Ein­fluss der Lauf­ge­schwin­dig­keit auf aus­ge­wähl­te Lauf­pa­ra­me­ter – Refe­renz­da­ten­er­he­bung mit dem Mess­sys­tem RehaWatch

R. Schwesig, J. Zimmer, D. Fischer, M. Hofmann, S. Leuchte
Inertialsensorbasierte Gang- und Laufanalysesysteme, wie das Messsystem RehaWatch, ermöglichen die Beurteilung des Laufens auch außerhalb von Bewegungsanalyselaboren. Die Laufgeschwindigkeit beeinflusst insbesondere die räumlich-zeitlichen Parameter Doppelschrittlänge (r2 = 0,774) und Doppelschrittdauer (r2 = 0,576) nichtlinear. Die auf der Basis von 124 gesunden Probanden (Altersrange: 19 – 52 Jahre) erhobenen Referenzdaten ermöglichen nunmehr eine exakte Interpretation von Laufanalysedaten in Abhängigkeit von der Laufgeschwindigkeit (8 – 20 km/h) im Trainings- und Therapieprozess.

Ein­lei­tung

Die Gang­ge­schwin­dig­keit besitzt einen sehr gro­ßen Ein­fluss auf die Gang­pa­ra­me­ter, wie zahl­rei­che Stu­di­en­ergeb­nis­se bereits bele­gen 1 2 3 4 5 6. Sei­ne prak­ti­sche und inhalt­li­che Rele­vanz erhält die­se The­ma­tik dadurch, dass die Ver­gleich­bar­keit von Daten­sät­zen in Quer- und Längs­schnitt­stu­di­en durch abwei­chen­de Gang­ge­schwin­dig­kei­ten deut­lich ver­rin­gert ist 7. Lässt man den Ein­fluss der Gang­ge­schwin­dig­keit außer Acht, besteht die Gefahr, Inter­ven­tio­nen (Trai­ning, The­ra­pie) in ihrer Wirk­sam­keit zu überschätzen.

Dass die­se Pro­ble­ma­tik sei­tens der Lauf­ana­ly­se bis­her nahe­zu unbe­ach­tet blieb, ver­deut­licht die defi­zi­tä­re wis­sen­schaft­li­che Befund­la­ge. Eine Recher­che in der Daten­bank Pub­Med (24. Febru­ar 2013) unter Ver­wen­dung des Such­be­grif­fes „run­ning and refe­rence data“ ergab 382 Ein­trä­ge im Zeit­raum von 1969 bis 2013. Es fan­den sich nur zwei Stu­di­en 8 9, basie­rend auf einem ver­gleich­ba­ren Daten­satz (n = 220; Alter: 18,3 ± 1,2 Jah­re), die als Refe­renz­da­ten­er­he­bung kon­zi­piert waren. Ziel war der Auf­bau einer Refe­renz­da­ten­bank für die Druck­ver­tei­lung wäh­rend der Stütz­pha­se beim Lau­fen sowie der Ver­gleich zum Gehen. Die Daten­er­fas­sung erfolg­te bar­fuß (Lauf­ge­schwin­dig­keit 11,9 km/h) mit­tels Druck­mess­plat­ten anhand von 215 gesun­den Pro­ban­den (Sport­stu­die­ren­de). Es lie­ßen sich vier Druck­ver­tei­lungs­mus­ter ermit­teln, wobei die größ­te Druck­be­las­tung unter der Fer­se beim initia­len Boden­kon­takt auf­trat. Im Vor­fuß­be­reich ver­zeich­ne­te das Meta­tar­sa­le II die größ­te Druck­be­las­tung. Die Druck­spit­zen waren im Ver­gleich zum Gehen kon­sis­tent höher.

