Erfah­run­gen zur läsi­ons­spe­zi­fi­schen Orthe­sen­ver­sor­gung bei Pati­en­ten mit Spi­na bifi­da nach dem Ber­li­ner Konzept

M. Damerau, T. Michael, N. Günther
Infolge jahrelanger Erfahrung aus mehreren tausend Versorgungen bei Spina bifida Patienten mit unilateralen Gehorthesen in Acrylharzbauweise, unter Anlehnung an das Habilitationskonzept von Dr. Adriano Ferrari in Zusammenarbeit mit dem interdisziplinären Team von Dr. Theodor Michael vom SPZ (Sozial Pädiatrisches Zentrum) der Charité für chronisch kranke Kinder, wurde ein läsionsabhängiges Versorgungssystem erar­beitet. Dieses wird als Berliner Konzept bezeichnet. Im Folgenden werden die Arbeit in diesem Berliner Konzept und die damit verbundenen orthetischen Versorgungen (beschränkt auf dynamische Orthesen) näher beschrieben. Die stetige Verbesserung dieses Konzepts führt zu einer Versorgungsleistung, die heute als Standard in der Versorgung von Spina bifida gelten kann. Gestützt wird dieser Fortschritt durch die Neu- und Weiterentwicklung von Orthesengelenken aus dem Hause Gottinger, die auf die Anforderungen von unterschiedlichen Lähmungssituationen abgestimmt wurden.

Ein­lei­tung

Seit 1985 wer­den in der Ber­li­ner Ambu­lanz Kin­der mit Menin­go­mye­lo­ce­le (MMC) nach dem Fer­ra­ri Kon­zept [4] behan­delt. Hier­aus ent­stand ein vom Minis­te­ri­um für Arbeit und Sozia­les geför­der­tes Modell­pro­jekt zur Ver­bes­se­rung der Ver­sor­gung chro­nisch kran­ker Kin­der, das von 1988 bis 1992 durch­ge­führt wur­de. Aus die­sem Modell­pro­jekt grün­de­te sich 1991 das SPZ. Die Arbeits­wei­se wur­de 1992 als Ber­li­ner Kon­zept ver­öf­fent­licht [5].

Die Betreu­ung von Pati­en­ten im SPZ wird nach der Vor­stel­lung von Parsch und Schu­litz von einem inter­dis­zi­pli­nä­ren Team durch­ge­führt [10]. Der Neu­ro­päd­ia­ter über­nimmt als Arzt die Koor­di­na­ti­on zu den wei­te­ren Fach­rich­tun­gen. Inner­halb des SPZ sind die­se Fach­rich­tun­gen z. B. die Phy­sio­the­ra­pie, die Psy­cho­lo­gie oder die Ortho­pä­die (Abb. 1). Inner­halb der Cha­ri­té kann kon­si­lia­risch auf wei­te­re Fach­ge­bie­te zuge­grif­fen wer­den wie z. B. die Wir­bel­säu­len­chir­ur­gie oder die Ortho­pä­die­tech­nik. Pati­en­ten mit Spi­na bifi­da wird so ein kom­plet­tes Behand­lungs­an­ge­bot in einer ein­zi­gen Ein­rich­tung angeboten.

Sprech­stun­den wer­den in einer Team-Struk­tur ange­bo­ten. Ste­hen bestimm­te Fra­ge­stel­lun­gen oder Pro­ble­me an, wird auf die jewei­li­gen Fach­ge­bie­te zuge­grif­fen. Das Modul „Ortho­pä­die-Sprech­stun­de“ ist so struk­tu­riert, dass die Fami­lie im Mit­tel­punkt steht. Ein Team aus Neu­ro­päd­ia­tern, Ortho­pä­den und Phy­sio­the­ra­peu­ten arbei­tet zusam­men. Um den opti­ma­len Behand­lungs­weg für den Pati­en­ten zu fin­den, bringt sich jede Fach­rich­tung mit ihrem Wis­sen ein. Der Neu­ro­päd­ia­ter agiert als Koordinator.

Das Modul „Neu­ro­chir­ur­gie / Wir­bel­säu­len­chir­ur­gie“ ist ein Aus­tausch der Dis­zi­pli­nen Neu­ro­chir­ur­gie und Neu­ro­päd­ia­trie. Die Wir­bel­säu­len­chir­ur­gie wird per Kon­sil mit ein­be­zo­gen. Die „Orthe­tik-Sprech­stun­de“ fin­det in regel­mä­ßi­gen Inter­val­len im SPZ statt. Hier wer­den neue Orthe­sen ange­passt, Gips­ab­drü­cke für neue Orthe­sen genom­men und Anpas­sun­gen der Orthe­sen z. B. an das Wachs­tum vor­ge­nom­men. Der Neu­ro­päd­ia­ter über­prüft die Funk­ti­on der Orthe­sen. Die Phy­sio­the­ra­pie hilft dem Pati­en­ten und den Eltern im Umgang mit der Orthe­se. Es wer­den All­tags­übun­gen vor­ge­nom­men und das An- sowie Able­gen der Orthe­se gezeigt.

Das Ber­li­ner Kon­zept ori­en­tiert sich an den Arbei­ten von Dr. Adria­no Fer­ra­ri. Am Beginn steht hier die Ana­ly­se der Stö­rung des Kin­des (Abb. 2). Aus die­ser Dia­gno­se kann früh eine genaue Pro­gno­se für das Kind erar­bei­tet wer­den. Da die Fol­gen der peri­phe­ren Läsi­on für die moto­ri­sche und kör­per­li­che Ent­wick­lung des Kin­des logisch und ein­fach abzu­lei­ten sind, kön­nen bereits in den ers­ten sechs Lebens­mo­na­ten aus dem Bild der neu­ro­lo­gi­schen Läsi­on und den pri­mä­ren Defor­mi­tä­ten die zu erwar­ten­den Pro­ble­me genannt wer­den [5]. Den Eltern soll­te Ant­wort auf fol­gen­de Fra­gen gege­ben werden:

  • Wie groß ist das Aus­maß der peri­phe­ren und zen­tra­len Störung?
  • Was sind die pri­mä­ren Deformitäten?
  • War­um sind wel­che sekun­dä­ren Defor­mi­tä­ten in wel­cher Ent­wick­lungs­pha­se zu erwarten?
  • Womit (kon­ser­va­tiv oder ope­ra­tiv) und wann kann man die­se ver­hin­dern oder behandeln?
  • Wel­ches Ziel kann das Kind wann mit wel­chem Hilfs­mit­tel erreichen?
  • Wann ist die The­ra­pie zu Ende?

