ten­güns­tigs­te für die Gesellschaft!“

Auch Anja Schmitz beton­te, dass sie bei allen Ver­hand­lun­gen dar­auf Wert lege, dass die Ver­trä­ge das Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis abbil­de­ten. Wenn es aber für eine Posi­ti­on kei­ne Hilfs­mit­tel­num­mer gebe, müss­te eine neue Num­mer genom­men werden.

Ver­trä­ge harmonisieren

„Allein zur PG 24 gibt es ca. 20 Ver­trä­ge“, erklär­te Olaf Gaw­ron. „Die Admi­nis­tra­ti­on in den Betrie­ben lei­det unter der Ver­trags­viel­falt.“ Eine Har­mo­ni­sie­rung der Ver­trä­ge sei auch im Inter­es­se der Kran­ken­kas­sen, denn so könn­ten Feh­ler bei der Abrech­nung redu­ziert wer­den. Zur Har­mo­ni­sie­rung der Ver­trä­ge wür­de aus sei­ner Sicht bei­tra­gen, wenn die Lan­des­in­nun­gen bei ihren Ver­hand­lun­gen eben­falls die Kom­pen­di­en als Grund­la­ge neh­men wür­den. Für Peter Dopp­ler soll­ten nicht nur die Ver­trä­ge har­mo­ni­siert wer­den. Er wün­sche sich auch eine Ver­ein­heit­li­chung der Pro­fil­erhe­bungs­bö­gen und aller Anlagen.

Feh­ler­quel­le Abrechnung

Oli­ver Kreis­beck vom Medi­en­part­ner des Live-Video­talks, dem Abrech­nungs­dienst­leis­ter Noven­ti AZH Sani Visi­on, plä­dier­te eben­falls für eine Ver­ein­heit­li­chung von Posi­ti­ons­num­mern und eine Har­mo­ni­sie­rung der Ver­trä­ge. Er ver­deut­lich­te sei­ne Posi­ti­on mit Zah­len aus sei­nem Unter­neh­men, das der­zeit ins­ge­samt 35.000 Leis­tungs­er­brin­ger aus der Gesund­heits­bran­che betreue. Nach ihren Erkennt­nis­sen sei die Zahl der von Kran­ken­kas­sen ein­be­hal­te­nen Rezep­ten von Sani­täts­häu­sern und Orthopädie-(Schuh)technik-Betrieben seit 2008 von weni­gen Hun­dert auf meh­re­re Tau­send im Jahr 2020 rasant ange­stie­gen. Allein von 2018 bis 2020 sei die Absetz­quo­te von 4,5 Pro­zent auf 5,3 Pro­zent der abge­rech­ne­ten Brut­to­re­zept­wer­te ange­stie­gen. Die Ent­wick­lung der Absetz­quo­te der abge­rech­ne­ten Ver­trä­ge, die nach­träg­lich abge­setzt wur­den, sei mit einer Stei­ge­rung von 7,8 Pro­zent im Jahr 2018 auf 10,3 Pro­zent im Jahr 2020 noch dra­ma­ti­scher. Die Top-3-Abset­zungs­grün­de sei­en laut Oli­ver Kreisbeck:

  1. Es wur­de ein fal­scher Preis gerechnet.
  2. Zuzah­lung liegt nicht vor oder der Eigen­an­teil wur­de nicht in Abzug gebracht.
  3. Abrech­nung ist nur nach gül­ti­gem Ver­trag möglich.

Kon­se­quen­te Digi­ta­li­sie­rung erforderlich

Der Ver­triebs­lei­ter hofft, dass der gesam­te Abrech­nungs­pro­zess digi­ta­li­siert wer­de, um Feh­ler zu ver­mei­den. Im Augen­blick sei es so, dass sie neue Ver­trä­ge nicht in einer digi­tal ver­ar­beit­ba­ren Form erhal­ten wür­den. Sie müss­ten die Prei­se und Posi­ti­ons­num­mern etc. manu­ell in die EDV ein­ge­ben. Er wün­sche sich daher digi­tal aus­ge­spiel­te Ver­hand­lungs­er­geb­nis­se. Cars­ten Strang­mann mach­te dies­be­züg­lich wenig Hoff­nung: „Jede Kran­ken­kas­se hat ihre eige­ne Vor­stel­lung, wie ein Ver­trag und die For­ma­tie­rung des­sel­ben aus­zu­se­hen haben.“

Eine kon­se­quen­te Digi­ta­li­sie­rung for­dert auch Peter Dopp­ler: „Alle Bele­ge wer­den digi­tal an die Kos­ten­trä­ger geschickt, den­noch müs­sen wir zusätz­lich die Papie­re auf­be­wah­ren. Könn­te man dar­auf nicht ver­zich­ten?“ Oli­ver Kreis­beck lob­te die Ein­füh­rung des E‑Rezeptes, das einen „Push“ in die Digi­ta­li­sie­rung der Bran­che brin­gen wer­de. Er ver­mis­se aber die Digi­ta­li­sie­rung der Anla­gen. Auch Cars­ten Strang­mann sprach sich für eine stär­ke­re Digi­ta­li­sie­rung aus: „Die Digi­ta­li­sie­rung soll­te mehr Ein­zug erhal­ten, um Feh­ler und Papier­ber­ge zu ver­mei­den.“ Dar­an arbei­te man eben­so wie an der Har­mo­ni­sie­rung der Ver­trä­ge. „Da haben wir noch eini­ges vor uns!“, pro­phe­zei­te der BIV-OT-Vertreter.

All­heil­mit­tel: Ver­trag lesen

Mit einem abschlie­ßen­den Blick auf die kom­men­den Con­fairm­ed-Semi­na­re zu den PG-24-Ver­trä­gen stell­te Mode­ra­tor Micha­el Blatt die Fra­ge „Wie not­wen­dig sind die Schu­lun­gen?“ und bekam zur Ant­wort, dass in den Schu­lun­gen die Struk­tu­ren der Ver­trä­ge und die Abrech­nung der Dienst­leis­tun­gen erläu­tert wür­den, so Olaf Gaw­ron, der auch als Refe­rent der Con­fairm­ed-Semi­na­re agiert. „Das All­heil­mit­tel ist aber: Ver­trag lesen!“. Man sol­le sich zudem alle Anla­gen zu den ver­schie­de­nen Pro­dukt­grup­pen anschau­en. Die Leis­tungs­er­brin­ger müss­ten ihre Rech­te und Pflich­ten sowie die Leis­tungs­be­schrei­bun­gen kennen.

Ruth Jus­ten

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