Eine Spe­zi­fi­zie­rung der Daten­bank­re­cher­che (Such­be­griff: influence of run­ning speed on run­ning para­me­ter) ermit­tel­te fünf Ein­trä­ge im Zeit­raum von 2008 bis 2012, wovon vier sich mit der mensch­li­chen Loko­mo­ti­on aus­ein­an­der­set­zen. Wäh­rend sich Helou et al. 10 mit dem Ein­fluss der Umge­bungs­be­din­gun­gen auf die Mara­thon­leis­tungs­fä­hig­keit beschäf­tig­ten, unter­such­ten Padu­lo et al. 11 den Ein­fluss der Lauf­ge­schwin­dig­keit und des Stre­cken­pro­fils (Nei­gung) auf kine­ma­ti­sche Lauf­pa­ra­me­ter bei Mara­thon­läu­fern unter­schied­li­cher Qua­li­fi­ka­ti­on. Stir­ling et al. 12 fan­den deut­li­che Unter­schie­de in der Mus­kel­ak­ti­vi­tät (M. tibia­lis ante­rior, M. gas­tro­c­ne­mi­us, M. vas­tus late­ra­lis, M. semi­ten­di­no­sus) wäh­rend einer Aus­dau­er­be­las­tung auf dem Lauf­band (eine Stun­de, 95 % der Geschwin­dig­keit an der ven­ti­la­to­ri­schen Schwel­le) in Abhän­gig­keit vom Anstren­gungs­grad der Läufer.

Kong & Heer 13 konn­ten zei­gen, dass das Tra­gen von mobi­len Mess­sys­te­men im Schuh zur Beur­tei­lung der Druck­ver­tei­lung (F‑Scan mobi­le sys­tem; Tek­scan Inc, Bos­ton, USA) zu Ver­än­de­run­gen der Gang­cha­rak­te­ris­tik führt. Auch wenn die­se Aus­wir­kun­gen nur gering und nicht kli­nisch rele­vant waren, plä­die­ren Kong & Heer 13 dafür, der­ar­ti­ge Mess­sys­te­me wei­ter zu ent­wi­ckeln, um deren Ein­fluss auf das natür­li­che Gang­bild zu minimieren.

Zusam­men­fas­send kann fest­ge­stellt wer­den, dass bezüg­lich der Lauf­ana­ly­se zum gegen­wär­ti­gen Zeit­punkt kei­ne Evi­den­zen vor­lie­gen, die eine Abschät­zung des Ein­flus­ses der Lauf­ge­schwin­dig­keit auf die Viel­zahl der rest­li­chen Lauf­pa­ra­me­ter (kine­ma­ti­sche Para­me­ter, Lauf­pha­sen, Sym­me­trie­pa­ra­me­ter) zulas­sen. Eben­so fehlt es an hin­rei­chend gro­ßen Stich­pro­ben, die es erlau­ben, geschwin­dig­keits­ab­hän­gi­ge Refe­renz­wer­te für die Lauf­pa­ra­me­ter zu berech­nen. Die­se wie­der­um sind essen­ti­ell für die Beschrei­bung und Quan­ti­fi­zie­rung der Lauf­be­we­gung. Unter Umstän­den ermög­li­chen sie auch eine Dif­fe­ren­zie­rung der Lauf­stil­ty­pen (z. B. Vor­fuß­läu­fer vs. Rückfußläufer).

Ziel­stel­lung

Ziel der Unter­su­chung war es, mit dem por­ta­blen, iner­ti­al­sen­sor­ba­sier­ten Gang- und Lauf­ana­ly­se­mess­sys­tem Reha­Watch (Haso­med, Mag­de­burg) Lauf­pa­ra­me­ter in Abhän­gig­keit von der Lauf­ge­schwin­dig­keit (8 – 20 km/h) zu erhe­ben, um deren Ein­fluss zu ermit­teln und Refe­renz­wer­te ange­ben zu können.

Unter­su­chungs­de­sign

Unter­su­chungs­stich­pro­be

124 Pro­ban­den (n = 24 Frau­en, 19 %) wur­den getes­tet. Dabei han­del­te es sich in der Regel um Stu­die­ren­de der MLU Hal­le-Wit­ten­berg (Tab. 1).

