Den Wan­del der Tech­ni­schen Ortho­pä­die gemein­sam gestalten

Der erste gemeinsame Kongress der drei nationalen Organisationen der Internationalen Gesellschaft für Prothetik und Orthetik (ISPO) aus Deutschland, Österreich und der Schweiz überzeugte Mitte März mit einem dichten und qualitativ hochwertigen Programm.

Die drei Vor­sit­zen­den Micha­el Möl­ler (Deutsch­land), Dr. Franz Land­au­er (Öster­reich) und Dr. Tho­mas Böni in Ver­tre­tung von Dr. Mar­tin Ber­li (Schweiz) hat­ten für die Pre­mie­re nach Augs­burg gela­den. Nach dem aus­führ­li­chen Rück­blick auf das Gesche­hen des ers­ten Ver­an­stal­tungs­ta­ges hier folgt an die­ser Stel­le eine Zusam­men­fas­sung der Vor­trä­ge der zwei­ten Kongresshälfte:

Der zwei­te Ver­an­stal­tungs­tag begann unter dem Vor­sitz von Prof. Dr. Frank Bra­atz mit der Vor­stel­lung aktu­el­ler Behand­lungs- und Ver­sor­gungs­an­sät­ze bei Quer­schnitt­läh­mung. So wid­me­te sich Dr. Andre­as Gohritz der Funk­ti­ons­re­kon­struk­ti­on der obe­ren Extre­mi­tä­ten bei Tetra­ple­gi­kern. Durch die wie­der­ge­won­ne­ne Hand­funk­ti­on ent­ste­he ein rele­van­ter Zuge­winn an Unab­hän­gig­keit und Mobi­li­tät, etwa bei der eigen­stän­di­gen Bedie­nung des Roll­stuhls oder der Smart­phone-Kom­mu­ni­ka­ti­on. Für ein zufrie­den­stel­len­des funk­tio­nel­les Ergeb­nis der Reha-Maß­nah­men sei die Sum­me der Ein­zel­maß­nah­men aus ope­ra­ti­ven und kon­ser­va­ti­ven Inter­ven­tio­nen verantwortlich.

Dr. Doris Mai­er mahn­te aus medi­zi­ni­scher Per­spek­ti­ve die Kom­ple­xi­tät einer Quer­schnitt­läh­mung an. So seien­ neben dem Aspekt der Mobi­li­tät eben­so inter­nis­ti­sche, uro­lo­gi­sche und respi­ra­to­ri­sche Fak­to­ren zu berück­sich­ti­gen. Sie ver­wies des Wei­te­ren auf die emi­nent wich­ti­ge Rol­le eines hoch­spe­zia­li­sier­ten inter­dis­zi­pli­nä­ren Teams, wel­ches in Behand­lungs­zen­tren auf die Beson­der­hei­ten von Quer­schnitt­ge­lähm­ten ziel­ge­rich­tet einginge.

Zur Ergän­zung stell­te Dr. Nad­ja Waloch­nik den unter­stüt­zen­den Mehr­wert einer Hilfs­mit­tel­ver­sor­gung her­aus. Sie leg­te bspw. ein­drück­lich dar, dass umfas­sen­de Maß­nah­men zu ergrei­fen sind, die sich von der not­wen­di­gen Aus­stat­tung bei beatmungs­pflich­ti­gen Pati­en­ten über Orthe­sen, spe­zi­el­le Matrat­zen, Umbau­maß­nah­men im häus­li­chen Umfeld, All­tags­hil­fen bis hin zum PKW-Umbau erstre­cken. In der Gesamt­schau ent­stand so ein sehr umfas­sen­der Überblick.

