All-inklu­siv-Fes­ti­val in Rostock

Ein Festival für Menschen mit und auch ohne Behinderungen soll das „All inklusiv“ vom 26. bis 28. August in Rostock sein. Ins Leben gerufen durch den Olympiasieger im Zehnkampf aus dem Jahre 1988, Christian Schenk, soll die Veranstaltung einen Raum schaffen, in dem sich die Menschen begegnen, austauschen und voneinander lernen können. Dazu haben die Organisatoren vier Themengebiete identifiziert, die mit Leben gefüllt wurden.

So wird es zum Bei­spiel kul­tu­rel­le Ele­men­te wie Lesun­gen, Fil­me, Musik oder Male­rei geben. Ver­ei­ne und Orga­ni­sa­to­ren aus Ros­tock und dem Umland wer­den sich vor­stel­len, um Fami­li­en einen Ein­druck ihres Ange­bots zu geben. Mit dem 1. Inklu­si­ons­lauf in Meck­len­burg-Vor­pom­mern wird ein sport­li­ches High­light gebo­ten. Für die Wis­sens­ver­mitt­lung setzt das Ver­an­stal­tungs­team auf Spezialist:innen aus Medi­zin und Sport­wis­sen­schaft. Im Gespräch mit der OT-Redak­ti­on gibt Chris­ti­an Schenk einen Ein­blick, was die Besucher:innen erwar­tet und war­um das The­ma Inklu­si­on so wich­tig ist.

OT: Was bedeu­tet für Sie per­sön­lich Inklusion?

Chris­ti­an Schenk: Inklu­si­on bedeu­tet für mich, Men­schen mit und ohne Beein­träch­ti­gun­gen zusam­men­zu­brin­gen und Begeg­nun­gen auf ver­schie­de­nen Ebe­nen und mit sehr unter­schied­li­chen Vor­aus­set­zun­gen zu ermög­li­chen. Die­se Ener­gie und die Erkennt­nis­se, die dabei frei­ge­setzt wer­den, sind ein gro­ßes Glück, an dem ich mei­ne Kin­der und die Men­schen, die mich umge­ben und für die ich arbei­te, teil­ha­ben las­sen möch­te. Inklu­si­on sehe ich als gesamt­ge­sell­schaft­li­che Her­aus­for­de­rung und damit ist klar, dass sich, wenn man sie ernst nimmt, alle Berei­che des Lebens für über­ra­schen­de Begeg­nun­gen öff­nen müs­sen. Ob Wis­sen­schaft, Kunst, Kul­tur oder Sport – sie alle müs­sen ihre Türen wei­ter und ihre Schwel­len nied­ri­ger stel­len, um sich auch mit­ein­an­der zu ver­net­zen und gegen­sei­tig befruch­ten zu kön­nen. Inklu­si­on schafft so durch kon­kre­te Ange­bo­te neue Ver­bin­dun­gen und Brücken.

OT: Wel­che Rol­le kann Sport bei der Inklu­si­on spielen?

Schenk: Sport kann fest­ge­fah­re­ne Struk­tu­ren auf­bre­chen und damit ganz kon­kret neue Hori­zon­te eröff­nen: Es geht um Mit­ein­an­der, Fair­play, auch dar­um, die eige­ne Leis­tungs­fä­hig­keit ken­nen­zu­ler­nen, Gren­zen zu ver­schie­ben. Für Men­schen mit Beein­träch­ti­gun­gen ist Bewe­gung noch viel wich­ti­ger als für „nor­ma­le“ Fußgänger:innen. Dabei spielt auch gesun­de Ernäh­rung eine wich­ti­ge Rol­le. Bei­de Berei­che sind fes­ter Bestand­teil von „All inklusiv“.

Sport ist zudem sehr sen­si­tiv, kom­mu­ni­ka­tiv und struk­tu­riert. Die ers­te Trai­nings­ein­heit, die ers­te Start­num­mer, das Vor­start­fie­ber sind prä­gen­de Momen­te für Sport­le­rin­nen und Sport­ler mit und ohne Beein­träch­ti­gun­gen. Ich habe vie­le Eltern wei­nen sehen, die von der Kraft, von den Fähig­kei­ten, die ihre Kin­der plötz­lich im sport­li­chen Wett­kampf frei­setz­ten, völ­lig über­rascht und über­wäl­tigt wur­den. Was der Sport aus­löst, ist auch in ande­ren Berei­chen des gesell­schaft­li­chen Lebens mög­lich. Trotz­dem sehe ich den Sport auf­grund sei­ner Strahl­kraft als stärks­tes Sym­bol. Parasport kann zum Leucht­turm für die Inklu­si­on in Deutsch­land werden.