Bei 40 Pro­ban­den (32 %) lagen in der Ver­gan­gen­heit ortho­pä­di­sche Befun­de vor, die aber zum Zeit­punkt der Unter­su­chung kei­nen Ein­fluss auf das Lau­fen hat­ten. Alle Tests fan­den im Uni­ver­si­täts­sport­zen­trum der MLU Hal­le-Wit­ten­berg auf dem Lauf­band „Pre­cor TRM 800-Series“ statt. Die Stu­die wur­de von der Ethik-Kom­mis­si­on der Medi­zi­ni­schen Fakul­tät der Mar­tin-Luther-Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg genehmigt.

Unter­su­chungs­ab­lauf

Nach­dem sich die Pro­ban­den jeweils eine Minu­te bei 8 und 10 km auf dem Lauf­band ein­lie­fen, absol­vier­ten sie jeweils einen Ver­such über eine Zeit­dau­er von 30 s mit fol­gen­den Geschwin­dig­kei­ten: 20, 8, 18, 10, 16, 12, 14 km/h. Um den Ein­fluss der Geschwin­dig­keits­rei­hen­fol­ge respek­ti­ve der Ermü­dung zu redu­zie­ren, wur­den die sie­ben Geschwin­dig­kei­ten in der ange­ge­be­nen Rei­hen­fol­ge (Abb. 1b) voll­zo­gen. Die Pau­sen­dau­er wur­de mit 1 und 2 min defi­niert (Abb. 1b) und gege­be­nen­falls ver­län­gert, wenn der Pro­band nach sub­jek­ti­vem Emp­fin­den noch nicht voll­stän­dig erholt war.

Vier Ver­su­che (8, 12, 16, 20 km/h) wur­den mit­tels Video doku­men­tiert, um eine Beur­tei­lung und Kate­go­ri­sie­rung der Lauf­sti­le vor­neh­men zu kön­nen. Auf die dies­be­züg­li­chen Ergeb­nis­se soll im Rah­men die­ses Bei­trags nicht ein­ge­gan­gen werden.

Fol­gen­de demo­gra­fi­sche und anthro­po­me­tri­sche Daten wur­den dar­über hin­aus erfasst: Alter, Geschlecht, Grö­ße, Gewicht, ortho­pä­di­sche Befunde.

Gang- und Lauf­ana­ly­se­mess­sys­tem RehaWatch

Das mobi­le Mess­sys­tem Reha­Watch erfasst Lauf­pa­ra­me­ter mit­tels Iner­ti­al­sen­so­ren. Jeder Iner­ti­al­sen­sor ent­hält ein Drei-Ach­sen-Acce­le­ro­me­ter (Mess­be­reich: ± 16 g), ein Drei-Ach­sen-Gyro­skop (Mess­be­reich: ± 2000/s) und ein Drei-Ach­sen-Magne­to­me­ter (Mess­be­reich: ± 1,3 Ga). Die Sen­so­ren sind als MEMS (Micro-Elec­t­ro-Mecha­ni­cal Sys­tem) auf­ge­baut (Abtast­fre­quenz: 600 Hz). Die Mess­da­ten wer­den von den Sen­so­ren via Blue­tooth an den Data Log­ger (Abb. 2a) und von dort mit­tels USB-Stick (Abb. 2b) an die Ana­ly­se­soft­ware im PC über­tra­gen. Die Mes­sung soll­te auf har­tem Unter­grund statt­fin­den und soll­te min­des­tens acht Dop­pel­schrit­te beinhalten.

Die Durch­füh­rung und Aus­wer­tung einer Mes­sung dau­ert inklu­si­ve An- und Able­gen der Hal­te­run­gen ca. fünf Minuten.

In der Reha­Watch-Ana­ly­se­soft­ware wer­den die Mess­da­ten auto­ma­tisch aus­ge­wer­tet. Grund­la­ge ist die Bestim­mung von vier Lauf­ereig­nis­sen (initia­ler Boden­kon­takt, voll­stän­di­ger Fuß­auf­satz, Fer­sen­ab­lö­sung und Zehen­ab­lö­sung). Auf der Basis der Lauf­ereig­nis­se wer­den die räum­lich­zeit­li­chen Para­me­ter und Lauf­pha­sen, ent­spre­chend der Nomen­kla­tur von Mann et al. 14, abge­lei­tet (Tab. 2). Die Sym­me­trie (Links-Rechts-Ver­gleich bila­te­ra­ler Para­me­ter) wird nach fol­gen­der Glei­chung berechnet:

 

Sta­tis­ti­sche Auswertung

Die sta­tis­ti­sche Aus­wer­tung des Daten­ma­te­ri­als erfolg­te mit dem Sta­tis­tik­pro­gramm SPSS 20.0 (SPSS Inc., Chi­ca­go, Illi­nois, USA).