Aus die­ser Ana­ly­se und Pro­gno­se ent­steht ein Behand­lungs­plan. Die­ser beinhal­tet läsi­ons­spe­zi­fi­sche Phy­sio­the­ra­pie und ortho­pä­disch-chir­ur­gi­sche Maß­nah­men [9]. Das Kon­zept gibt auch läsi­ons­spe­zi­fi­sche Hilfs­mittel vor, wel­che in sta­ti­sche (Nacht­schie­nen) und dyna­mi­sche (Lauf­schie­nen) ein­ge­teilt wer­den (Abb. 3).

Wahl des Orthesensystems

Zunächst wer­den anhand der fol­gen­den Fra­gen die funk­tio­nel­len Vor­aus­set­zun­gen und Aus­schluss­kri­te­ri­en festgestellt:

  • Wel­che Läsi­ons­hö­he liegt vor?
  • Wel­che patho­lo­gi­schen Gelenk­de­for­mi­tä­ten lie­gen vor?
  • Wel­che Gelenk­funk­tio­nen sind durch die ver­blei­ben­den Mus­keln noch aktiv, wie hoch sind deren Kraft und deren Bewegungseinschränkungen?
  • Wel­che wei­te­ren beglei­ten­den Schä­di­gun­gen beein­flus­sen den Aktivitätsgrad?
  • Wo liegt ein Sen­si­bi­li­täts­ver­lust vor?
  • In wel­chem Bereich und über wel­chen Zeit­raum soll die Orthe­se getra­gen werden?

Auf­grund der Ergeb­nis­se aus dem Kri­te­ri­en­ka­ta­log wird die ent­spre­chen­de Orthe­sen­ver­sor­gung aus­ge­wählt und nach fol­gen­den Gesichts­punk­ten kon­zi­piert: Die Orthe­se soll­te an das Län­gen­wachs­tum anpass­bar, leicht an- und aus­zu­zie­hen, ein­fach und hygie­nisch sau­ber zu hal­ten, sta­bil sein und ein gerin­ges Gewicht auf­wei­sen. Sie soll­te kind­ge­recht far­big gestal­tet, ein­fach zu bedie­nen und den Anfor­de­run­gen des Kin­des ent­spre­chend aus­ge­rich­tet wer­den. Über die gesam­te Tra­ge­zeit ist die Form­sta­bi­li­tät und Ver­win­dungs­stei­fig­keit sicher­zu­stel­len. Den­noch muss es den tra­gen­den Kom­po­nen­ten durch eine seit­lich fle­xi­ble Ver­for­mung mög­lich sein, Kräf­te auf­zu­neh­men, die durch unter­schied­li­che Belas­tungs­si­tua­tio­nen wäh­rend des Gehens auf­tre­ten und zur Ver­for­mung oder Bruch füh­ren kön­nen. Dabei müs­sen die unte­ren Extre­mi­tä­ten rota­ti­ons­ta­bil in ortho­gra­der Stel­lung gehal­ten werden.

Die in Deutsch­land gebräuch­lichs­ten Fer­ti­gungs­me­tho­den sind das Auf­le­gen von ther­mo­plas­ti­schen Plat­ten­ma­te­ria­li­en wie PP (Poly­pro­py­len) oder PE (Poly­ethy­len), die aller­dings nur gerin­ger Belast­bar­keit stand­hal­ten. Das Gie­ßen mit Acryl­har­zen ist auch weit ver­brei­tet und weist durch die Ver­wen­dung von Sta­bi­li­täts­trä­gern wie z. B. Car­bon, Glas oder Ara­mid bes­se­re Belast­bar­keits­wer­te auf. Eine wei­te­re Her­stel­lungs­art ist die Pro­duk­ti­on eines Pre­preg­rah­mens, der anschlie­ßend in Acryl­harz ein­ge­gos­sen wird. Als Pre­preg wer­den Car­bon­fa­sern bezeich­net, die bereits mit Epoxyd­harz vor­im­prä­gniert sind. Die­se wer­den auf das Gips­mo­dell auf­ge­legt und här­ten unter Vaku­um und Hit­ze voll­stän­dig aus. Auf­grund der auf­ein­an­der abge­stimm­ten Faser- und Harz­an­tei­le des Pre­pregs sowie der bes­se­ren Eigen­schaf­ten des Epoxyd­har­zes im Ver­gleich zum Acryl­harz ergibt sich ein gro­ßer Vor­teil für die Her­stel­lung von Orthe­sen mit Pre­preg­rah­men. Bei gerin­ge­rem Gewicht wei­sen die­se Orthe­sen eine hohe Stei­fig­keit und Sta­bi­li­tät auf. Auf offen lie­gen­de Metall­tei­le sowie Leder- oder Filz­füt­te­rung soll­te aus hygie­ni­schen Grün­den weit­ge­hend ver­zich­tet wer­den. Bei der Aus­wahl mecha­ni­scher Gelen­ke mit Sper­ren muss dar­auf geach­tet wer­den, dass die­se vom Pati­en­ten selbst­stän­dig zu öff­nen und zu schlie­ßen sind.