OT: Sport­li­cher Erfolg wird im All­ge­mei­nen an Titel, Toren, Rekor­den und Medail­len gemes­sen – wie passt das mit Inklu­si­on zusammen? 

Schenk: Mei­ne Erfah­rung als Lan­des­trai­ner der Para-Leicht­ath­le­tik 2021 in Meck­len­burg-Vor­pom­mern ist: Ob sich der Ath­let oder die Ath­le­tin im olym­pi­schen Dis­kus­wer­fen von 68 auf 70 Meter ver­bes­sert oder der Para-Ath­let oder die Para-Ath­le­tin von 20 auf 23 Meter – immer ist das Abru­fen von Bewe­gungs­mus­tern unter Wett­kamp­stress­si­tua­tio­nen die Maxi­me. Eine For­mel für Erfolg wür­de ich so for­mu­lie­ren: gene­ti­sche Vor­aus­set­zun­gen plus ver­mit­tel­te Fähig­kei­ten mal Pas­si­on plus Glück. Nur braucht es für die Mess­bar­keit der Para-Ath­le­tin­nen und ‑Ath­le­ten fei­ne­re und viel­fäl­ti­ge­re Instru­men­te und Regeln. Da sind auch die Wissenschaftler:innen und Orthopäd:innen ver­mehrt gefragt.

OT: Sie ver­an­stal­ten Ende August das Fes­ti­val: „All inklu­siv“. Was steckt dahinter?

Schenk: „All inklu­siv“ soll Men­schen mit und ohne Behin­de­rung glei­cher­ma­ßen anspre­chen. In sechs Kultur‑, vier Wis­sen­schafts- und drei Sport­be­rei­chen sowie einem Fami­li­en­be­reich kön­nen sie sich begeg­nen, gemein­sam aus­pro­bie­ren und für ihren künf­ti­gen All­tag diver­se Ange­bo­te zur Selbst­aus­füh­rung erhal­ten. Die Tona­li­tät ent­spricht dem Film „Ziem­lich bes­te Freun­de“, der mich bei der Idee zum Fes­ti­val inspi­riert hat. Nie zuvor hat­te ich die Gewich­tung des The­mas Inklu­si­on so leicht, posi­tiv und ein­gäng­lich dar­ge­stellt gese­hen. Das Fes­ti­val ist jung, fröh­lich, gibt Anre­gun­gen zur Bewe­gung und Ernäh­rung und setzt die Phi­lo­so­phie der Stadt Ros­tock als „Kom­mu­ne inklu­siv“ fort. Die 14 Berei­che umfas­sen neben den Besu­chen u. a. von Lesun­gen, Kino­vor­stel­lun­gen, Sym­po­si­en und Gesprächs­run­den auch kuli­na­ri­sche und sport­li­che Akti­vi­tä­ten, die in der Fol­ge von Ver­ei­nen wei­ter­ge­führt wer­den. Die Uni­ver­si­tä­ten Ros­tock, Ber­lin, Wien und Flens­burg beglei­ten und eva­lu­ie­ren die ver­schie­de­nen wis­sen­schaft­li­chen Fach­be­rei­che. Die Ver­an­stal­tun­gen ermög­li­chen, mit Pro­mi­nen­ten und Expert:innen über Inklu­si­on nach­zu­den­ken, sich aus­zu­tau­schen und Lösun­gen zu finden.

 OT: War­um fiel die Wahl auf Rostock?