Zunächst wur­de mit­tels Regres­si­ons­ana­ly­se (Pro­ze­dur: Kur­ven­an­pas­sung) geprüft, wel­che Abhän­gig­kei­ten (Betrag, Art) zwi­schen den abhän­gi­gen Varia­blen (Lauf­pa­ra­me­ter) und der unab­hän­gi­gen Varia­ble „Lauf­ge­schwin­dig­keit“ bestehen. Dar­über hin­aus wur­de die Geschwin­dig­keits­ab­hän­gig­keit vari­anz­ana­ly­tisch (ein­fak­to­ri­ell, uni­va­ri­at) geprüft.

Die Dar­stel­lung der geschwin­dig­keits­ab­hän­gi­gen Refe­renz­wer­te erfolgt deskrip­tiv mit­tels Feh­ler­bal­ken­dia­gram­men (Mit­tel­wert ± 95 % Kon­fi­denz­in­ter­vall) sowie unter Ver­wen­dung von Quan­ti­len (5, 10, 25, 50, 75, 90, 95). Dadurch wird sowohl die Ver­tei­lung der Lauf­da­ten auf­ge­klärt als auch eine exak­te Ein­ord­nung und Inter­pre­ta­ti­on der Mess­wer­te ermög­licht. Für die bila­te­ra­len Para­me­ter (z. B. Stütz­pha­se) wer­den in die­sem Bei­trag nur die Wer­te für die lin­ke Sei­te angegeben.

Ergeb­nis­se

Die Aus­wer­tung der Sym­me­trie­pa­ra­me­ter ergab kon­sis­tent kei­ne Geschwin­dig­keits­ab­hän­gig­keit, wes­halb die­se auch nicht Gegen­stand der Ergeb­nis­dar­stel­lung sind.

Geschwin­dig­keits­ab­hän­gig­keit der Laufparameter

Vari­anz­ana­ly­tisch konn­te für fol­gen­de Lauf­pa­ra­me­ter eine signi­fi­kan­te Geschwin­dig­keits­ab­hän­gig­keit (η2> 0,10) bezo­gen auf den Haupt­ef­fekt ermit­telt werden:

  1. Dop­pel­schritt­län­ge (η2 = 0,774),
  2. Kadenz (η2 = 0,577),
  3. Dop­pel­schritt­dau­er (η2 = 0,576),
  4. Lan­de­pha­se (η2 = 0,366),
  5. Maxi­ma­le Fuß­hö­he (η2 = 0,160),
  6. Stütz­pha­se (η2 = 0,129).

Die Mehr­fach­ver­glei­che nach Bon­fer­ro­ni erga­ben dar­über hin­aus für fol­gen­de Para­me­ter signi­fi­kan­te Unter­schie­de zwi­schen den ein­zel­nen Geschwin­dig­keits­ni­veaus (8–20 km/h): Schritt­län­ge, Schritt­dau­er, Kadenz, Auf­setz- und Abroll­win­kel, maxi­ma­le Fuß­hö­he, maxi­ma­le Zirk­um­duk­ti­on, Schwung­pha­se, Lan­de­pha­se, Stütz­pha­se und Abdruckphase.

Die Lauf­ge­schwin­dig­keit beein­flusst ins­be­son­de­re die räum­lich-zeit­li­chen Para­me­ter (Tab. 3) nach­hal­tig. In der Regel liegt ein kubi­scher Zusam­men­hang vor, ähn­lich wie dies für den Bereich des Gehens bereits eru­iert wer­den konn­te 15.