Unter­schen­kel-Orthe­sen AFO

Unter­schen­kel-Orthe­sen wer­den bei einer Läh­mungs­hö­he von S2 bis L5 ein­ge­setzt. Hier besteht ein Defi­zit in der Auf­richt­schlei­fe durch die Schwä­che des M. gas­tro­c­ne­mi­us (Abb. 4). Es kom­men Orthe­sen mit einem uni­la­te­ra­len Knö­chel­ge­lenk oder einer Car­bon­fe­der in Fra­ge. Die Orthe­sen­kon­struk­ti­on muss das Defi­zit aus­glei­chen. Hier­zu sind Kon­struk­ti­ons­merk­ma­le zu beach­ten. Unter­schen­kel-Orthe­sen mit einem uni­la­te­ra­len Knö­chel­ge­lenk Sprin­ter (Abb. 5) soll­ten eine Vor­la­ge der Dor­sal­ex­ten­si­on in einem Win­kel von 5 bis 8° haben (mit Schuh). Das obe­re Sprung­ge­lenk soll­te unter 90° begrenzt sein, opti­mal ist eine Ein­stel­lung bei 82 bis 84°, um den gro­ßen Knie­stre­cker in guter Arbeits­po­si­ti­on für die Auf­richt­schlei­fe des Kör­pers gegen die Schwer­kraft im Knie zu brin­gen. Das OSG soll­te einen Bewe­gungs­spiel­raum von 15 bis 20° auf­wei­sen [8]. Das Sprin­ter Gelenk ist so kon­stru­iert, dass je ein Keil die Dor­sal­ex­ten­si­on und die Plant­ar­fle­xi­on begrenzt. Die­se Kei­le kön­nen bei der Anpro­be schnell zur Anpas­sung des Win­kels ent­nom­men wer­den, ohne dabei die Gelenk­ach­se zu zer­le­gen (Abb. 6).

Bei der Car­bon­fe­der Orthe­se (Abb. 7) wird die­se Vor­la­ge durch den Auf­bau der Orthe­se berück­sich­tigt. Zu beach­ten ist hier die Vor­span­nung der Car­bon­fe­der bei Belas­tung. Car­bon­fe­der-Orthe­sen wer­den bei Spi­na bifi­da seit 1998 ein­ge­setzt [6]. Die Vor­tei­le die­ser Orthe­se sind viel­fäl­tig. Die Car­bon­fe­der wirkt auf­grund des ein­ge­bau­ten Dor­sal­an­schla­ges und der Car­bon­fa­ser­ei­gen­schaf­ten  kniegelenks­sichernd. Es kommt zu kei­nem har­ten und unge­dämpf­ten Anschlag in der Dor­sal­ex­ten­si­on bei Mid-Stance. In Pre-Swing wird die feh­len­de Abstoß­pha­se unter­stützt. Die­se Beob­ach­tun­gen wur­den durch Stu­di­en unter­stützt [2, 1, 7].

Die ers­te Stu­die wur­de von Äsa Bar­to­nek, Marie Eriks­son, Ele­na M. Gut­ier­rez-Farewik im Gang­la­bor des Karo­lins­ka Insti­tu­te in Stock­holm mit dem The­ma „Effects of car­bon fib­re spring ortho­sis on gait in ambu­la­to­ry child­rens with motor dis­or­ders and plant­ar­flex­or weak­ne­ss“ [2] durch­ge­führt. Unter­sucht wur­den ins­ge­samt 17 Kin­der, mit einem Durch­schnitts­al­ter von 11 Jah­ren. Alle Pati­en­ten wie­sen eine Schwä­che der Plant­ar­flex­o­ren auf. Die Dia­gno­se MMC hat­ten 12 Kin­der, es nah­men vier Kin­der mit Arth­ro­gry­po­se und ein Kind mit einer Neu­ro­pa­thie an der Stu­die teil. Vor Durch­füh­rung der Gang­ana­ly­se wur­den bei allen Kin­dern der Mus­kel­sta­tus, vor­han­de­ne Beu­ge­kon­trak­tu­ren und auf­tre­ten­de Spas­ti­ken bewertet.

Die Mus­kel­funk­ti­on wur­de mit manu­el­ler Mus­kel­prü­fung durch­ge­führt. Alle Pro­ban­den hat­ten einen nor­ma­len Sta­tus bei den Knie­ex­ten­so­ren, Hüft­ad­duk­to­ren und Hüft­flex­o­ren. Geschwächt waren die Plant­ar­flex­o­ren, Dor­sal­ex­ten­so­ren, Knief­lex­o­ren, Hüf­tex­ten­so­ren und die Hüft­ab­duk­to­ren. Zusätz­lich wur­den die Kin­der mit der Dia­gno­se MMC von einem Phy­sio­the­ra­peu­ten kli­nisch auf Spas­ti­ken unter­sucht. Dabei wur­den bei drei Kin­dern Spas­ti­ken der Pero­ne­al­mus­ku­la­tur und bei einem Kind der Plant­ar­flex­o­ren dia­gnos­ti­ziert. Die Stu­di­en­teil­neh­mer erhiel­ten eine kon­ven­tio­nell gefer­tig­te Orthe­se mit Knö­chel­ge­lenk und eine Ver­sor­gung mit einer Spring®-Car­bon­fe­der. Bei­de Ver­sor­gun­gen wur­den nach Gips­ab­druck gefer­tigt und ca. 2 bis 3 Wochen vor Durch­füh­rung der Mes­sun­gen zur Ein­ge­wöh­nung abge­ge­ben. Ins­ge­samt wur­den 11 Kin­der mit einer unter­schen­kel­ho­hen und 6 Kin­der mit einer ober­schen­kel­ho­hen Orthe­se versorgt.

