Ent­wick­lung und Eva­lua­ti­on einer 3D-gedruck­ten bio­ni­schen Fuß­or­the­se mit Unter­stüt­zung des Windlass-Effekts

Th. Stief, T. Sprekelmeyer
Eine hohe Beweglichkeit des Fußes ist notwendig, um Belastungen zu dämpfen. Andererseits muss der Fuß aber auch eine starre Konfiguration einnehmen können, da er als Hebel für den Vortrieb essenziell ist. Gewährleistet wird dies durch den sogenannten Windlass-Mechanismus („Seilwinden-Mechanismus“): Werden die Zehen dorsalextendiert, spannen sich die plantaren Muskeln, Sehnen und Bänder an – Mittel- und Rückfuß werden aufgerichtet, supiniert und auf diese Weise ein rigider Hebel erzeugt. Bei vielen Fehlstellungen ist dieser Mechanismus beeinträchtigt oder gar nicht vorhanden; keine Einlage kann ihn bisher aktiv unterstützen oder ersetzen. Die hier vorgestellte 3D-gedruckte bionische Fußorthese unterstützt den Windlass-Mechanismus, wodurch eine dynamische Unterstützung des Fußes ermöglicht wird. In einer biomechanischen Studie konnten die positiven Effekte der 3D-gedruckten bionischen Fußorthese nachgewiesen werden.

Ein­lei­tung

Für eine beschwer­de­freie, sta­bi­le und effi­zi­en­te auf­rech­te Hal­tung und Fort­be­we­gung des Men­schen ist eine phy­sio­lo­gi­sche und bio­me­cha­nisch effi­zi­en­te Inter­ak­ti­on der ein­zel­nen Fuß­struk­tu­ren essen­zi­ell 1 2. Bei allen all­täg­li­chen oder sport­li­chen Akti­vi­tä­ten ist eine beweg­li­che Kon­fi­gu­ra­ti­on der Fuß­seg­men­te not­wen­dig, um durch opti­ma­le Anpas­sung der Füße an unter­schied­lichs­te Unter­grund­be­din­gun­gen eine sta­bi­le auf­rech­te Hal­tung für den gesam­ten Kör­per zu gewähr­leis­ten. Die Füße spie­len zudem als Dämp­fungs­ein­heit eine wich­ti­ge Rol­le bei der Belas­tungs­op­ti­mie­rung; dazu ist der beweg­li­che Auf­bau eben­falls uner­läss­lich. Bei­spiels­wei­se ist eine soge­nann­te Anfangs­pro­na­ti­on wäh­rend der frü­hen Stand­pha­sen der Fort­be­we­gung ein wesent­li­cher Fak­tor für eine opti­ma­le Dämp­fung 3 4.

Im Gegen­satz zur beweg­li­chen Kon­fi­gu­ra­ti­on muss vor allem der Mit­tel- und Rück­fuß in ande­ren Fort­be­we­gungs­pha­sen eine sta­bi­le oder sogar star­re Kon­fi­gu­ra­ti­on ein­neh­men. Nur so kann der Fuß als sta­bi­le Basis der auf­rech­ten Hal­tung genutzt und als phy­sio­lo­gi­scher Hebel ein­ge­setzt wer­den. Die Rigi­di­tät des Mit­tel- und Rück­fu­ßes ist für eine phy­sio­lo­gi­sche inter­ne Fuß­be­las­tung in den spä­ten Stand­pha­sen der Fort­be­we­gung und bei allen ande­ren Bedin­gun­gen, bei denen nur Vor­fuß­kon­takt zum Boden besteht, essen­zi­ell. Ein star­rer Hebel ist zudem eine wesent­li­che Vor­aus­set­zung für ein effi­zi­en­tes Abhe­ben der Füße und einen effi­zi­en­ten Vor­trieb des gesam­ten Kör­pers. Die Inter­ak­ti­on der Fuß­struk­tu­ren, die gewähr­leis­tet, dass der Fuß eine rigi­de Kon­fi­gu­ra­ti­on ein­neh­men und als Hebel genutzt wer­den kann, wird als „Wind­lass-Mecha­nis­mus“ oder „Seil­win­den-Mecha­nis­mus“ des Fußes bezeich­net 5 6 7.