Abge­run­det wur­de das The­ma durch PD Dr.-Ing. Rüdi­ger Rupp, der auf ein­drucks­vol­le Art und Wei­se Ein­bli­cke in Inno­va­tio­nen der Reha­bi­li­ta­ti­ons­tech­nik von der Neu­ro­pro­the­tik bis hin zur Neu­ro­mo­du­la­ti­on gewähr­te. Mah­nend beton­te er aus­drück­lich, dass ent­ge­gen manch einer Pres­se­mel­dung in abseh­ba­rer Zeit kei­ne „Repa­ra­tur“ des Rücken­marks und damit auch kei­ne Hei­lung in Sicht sei­en. Viel­mehr sei es aktu­ell gebo­ten, die ope­ra­ti­ven und kon­ser­va­ti­ven Behand­lungs­me­tho­den wei­ter zu ver­bes­sern. So gebe es Bedarf genug, etwa im Kon­text von FES-Sti­mu­la­ti­on und Brain-Com­pu­ter-Inter­faces die der­zei­ti­gen For­schungs­stän­de und Anwen­dungs­mög­lich­kei­ten zu verbessern.

Blick in die Zukunft

Die fina­le Sit­zung unter dem Vor­sitz von Micha­el Schä­fer stand unter dem Mot­to „Tech­ni­sche Ortho­pä­die im Wan­del“ und wid­me­te sich damit dem The­men­feld der For­schung und Ent­wick­lung unter pra­xis­ori­en­tier­ten Gesichts­punk­ten. Anime­sh Ran­jan stell­te in sei­nem Vor­trag die Fra­ge, inwie­weit der­zeit Mus­kel­mo­del­lie­run­gen im tech­nisch-ortho­pä­di­schen Kon­text mög­lich sind. Die dahin­ter lie­gen­de Idee sei es, basie­rend auf gege­be­ner Bild­ge­bung, Model­le der ana­to­mi­schen Gege­ben­hei­ten auf Basis der Fini­ten Ele­men­te Metho­de (FEM) zu rea­li­sie­ren. Auf­ga­be müs­se es sein, so Ran­jan, ein Modell zu ent­wi­ckeln, das die Mög­lich­keit bie­te, bei­spiel­haft Stumpf-Schaft­sys­te­me in der Pro­the­tik zu erstel­len und bio­me­cha­ni­sche Not­wen­dig­kei­ten hin­sicht­lich einer funk­ti­ons- und ana­to­misch ori­en­tier­ten Schaft­ge­stal­tung abzu­lei­ten. Ziel Ran­jans ist es, eine Schaft- und Pro­the­sen­op­ti­mie­rung her­bei­zu­füh­ren, die nicht nur sta­ti­sche Belas­tun­gen berück­sich­tigt, son­dern auch sol­che, die in der Dyna­mik auftreten.

Alo­is Ret­ten­stei­ner und Han­nes Sta­bau­er prä­sen­tier­ten dem Kon­gress­pu­bli­kum im Anschluss, wie sie hand­werk­li­che Fer­ti­gungs­pro­zes­se in digi­ta­le Pro­zes­se trans­fe­rie­ren. Ein kla­rer Mehr­wert sei in den Berei­chen Doku­men­ta­ti­on und Repro­du­zier­bar­keit zu sehen. Zudem hoben die Refe­ren­ten her­vor, dass digi­ta­le Pro­zes­se auch posi­ti­ve Effek­te auf die Pro­duk­ti­vi­tät hät­ten. Ret­ten­stei­ner und Sta­bau­er stell­ten in struk­tu­rier­ter Form den Arbeits­pro­zess der digi­ta­len Maß­nah­me bis hin zur Fer­ti­gung eines Modells vor. Dabei wur­den auch die vor­han­de­nen tech­ni­schen Sys­te­me prä­sen­tiert, um einen Über­blick über die ver­füg­ba­re Hard­ware in die­sem Bereich zu erhal­ten. Ergän­zend wur­den zudem die unter­neh­me­ri­schen Aspek­te hin­sicht­lich der Kos­ten-Nut­zen Abwä­gun­gen ange­spro­chen. So stell­ten nicht nur die rei­nen Inves­ti­ti­ons­kos­ten einen rele­van­ten Anteil dar, son­dern ins­be­son­de­re auch die ver­än­der­ten Anfor­de­run­gen an die Betrie­be und die Mitarbeiter.

