Im Anschluss präsentierte Marlo Ortiz als lokaler Vertreter den ursprünglich für 2021 geplanten und nun 2023 nächsten Austragungsort des Kongresses: Guadalajara. Ortiz ist vielen in Deutschland durch seine Innovationen im Schaftdesign ein Begriff. Ein Video mit imposanten Bildern von Guadalajara, Mariachi-Musik und ein enthusiastischer Marlo Ortiz gaben einen Vorgeschmack auf 2023 und lassen auf einen vertrauten, nicht durch die Pandemie bestimmten Kongress hoffen. In den Tagen des virtuellen Kongresses wurde ein umfangreiches und abwechslungsreiches Programm zu unterschiedlichsten Themen der Hilfsmittelversorgung geboten. Die Zahlen sprechen für sich: 86 Sessions, 317 Einreichungen und 1.076 Teilnehmer und Teilnehmerinnen.
Neue Wege in der Prothetik
Allen voran sind die vier Keynote-Vorträge zu nennen, die die Wahrnehmung der Konferenz wesentlich bestimmten. Neben den Beiträgen von Dr. Alarcos Cieza (World Health Organization), Dr. Matthew Major (Northwestern University, Jesse Brown VA Medical Center Chicago) sowie Dr. Alex Dickinson (University of Southampton, Großbritannien) war vor allem der IC2A-Vortrag von Christopher Hutchison mit dem Titel „Prosthetics for All – Changing Lives through Digital Technologies“ erwähnenswert. Die IC2A ist ein internationaler Verbund von Verbänden für Menschen mit einer Amputation, wie bspw. dem Bundesverband für Menschen mit Arm- oder Beinamputation (BMAB) in Deutschland. Hutchison, selbst von einer bilateralen Amputation eines Unter- und Oberschenkels betroffen, ist Gründungsmitglied der Firma ProsFit, die neue Wege bei der Versorgung von Menschen mit einer Beinamputation gehen will und dabei Software-Lösungen zur Modellierung und 3D-Druck-Technologien einsetzt. Das noble Ziel des Unternehmens: insbesondere Menschen mit einem limitierten Zugang zu Hilfsmitteln mit einer gutsitzenden Prothese zu versorgen. Leider wurden wie so oft der 3D-Druck und die Modellierung per Software als Lösung aller „typischen“ Probleme der Prothetik dargestellt. Ob die Versorgung von ProsFit, für die Hutchison kritisch betrachtet auch Werbung in eigener Sache betrieben hat, mit einer Versorgung durch einen hochqualifizierten Orthopädietechniker in einem „High Income Country“ gleichzuziehen vermag, bleibt offen. Unabhängig davon ist der internationale und philanthropische Ansatz. Ein Leitsatz des Unternehmens lautet frei übersetzt: „Wir wünschen uns eine Welt, in der durch Innovation den Anwendern erschwingliche, zuverlässige und adäquate Prothesenversorgungen zur Verfügung stehen.“
Schwellenländer unterrepräsentiert
Diese Haltung entspricht auch einem wesentlichen Aspekt des ISPO-Anspruchs, auf seinem Weltkongress die Unterschiede der internationalen Hilfsmittellandschaft zu dokumentieren. Im Gegensatz zur OTWorld, wo „State of the art“ präsentiert wird, nimmt der ISPO-Kongress die Versorgung von Menschen in Ländern mit einem geringeren Einkommen und einer unterdurchschnittlichen Gesundheitsversorgung in den Fokus. Aus der Warte des Teilnehmers ist dieser Gesichtspunkt beim virtuellen Kongress allerdings etwas unterrepräsentiert gewesen. Vielleicht war durch das „Korsett“ der digitalen Veranstaltung kein breiterer Blick auf Vorträge und Ausstellung möglich bzw. waren die Schwellen- und Entwicklungsländer aufgrund mangelhafter digitaler Infrastruktur im Nachteil.
Abschließend ist jedoch zu sagen, dass der ISPO-Kongress dennoch ein Erfolg war. Wir hoffen alle inständig, dass wir in naher Zukunft wieder Großveranstaltungen und Vor-Ort-Kongresse im Bereich der Technischen Orthopädie durchführen können, denn diese Interaktion ist unumgänglich für einen intensiveren Austausch. Ich persönlich freue mich auf jeden Fall auf den nächsten ISPO-Weltkongress, an dem ich persönlich teilnehmen kann, um das zuvor beschriebene „Flair“ dieser Veranstaltung live mitzuerleben.
Dipl.-Ing. (FH) Daniel Heitzmann
Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie,
Abteilung Bewegungsanalytik am
Universitätsklinikum Heidelberg;
Beiratsmitglied des ISPO Deutschland e. V.
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