Die Bewe­gungs­ana­ly­se wur­de mit einer 3‑D-Gang­ana­ly­se mit 6 Kame­ras durch­ge­führt. Zur Mes­sung stand eine Lauf­stre­cke von 10 Metern mit zwei Kist­ler-Kraft­mess­plat­ten zur Ver­fü­gung und es wur­den 34 Mar­ker nach dem Newing­ton-Modell an den Teil­neh­mern posi­tio­niert. Im Ver­gleich zur her­kömm­li­chen Gelenk­or­the­se wur­de bei der Spring®-Car­bon­fe­der­ver­sor­gung in der Gang­ana­ly­se bei Kin­dern der MMC-Grup­pe fest­ge­stellt, dass die Knie­ge­len­ke wäh­rend Initi­al-cont­act mehr gestreckt und im Über­gang Initi­al-swing zur Mid-swing mehr gebeugt sind. Wei­ter ergab sich, dass in der Hüf­te und im Knie mit den Spring®-Car­bon­fe­der­or­the­sen weni­ger Kraft­ein­fluss not­wen­dig ist und im Sprung­ge­lenk ein höhe­res unter­stüt­zen­des Moment auf­tritt. Zusätz­lich wur­de mit der Car­bon­fe­der­ver­sor­gung eine Schritt­ver­län­ge­rung und eine Erhö­hung der Schritt­ge­schwin­dig­keit erreicht.

Der Nach­teil der Car­bon­fe­der­or­the­se war die feh­len­de Plant­ar­fle­xi­on bei Initi­al-cont­act. Aus die­sem Grund wur­de die Spring®-Car­bon­fe­der­or­the­se wei­ter­ent­wi­ckelt. Die Split Spring®-Car­bon­fe­der erlaubt durch die Zwei­tei­lung der Feder im Fer­sen­be­reich eine Plant­ar­fle­xi­on. Dies ist eine Ver­bes­se­rung, da sich die Orthe­se dem Unter­grund anpasst und so das Gehen auf schie­fen Ebe­nen erleich­tert. Das Tra­gen von Unter­schen­kel­or­the­sen erfor­dert einen Pen­del­gang. Dabei kommt es zur Ver­la­ge­rung des Gewich­tes auf das Stand­bein mit seit­li­cher Nei­gung des Rump­fes zur Stand­bein­sei­te und Anhe­ben des Beckens auf der Spiel­bein­sei­te. Das Bein erhebt sich und kann, begüns­tigt durch die Rota­ti­on des Beckens, nach vor­ne gebracht wer­den. Bei der dyna­mi­schen Anpro­be müs­sen die Orthe­sen­soh­len und die zuge­hö­ri­gen Orthe­sen­schu­he, ent­spre­chend der im Gang­bild vor­han­de­nen Innen- oder Außen­ro­ta­ti­on und der Vor- oder Rück­la­ge zur Len­kung der Boden­re­ak­ti­ons­kräf­te ange­passt wer­den. Ziel der Zurich­tung ist es, ein gleich­mä­ßi­ges und ener­gie­spa­ren­des Gang­bild zu errei­chen. Ers­te Test­ver­sor­gun­gen mit Unter­schen­kel Car­bon­fe­der-Orthe­sen in der Fer­ti­gungs­mög­lich­keit des Rapid Manu­fac­tu­ring sind erfolgt. Bei die­sem Ver­fah­ren wird die Orthe­se kom­plett in der CAD geplant und her­ge­stellt. Die ers­ten Ergeb­nis­se sind vielversprechend.

Ober­schen­kel­or­the­sen KAFO

Im Läh­mungs­ni­veau S1-L4 ist der Ein­satz von Ober­schen­kel­or­the­sen indi­ziert. Bei die­sen Läh­mungs­hö­hen sind meist die Hüft­ad­duk­to­ren und Hüft­stre­cker betrof­fen. Bei L4 sind zudem die Knie­stre­cker geschwächt. Bei S1 wird zunächst mit Beginn der Geh­fä­hig­keit ober­schen­kel­hoch ver­sorgt. Ist in einem Alter von 4 bis 7 Jah­ren eine aus­rei­chen­de Band­sta­bi­li­tät des Knie­ge­lenks erreicht, kann auf kon­dylen­ho­he Unter­schen­kel­or­the­sen umge­stellt wer­den. Ober­schen­kel­or­the­sen müs­sen über die Fuß­bet­tung hal­tungs­kon­trol­lie­rend wie auch durch die Kon­dylen­bet­tung auf das Bein stüt­zend ein­wir­ken, um ein siche­res Ste­hen und Gehen zu errei­chen. Dem Knö­chel­ge­lenk wird defor­mi­täts- und akti­vi­täts­ab­hän­gig eine Bewe­gungs­frei­heit von 0 bis 15 Grad Plant­ar- und Dor­sal­fle­xi­on gegeben.

Als Knö­chel­ge­len­ke kön­nen je nach Akti­vi­tät, vor­han­de­ner Kon­trak­tu­ren und Mus­kel­rest­funk­tio­nen kon­ven­tio­nel­le Knö­chel­ge­len­ke oder die Spring®-Car­bon­fe­dern ein­ge­setzt wer­den. Bei frei­ge­ge­be­nem Bewe­gungs­aus­schlag muss das Knö­chel­ge­lenk eine fuß­he­ben­de Funk­ti­on im Über­gang von Initi­al-swing zur Mid-swing besit­zen. Bei aus­rei­chen­der knie­stre­cken­der Mus­ku­la­tur und einer Beu­ge­kon­trak­tur unter 15° wird als Knie­ge­lenk das frei­be­weg­li­che Orthe­sen­ge­lenk Mono ver­wen­det (Abb. 8). Die­ses besitzt eine Rück­ver­la­ge­rung des Dreh­punk­tes und unter­stützt die feh­len­de knie­stre­cken­de Mus­ku­la­tur, wodurch die Rest­kraft des M. quad­ri­ceps bes­ser genutzt wer­den kann.