Wind­lass-Mecha­nis­mus bei phy­sio­lo­gi­scher und bei patho­lo­gi­scher Fußstellung

Wer­den die Zehen aus der Neu­tral­stel­lung dor­sal­ex­ten­diert, steigt die Span­nung in der Plant­ar­a­po­n­eu­ro­se und in den Seh­nen der Plant­ar­flex­o­ren an. Die­ser Span­nungs­an­stieg resul­tiert aus der Dor­sal­ex­ten­si­on und dem Ver­lauf der band­haf­ten und seh­ni­gen Struk­tu­ren des Fußes – vom Rück­fuß bis in den Vor­fuß und plant­ar der Dreh­punk­te der Meta­tar­so­phal­an­ge­al­ge­len­ke (MTP-Gelen­ke) (Abb. 1a u. b). Auf­grund der wach­sen­den Span­nung wird vor allem der media­le Mit­tel- und Rück­fuß­be­reich bogen­för­mig auf­ge­rich­tet und supi­niert. Durch die­se Auf­rich­tung und Supi­na­ti­on sowie auf­grund der Gestal­tung der gelen­ki­gen Ver­bin­dun­gen des Mit­tel- und Rück­fu­ßes ver­rie­geln die ein­zel­nen Seg­men­te und bil­den eine rigi­de Ein­heit. Durch die stei­gen­de Span­nung und Deh­nung sowie durch die ver­än­der­te, auf­ge­bo­ge­ne Fuß­stel­lung kann unter ande­rem in den band­haf­ten Struk­tu­ren und im Mus­kel-Seh­nen-Kom­plex Ver­for­mungs­en­er­gie gespei­chert wer­den 7 8 9.

Der Wind­lass-Mecha­nis­mus und die beschrie­be­nen bio­me­cha­ni­schen Eigen­schaf­ten gewähr­leis­ten in den spä­ten Stand­pha­sen der Schritt­ab­wick­lung beim Gehen und Lau­fen bzw. in sons­ti­gen Situa­tio­nen, in denen nur Vor­fuß­kon­takt zum Boden besteht, dass der Fuß als sta­bi­ler phy­sio­lo­gi­scher Hebel genutzt wer­den kann (Abb. 2a u. b). Zudem sind sie für die effi­zi­en­te Fort­be­we­gung uner­läss­lich: Die gespei­cher­te Ver­for­mungs­en­er­gie wird beim Abhe­ben der Füße für den Vor­trieb des gesam­ten Kör­pers genutzt. Die band­haf­ten Struk­tu­ren und der Mus­kel-Seh­nen-Kom­plex müs­sen dafür bestimm­te phy­sio­lo­gi­sche Eigen­schaf­ten wie Stei­fig­keit, Elas­ti­zi­tät und eine nor­ma­le Aus­gangs­län­ge auf­wei­sen. Nur so kann die not­wen­di­ge Span­nung in den Struk­tu­ren auf­ge­nom­men und die beschrie­be­nen Effek­te der Auf­rich­tung, Supi­na­ti­on, Ver­rie­ge­lung sowie Ener­gie­spei­che­rung und ‑frei­ga­be gewähr­leis­tet wer­den 10 11.

