Unter der Überschrift „Das aktuelle HMV – Wie Betriebe die neuen Verträge richtig anwenden“ diskutierten Orthopädietechnik-Meister Carsten Strangmann, Referent der Vertragsabteilung des BIV-OT, Anja Schmitz, Teamleitung Versorgung & Hilfsmittel der SpectrumK GmbH, Peter Doppler, Geschäftsführer der Doppler GmbH, einem Sanitätshaus in Saarbrücken, Olaf Gawron, Orthopädietechnik-Meister, Referent der Confairmed-Vertragsschulungen und stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für interprofessionelle Hilfsmittelversorgung e. V. (DGIHV), sowie Oliver Kreisbeck, Leiter Vertrieb Markt Hilfsmittel beim Abrechnungsdienstleister Noventi AZH Sani Vision, über Chancen und Herausforderungen für das Vertragswesen im Hilfsmittelbereich.
Vertrag kommt von vertragen
Anja Schmitz arbeitet seit 2009 beim Full-Service-Dienstleister SpectrumK, der als Arbeitsgemeinschaft im Sinne des § 127 SGB V für Krankenkassen unter anderem Rahmenverträge im Hilfsmittelbereich abschließt. So saß sie mit Carsten Strangmann am Verhandlungstisch zum neuen Vertrag zur PG 24, der zwischen SpectrumK und dem BIV-OT zum 1. Juli 2021 geschlossen wurde. Mit dem gemeinsamen Ziel, eine gute Versorgung zu einem vertretbaren Preis zu ermöglichen, sollten sich die Partner vertrauensvoll und offen begegnen, um ihre Interessen zielführend auszugleichen, so Anja Schmitz im Live-Videotalk. Ebenso wie die Leistungserbringer müssen auch die Krankenkassen auf eine wirtschaftliche und dabei gute Versorgung achten. Die Kostenträger seien nach ihrer Erfahrung bereit, einen fairen Preis zu bezahlen, wenn die Leistungen dies rechtfertigen. Es gebe Krankenkassen, die bewusst einen höheren Preis für Produkte zahlen würden, wenn damit ein höherer Qualitätsanspruch verbunden sei. Das Gesamtpaket müsse stimmen. Am Ende müsste auf beiden Seiten das Gefühl da sein, dass der Vertrag auch nach der Unterschrift noch gelte. „Vertrag kommt von vertragen“, so die Teamleiterin.
Eine Position, die auch Carsten Strangmann unterschreiben würde. „Auf beiden Seiten gibt es Dinge, die man einhalten muss“, erklärt der Verhandlungsführer des BIV-OT für den PG-24-Vertrag. „Das gilt für Verbände ebenso wie für die Kostenträger. Wir suchen in den Verhandlungen Kompromisse, damit die geschlossenen Verträge für beide Seiten zuträglich sind.“ In den letzten Jahren sei die Kommunikation zum einen des Bundesinnungsverbandes mit den Landesinnungen, aber auch mehr und mehr mit Leistungsgemeinschaften, die dem BIV-OT ein Verhandlungsmandat erteilt hätten, besser geworden, meinte der gelernte Orthopädietechnik-Meister. In den zwei Jahren, in denen er in der Vertragsabteilung des Verbandes arbeite, seien 27 Verträge verhandelt worden. Manche Verhandlungen seien innerhalb von acht bis zwölf Wochen geglückt, andere hätten sich über eineinhalb Jahre gezogen.
Verträge regelmäßig neu verhandeln
OTM Peter Doppler, der gemeinsam mit seiner Frau, ebenfalls eine ausgebildete OT-Meisterin, seit 2006 die Geschäfte des Sanitätshauses mit 60 Mitarbeiter:innen an fünf Standorten leitet, wies auf die Schwierigkeiten der Landesinnungen hin, mit ihrem begrenzten Personal regelmäßig Verträge neu zu verhandeln. So würde beispielsweise eine Kasse noch immer die jahrzehntealte Bundesprothesenliste bei der Abrechnung von Armprothetik anwenden wollen. Hier müsste dringend ein neuer Vertrag her, der ermögliche, die Kunden nach dem Stand der Technik und für die Betriebe wirtschaftlich zu versorgen. „Ich bin froh über die BIV-OT-Verträge, mit deren Hilfe wir auch auf Länderebene besser verhandeln können“, sagte der Geschäftsführer. Nach den in den Verträgen hinterlegten Leistungsbeschreibungen lasse sich gut arbeiten. Allerdings sei es für die Betriebe schwierig, wenn Abrechnungspositionen bei verschiedenen Krankenkassen anders lauten würden. Deshalb wünsche er sich eine Vereinheitlichung der Positionsnummern.