Deskrip­ti­ve Beschrei­bung der Datenanalyse

Bei­spiel­haft sol­len die ange­ge­be­nen Per­zen­ti­le an den Para­me­tern „Maxi­ma­le Fuß­hö­he“ und „Dop­pel­schritt­län­ge“ inter­pre­tiert wer­den (Tab. 4a u. b). Die maxi­ma­le Fuß­hö­he gibt den maxi­ma­len Abstand wäh­rend des Lauf­zy­klus zwi­schen Sen­sor und Unter­grund (Lauf­band) an. Betrach­tet man den Medi­an (P50), so wird deut­lich, dass sich die­ser Para­me­ter mit wach­sen­der Lauf­ge­schwin­dig­keit erhöht (8 km/h: 0,19 m; 20 km/h: 0,27 m). Dem­nach heben bei 8 km/h 50 % der Pro­ban­den den Fuß/Sensor höher bzw. nied­ri­ger als 19 cm vom Boden ab. Bei einer Geschwin­dig­keit von 20 km/h ist für die glei­che Häu­fig­keits­ver­tei­lung eine maxi­ma­le Fuß­hö­he von 27 cm erforderlich.

Besitzt der Pro­band bei einer Lauf­ge­schwin­dig­keit von 10 km/h eine Dop­pel­schritt­län­ge von maxi­mal 1,34 m, so gehört er zu den 5 % Pro­ban­den mit der nied­rigs­ten Dop­pel­schritt­län­ge. Hin­ge­gen wäre eine Dop­pel­schritt­län­ge von min­des­tens 1,81 m (P 95) gleich­be­deu­tend mit der Zuord­nung zu jenen 5 % der Pro­ban­den mit der größ­ten Doppelschrittlänge.

Abbil­dung 3a–d zeigt die Ver­än­de­run­gen (Mit­tel­wert ± Kon­fi­denz­in­ter­vall) der zwei Para­me­ter mit der größ­ten (Dop­pel­schritt­län­ge, Kadenz) und gerings­ten (Abroll­win­kel, maxi­ma­le Zirk­um­duk­ti­on) Geschwindigkeitsabhängigkeit.

Dis­kus­si­on

Gang- und Lauf­ge­schwin­dig­keit sind wesent­li­che Prä­dik­to­ren für die Gang- und Lauf­pa­ra­me­ter. Wäh­rend sei­tens der Gang­ge­schwin­dig­keit, wie ein­lei­tend beschrie­ben, inzwi­schen zahl­rei­che Evi­den­zen vor­lie­gen, ist die Daten­la­ge zum Ein­fluss der Lauf­ge­schwin­dig­keit der­zeit als sehr defi­zi­tär zu bezeich­nen. Padu­lo et al. 11 konn­ten anhand des Ver­gleichs von pro­fes­sio­nel­len und semi­pro­fes­sio­nel­len Mara­thon­läu­fern mit­tels 2D-Video­ana­ly­se (Dart­fi­sh 5.5Pro) zei­gen, dass sich mit anstei­gen­der Lauf­ge­schwin­dig­keit Schritt­fre­quenz und ‑län­ge erhö­hen bzw. ver­län­gern. Dar­über hin­aus ver­grö­ßer­te sich die Flug­zeit und ver­kürz­te sich die Kon­takt­zeit. Die geschwin­dig­keits­be­ding­ten Ver­än­de­run­gen waren in der Grup­pe der semi­pro­fes­sio­nel­len Mara­thon­läu­fer deut­lich grö­ßer im Ver­gleich zur pro­fes­sio­nel­len Kohor­te. Im Ergeb­nis der Stu­die stell­ten Padu­lo et al. 11 fest, dass Eli­te­l­äu­fer über einen effi­zi­en­te­ren Lauf­stil im Ver­gleich zu Ama­teur­läu­fern ver­fü­gen. Hin­sicht­lich der Lauf­qua­li­fi­ka­ti­on fan­den sich in die­ser Stu­die hin­ge­gen kei­ne signi­fi­kan­ten Unter­schie­de in den Lauf­pa­ra­me­tern, wobei fol­gen­de Klas­si­fi­zie­rung der Pro­ban­den zugrun­de lag:

Läu­fer (n = 19/15 %)

Pro­band, der wett­kampf­mä­ßig eine Sport­art betreibt, die eine expli­zi­te Lauf­schu­lung umfasst, da das Lau­fen Bestand­teil der Wett­kampf­leis­tung ist (z. B. leicht­ath­le­ti­sche Lauf­dis­zi­pli­nen, Triathlon).