Bei ver­schie­de­nen funk­tio­nel­len Fuß­fehl­stel­lun­gen und ande­ren Beschwer­den an den unte­ren Extre­mi­tä­ten ist der Wind­lass-Mecha­nis­mus ent­we­der inad­äquat oder gar nicht aus­ge­prägt; die für die Fort­be­we­gung essen­zi­el­len phy­sio­lo­gi­schen Fuß­funk­tio­nen „Rigi­di­tät“ und „Ener­gie­spei­che­rung“ kön­nen dann nur redu­ziert oder über­haupt nicht ein­ge­setzt wer­den. Betrach­tet man die unter­schied­li­chen Defi­zi­te bei Fuß­fehl­stel­lun­gen im Mus­kel-Seh­nen-Kom­plex, aber auch in den band­haf­ten Struk­tu­ren (z. B. beim funk­tio­nel­len Knick-Senk­fuß), so kann in die­sen Fäl­len nur begrenzt oder gar kei­ne Span­nung in den plantaren Struk­tu­ren auf­ge­nom­men wer­den. Wäh­rend der spä­ten Stand­pha­sen der Fort­be­we­gung, in denen nur Vor­fuß­kon­takt zum Boden besteht, wird bei die­ser Fehl­stel­lung der media­le Längs­bo­gen nur inad­äquat oder gar nicht ange­ho­ben und der ­Mit­tel- und Rück­fuß nur inad­äquat oder über­haupt nicht supi­niert (Abb. 2c u. d). Dar­aus resul­tiert eine feh­len­de Ver­rie­ge­lung des Mit­tel- und Rück­fuß­be­reichs. Der Fuß kann dann nicht hin­rei­chend als phy­sio­lo­gi­scher Hebel für den Vor­trieb genutzt wer­den, und die gelen­ki­gen Ver­bin­dun­gen des Mit­tel- und Rück­fu­ßes sowie die wei­ter pro­xi­mal gele­ge­nen Seg­men­te der unte­ren Extre­mi­tä­ten wer­den nicht phy­sio­lo­gisch belas­tet. Dies kann zu Über­be­an­spru­chun­gen ver­schie­dens­ter Struk­tu­ren füh­ren. Durch die feh­len­de oder redu­zier­te Span­nungs­auf­nah­me in den band­haf­ten Struk­tu­ren und im Mus­kel-Seh­nen-Kom­plex kann auch weni­ger oder gar kei­ne Ver­for­mungs­en­er­gie gespei­chert und für den Vor­trieb genutzt wer­den. Dann sind ein effi­zi­en­tes Abhe­ben der Füße und ein effi­zi­en­ter Vor­trieb des gesam­ten Kör­pers nicht mög­lich 12 13 14.

3D-gedruck­te bio­ni­sche Fuß­or­the­se – Entwicklungsziele

In der täg­li­chen ortho­pä­di­schen Ver­sor­gungs­pra­xis wer­den Fuß­or­the­sen bzw. Ein­la­gen mit ent­las­ten­den, stüt­zen­den, füh­ren­den und/oder sti­mu­lie­ren­den Eigen­schaf­ten erfolg­reich ein­ge­setzt. In der Ver­sor­gung mit Ein­la­gen, die auf die indi­vi­du­el­len ortho­pä­di­schen und/oder sys­te­mi­schen Erkran­kun­gen und Bedürf­nis­se der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten abge­stimmt sind, eta­blie­ren sich in der Pro­duk­ti­on seit eini­gen Jah­ren digi­ta­le Kon­struk­ti­ons- und Fer­ti­gungs­ver­fah­ren. Digi­ta­le Tech­no­lo­gien wer­den in der Ein­la­gen­fer­ti­gung grund­sätz­lich ein­ge­setzt, um ent­we­der den gesam­ten Pro­duk­ti­ons­pro­zess oder ein­zel­ne Fer­ti­gungs- und/oder Pro­zess­schrit­te zu opti­mie­ren, um die Pro­duk­ti­vi­tät zu erhö­hen und um die Repro­du­zier­bar­keit der ein­zel­nen Hilfs­mit­tel zu ver­bes­sern. Bis­her unter­ge­ord­net ist dem­ge­gen­über die Imple­men­tie­rung neu­er, inno­va­ti­ver und für die Ver­sor­gung rele­van­ter Funk­tio­nen durch den Ein­satz addi­ti­ver Fer­ti­gungs­ver­fah­ren 15 16 17.

Bei der Ent­wick­lung der hier vor­ge­stell­ten 3D-gedruck­ten bio­ni­schen Fuß­or­the­se lag der Fokus auf der tech­ni­schen Umset­zung wich­ti­ger bio­ni­scher Prin­zi­pi­en und auf Aspek­ten der Fuß­bio­me­cha­nik, erreicht durch den Ein­satz von CAD-Kon­struk­ti­ons­tech­nik und addi­ti­ver Fer­ti­gung. Dabei soll­ten neue, inno­va­ti­ve und für die ortho­pä­di­sche Fuß­ver­sor­gung rele­van­te Funk­tio­nen in einer Fuß­or­the­se bzw. Ein­la­ge imple­men­tiert wer­den. Die ope­ra­ti­ven Ent­wick­lungs­zie­le lauteten:

  1. Unter­stüt­zung der Dämpfungsmechanismen,
  2. Ersatz bzw. Unter­stüt­zung des Wind­lass-Mecha­nis­mus sowie
  3. Unter­stüt­zung der mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten der plantaren, seh­ni­gen und band­haf­ten Struk­tu­ren der Füße.