Wel­che Rol­le der 3D-Druck im Kon­text digi­ta­ler Fer­ti­gungs­pro­zes­se ein­nimmt, schil­der­te Jan­nis Breu­nin­ger in sei­nem Bei­trag. Er ging dabei sowohl auf die Pro­zes­se der Pro­duk­ti­on als auch das The­ma der Mate­ria­li­en ein. Der Refe­rent bekräf­tig­te den kom­ple­men­tä­ren Cha­rak­ter der digi­ta­len Pro­zess­ket­te. Die uner­läss­li­che Tätig­keit am Pati­en­ten blei­be aller­dings wei­ter die per­sön­li­che Auf­ga­be des Technikers.

Den Fokus auf die kli­ni­sche For­schung rich­te­te der anschlie­ßen­de Vor­trag von Chris­ti­an Schuld, der das EMSCI (Euro­pean Mul­ti­cen­ter Stu­dy about Spi­nal Cord Injury)-Programm vor­stell­te. Schuld zeig­te die beein­dru­cken­den Mög­lich­kei­ten der Qua­li­täts­si­che­rung auf Basis kli­ni­scher Erhe­bun­gen und soge­nann­ten Assess­ments auf. EMSCI ist ein vor 18 Jah­ren ins Leben geru­fe­ne mul­ti­zen­tri­sches Pro­jekt, in des­sen Daten­bank bis heu­te Infor­ma­tio­nen von mehr als 4000 Pati­en­ten auf­ge­nom­men wor­den sind. Das ent­stan­de­ne Regis­ter beinhal­te aus­führ­li­che Infor­ma­tio­nen zur Situa­ti­on des jewei­li­gen Pati­en­ten hin­sicht­lich des­sen Läh­mungs­ebe­ne. Eben­so wer­de der Schwe­re­grad erho­ben. Durch die Mög­lich­keit, Aus­sa­gen auch im Ver­lauf zu moto­ri­schen Funk­tio­nen zu geben, las­se sich, so Schuld, eine Klas­si­fi­ka­ti­on und Cha­rak­te­ri­sie­rung der Fäl­le vor­neh­men und so Behand­lungs­stra­te­gien für die kli­ni­sche Rou­ti­ne ableiten.

Der letz­te Vor­trag des ISPO-Kon­gres­ses war Dr. Roland Sig­rist vor­be­hal­ten. Der wesent­li­che Mit­be­grün­der des „Cybathlon“-Projekts berich­te­te rück­bli­ckend von der Idee, einen Wett­kampf zu initi­ie­ren, in dem Men­schen mit einer kör­per­li­chen Behin­de­rung durch den Ein­satz ihres tech­ni­schen Hilfs­mit­tels gegen­ein­an­der antre­ten. Hin­ter­grund sei es gewe­sen, Arbeits­grup­pen aus der For­schung und Wis­sen­schaft dazu zu moti­vie­ren, sich für bis zu sechs ver­schie­de­ne Dis­zi­pli­nen zu bewer­ben. So soll­te nicht nur die Leis­tungs­fä­hig­keit der Sys­te­me dar­ge­stellt wer­den, son­dern auch Ent­wick­ler, Her­stel­ler und Anwen­der zusam­men­ge­bracht werden.

In der Gesamt­be­trach­tung kann fest­ge­hal­ten wer­den, dass die län­der­über­grei­fen­de Kon­gress­ge­stal­tung eine erfolg­rei­che Kon­stel­la­ti­on dar­stell­te. Hoch­ka­rä­ti­ge Exper­ten refe­rier­ten über wich­ti­ge aktu­el­le, aber auch zukünf­ti­ge The­men der Tech­ni­schen Ortho­pä­die. Alles in allem eine schö­ne und vom fach­li­chen sowie kol­le­gia­len Aus­tausch gepräg­te Ver­an­stal­tung der drei Län­der Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz. Wei­te­ren Akti­vi­tä­ten in der Zukunft darf gespannt ent­ge­gen­ge­schaut werden.

Mer­kur Alimusaj

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