Schenk: Aus mei­ner Sicht hat sich mei­ne Hei­mat­stadt in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren enorm ent­wi­ckelt. Ich bin begeis­tert, wie die Stadt gera­de auf­blüht und auf Meck­len­burg-Vor­pom­mern aus­strahlt. Sie hät­te das Zeug, in den kom­men­den Jah­ren Inklu­si­ons-Vor­zei­ge­stadt Deutsch­lands zu wer­den. Zum Bei­spiel hat sich enorm viel in punc­to Bar­rie­re­frei­heit getan. In der Uni­ver­si­tät, der Hoch­schu­le für Musik und Thea­ter, bei den sozia­len Dienst­leis­tern, dem Volks­thea­ter, der Kunst­hal­le, der Indus­trie- und Han­dels­kam­mer und Unter­neh­men wie Aida haben wir bedeu­ten­de und wich­ti­ge Unter­stüt­zer und Weg­be­glei­ter gefun­den. Dazu kommt das umfang­rei­che Know-how vie­ler enga­gier­ter Haupt- und Ehren­amt­li­cher. Sie alle haben uns ermu­tigt, „All inklu­siv“ pro­fes­sio­nell auf­zu­stel­len. Wir wol­len die 25.000 Beein­träch­tig­ten in Ros­tock in die Mit­te der Stadt holen und den über 205.000 Men­schen mit Beein­träch­ti­gun­gen in Meck­len­burg-Vor­pom­mern neue Per­spek­ti­ven eröffnen.

OT: Wie kann man an die­sem Fes­ti­val teilnehmen?

Schenk: Seit dem 15. Juli kön­nen Inter­es­sier­te Tickets über die Web­site erwer­ben oder eben direkt am Ver­an­stal­tungs­tag vor Ort kau­fen. Das Fami­li­en­fest auf dem Neu­en Markt sowie die Akti­vi­tä­ten der Stra­ßen­bahn AG die­nen dem Ken­nen­ler­nen und sind kostenfrei.

OT: Wie sieht der aktu­el­le Stand der Pla­nun­gen aus?

Schenk: Der 5. Mai 2022 – Euro­päi­scher Pro­test­tag der Inklu­si­on – war unser offi­zi­el­ler Start­schuss. Bis dahin war inhalt­lich bereits alles geklärt. Für mich fühl­te es sich an wie bei der Qua­li­fi­ka­ti­on für eine inter­na­tio­na­le Groß­ver­an­stal­tung. Um bei Olym­pia dabei zu sein, muss man sich drei Mona­te zuvor qua­li­fi­zie­ren. Das haben wir mit viel Aus­dau­er und Akri­bie über fünf Mona­te hin­weg getan. Jetzt feh­len noch fünf bis zehn Pro­zent, um am 28. August erfolg­reich die Ziel­li­nie zu über­que­ren. Unser Team ist sehr breit auf­ge­stellt. Jeder bringt sei­ne Exper­ti­se ein und die Freu­de am Auf­bau von „All inklu­siv“ wächst täg­lich. Also das Fun­da­ment für den Inklu­si­ons-Leucht­turm ist gegossen!

OT: Auf wel­chen Gast freu­en Sie sich ganz beson­ders beim Festival?

Schenk: Bei der Viel­falt – wir haben ja 14 unter­schied­li­che Berei­che – fällt es mir schwer, nur einen Namen zu nen­nen. Ich per­sön­lich freue mich sehr auf den Hor­nis­ten Felix Klie­ser, der sein Instru­ment vir­tu­os mit den Füßen spielt und auf vie­len inter­na­tio­na­len Kon­zert­büh­nen zu hören ist. Glück­lich bin ich auch, die Male­rin Ambra Duran­te für „All inklu­siv“ gewon­nen zu haben. Sie wird mit Dr. Uwe Neu­mann von der Kunst­hal­le Ros­tock über ihr Werk spre­chen, in dem sie sich mit ihren Depres­sio­nen aus­ein­an­der­setzt – eine neue Sicht auf Kunst und Inklusion.

OT: Wel­ches Fazit wün­schen Sie sich am Ende der drei Tage zie­hen zu können?

Schenk: Ich wün­sche mir, dass „All inklu­siv“ den Impuls geben wird, das Inter­es­se an Inklu­si­on inner­halb Ros­tocks und dar­über hin­aus im Land zu ver­stär­ken! Inklu­si­on darf kein Lip­pen­be­kennt­nis blei­ben. Nur wenn wir sie im All­tag leben, am Arbeits­platz, in der Schu­le, beim Sport oder im Thea­ter, wird die ange­streb­te Teil­ha­be vie­ler Men­schen in unse­rem Bun­des­land zur erfahr­ba­ren Realität.

Die Fra­gen stell­te Hei­ko Cordes.

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