Positionsnummern vereinheitlichen
Carsten Strangmann bestätigte beide Problematiken: Insbesondere auf der Ebene der Landesinnungen fehle es an Personal. Dabei sei es sinnvoll, Verträge regelmäßig anzupassen, damit die Kostensprünge für die Kassen nicht zu groß würden. In der Tat seien unterschiedliche Positionsnummern eine Hürde. Deshalb gingen sie gerne wie beim PG-24-Vertrag mit einem Handbuch in die Verhandlungen, das dem GKV-Spitzenverband als „Autor“ des Hilfsmittelverzeichnisses als Grundlage für dessen Überarbeitung dienen könne. Die Vertragsausgestaltung erfolge dann entlang des Hilfsmittelverzeichnisses. Solche Handbücher wie das 2016 erschienene Kompendium „Prothetik der oberen Extremität“ und das 2018 veröffentlichte Kompendium „Prothetik der unteren Extremität“ seien sehr zeitaufwendig im Ehrenamt von einer ganzen Reihe von Expert:innen erarbeitet worden, merkte Olaf Gawron an, der zu den Autoren des zweiten Kompendiums gehörte. Offensichtlich habe der GKV-Spitzenverband vor der Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses PG 24 im Jahr 2019 das Kompendium gelesen. Er sei überzeugt, „die qualitativ hochwertigste Versorgung ist am Ende die kostengünstigste für die Gesellschaft!“
Auch Anja Schmitz betonte, dass sie bei allen Verhandlungen darauf Wert lege, dass die Verträge das Hilfsmittelverzeichnis abbildeten. Wenn es aber für eine Position keine Hilfsmittelnummer gebe, müsste eine neue Nummer genommen werden.
Verträge harmonisieren
„Allein zur PG 24 gibt es ca. 20 Verträge“, erklärte Olaf Gawron. „Die Administration in den Betrieben leidet unter der Vertragsvielfalt.“ Eine Harmonisierung der Verträge sei auch im Interesse der Krankenkassen, denn so könnten Fehler bei der Abrechnung reduziert werden. Zur Harmonisierung der Verträge würde aus seiner Sicht beitragen, wenn die Landesinnungen bei ihren Verhandlungen ebenfalls die Kompendien als Grundlage nehmen würden. Für Peter Doppler sollten nicht nur die Verträge harmonisiert werden. Er wünsche sich auch eine Vereinheitlichung der Profilerhebungsbögen und aller Anlagen.
Fehlerquelle Abrechnung
Oliver Kreisbeck vom Medienpartner des Live-Videotalks, dem Abrechnungsdienstleister Noventi AZH Sani Vision, plädierte ebenfalls für eine Vereinheitlichung von Positionsnummern und eine Harmonisierung der Verträge. Er verdeutlichte seine Position mit Zahlen aus seinem Unternehmen, das derzeit insgesamt 35.000 Leistungserbringer aus der Gesundheitsbranche betreue. Nach ihren Erkenntnissen sei die Zahl der von Krankenkassen einbehaltenen Rezepten von Sanitätshäusern und Orthopädie-(Schuh)technik-Betrieben seit 2008 von wenigen Hundert auf mehrere Tausend im Jahr 2020 rasant angestiegen. Allein von 2018 bis 2020 sei die Absetzquote von 4,5 Prozent auf 5,3 Prozent der abgerechneten Bruttorezeptwerte angestiegen. Die Entwicklung der Absetzquote der abgerechneten Verträge, die nachträglich abgesetzt wurden, sei mit einer Steigerung von 7,8 Prozent im Jahr 2018 auf 10,3 Prozent im Jahr 2020 noch dramatischer. Die Top-3-Absetzungsgründe seien laut Oliver Kreisbeck:
- Es wurde ein falscher Preis gerechnet.
- Zuzahlung liegt nicht vor oder der Eigenanteil wurde nicht in Abzug gebracht.
- Abrechnung ist nur nach gültigem Vertrag möglich.
Konsequente Digitalisierung erforderlich
Der Vertriebsleiter hofft, dass der gesamte Abrechnungsprozess digitalisiert werde, um Fehler zu vermeiden. Im Augenblick sei es so, dass sie neue Verträge nicht in einer digital verarbeitbaren Form erhalten würden. Sie müssten die Preise und Positionsnummern etc. manuell in die EDV eingeben. Er wünsche sich daher digital ausgespielte Verhandlungsergebnisse. Carsten Strangmann machte diesbezüglich wenig Hoffnung: „Jede Krankenkasse hat ihre eigene Vorstellung, wie ein Vertrag und die Formatierung desselben auszusehen haben.“
Eine konsequente Digitalisierung fordert auch Peter Doppler: „Alle Belege werden digital an die Kostenträger geschickt, dennoch müssen wir zusätzlich die Papiere aufbewahren. Könnte man darauf nicht verzichten?“ Oliver Kreisbeck lobte die Einführung des E‑Rezeptes, das einen „Push“ in die Digitalisierung der Branche bringen werde. Er vermisse aber die Digitalisierung der Anlagen. Auch Carsten Strangmann sprach sich für eine stärkere Digitalisierung aus: „Die Digitalisierung sollte mehr Einzug erhalten, um Fehler und Papierberge zu vermeiden.“ Daran arbeite man ebenso wie an der Harmonisierung der Verträge. „Da haben wir noch einiges vor uns!“, prophezeite der BIV-OT-Vertreter.
Allheilmittel: Vertrag lesen
Mit einem abschließenden Blick auf die kommenden Confairmed-Seminare zu den PG-24-Verträgen stellte Moderator Michael Blatt die Frage „Wie notwendig sind die Schulungen?“ und bekam zur Antwort, dass in den Schulungen die Strukturen der Verträge und die Abrechnung der Dienstleistungen erläutert würden, so Olaf Gawron, der auch als Referent der Confairmed-Seminare agiert. „Das Allheilmittel ist aber: Vertrag lesen!“. Man solle sich zudem alle Anlagen zu den verschiedenen Produktgruppen anschauen. Die Leistungserbringer müssten ihre Rechte und Pflichten sowie die Leistungsbeschreibungen kennen.
Ruth Justen
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