Einleitung
Mit zehn Prozent 1 ist der Innenrotationsgang bei Kindern einer der häufigsten Vorstellungsgründe in kinderorthopädischen Praxen. In der Literatur werden verschiedene Ursachen für Innenrotationsgangbilder genannt. Dazu zählen:
- eine Coxa antetorta,
- eine vermehrte Antetorsion des Oberschenkelhalses,
- eine angeborene oder erworbene Hüftdysplasie,
- Rotationsfehlstellungen des Femurs oder der Tibia 2,
- eine Innenrotationskontraktur am Hüftgelenk,
- eine femorale Antetorsion (ein Kompensationsmechanismus, bei dem eine Schwäche des M. quadriceps ausgeglichen werden soll 3).
Der innenrotierte Gang zeichnet sich durch eine vermehrte mediale Rotation der Füße oder der Beine zueinander aus. Dabei sind nicht immer beide Beine oder Füße betroffen – es zeigen sich im Alltag sowohl beidseitige als auch isoliert einseitige Formen.
Bei einer Ganganalyse wird zur Einschätzung des Innenrotationsganges der Fußöffnungswinkel (engl. „foot progression angle“) gemessen. Dabei liegt die Bandbreite des physiologischen Fußöffnungswinkels je nach Autor bei 7 Grad 4 beziehungsweise zwischen ‑3 und 20 Grad 5.
In der Literatur gibt es keine eindeutigen Angaben darüber, ab welcher Größenordnung eine Behandlung indiziert ist. Eine Behandlung mit Einlagen, Schuhzurichtungen, Orthesen oder Derotationsbandagen kann häufig nur eine kosmetische Korrektur erreichen 6. Die betroffenen Kinder werden von Dritten häufig als „tollpatschig“ empfunden. So entsteht neben den physiologischen Problemen unter Umständen auch ein sozialer Leistungsdruck.
Als ein Mittel zur Behandlung der Innenrotation werden sogenannte stimulierende Einlagen eingesetzt. Bisher fehlen aber neben subjektiven positiven Eindrücken geeignete wissenschaftliche Untersuchungen, die diese untermauern.
Material und Methode
Messungen
Es konnten 24 Patienten gewonnen werden: 10 Jungen und 14 Mädchen. Der Altersdurchschnitt betrug 9,2 Jahre; dabei war die jüngste Patientin 4 und die älteste 14 Jahre alt.
Die im Rahmen dieser Studie unternommenen pedobarographischen Messungen wurden mittels zweier hintereinanderliegender Plattformen vom Typ „FDM 1.5“ der Firma Zebris Medical GmbH erstellt. Beide Plattformen sind im Boden versenkt. Die Maße einer Plattform betragen 158 × 60,5 Zentimeter (Länge × Breite) mit einer Sensorfläche von 149 × 54,2 Zentimetern (Länge × Breite). Die Anzahl der Sensoren liegt pro Plattform bei 11.264; somit ergibt sich eine Auflösung von 1,4 Sensoren pro Quadratzentimeter. Ein einzelner Sensor ist 0,8 Quadratzentimeter groß. Es erfolgten 3 Messdurchgänge:
- barfuß,
- nur mit Schuh sowie
- mit Schuh und Einlage.
Die Probanden wurden mit einem Paar Einlagen versorgt. Während der Messung wurden die Durchgänge visuell verfolgt, um zu überprüfen, ob die Kinder ihr „gewohntes“ Gangbild zeigten oder sich auf eine korrekte Fußabwicklung konzentrierten.
Die Messungen wurden so oft wiederholt, bis mindestens 10 verwertbare Messungen aufgezeichnet waren, von denen jeweils 6 ausgewählt wurden. Diese mussten eine gleichmäßige Gehgeschwindigkeit und Schrittlänge aufweisen, und die Gangrichtung sollte möglichst entlang der Mittellinie der Gangbahn liegen, nicht diagonal.
Nach einer Adaptionszeit von 6 Wochen wurden alle Patientinnen und Patienten nach diesem Schema erneut vermessen („barfuß 2“, „Schuh 2“ und „Einlage 2“) (Abb. 1).
Getestete Einlagen
Die in der hier vorgestellten Studie verwendeten Einlagen verfügen über eine besonders ausgeprägte retrokapitale Pelotte hinter den Mittelfußknochenköpfchen (MFK V), die noch ansteigt. Diese Erhabenheit soll die Adduktion des Fußes reduzieren 7. Muskulär sollen hierdurch der M. tibialis posterior, der M. peroneus longus und der M. peroneus brevis aktiviert werden (Abb. 2).