Nicht-Läu­fer (n = 57/46 %)

Pro­band, der wett­kampf­mä­ßig eine Sport­art betreibt, die kei­ne expli­zi­te Lauf­schu­lung umfasst, da das Lau­fen nicht Bestand­teil der Wett­kampf­leis­tung ist (z. B. Fuß­ball, Rei­ten, Schwimmen).

Kein Wett­kampf­sport (n = 48/39 %)

Pro­band, der kei­ne Sport­art wett­kampf­mä­ßig ausübt.

Die vor­lie­gen­de Unter­su­chung zeigt, über­ein­stim­mend mit Padu­lo et al. 11, dass ins­be­son­de­re die räum­lich-zeit­li­chen Lauf­pa­ra­me­ter sehr stark durch die Lauf­ge­schwin­dig­keit beein­flusst wer­den (sie­he Tab. 3, Abb. 3a–b). Auch die maxi­ma­le Fuß­hö­he, die mit dem Gang- und Lauf­ana­ly­se­sys­tem Reha­Watch nun­mehr mess­bar ist, unter­liegt einer signi­fi­kan­ten Ein­fluss­nah­me durch die Lauf­ge­schwin­dig­keit (r2 = 0,155). Betrach­tet man die Lauf­pha­sen, so ist vor allem die Lan­de­pha­se (r2 = 0,364) als geschwin­dig­keits­ab­hän­gig zu bezeich­nen. Auch der Ein­fluss auf die Stütz­pha­se ist beacht­lich, jedoch deut­lich nied­ri­ger (r2 = 0,128).

Unbe­ein­flusst blie­ben hin­ge­gen die Sym­me­trie­pa­ra­me­ter. Die Feh­ler­va­ri­anz­auf­klä­run­gen (Par­ti­el­les Eta-Qua­drat) beweg­ten sich zwi­schen 0,001 (Abroll­win­kel) und 0,024 (maxi­ma­le Zirk­um­duk­ti­on), wes­halb auch auf ihre Nen­nung im Ergeb­nis­teil ver­zich­tet wur­de. Die­ses Ergeb­nis kor­re­spon­diert mit den Befun­den zum Prä­dik­tor „Alter“ 1, die anhand einer Refe­renz­stich­pro­be gesun­der Pro­ban­den (n = 1.860) zeig­ten, dass die Sym­me­trie nicht mit dem Alter kon­fun­diert ist.

Limi­ta­tio­nen

Die Ergeb­nis­se von Padu­lo et al. 11 las­sen ver­mu­ten, dass die Unter­su­chung von hoch qua­li­fi­zier­ten Läu­fern die Aus­sa­ge­kraft der Ergeb­nis­se unter Umstän­den erhöht.

Des Wei­te­ren ist durch die Unter­su­chung auf dem Lauf­band zwar eine exak­te Defi­ni­ti­on des Prä­dik­tors „Lauf­ge­schwin­dig­keit“ mög­lich. Jedoch soll­te bei der Ergeb­nis­un­ter­su­chung berück­sich­tigt wer­den, dass es auf dem Lauf­band zu einer Anpassung/Veränderung des indi­vi­du­el­len Lauf­stils kommt. Folg­lich wäre eine Repli­zie­rung des Stu­di­en­de­signs im natür­li­chen Milieu (Lauf­bahn, Gelän­de) angeraten.