Besteht eine star­ke Schwä­che der knie­stre­cken­den Mus­ku­la­tur, kann das Mono Knie­ge­lenk über den „Mono Sup­port“ Bau­satz erwei­tert wer­den (Abb. 9). Es han­delt sich dabei um einen Zusatz zum Mono Knie­ge­lenk, wel­cher eine Auf­rüs­tung mit einer Gas­druck­fe­der ermög­licht. Die Gas­druck­fe­dern sind je nach Akti­vi­tät und Kör­per­ge­wicht aus­zu­wäh­len. Der Bau­satz ist so kon­stru­iert, dass sich die Gas­fe­der im Sit­zen aus­schal­tet (Abb. 10). Bei Kon­trak­tu­ren im Knie­ge­lenk über 15° oder zur post­ope­ra­ti­ven Ver­sor­gung sind Gelen­ke mit einem Sperr­me­cha­nis­mus zu ver­wen­den. Zum Ein­satz kommt hier das ein­ach­si­ge Knie­ge­lenk „Block“ mit Fall­schloss. Bei geöff­ne­ter Sper­re lässt es eine pas­si­ve Fle­xi­ons- und Exten­si­ons­be­we­gung zu. Die gewünsch­te Stel­lung kann bei vor­han­de­nen Kon­trak­tu­ren fixiert wer­den. Das Fall­schloss fällt bei gestreck­tem Knie­ge­lenk von selbst über das Gelenk und sperrt die­ses sicher zum Gehen und Ste­hen. Zum Hin­set­zen muss die Sper­re nach oben gezo­gen werden.

Eine wei­te­re Mög­lich­keit bie­tet das Mono Lock. Das Mono Lock ist ein Knie­ge­lenk mit Seil­zug. Es wur­de auf der Grund­la­ge des Mono Knie­ge­len­kes kon­stru­iert und ist ein rück­ver­la­ger­tes, sperr­ba­res Ein­ach­s­knie­ge­lenk (Abb. 11). Bei Exten­si­on des Knie­ge­len­kes wird das Gelenk gesperrt, indem eine Feder den Sperr­bol­zen in die Nut des Wech­sel­keils im Gelenk­un­ter­teil drückt. Durch Zie­hen am Seil­zug wird die­se Sper­re wie­der­um gelöst und eine Fle­xi­on ist mög­lich. Auf­grund der vor­han­de­nen Rück­ver­la­ge­rung kann bei Mus­kel­funk­ti­ons­ver­bes­se­rung und Akti­vi­täts­stei­ge­rung die Sper­re kom­plett aus­ge­baut wer­den. Das Mono Lock weist dann alle Eigen­schaf­ten eines frei­en, rück­ver­la­ger­ten Knie­ge­len­kes auf. Für The­ra­pie­zwe­cke oder zum Rad­fah­ren und Krab­beln kann das Knie­ge­lenk tem­po­rär frei­ge­ge­ben wer­den. Dazu wird der Seil­zug nach oben gezo­gen und befes­tigt, damit die Sper­re beim Ste­hen nicht von selbst ein­ras­ten kann.

Ein wei­te­rer Vor­teil des Mono Locks sind die ein­ge­setz­ten Wech­sel­kei­le. Die­se kön­nen ent­spre­chend vor­lie­gen­der Fle­xi­ons­kon­trak­tu­ren ein­ge­setzt und bei einer Ver­bes­se­rung der Kon­trak­tur aus­ge­tauscht wer­den. Des­halb eig­net sich das Mono Lock beson­ders gut für prä­ope­ra­ti­ve Ver­sor­gun­gen und für den Ein­satz bei nicht fixier­ten Kon­trak­tu­ren von 5 bis 20°. Für ein siche­res Ste­hen, Gehen und Sit­zen in der Orthe­se sind ein kor­rek­ter Auf­bau und eine indi­vi­du­el­le Ein­stel­lung erfor­der­lich. Auf einen kor­rek­ten Orthe­sen­auf­bau, die Ermitt­lung der indi­vi­du­el­len Belas­tungs­li­nie und der exak­ten Plat­zie­rung der Knie­ge­len­ke auf den ermit­tel­ten Knie­kom­pro­miss­dreh­punkt ist zu ach­ten. Auch hier erfor­dert es zum Lau­fen einen Pen­del­gang. Bei der Anpro­be ist auf die Zurich­tung der Orthe­sen­soh­len und der zuge­hö­ri­gen Orthe­sen­schu­he ent­spre­chend der im Gang­bild vor­han­de­nen Innen- oder Außen­ro­ta­ti­on und der Vor- oder Rück­la­ge zu ach­ten. Bei Dreh­fehl­stel­lun­gen im Hüft­ge­lenk kann ein gegos­se­nes Becken­teil mit ein­fa­chem Hüft­ge­lenk oder elas­ti­sche Gur­te zur Füh­rung des Beckens eine Unter­stüt­zung zur Ein­schrän­kung die­ser Becken­ro­ta­ti­on bie­ten (Abb. 12).

Becken­über­grei­fen­de Orthe­sen HKAFO

Becken­über­grei­fen­de Orthe­sen müs­sen aus­rei­chend Sta­bi­li­tät zur ener­gie­ar­men Fort­be­we­gung auf­wei­sen. Ist die Orthe­se nicht sei­ten­sta­bil, sinkt der Kör­per­schwer­punkt ab. Ver­sucht man die Orthe­se nun durch eine höhe­re Stand­brei­te zu sta­bi­li­sie­ren, führt dies dazu, dass der Kör­per­schwer­punkt ange­ho­ben wer­den muss. Nur bei aus­rei­chend Sta­bi­li­tät und einer opti­ma­len Stand­brei­te ist eine ener­gie­ar­me Fort­be­we­gung möglich.

Läsi­ons­hö­he L3/L2

Betrof­fen sind bei der Läsi­ons­hö­he L3 teil­wei­se die Knie­stre­cker, die gesam­te Fuß­mus­ku­la­tur, die Hüft­beu­ger sowie alle Hüft­stre­cker. Pri­mär bestehen meist ein- oder beid­sei­ti­ge Hüft­lu­xa­tio­nen sowie Klump­fü­ße. Bei Läsi­ons­hö­he L2 sind, bis auf Tei­le des M. qua­dra­tus lum­borum, alle Hüft­beu­ger und die gesam­te Knie- und Fuß­mus­ku­la­tur betrof­fen. Pri­mär wird es zur Ent­wick­lung von ein- oder beid­sei­ti­ger Hüft­lu­xa­ti­on, einem Klump­fuß und Wir­bel­säu­len­de­for­mi­tä­ten wie Sko­lio­se kom­men. Bei der Läsi­ons­hö­he L3/L2 wird ohne den Rück­griff auf orthe­ti­sche Hilfs­mit­tel kein frei­es Ste­hen und Gehen erreicht. Auch für die Hüft­stre­ckung ist eine zusätz­li­che Abstüt­zung durch die obe­ren Extre­mi­tä­ten erforderlich.