Biomechanisch wird dabei versucht, durch eine Anhebung des vorderen lateralen Fußrandes das untere Sprunggelenk zu verblocken. Durch diese Blockierung der Achse soll die Rotationsfähigkeit des Fußes eingeschränkt werden. Somit wird die Längsachse des Fußes so fixiert, dass eine vermehrte Innenrotation des Fußes nicht mehr möglich ist 8 9. In dieser Arbeit werden modular aufgebaute, individuell gefertigte afferenzverstärkende Einlagen untersucht. Synonym zu den afferenzverstärkenden Einlagen werden auch die Begriffe „sensomotorische“ oder „propriozeptive Einlagen“ verwendet (Abb. 3).
Ergebnisse
Die im Folgenden wiedergegebenen Ergebnisse beziehen sich auf die Tabellen 1 bis 5. In der Probandengruppe wurde barfuß links während der ersten Messung ein Innenrotationswinkel von im Mittel 3,78° gemessen; rechts zeigten die Probanden im Mittel einen Innenrotationswinkel von 1,42° („barfuß 1“). Barfuß nach 6 Wochen („barfuß 2“) wurde in der Gruppe links ein leicht verbesserter Innenrotationswinkel von im Mittel 3,48° gemessen; rechts betrug der ebenfalls leicht verbesserte Winkel nach 6 Wochen durchschnittlich 0,90° Innenrotation (Tab. 1).
Der Fußöffnungswinkel veränderte sich im Vergleich zwischen „barfuß 1“ und „Schuh“ links im Mittel um 5,17° und rechts um 2,43°. Im Vergleich „Schuh“ gegenüber „Einlage 1“ zeigten die Patienten links einen um 1,57° hin zur Innenrotation und rechts im Mittel einen um 0,55° hin zur Außenrotation veränderten Winkel (Tab. 2).
Mit Schuh wurde in der Gruppe links ein Mittelwert von 1,39° gemessen; rechts konnte ein durchschnittlicher Außenrotationswinkel von 1,01° ermittelt werden.
Die erste Messung mit afferenzverstärkender Einlage („Einlage 1“) ließ in der Gruppe links einen Innenrotationswinkel von durchschnittlich 0,18° erkennen, rechts einen Außenrotationswinkel von im Mittel 1,66° (Tab. 3).
Nach 6 Wochen Tragezeit konnte links bei der Messung mit Schuh und Einlage („Einlage 2“) in der Gruppe im Mittel ein Außenrotationswinkel von 0,37° gemessen werden; auf der Gegenseite wurde ein Außenrotationswinkel von durchschnittlich 2,58° gemessen. Demnach veränderten die Einlagen im Vergleich zur ersten Messung „Einlage 1“ bei der zweiten Messung „Einlage 2“ den Fußöffnungswinkel links im Mittel um 0,55° und rechts um 0,92° hin zur physiologischen Außenrotation (Tab. 4). Der Vergleich „Schuh“ mit „Einlage 2“ zeigte links einen um 1,32° reduzierten Winkel in der Außenrotation; rechts wurde eine Vergrößerung des Außenrotationswinkels um 1,57° erreicht (Tab. 5).
Diskussion
Die erhobenen Daten bestätigen den in der Praxis bereits gewonnenen Eindruck positiver Effekte afferenzverstärkender Einlagen mit verstärktem Spot hinter den MFK V auf die Innenrotations-Gangbilder von Kindern. So konnte gezeigt werden, dass ein innenrotiertes Gangbild durch afferenzverstärkende Einlagen verringert werden kann. Die Frage, weshalb die Wirksamkeit der Einlagen zwischen verschiedenen Probanden geringer war als bei anderen, kann anhand der durchgeführten Untersuchung nicht abschließend beantwortet werden. So konnte auch der Schuh allein (Tab. 2 u. 3) das Innenrotationsgangbild verbessern. Eine Verminderung des Stolperrisikos oder des Hinfallens ist jedoch für Eltern, Betreuer und die Kinder selbst immer wichtig, unabhängig von Gradzahlen.
In folgenden Studien müsste der Adaptionszeitraum von 6 Wochen deutlich verlängert werden, um die Effekte nach einer längeren Tragezeit zu untersuchen. Wichtig hierbei wäre auch eine genaue Bestimmung der täglichen Tragedauer im Alltag. So fordert etwa auch Ludwig (2015) 10 weitere Untersuchungen, um eine Eingruppierung sensomotorisch wirksamer Bestandteile einer Einlagenversorgung benennen zu können. Denkbar wäre auch eine Änderung der instrumentellen Ganganalyse, weg von den Fußdruckmessungen hin zu einem 3D-Messsystem wie z. B. dem Vicon-System. Dieses ermöglicht, den Effekt afferenzverstärkender Einlagen zu beurteilen.