Eine Ran­do­mi­sie­rung der sie­ben Lauf­ge­schwin­dig­kei­ten (8–20 km/h) wur­de in Erwä­gung gezo­gen, jedoch der beschrie­be­nen Vor­ge­hens­wei­se der Vor­zug gege­ben. Durch den ste­ti­gen Wech­sel von hoher und nied­ri­ger Lauf­band­ge­schwin­dig­keit wur­de den Pro­ban­den die Mög­lich­keit zur akti­ven Rege­ne­ra­ti­on ein­ge­räumt. Eine Ran­do­mi­sie­rung hät­te den Nach­teil gehabt, dass auch zu hohe Belas­tun­gen (z. B. 20, 18, 16 km/h) mög­lich gewe­sen wären. Wäh­rend die hier gewähl­te Vor­ge­hens­wei­se unter Umstän­den einen sys­te­ma­ti­schen Feh­ler impli­ziert, wäre durch die Ran­do­mi­sie­rung ein schwer zu kon­trol­lie­ren­der zufäl­li­ger Feh­ler entstanden.

Zum Zwe­cke der Refe­renz­da­ten­er­stel­lung ist die vor­han­de­ne Stich­pro­be (n = 124) als noch zu klein zu bewerten.

Zusammenfassung/Ausblick

Die erho­be­nen kine­ma­ti­schen Refe­renz­da­ten für das Lau­fen bil­den zukünf­tig die metri­sche Grund­la­ge für eine siche­re Inter­pre­ta­ti­on von Lauf­ana­ly­se­da­ten, wobei eine Erwei­te­rung der Stich­pro­be not­wen­dig ist. Damit ver­bin­den sich für unter­schied­lichs­te Anwen­der (Trai­ner, Sport­ler, Leis­tungs­dia­gnos­ti­ker, Sport­schuh­her­stel­ler, Ortho­pä­die-Tech­ni­ker, Phy­sio­the­ra­peut etc.) signi­fi­kan­te Erkennt­nis­ge­win­ne für die eige­ne Arbeit.

Mit dem Gang- und Lauf­ana­ly­se­sys­tem Reha­Watch steht ein Mess­in­stru­ment zur Ver­fü­gung, das auch in der täg­li­chen (Trainings-)Praxis pro­blem­los ein­setz­bar ist. Auf­grund sei­ner Prak­ti­ka­bi­li­tät las­sen sich grö­ße­re Stich­pro­ben in ange­mes­se­nen Zeit­fens­tern tes­ten, was das Mess­sys­tem auch für Mann­schafts­sport­ar­ten (z. B. Fuß­ball) inter­es­sant wer­den lässt. Dies auch vor dem Hin­ter­grund, dass die Lauf­leis­tung in die­sen Sport­ar­ten (Fuß­ball, Hand­ball etc.) ein wesent­li­cher, leis­tungs­li­mi­tie­ren­der Fak­tor ist. Folg­lich ist die Ver­bes­se­rung der Lauf­tech­nik ein wesent­li­cher, bis­lang jedoch kaum genutz­ter Trai­nings­in­halt, der eine leis­tungs­fä­hi­ge Dia­gnos­tik der Lauf­tech­nik voraussetzt.

Dank­sa­gung

Das Autoren­team bedankt sich recht herz­lich bei allen Pro­ban­den (n = 124) für die Teil­nah­me an den Unter­su­chun­gen sowie bei Micha­el Schrei­er und Det­lef Braun­roth (Uni­ver­si­täts­sport­zen­trum, MLU Hal­le-Wit­ten­berg) für die Bereit­stel­lung des Lauf­bands sowie des Untersuchungsraums.

 

Für die Autoren:
PD Dr. phil. habil. René Schwesig
Mar­tin-Luther-Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg
Depart­ment Ortho­pä­die, Unfall- und
Wie­der­her­stel­lungs­chir­ur­gie
06120 Halle/Saale
rene.schwesig@uk-halle.de

Begut­ach­te­ter Beitrag/Reviewed paper

Zita­ti­on
Schwe­sig R, Zim­mer J, Fischer D, Hof­mann M, Leuch­te S. Ein­fluss der Lauf­ge­schwin­dig­keit auf aus­ge­wähl­te Lauf­pa­ra­me­ter – Refe­renz­da­ten­er­he­bung mit dem Mess­sys­tem Reha­Watch. Ortho­pä­die Tech­nik, 2013; 64 (12): 28–35

 

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