Um ein siche­res Gehen und Ste­hen zu ermög­li­chen, kommt eine becken­über­grei­fen­de Orthe­se mit einem Salera 3‑D-Hüft­ge­lenk zum Ein­satz (Abb. 13). Meist wer­den ein rück­ver­la­ger­tes frei­be­weg­li­ches Knie­ge­lenk und ein Sprin­ter Knö­chel­ge­lenk ver­wen­det. Das 3‑D Titan­hüft­ge­lenk Salera arbei­tet mit einem Dreh­punkt. Die ana­to­mi­schen und mecha­ni­schen Hüft­ge­lenk­dreh­punk­te befin­den sich auf der hori­zon­ta­len Ebe­ne des Hüft­kop­fes und las­sen so einen Zir­kel­gang zum Teil unge­steu­ert, aber ein­ge­grenzt aktiv zu. Die Titan­hüft­ge­len­ke sind mit einem Bewe­gungs­aus­maß von 150° für die Beu­gung, 6° für die Stre­ckung, 15° für die Abduk­ti­on und 12,5° für die Innen- und Außen­ro­ta­ti­on ver­se­hen. Die Adduk­ti­on wird ein­ge­schränkt, um eine Zirk­um­duk­ti­on im Halb­kreis und das Absin­ken des Beckens auf der Spiel­bein­sei­te zu ver­hin­dern. Durch den vor­han­de­nen Beu­ge­an­schlag bei einem Schritt­win­kel von 30° wird ermög­licht, die feh­len­de hüft­stre­cken­de Mus­ku­la­tur zu kom­pen­sie­ren. Zur Ver­mei­dung von Kon­trak­tu­ren durch die Benut­zung des gesam­ten Bewe­gungs­aus­schla­ges wer­den die Fle­xi­on und Exten­si­on im Hüft­ge­lenk nur zum Teil freigegeben.

Zur ener­gie­ar­men Fort­be­we­gung muss die Orthe­se ver­win­dungs­steif sein. Die 25°-Hüftrotation wird durch die Hüft­ge­len­ke limi­tiert. Das Becken­teil ist ver­stärkt. Zur Fort­be­we­gung sind Vier-Punkt-Stüt­zen oder ein Rol­la­tor nötig. Eine Frei­ga­be der Fle­xi­on des Hüft­ge­len­kes, die Exten­si­on des Knie­ge­len­kes und die Dor­sal­fle­xi­ons­be­schrän­kung des Knö­chel­ge­len­kes erfolgt unter Berück­sich­ti­gung von Kon­trak­tu­ren nur für die Schritt­län­ge des Pati­en­ten. Die Orthe­sen­soh­len und die zuge­hö­ri­gen Orthe­sen­schu­he müs­sen bei einer dyna­mi­schen Anpro­be ange­passt wer­den, um ein gleich­mä­ßi­ges, ener­gie­spa­ren­des Gang­bild zu erreichen.

Läsi­ons­hö­he L1/Th12 bis Th5

Betrof­fen bei der Läsi­ons­hö­he L1 sind alle Hüft­beu­ger und Hüft­stre­cker bis auf Tei­le des M. qua­dra­tus lum­borum (Becken­ele­va­ti­on) sowie die Knie- und Fuß­mus­ku­la­tur. Pri­mä­re und sekun­dä­re Defor­mi­tä­ten wie Sko­lio­se ent­wi­ckeln sich. Eben­so kann es sehr früh­zei­tig zu Lage­rungs­kon­trak­tu­ren in den unte­ren Extre­mi­tä­ten kom­men. Bei Läsi­ons­hö­he Th 12 bis Th5 sind alle Hüft­beu­ger, Hüft­stre­cker sowie die Knie- und Fuß­mus­ku­la­tur betrof­fen. Pri­mä­re und sekun­dä­re Defor­mi­tä­ten wie Sko­lio­se oder Gib­bus ent­wi­ckeln sich. Eben­so kann es schon sehr früh­zei­tig zu Lage­rungs­kon­trak­tu­ren in den unte­ren Extre­mi­tä­ten kommen.

Bei Läsi­ons­hö­he L1 sowie bei Th12 — Th5 wird ohne orthe­ti­sche Hilfs­mit­tel kein frei­es Ste­hen und Gehen erreicht. Für die Hüft­stre­ckung und den Sei­ten­halt ist eine zusätz­li­che Abstüt­zung durch die obe­ren Extre­mi­tä­ten erfor­der­lich. Für die seit­li­che und hüft­stre­cken­de Sitz­hal­tung ist die Zuhil­fe­nah­me der Arme nötig. Um ein siche­res Gehen und Ste­hen zu ermög­li­chen, muss über die Fuß­bet­tung hal­tungs­kon­trol­lie­rend wie auch auf die Kon­dylen stüt­zend ein­ge­wirkt und die Hüft­ge­lenk­be­we­gung in Flexion/Extension und Adduktion/Abduktion ein­ge­grenzt werden.