3D-gedruck­te bio­ni­sche Fuß­or­the­se mit Wind­lass-Mecha­nis­mus – Auf­bau und Funktion

Sowohl bei all­täg­li­cher als auch bei sport­li­cher Fort­be­we­gung wir­ken an den unte­ren Extre­mi­tä­ten gro­ße exter­ne Belas­tun­gen. Die höchs­ten exter­nen Dreh­mo­ment- und inter­nen Gelenk­be­las­tun­gen tre­ten an den Füßen und ande­ren Seg­men­ten der unte­ren Extre­mi­tä­ten in den spä­ten Loko­mo­ti­ons­pha­sen auf, bei denen nur Vor­fuß­kon­takt und ‑belas­tung bestehen 18 19.

Der Wind­lass-Mecha­nis­mus gewähr­leis­tet eine phy­sio­lo­gi­sche Fuß­be­las­tung in die­sen Pha­sen. Ein inad­äqua­ter oder ganz feh­len­der Wind­lass-Mecha­nis­mus kann bis­her durch kei­ne Orthe­sen- bzw. Ein­la­gen­ver­sor­gung ersetzt wer­den 20.

Die hier vor­ge­stell­te 3D-gedruck­te bio­ni­sche Fuß­or­the­se soll unter ande­rem wäh­rend der spä­ten Fort­be­we­gungs­pha­sen mit Vor­fuß­be­las­tung den Wind­lass-Mecha­nis­mus sowie die Auf­rich­tung, Supi­na­ti­on und Ver­rie­ge­lung des Mit­tel- und Rück­fu­ßes unter­stüt­zen oder sogar kom­plett erset­zen und bei Fuß­fehl­stel­lun­gen wie einem funk­tio­nel­len Knick-Senk­fuß die Posi­tio­nie­rung und die Belas­tung der knö­cher­nen Struk­tu­ren optimieren.

Über ein Bogen-Seh­nen-Modell kön­nen der Wind­lass-Mecha­nis­mus und die dar­aus resul­tie­ren­den Effek­te beschrie­ben wer­den: Wird die Seh­ne gespannt, krümmt sich der Bogen, und Ver­for­mungs­en­er­gie wird sowohl in der Seh­ne als auch im Bogen gespei­chert. Kommt es zu einer schnel­len Ent­span­nung der Seh­ne und des Bogens, so kann die gespei­cher­te Ener­gie zur Beschleu­ni­gung (z. B. eines Pfeils) genutzt wer­den. Die Kon­struk­ti­on der hier vor­ge­stell­ten 3D-gedruck­ten bio­ni­schen Fuß­or­the­se ori­en­tiert sich an die­sem Bogen-Seh­nen-Modell und am funk­tio­nel­len ana­to­mi­schen Auf­bau wich­ti­ger Fuß­struk­tu­ren, um den Wind­lass-Mecha­nis­mus tech­nisch umzu­set­zen (Abb. 3 und Abb. 4a u. c).

Die neu ent­wi­ckel­te 3D-gedruck­te bio­ni­sche Fuß­or­the­se ver­fügt über drei inte­gra­le Bestand­tei­le (Abb. 3):

  1. Die Bogen­funk­ti­on der knö­cher­nen Struk­tu­ren wird von einer Deck­schicht über­nom­men. Sie ist im Mit­tel- und Rück­fuß­be­reich nach oben kon­vex aufgespannt.
  2. Die Funk­ti­on der Bän­der und Seh­nen wird von einer plantaren Schicht übernommen.
  3. Ein im Über­gang vom Vor- zum Mit­tel­fuß­be­reich posi­tio­nier­tes Umlenk­ele­ment ist für die Eigen­schaf­ten der 3D-gedruck­ten bio­ni­schen Fuß­or­the­se wesentlich.