Zur weiteren Untersuchung der Aktivitätsänderungen der Muskulatur müssten elektromyografisch (per EMG) unterstützte Messungen erfolgen. Solche Messungen sind allerdings aufgrund der notwendigen Markerplatzierung und der aufwendigen Auswertung zeit- und kostenintensiv und benötigen ein größeres Untersucherteam. Zudem lässt sich ein für die Innenrotation des Fußes zuständiger Muskel wie der M. tibialis posterior aufgrund seiner tiefen Lage im Unterschenkel schlecht auf der Haut ableiten. Für eine solche Untersuchung müssten Probanden gefunden werden, die sowohl ein pathologisches Innenrotationsgangbild aufweisen als auch bereit sind, den Muskel invasiv untersuchen zu lassen. Unvermeidlich bleibt die Kontrolle der durchgeführten Einlagenversorgung nach einigen Wochen, im Idealfall durch den versorgenden Techniker und den Verordner.
Fazit
Die hier vorgestellte Studie belegt, dass afferenzverstärkende Einlagen bei der untersuchten Gruppe signifikante Fuswinkelveränderungen bewirkten, wobei aber in Einzelfällen starke Unterschiede auftraten. Insgesamt lassen die ermittelten Werte darauf schließen, dass die Einlagen nur wirksam sind, während sie getragen werden – ein prophylaktischer oder therapeutischer Effekt war in dieser Studie nicht nachweisbar; die Interpretation der Daten lässt keinen Schluss auf eine Veränderung der Muskelaktivitätsmuster auf supraspinaler Ebene zu. Klare Aussagen dazu ließ der Messaufbau allerdings nicht zu, da ausschließlich der Fußabdruck ohne EMG-Ableitung gemessen wurde.
Unklar ist weiterhin, ob eine Adaptionszeit von sechs Wochen ausreicht, um Änderungen auf supraspinaler Ebene zu erreichen. Der nachgewiesene Effekt der Einlagen ist differenzierter auch auf biomechanischer Ebene zu suchen.
Danksagung
Ein besonderer Dank gilt dem Team des Ganglabors und dem gesamten SPZ Westmünsterland in Coesfeld. Dort wurden alle hier erwähnten Messungen erhoben und verarbeitet.
Für die Autoren:
Daniel Huesmann, M. Sc., OSM
MuuV GmbH
Rudolf-Diesel-Straße 14
48157 Münster
d.huesmann@muuv.ms
Begutachteter Beitrag/reviewed paper
Huesmann D, Tiemeyer K, Wühr J. Einfluss einer afferenzverstärkenden Einlage mit Pelotte auf den Fußöffnungswinkel bei Innenrotationsgang. Orthopädie Technik, 2021; 72 (2): 34–37
- Neue Risikogruppeneinteilung beim diabetischen Fußsyndrom (DFS) und bei den analogen Neuro-Angio-Arthropathien — 25. Oktober 2024
- 2‑Schalen-Orthese mit Kondylenabstützung in Carbontechnik zur orthopädischen Schuhversorgung — 4. Oktober 2024
- Orthopädische Versorgung der neuromuskulären Skoliose: Vorteile von biomechanisch optimierten Rumpforthesen am Beispiel des „neuroBrace“-Systems — 4. Oktober 2024
- Böttner F. Facharztkompendium Orthopädie und Unfallchirurgie. Alles, was Sie für den neuen Facharzt wissen sollten. 8., aktualisierte Aufl. Berlin: OrthoForum, 2018
- Uden H, Kumar S. Non-surgical management of a pediatric “intoed” gait pattern – a systematic review of the current best evidence. Journal of Multidisciplinary Healthcare, 2012; 5: 27–35
- Götz-Neumann Kirsten. Gehen verstehen. Ganganalyse in der Physiotherapie. 4. Auflage. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2016
- Götz-Neumann Kirsten. Gehen verstehen. Ganganalyse in der Physiotherapie. 4. Auflage. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2016
- Uden H, Kumar S. Non-surgical management of a pediatric “intoed” gait pattern – a systematic review of the current best evidence. Journal of Multidisciplinary Healthcare, 2012; 5: 27–35
- Heine A. Propriozeptive Einlagenversorgung in der Kinderorthopädie. Orthopädie Aktuell, 2011; 11: 1–5
- Brinckmann F. Ganganalytische Untersuchung zur therapeutischen Effizienz der sensomotorischen Einlagen nach Jahrling bei zentralnervösen Erkrankungen. Diplomarbeit, Technische Hochschule Mittelhessen, Gießen-Friedberg, 2005
- Landauer F. Schuhe, Einlagen und Orthesen. Vortrag, Donau-Universität Krems, 2014: 1–26
- Lastring L. Konzeptvarianten und Einteilungsmöglichkeiten der aktuellen Fußversorgung. Orthopädie Technik, 2008; 59 (2): 85–90
- Ludwig O. Sensomotorische Einlagen – Versorgung zwischen Erfahrung und Evidenz. Orthopädie Technik, 2015; 66 (9): 12–15