Als Ersatz für die feh­len­de Hüft­mus­ku­la­tur in Flexion/Extension muss ein rezi­pro­ker Mecha­nis­mus die Hüft­ge­lenks­be­we­gung steu­ern. Die Über­tra­gung des rezi­pro­ken Mecha­nis­mus erfolgt beim Twis­ter und RGO mit­tels einer Becken­wip­pe (Abb. 14). Die­se wird mit­tig an dem hin­te­ren Becken­bü­gel gela­gert, so dass sich die Enden frei auf und ab bewe­gen. Die Dreh­ach­se der Wip­pe liegt par­al­lel zur Sagit­tal­ebe­ne. Mit­hil­fe von Kon­nek­to­ren (Gelenk­köp­fe mit Kugel­ge­lenk) erfolgt die Kop­pe­lung an die Orthe­sen­ge­len­ke. Feh­len­de Knie­mus­ku­la­tur lässt kei­ne ande­re Wahl, als ein sper­ren­des Knie­ge­lenk ein­zu­set­zen. Dem Knö­chel­ge­lenk kann defor­mi­täts- und per­zep­ti­ons­ab­hän­gig Bewe­gung von 0 bis 10° gege­ben wer­den. Das Rumpf­teil muss eine Sitz­kan­te besit­zen, damit ein frei­es Sit­zen ohne Arm­ab­stüt­zung mög­lich ist. Bei tho­ra­ka­len Läsio­nen kön­nen zusätz­lich zum Sit­zen eine Fle­xi­ons­be­gren­zung sowie ein Kor­sett­teil zur Auf­rich­tung der Sko­lio­se oder Stüt­zung des Gib­bus nötig sein. Als Hüft­ge­lenk kommt ein Twis­ter bzw. RGO zum Einsatz.

Der Twis­ter ist ein rezi­prok geführ­tes 3‑D-Hüft­ge­lenks­sys­tem mit einer Sper­re mit pre­sel­ec­ted-Funk­ti­on (Abb. 16). Die hori­zon­tal ste­hen­de Sitz­ach­se kann zum Hin­set­zen aus­ge­kop­pelt wer­den. Im geschlos­se­nen Zustand schwenkt sie mit der um 30° geneig­ten Geh­ach­se mit. Das bie­ge- und ver­win­dungs­stei­fe Becken­teil erlaubt den Bein­schie­nen durch die schräg­ge­stell­te Geh­ach­se eine Bein­ro­ta­ti­on von ins­ge­samt 25°. Dabei erfolgt die rezi­pro­ke Füh­rung der Fle­xi­on zur Rota­ti­on in einem Ver­hält­nis von 1,8 zu 1. Die mög­li­chen 12,5° Innen- und 12,5° Außen­ro­ta­ti­on bezie­hen sich auf die maxi­ma­le Bewe­gung des Rump­fes zur unte­ren Extre­mi­tät. Die Füße blei­ben in der zuvor gewähl­ten Lauf­rich­tung aus­ge­rich­tet. Unter maxi­ma­ler Aus­nut­zung der Beweg­lich­keit des Rump­fes (hori­zon­ta­le Becken­ro­ta­ti­on von 30°) wird so dem Pati­en­ten ein ener­gie­spa­ren­des Gehen bzw. ein schnel­les Vor­an­kom­men ermög­licht. Er muss weder sein Kör­per­ge­wicht gegen die Schwer­kraft anhe­ben noch die Schuh­soh­le gegen den Boden rotie­ren (Abb. 17).

Zur Benut­zung des Twis­ter­ge­len­kes soll­te der Pati­ent über ein gutes Raum- und Gleich­ge­wichts­ge­fühl ver­fü­gen und kei­ne Auf­merk­sam­keits­stö­run­gen oder moto­ri­schen Per­zep­ti­ons­stö­run­gen auf­wei­sen. Geh­erfah­run­gen mit RGO-Orthe­sen oder Swi­vel­wal­ker müs­sen vor­han­den sein, eben­so eine gute Rumpf­be­weg­lich­keit in der Fron­tal- und Sagit­tal­ebe­ne. Ske­lett- oder Gelenk­de­for­mi­tä­ten wie star­ke Sko­lio­sen, Beu­ge­kon­trak­tu­ren der Hüf­te und Tor­si­ons­de­for­mi­tä­ten der Bei­ne kön­nen zu schwe­ren Beein­träch­ti­gun­gen des Gan­ges und zur Undurch­führ­bar­keit der Ver­sor­gung mit einer Twis­ter-Orthe­se führen.

Bei Läsio­nen von L2 bis TH5 kann auch ein 2‑D-RGO (Abb. 15) Hüft­ge­lenk nötig sein. Das bie­ge- und ver­win­dungs­stei­fe Becken­teil erlaubt den Bein­schie­nen eine rezi­prok geführ­te isozen­tri­sche Bewe­gung (Flexion/Extension). Das Gelenk bleibt wäh­rend jeder Pha­se des Gang­zy­klus par­al­lel zur Lauf­rich­tung und den Bei­nen aus­ge­rich­tet. Das RGO Gelenk ist mit einer pre­sel­ec­ted-Funk­ti­on aus­ge­stat­tet und kann wie das Twis­ter Gelenk zum Hin­set­zen aus­ge­kop­pelt wer­den. Für eine Ver­sor­gung mit einem RGO Gelenk kom­men Pati­en­ten mit schlech­tem Raum- und Gleich­ge­wichts­ge­fühl sowie Auf­merk­sam­keits­stö­run­gen, mo­to­rischen Per­zep­ti­ons­stö­run­gen oder mit feh­len­der Geh­erfah­rung in Betracht.

Ein 2‑D- oder 3‑D-Gelenk erlaubt im Schritt­zy­klus einen Zir­kel­gang, wobei zusam­men­fas­send gesagt wer­den kann, dass durch die ermög­lich­te Becken­ro­ta­ti­on eine Redu­zie­rung der Rota­ti­on zwi­schen Boden und Orthe­sen­schuh­soh­le erreicht sowie durch die Nut­zung der Rest­mus­ku­la­tur zur Ein­lei­tung eines Schrit­tes der Ener­gie­auf­wand beim Gehen ver­min­dert wer­den kann (Abb. 17), was sich akzep­tanz­för­dernd auf das Tra­gen der Orthe­se aus­wirkt. Zusätz­li­che Geh­hil­fen wie Rol­la­tor oder Geh­stüt­zen sind not­wen­dig, um den Kör­per­schwer­punkt zu verlagern.