Die­ser Auf­bau gewähr­leis­tet eine dyna­mi­sche Anpas­sung der Höhe des Mit­tel- und Rück­fuß­be­reichs und eine größt­mög­li­che Ener­gie­spei­che­rung: Wird die Ein­la­ge im Vor­fuß­be­reich nach oben gebo­gen, was einer Dor­sal­ex­ten­si­on der MTP- und Vor­fuß­ge­len­ke ent­spricht, ver­grö­ßert sich die Kon­ve­xi­tät des Bogens im Mit­tel- und Rück­fuß­be­reich, und die 3D-gedruck­te bio­ni­sche Fuß­or­the­se ver­spannt sich (Abb. 4b u. d). Die­ser Bereich ist also im Ver­gleich zum ent­spann­ten Zustand ohne Dor­sal­ex­ten­si­on des Vor­fuß­be­reichs sowohl höher als auch kon­ve­xer und ent­spricht im Aus­maß der phy­sio­lo­gi­schen Höhen- und Form­an­pas­sung des Fußes (Abb. 4).

Auf die­se Wei­se wird die Fuß­stel­lung wäh­rend aller Fort­be­we­gungs­pha­sen mit Boden­kon­takt und zu Beginn der Schwung­pha­se dyna­misch unter­stützt. In Pha­sen mit Vor­fuß­kon­takt wie den spä­ten Stand­pha­sen der Loko­mo­ti­on kann dadurch ein bis­her nicht umzu­set­zen­der und ein­zig­ar­ti­ger Effekt erzielt wer­den: Durch das Anhe­ben des Mit­tel- und Rück­fuß­be­reichs bei Dor­sal­ex­ten­si­on des Vor­fuß­be­reichs wird der Fuß der zu ver­sor­gen­den Per­son auf­ge­rich­tet und supi­niert. Dies ist wie erwähnt not­wen­dig, um die gelen­ki­gen Ver­bin­dun­gen des Mit­tel- und Rück­fu­ßes und die wei­ter pro­xi­mal gele­ge­nen Gelen­ke phy­sio­lo­gisch belas­ten zu kön­nen. Bei Fuß­fehl­stel­lun­gen wie einem funk­tio­nel­len Knick-Senk­fuß wird so der Fuß in allen wich­ti­gen Pha­sen der Fort­be­we­gung unter­stützt. Die 3D-gedruck­te bio­ni­sche Fuß­or­the­se spei­chert zudem über die gesam­te Stand­pha­se durch ihre Kon­struk­ti­on und eine adäqua­te Nut­zung der Mate­ri­al­ei­gen­schaf­ten Ener­gie. Die gespei­cher­te Ver­for­mungs­en­er­gie kann für das Abhe­ben der Füße und den Vor­trieb des Kör­pers genutzt wer­den und gestal­tet so die Fort­be­we­gung effizienter.

Die hier vor­ge­stell­te bio­ni­sche Fuß­or­the­se wird im Selek­ti­ven Laser­sin­ter­ver­fah­ren (SLS) gefer­tigt. Mit­tels Laser wird dabei ein Pul­ver, z. B. Poly­amid, Schicht für Schicht ver­schmol­zen. Für indus­tri­el­le Anwen­dun­gen ist SLS das am häu­figs­ten ein­ge­setz­te 3D-Druck­ver­fah­ren. Im Ver­gleich zu ande­ren – u. a. addi­ti­ven – Fer­ti­gungs­tech­no­lo­gien bie­tet es vie­le Vor­tei­le für die Pro­duk­ti­on einer bio­ni­schen Fußorthese:

  • Selek­ti­ves Laser­sin­tern gewähr­leis­tet opti­ma­le mecha­ni­sche Eigen­schaf­ten respek­ti­ve hohe Belast­bar­keit und opti­ma­le Elas­ti­zi­tät der bio­ni­schen Fußorthese.
  • Per SLS-Ver­fah­ren gedruck­te Pro­duk­te haben ähn­li­che mecha­ni­sche Eigen­schaf­ten in Bezug auf die Fes­tig­keit wie Pro­duk­te, die mit­tels Spritz­guss­ver­fah­ren pro­du­ziert werden.
  • Das Ver­fah­ren ist opti­mal geeig­net für die Umset­zung des kom­ple­xen Auf­baus der bio­ni­schen Fuß­or­the­se (Abb. 3).
  • Gewicht und Auf­bau­hö­he kön­nen auf­grund der beschrie­be­nen Mate­ri­al- und Fer­ti­gungs­ei­gen­schaf­ten opti­mal gestal­tet werden.
  • Ein opti­ma­ler und res­sour­cen­scho­nen­der Mate­ri­al­ein­satz wird ermög­licht, da nicht aus­ge­här­te­tes Pul­ver wie­der­ver­wen­det wer­den kann.

In meh­re­ren mecha­ni­schen und bio­me­cha­ni­schen Tests sowie mit­tels Dau­er­be­last­bar­keits­tests wur­de die Belast­bar­keit der Ein­la­ge für all­täg­li­che und sport­li­che Akti­vi­tä­ten über­prüft. Das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Wirt­schaft und Ener­gie unter­stütz­te die Ent­wick­lung und die Patent­an­mel­dung der hier vor­ge­stell­ten 3D-gedruck­ten bio­ni­schen Fuß­or­the­se unter ande­rem durch ein WIPA­NO-geför­der­tes Pro­jekt (För­der­kenn­zei­chen: 03TU05H004). Die bio­ni­sche Fuß­or­the­se ist natio­nal und inter­na­tio­nal zum Patent angemeldet.

3D-gedruck­te bio­ni­sche Fuß­or­the­se – Wirksamkeitsnachweis

Die Effek­te der vor­ge­stell­ten 3D-gedruck­ten bio­ni­schen Fuß­or­the­se wur­den in einer ran­do­mi­sier­ten kon­trol­lier­ten bio­me­cha­ni­schen Stu­die über­prüft. Ziel der Stu­die war die Ermitt­lung des Ein­flus­ses der Ver­sor­gung auf das Auf­rich­ten und Supi­nie­ren des Mit­tel- und ­Rück­fu­ßes wäh­rend der Push-off-Pha­se des Lau­fens. 11 Läu­fe­rin­nen und Läu­fer (8 männ­lich, 3 weib­lich; Alter: 39 ± 6 Jah­re; Gewicht: 69,2 ± 8,7 kg) mit funk­tio­nel­lem Knick-Senk­fuß nah­men an der Stu­die teil. Unter vier Bedin­gun­gen wur­den wäh­rend des Jog­gens auf einem Lauf­band in ran­do­mi­sier­ter Rei­hen­fol­ge Pro­na­ti­ons- und Supi­na­ti­ons­be­las­tun­gen (Innen­soh­len­mess­sys­tem „vebi­to­SCI­ENCE“, Vebi­to­so­lu­ti­on GmbH, Stein­furt; 200 Hz) am Mit­tel- und Rück­fuß­be­reich der Pro­ban­din­nen und Pro­ban­den ermittelt:

  • ohne Ver­sor­gung,
  • mit stüt­zen­der Fußorthese,
  • mit sen­so­mo­to­ri­scher Fußorthese,
  • mit 3D-gedruck­ter bio­ni­scher Fußorthese.

Die sta­ti­sche Aus­wer­tung erfolg­te mit­tels ein­fak­to­ri­el­ler Vari­anz­ana­ly­se. Signi­fi­kan­te Unter­schie­de (p < .05) zwi­schen den unter­such­ten Bedin­gun­gen sind in Abbil­dung 5 mit einem Stern­chen gekennzeichnet.

Fol­gen­de Belas­tun­gen wur­den ermit­telt (Abb. 5): Wäh­rend der Push-off-Pha­se tritt ohne Ver­sor­gung eine maxi­ma­le Supi­na­ti­ons­be­las­tung von 5,42 ± 8,94 Nmm auf (nega­ti­ve Vor­zei­chen stel­len gegen­läu­fi­ge Belas­tun­gen dar, was in die­ser Pha­se eine Pro­na­ti­on bedeu­tet). Mit stüt­zen­den Ein­la­gen beträgt die maxi­ma­le Belas­tung wäh­rend des Push-offs 3,48 ± 12,38 Nmm, mit den sen­so­mo­to­ri­schen Orthe­sen ‑8,87 ± 9,62 Nmm. Mit der 3D-gedruck­ten bio­ni­schen Fuß­or­the­se liegt die Pro­na­ti­ons­be­las­tung bei 47,56 ± 7,96 Nmm. Die Ergeb­nis­se zei­gen, dass sich die Rück­fuß­be­las­tung wäh­rend der Push-off-Pha­se beim Lau­fen mit der bio­ni­schen Fuß­or­the­se signi­fi­kant von allen ande­ren Bedin­gun­gen unterscheidet.

