Eine Woche zuvor gab allerdings die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) bekannt, dass sie sich aus dem E‑Rezept-Rollout zurückzieht. „Der Nutzen des E‑Rezepts liegt für Arztpraxen im Komfort der bürokratiearmen Erstellung und für Patienten in der Einsparung mehrfacher Wege, was insbesondere für Menschen in ländlichen Bereichen vorteilhaft wäre. Beides kann momentan nicht erreicht werden“, begründet die Vorstandsvorsitzende der KVSH, Dr. Monika Schliffke, die Entscheidung. Hintergrund ist, dass sich die KVSH selbst an die Landesdatenschutzbeauftragte Marit Hansen gewandt hatte, um sämtliche Datenschutzfragen zu klären. Das Ergebnis erreichte die KVSH Mitte August.
Demnach seien weder ein per E‑Mail verschickter QR-Code noch ein Transfer des QR-Codes in eine „im Markt frei erhältliche App“ vom Gesetzgeber vorgesehen und aus Gründen des Datenschutzes auch nicht denkbar. Nur die über die Gematik bereitgestellten Wege seien gewünscht und sicher. Denn, so heißt es in dem Schreiben, „mit der Versendung von QR-Codes an versicherte Personen oder Apotheken würden bereits Gesundheitsdaten nach Art. 4 Nr. 14 DSGVO i,V.m. Art. 9 Abs. ! DSGVO übermittelt“. Da diese besonders sensibel sind und daher geschützt werden müssen, können Patient:innen auch nicht einfach den Leistungserbringern das Recht einräumen, dennoch die vorhandenen Wege wie E‑Mail oder App zu nutzen. Es seien „objektive Rechtspflichten, die nicht zur Disposition der Beteiligten stehen“, heißt es im Schreiben der Landesdatenbeauftragten.
Kritik gibt es bei dieser Regelung vor allem wegen der Ungleichbehandlung von analogen und digitalen Daten. So schreibt die KVSH, „die formale Arzthaftung [endet] mit der Übergabe des Rezeptes an den Patienten. Ob dieser damit Medikamente abholt oder nicht abholt, das Rezept verliert, verkauft oder bei Facebook einstellt, liegt nicht im Verantwortungsbereich des Arztes“. Dr. Monika Schliffke sagt dazu: „Das ist in der digitalen Welt offenbar sehr anders. Wir lassen die Praxen nicht in eine Falle laufen, denn die Praxen würden für diesen Missbrauch haften. Die Funktionalität, einen datenlosen Code als Anhang zu versenden, ist firmenseitig umgehend unterbunden worden.“
„Das Gesetz ist offenbar so zu lesen, dass kein Versicherter a. einer digitalen Übertragung eines datenlosen QR-Codes an sich selbst, b. an einen bevollmächtigten Dritten oder c. an die Apotheke seiner Wahl zustimmen kann“, so die KVSH. Es sei zwar gut, wenn im Vorfeld des Rollouts auch die absurdesten Problemstellungen erkannt würden. „Dies hätte schon in der Testphase der Gematik geschehen müssen, denn die schleswig-holsteinischen Praxen haben nicht unwesentlich zum Erreichen der Gematik-Quote beigetragen. Nun hoffen wir, dass nicht auch noch das von der KV Westfalen-Lippe initiierte eGK-Verfahren dem Datenschutz zum Opfer fällt, weil auch elektronische Gesundheitskarten fehlerhaft sein oder missbräuchlich verwendet werden könnten.“
Vorwurf: Praktisch kein E‑Rezept umzusetzen
Wenn das E‑Rezept nicht verschickt werden dürfe, dann würden noch – theoretisch – andere Wege bleiben, das E‑Rezept einzulösen. Doch das Urteil der KVSH fällt ernüchternd aus. Um die Gematik-App, die, laut Angaben der Gematik bundesweit ungefähr 365.000 Mal heruntergeladen wurde, zu nutzen, benötigt man ein NFC-fähiges Smartphone und eine ebenso NFC-fähige Gesundheitskarte. Diese sei aber auch auf Grund des weltweiten Chipmangels bei den meisten Versicherten überhaupt noch nicht verfügbar, lautet ein Vorwurf. Auf Nachfrage der OT-Redaktion erklärte aber beispielsweise die DAK Gesundheit, dass bereits 3,8 Millionen der 5,5 Millionen Versicherten eine NFC-fähige Karte besitzen. Aktuelle Zahlen, die die Gematik Ende September veröffentlichte, gehen in eine ähnliche Richtung. Rund 60 Prozent aller Versicherten seien bereits mit einer neuen elektronischen Gesundheitskarte (eGK) ausgestattet worden.
Das E‑Rezept mittels elektronischer Patientenakte (ePa) zu nutzen, scheitert in Schleswig-Holstein an der geringen Verbreitung der ePa bei Versicherten und die Code-Übertragung per Kommunikationsdienst KIM an Apotheken an der Tatsache, dass in Schleswig-Holstein nur eine Handvoll Apotheken bisher mit KIM-Modulen und ‑Adressen ausgestattet ist, bemängeln die Mediziner:innen weiterhin.
„Das läuft auf 99 Prozent Papierausdrucke hinaus, was keinem unserer Ziele zur Digitalisierung auch nur annähernd nahekommt. Die Zählung der Gematik zu E‑Rezepten zeigt dann auch keinen Digitalisierungsgrad an“, resümiert die KVSH-Vorsitzende. Die KVSH wird die bereits terminierten Schulungen abschließen, ihre Erreichbarkeit zu speziellen E‑Rezept-Fragen aufrechterhalten und sich ansonsten unterstützend wieder einschalten, wenn ggf. durch Gesetzesanpassungen und/oder technische Gematik-Aktivitäten eine praxis- und patientengerechte Alltagstauglichkeit absehbar ist.
Währenddessen läuft der E‑Rezept-Rollout in den Krankenhäusern und Zahnarztpraxen in Schleswig-Holstein sowie in (Zahn-)Arztpraxen und Krankenhäusern in Westfalen-Lippe seit dem 1. September. 277.743 E‑Rezepte (Stand: 21. September) wurden bisher eingelöst. „Westfalen-Lippe geht mit großem Engagement voran. Ich danke der Kassenärztlichen Vereinigung und allen Beteiligten für ihren Einsatz als E‑Rezept-Vorreiter“, sagte Gematik-Geschäftsführer Dr. Markus Leyck Dieken. Aus Sicht von Leyck Dieken ist die eigene Gematik-E-Rezept-App der „Königsweg“ für das Einlösen des E‑Rezepts. Doch der Weg zur App ist für Versicherte noch recht umständlich. So muss sich jeder/jede Versicherte extra für die App authentifizieren. Dafür ist eine Persönliche Identifikationsnummer (Pin-Code) nötig, die die Krankenkassen den Versicherten zusenden – allerdings erst, wenn sich die Versicherten an die jeweilige Krankenkasse wenden und die Identität gegenüber der Krankenkasse bestätigt wird. Dies geschieht meist über einen persönlichen Besuch in einer Geschäftsstelle der jeweiligen Krankenkasse. Deswegen überrascht es wenig, dass Leyck Dieken, angesichts der Zahl von einem Prozent aller Versicherten in Deutschland, die diesen Pin-Code bereits zugeschickt bekommen habe, fordert: „Hier müssen wir Hürden abbauen, zwischen Datenschutz und Datensicherheit abwägen und praktikable Lösungen finden.“
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