Ver­sor­gung mit becken­ho­hen sta­ti­schen Orthe­sen (BBF Becken Bein Fuß) wer­den bei Klein­kin­dern mit hohem Läh­mungs­ni­veau, anstel­le eines Steh­stän­ders, zur ers­ten Ver­ti­ka­li­sie­rung ein­ge­setzt. Die­se wer­den zur Vor­beu­gung und Kor­rek­tur von Außen­ro­ta­ti­ons­fehl­stel­lun­gen („Frosch­hal­tung“) oder Beu­ge­kon­trak­tu­ren in der Hüf­te auch als becken­über­grei­fen­den­de Nacht­la­ge­rungs­scha­len verwendet.

Gefer­tigt wer­den die­se aus PE oder Acryl­harz mit einer Pols­te­rung. Die ers­te Mög­lich­keit für die­se Kin­der, sich im senk­rech­ten Zustand in einem begrenz­ten Raum selbst­stän­dig fort­zu­be­we­gen und ein ers­tes Gefühl für den Raum zu erhal­ten, bie­tet der Go-LiTe (Abb. 18). Der Go-LiTe ist die Wei­ter­ent­wick­lung der vor­han­de­nen Swi­vel­wal­ker­sys­te­me. Er wird kom­plett aus Car­bon­fa­sern gefer­tigt; dadurch wird eine deut­li­che Gewichts­er­spar­nis zu ver­gleich­ba­ren Sys­te­men erreicht. Zusätz­lich wur­de der Schwer­punkt tie­fer gesetzt, um Sta­bi­li­täts­si­cher­heit zu errei­chen. Als Orthe­se wird eine becken­ho­he, sta­ti­sche Orthe­se verwendet.

Durch die schräg­ge­la­ger­ten Ach­sen der Fuß­plat­ten des Go-LiTe kommt es bei Seit­ver­la­ge­rung des Kör­per­schwer­punkts zur Fort­be­we­gung. Durch den sehr tief gela­ger­ten Mas­se­schwer­punkt ist die Ver­sor­gung sehr sicher. Der Go-Lite kommt auch zum Ein­satz bei Pati­en­ten mit einer Wahr­neh­mungs­stö­rung, die mit einer ande­ren Gehor­the­se über­for­dert wären.

Fazit

Das Ber­li­ner Kon­zept kann durch die lan­ge Erfah­rung der Reha­bi­li­ta­ti­on von Kin­dern und Jugend­li­chen mit MMC als Leit­fa­den hin­zu­be­zo­gen wer­den. Die inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit ist ein wich­ti­ger Bestand­teil die­ser Arbeit. Man kann sagen, dass die Ver­sor­gung von Spi­na Bifi­da Pati­en­ten „Team Sport“ ist. Ziel ist es, künf­ti­ge Pro­ble­me zu erken­nen, bevor sie auf­tre­ten, und nicht hin­ter ent­stan­de­nen Pro­ble­men (z. B. Defor­mi­tä­ten) her­zu­lau­fen. So erreicht das ange­wand­te Fer­ra­ri-Kon­zept, dass weni­ger Ope­ra­tio­nen an sekun­dä­ren Defor­mi­tä­ten durch­ge­führt wer­den müs­sen. Es kommt zu einer höhe­ren Mobi­li­tät der Kin­der, wel­che dar­über hin­aus auch zu einem frü­he­ren Zeit­punkt erreicht wird. Die Orthe­sen­ver­sor­gung ist ein wich­ti­ger Bestand­teil die­ses Kon­zepts. Durch die ste­ti­ge Wei­ter­ent­wick­lung der vor­han­de­nen Orthe­sen­sys­te­me ist eine qua­li­ta­ti­ve Ver­sor­gung gege­ben. Die bestehen­den Sys­te­me sind aus­rei­chend beschrie­ben und vali­de. Ver­bes­se­run­gen kön­nen im Bereich des Mate­ri­al­ein­sat­zes und der Her­stel­lung der Orthe­sen erreicht werden.

Der Erst­au­tor ist Ange­stell­ter der Fa. Got­tin­ger. Die Ent­wick­lung der Orthe­sen­sys­te­me in Anleh­nung an das Fer­ra­ri-Kon­zept ist in enger Zusam­men­ar­beit mit dem SPZ ent­stan­den. Zwi­schen dem SPZ der Cha­ri­té für chro­nisch kran­ke Kin­der und der Fa. Got­tin­ger besteht kein ver­trag­li­ches oder finan­zi­el­les Interesse.

Für die Autoren:
Marc Damerau
Got­tin­ger Ortho­pä­die­tech­nik GmbH
Oude­nar­der Stra­ße 16 
13347 Ber­lin
md@gottinger.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/Reviewed paper

Lite­ra­tur beim Verfasser

Zita­ti­on
Damerau M, Micha­el T, Gün­ther N. Erfah­run­gen zur läsi­ons­spe­zi­fi­schen Orthe­sen­ver­sor­gung bei Pati­en­ten mit Spi­na bifi­da nach dem Ber­li­ner Kon­zept. Ortho­pä­die Tech­nik, 2013; 64 (1): 20–27
Bild­nach­wei­se

Abb. 1 Dr. Theo­dor Micha­el, ärztl. Lei­ter Sozi­al­päd­ia­tri­sches Zen­trum für chro­nisch kran­ke Kin­der, Cha­ri­té Berlin

Abb. 2 Prof. Dr. med. Adria­no Fer­ra­ri, Lei­ten­der Arzt der Reha­bi­li­ta­ti­ons­ab­tei­lung der Kli­nik in Scandiano/Reggio Emi­lia und des Reha­bi­li­ta­ti­ons­zen­trums für Spi­na bifi­da in Parma

Abb. 3 – 18 Fa. Got­tin­ger Ortho­pä­die­tech­nik GmbH, Ilchin­ger Weg 1, 85604 Zorneding 

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