Die Ergeb­nis­se der Stu­die bele­gen, dass bei den unter­such­ten Pro­ban­din­nen und Pro­ban­den mit funk­tio­nel­lem Knick-Senk­fuß wäh­rend der Push-off-Pha­se des Lau­fens ohne Ver­sor­gung kei­ne phy­sio­lo­gi­sche Supi­na­ti­on und kei­ne Auf­rich­tung des Mit­tel- und Rück­fu­ßes erfolgt. Des Wei­te­ren zeigt sich, dass die über­prüf­ten stüt­zen­den und sen­so­mo­to­ri­schen Ein­la­gen Auf­rich­tung und Supi­na­ti­on wäh­rend des Push-offs nicht unterstützen.

Die getes­te­te 3D-gedruck­te bio­ni­sche Fuß­or­the­se hin­ge­gen unter­stützt nach­weis­lich das Auf­rich­ten und Supi­nie­ren wäh­rend der Push-off-Pha­se. Das Aus­maß die­ser signi­fi­kan­ten Auf­rich­tung und Supi­na­ti­on ent­spricht dem der Auf­rich­tung und Supi­na­ti­on wäh­rend der Push-off-Pha­se von Per­so­nen ohne Knick-Senk­fuß-Fehl­stel­lung. Die Stu­die zeigt somit, dass die hier vor­ge­stell­te 3D-gedruck­te bio­ni­sche Fuß­or­the­se für Läu­fe­rin­nen und Läu­fer mit Knick-Senk­fuß-Fehl­stel­lung einen wich­ti­gen funk­tio­nel­len Mehr­wert bie­tet, der durch ande­re Ein­la­gen­ver­sor­gun­gen nicht gewähr­leis­tet wird 21.

Fazit

Die Ent­wick­lungs­zie­le der 3D-gedruck­ten bio­ni­schen Fuß­or­the­se konn­ten unter ande­rem durch den Ein­satz moder­ner Kon­struk­ti­ons­ver­fah­ren und addi­ti­ver Fer­ti­gung umge­setzt wer­den. Durch die zum Patent ange­mel­de­te Ein­la­ge kann erst­mals der Wind­lass-Mecha­nis­mus unter­stützt oder ersetzt wer­den. Die­se posi­ti­ve und dyna­mi­sche Unter­stüt­zung der Fuß­funk­ti­on wur­de für Läu­fe­rin­nen und Läu­fer mit funk­tio­nel­lem Knick-Senk­fuß in einer wis­sen­schaft­li­chen Stu­die nachgewiesen.

Hin­weis

Der Bei­trag ist bereits in ähn­li­cher Form in der Aus­ga­be 12/2021 des Fach­ma­ga­zins Ortho­pä­die­schuh­tech­nik unter dem Titel „Die 3D-gedruck­te bio­ni­sche Fuß­or­the­se“ erschienen.

Für die Autoren:
Dipl.-Ing. Tho­mas Stief, OSM 
Lei­ter der Arbeits­grup­pe Biomechanik
Insti­tut für Sportwissenschaft
Jus­tus-Lie­big-Uni­ver­si­tät Gießen
Kugel­berg 62
35394 Gie­ßen
thomas.stief@sport.uni-giessen.de t.stief@tshoch2.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/reviewed paper

Zita­ti­on
Stief Th, Spre­kel­mey­er T. Ent­wick­lung und Eva­lua­ti­on einer 3D-gedruck­ten bio­ni­schen Fuß­or­the­se mit Unter­stüt­zung des Wind­lass-Effekts. Ortho­pä­die Tech­nik, 2022; 73 (4): 56–60
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